Denis Diderot
* 05.10. 1713 in Langrés
† 30.07.1784 in Paris
Zu seinen Lebzeiten weniger berühmt als Voltaire oder Rousseau, gilt Diderot heute als ebenbürtig und als einer der originellsten Köpfe der europäischen Aufklärung insgesamt. Er war als Philosoph in vielen Bereichen und als Literat in vielen Genera (außer Lyrik) aktiv. Nach Deutschland hinein wirkte er vor allem als Theoretiker des »bürgerlichen Trauerspiels« (drame bourgeois).
Er wuchs auf in der Bischofstadt Langrés (Champagne) als ältester Sohn eines wohlhabenden, jansenistisch-frommen Messerschmiedemeisters. Da er später die Domherren-Pfründe eines Onkels übernehmen sollte, wurde er schon mit 13 tonsuriert. Zur Schule ging er zuerst bei den Jesuiten in Langres, dann im jansenistisch orientierten Collège d'Harcourt in Paris.
Statt jedoch nach dem Abschluss der propädeutischen Studien mit der maîtrise ès arts (1732) Theologie zu studieren (was dann sein jüngerer Bruder für ihn tun musste), führte Diderot in Paris ein ungebundenes Leben, jobbte, las, fand Anschluss an andere junge Intellektuelle (d'Alembert, Rousseau, Condillac, Melchior Grimm) und begann zu schreiben sowie aus dem Englischen zu übersetzen.
Als er 1743 den Segen seines Vaters für die Heirat mit einer besitz- und aussteuerlosen Wäsche-Verkäuferin einholen wollte, ließ dieser ihn kraft seiner väterlichen Autorität in einem Kloster einsperren. Naturgemäß bestätigte diese Erfahrung Diderots Antipathie gegen die Kirche und ihre Institutionen, speziell die Klöster – eine Antipathie, die sich später noch dadurch verstärkte, dass seine jüngste Schwester (die freiwillig Nonne geworden war) in ihrem Kloster geisteskrank wurde. Diderot konnte jedoch nach einigen Wochen aus der Gefangenschaft fliehen, kehrte nach Paris zurück und heiratete heimlich. Allerdings fand er seine Frau nach der baldigen Geburt einer Tochter (die sehr schnell starb) offenbar langweilig und liierte sich 1745 nebenher mit einer gebildeten »aventurière«, Madame de Puisieux. Trotzdem hatte er 1746 wieder einen Sohn (der 5-jährig starb), 1750 einen weiteren Sohn (der als Säugling starb) und 1753 wieder eine Tochter (die als Einzige ihre Eltern überlebte).
Da er schon eine Geschichte der alten Griechen, ein medizinisches Lexikon und einen philosophischen Traktat von Shaftesbury aus dem Englischen übersetzt hatte, erhielt er 1746 von einem Pariser Buchhändler-Verleger das Angebot, die kürzlich abgeschlossene »Cyclopedia or Universal Dictionary of the Arts and Sciences« zu übersetzen. Er nahm an, beschloss aber, das Werk beträchtlich zu erweitern um daraus eine Summa des gesamten Wissens seiner Zeit zu machen. Hierzu gewann er als Mitherausgeber seinen Freund Jean Le Rond d'Alembert, einen Mathematiker und Naturwissenschaftler, sowie nach und nach als Mitarbeiter andere Autoren, die teils sonst wenig bekannte Spezialisten waren, wie der junge Musikologe Jean-Jacques Rousseau, teils aber auch schon berühmte Leute wie Montesquieu und Voltaire.
1749 allerdings musste er einige Monate pausieren, als er wegen seiner mehr nebenher verfassten religionskritischen Schrift »Lettre sur les aveugles« in der Festung Vincennes inhaftiert wurde. Diderot war deshalb in Zukunft vorsichtiger und ließ, um den Fortgang der »Encyclopédie« nicht zu gefährden, viele andere seiner philosophischen Schriften unpubliziert.
1750 verfasste er einen in ganz Europa verschickten »prospectus«, in dem er Interessenten zur Subskription der »Encyclopédie« aufrief. 1751 erschienen die beiden ersten Bände der »Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des arts et métiers, par une société de gens de lettres«. Der buchhändlerische Erfolg war enorm, doch die Jesuiten und die Sorbonne diagnostizierten eine unchristliche Tendenz des Ganzen und erwirkten beim königlichen Conseil d'État ein Verbot. Da aber Madame de Pompadour (die Geliebte von Louis XV.), einige Minister, viele einflussreiche Freimaurer und der Chefzensor Malesherbes auf der Seite der Encyclopédisten standen, konnten trotz des Verbots 1753-56 vier weitere Bände erscheinen. Danach jedoch wuchs der Druck der Gegner, einer unheiligen Allianz von neidischen Literaten und orthodoxen Frommen. 1758, nach dem Attentatsversuch eines gewissen Damiens auf Louis XV. , wurde das Verbot erneuert, 1759 setzte Papst Clemens VII. das Werk auf den Index. Inzwischen hatte aber die französische Regierung die Deviseneinnahmen schätzen gelernt, die trotz des Siebenjährigen Krieges (1756-63) der Verkauf der »Encyclopédie« aus ganz Europa hereinholte, und man ermutigte Diderot unter der Hand zum Weitermachen. Er brachte die letzten zehn Bände samt 5 Bänden Abbildungen heraus (1765), zog sich dann aber – nach 20 Jahren Arbeit – zurück und überließ seinen Nachfolgern die Herausgabe der letzten Abbildungsbände, die, wie schon die ersten, viel zum Ruhm des Unternehmens beitrugen.
Neben der »Encyclopédie« hatte Diderot immer auch andere Werke in Arbeit. Schon 1746 hatte er im Anschluss an die Shaftesbury-Übersetzung seine »Pensées philosophiques«« publiziert, worin er erstmals materialistische und atheistische Vorstellungen vertrat. 1748 schrieb und druckte er einen libertinen Roman, »Les bijoux indiscrets«, der ein Skandalerfolg wurde (und in Literaturgeschichten für Schüler und Studenten oft unerwähnt bleibt). 1749 publizierte er, wie erwähnt, die philosophische Schrift »Lettre sur les aveugles«, worin er ausgehend von der These, dass ein blind Geborener keine Möglichkeit habe, die Existenz Gottes als Schöpfers der Welt zu erdenken, diese Existenz überhaupt bezweifelt. Die Strafe waren, nachdem schon zwei Jahre vorher sein Gemeindepfarrer ihn als gottlosen »homme très dangereux« denunziert hatte, einige Monate Haft in Vincennes, 1751 trug Diderot bei zu einer Grundlegung der philosophischen Ästhetik mit der »Lettre sur les sourds et muets«.
In den Jahren hiernach beschäftigte er sich mit Kunstgeschichte sowie den Techniken der Malerei und wurde einer der ersten professionellen Kunstkritiker mit den Artikeln, die er für die Zeitschrift »Correspondance littéraire« seines Freundes Melchior Grimm über Pariser Kunstausstellungen (Salons) verfasste.
Als Naturwissenschaftler betätigte er sich in den »Pensées sur l'interprétation de la nature« (1754), einem Plädoyer für das Prinzip des Experiments und gegen die oft nur pseudo-rationalen Naturerklärungen der Cartésiens, d.h. der rationalistischen Denker im Gefolge von René Descartes (1596–1650).
Daneben wurde Diderot sehr bedeutsam für die Entwicklung der Gattung Drama. Er verfasste einige Stücke, die heute wegen ihrer ereignisarmen und oft unwahrscheinlichen Handlung kaum mehr aufgeführt werden, zu ihrer Zeit aber erfolgreich waren dank ihrer eindringlichen Darstellung widersprüchlicher Gefühle und innerer Konflikte in einem als zeitgenössisch und real intendierten Milieu (das wohl als großbürgerlich-neuadelig vorzustellen war). Am bekanntesten wurden »Le Fils naturel« (1757), worin ein junger Mann sich tugendhaft dazu durchringt, seinem Freund die Braut nicht auszuspannen, in die er sich wider Willen verliebt hat und die auch ihrerseits sich magisch von ihm angezogen fühlt (und sich am Ende als seine Halbschwester herausstellt), sowie »Le Père de famille« (1758), worin ein Familienvater, der für seine beiden heiratsfähigen Kinder eigentlich passende Konventionalehen anstrebt, ihnen erst nach langen inneren Konflikten die Liebesheiraten gestattet, die sie selber wünschen (und die sich nachträglich als sozial akzeptabel erweisen). Wichtiger noch als die Stücke wurden die theoretischen Abhandlungen Diderots (u.a. »De la poésie dramatique« 1758). Sie begründeten ein neues Genre: das außerhalb der traditionellen Gattungen Tragödie und Komödie angesiedelte »drame bourgeois« (bürgerliches Trauerspiel), das besser als jene die Realität der Epoche darstellen und selbstverständlich keine Verse, sondern Prosa verwenden sollte.
Zugleich arbeitete Diderot immer wieder auch an Romanen und Erzählungen, die rückblickend erstaunlich modern wirken, meist aber erst postum erschienen. So verfasste er 1760/61 den kirchenkritischen und zugleich empfindsamen meisterlichen kleinen Roman »La Religieuse«, der den Leidensweg einer unfreiwilligen Nonne beschreibt und heute wohl sein meistgelesenes (und verfilmtes) Werk ist (gedruckt erst 1796). 1760-64 schrieb er den experimentellen Roman »Le Neuveu de Rameau« (erstmals gedruckt in Goethes deutscher Übersetzung 1805, in einer französischen Rückübersetzung 1821, im endlich wiederentdeckten Originaltext erst 1891). 1773 stellte er den schwer klassifizierbaren Roman »Jacques le Fataliste« fertig (gedruckt erst 1796).
Hauptanliegen Diderots waren aber seine philosophischen Schriften. Hierin vertrat er neben den erwähnten kirchen- und religionskritischen Positionen eine sehr optimistische »natürliche Moral«, in der typisch aufklärerischen Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus gut sei und dass in einer Gesellschaft selbständig denkender und emanzipierter Individuen das persönliche Glück und allgemeines Wohlergehen zusammenfallen müssten.
Neben der unermüdlichen Arbeit führte Diderot ein reges gesellschaftliches Leben in Kreisen der »philosophes«, d.h. der kritisch eingestellten Pariser Intellektuellen (Condillac, Turgot, Helvétius, d'Holbach usw.), aber auch in einigen adeligen Salons. Ab 1755 stand er in einem regen »empfindsamen« Briefwechsel mit der hochgebildeten Sophie Volland.
Ähnlich wie Voltaire war auch Diderot auf der Suche nach dem aufgeklärten Monarchen. Er fand ihn in der (aus Deutschland stammenden) russischen Zarin Katharina, die ihm 1765 pro forma seine Bibliothek abkaufte, ihn generös als Bibliothekar besoldete sowie mit Geld für Neuanschaffungen ausstattete und ihn 1773 einige Monate am Hof von Sankt-Petersburg verwöhnte (wohin nach seinem Tod 1784 denn auch die Bibliothek verfrachtet wurde).
Essays
- Pensées philosophiques., 1746
- De la suffisance de la religion naturelle., 1746
- La Promenade du Sceptique ou les Allées., 1747
- Mémoires sur différents sujets de mathématique., 1748
- Lettre sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient., 1749
- Lettre sur les sourds et muets., 1751
- Pensées sur l’interprétation de la nature., 1751
- Diversité et étendue de l’Esprit.
- Sur la Diversité de nos jugements.
- Sur le Génie.
- Des idées accessoires.
- Sur l’évidence.
- Discours d’un Philosophe à un Roi.
- Introduction à la chimie, notes de cours., 1757
- Lettre à mon frère., 1760
- Introduction aux grands principes, ou réception d’un philosophe.
- Salons, critique d’art., 1759, 1761, 1763, 1765, 1767, 1769, 1771, 1775 et 1781
- Éloge de Richardson., 1768
- Lettre adressée à un magistrat sur le commerce de la librairie., 1763
- Mystification ou l’histoire des portraits., 1768
- Entretien entre d’Alembert et Diderot., 1769
- Le Rêve de d’Alembert., 1769
- Suite de l’entretien entre d’Alembert et Diderot., 1769
- Apologie de l’abbé Galiani., 1770
- Principes philosophiques sur la matière et le mouvement., 1770
- Entretien d’un père avec ses enfants ou du danger de se mettre au-dessus des lois., 1771
- Entretien d’un philosophe avec la maréchale de *** ,1771
- Supplément au voyage de Bougainville ,1772 publiziert ,1796
- Regrets sur ma vieille robe de chambre ou Avis à ceux qui ont plus de goût que de fortune., 1772
- Sur les femmes., 1772
- Histoire philosophique et politique des deux Indes., in Zusammenarbeit mit Guillaume-Thomas Raynal zwischen 1772 bis 1781
- Paradoxe sur le comédien., 1773 Publiziert in ,1830
- Voyage en Hollande., 1773
- Éléments de physiologie., 1773-1774
- Lettre sur l’examen de l’Essai sur les préjugés., 1774
- Principes de politique des souverains., 1774
- Réfutation d’Helvétius., 1774
- Observations sur le Nakaz., 1774
- Addition aux Pensées philosophiques.
- Essai sur la vie de Sénèque et sur les règnes de Claude et de Néron., 1778
- Lettre apologétique de l’abbé Raynal à Monsieur Grimm., 1781
- Aux insurgents d’Amérique., 1782
- Essai sur la peinture.,1795
- Neuf Salons. herausgegeben zwischen 1759 und 1781
- Les Salons. Salon von 1765 und das Essais sur la peinture'' sind im Anhang zum Les Salon von 1765
- Pensées détachées sur la peinture, la sculpture, l’architecture et la poésie., 1772
Romane, Erzählungen und Dialoge
- Les Bijoux indiscrets., 1748
- L’Oiseau blanc., 1748
- Le Neveu de Rameau., 1761 Publiziert 1823
- Les Deux Amis de Bourbonne., 1770
- Ceci n’est pas un conte., 1773
- La Religieuse., 1760 Publiziert (1796
- Jacques le fataliste et son maître., 1776 Publiziert (1796
- Sur l’Inconséquence du jugement public de nos actions particulières ou Madame de la Carlière., 1796
- Qu’en pensez-vous?
- La marquise de Claye et Saint-Alban.
- Cinqmars et Derville.
- Satire première
Übersetzungen
- Essai sur le mérite et la vertu. Von Shaftesbury übersetzt und kommentiert von Denis Diderot, 1745
- L’Apologie de Socrate (übersetzt während der Inhaftierung in Vincennes, 1749
Theaterstücle
- Le Fils naturel ou les Épreuves de la vertu. Gefolgt von der Komödie Entretien sur le Fils naturel, 1757
- Le Père de famille. Drame, 1758
- Est-il bon? Est-il méchant? Persiflage, Kömödie, 1781
Poesie:
- Complainte en rondeau de Denis, roi de la fève, sur les embarras de la royauté
Briefe:
- Lettres à André Le Breton der Verleger der Encyclopédie
- Lettres à Étienne-Maurice Falconet
- Lettres à Sophie Volland
- Lettres à l’Abbé Le Monnier bzw. Pierre-René Le Monnier (1731-1796)
- Lettres à Mademoiselle Jodin bzw. Marie-Madeleine Jodin (1741–1790)
- Correspondance générale oder die Allgemeine Korrespondenz
Französische Ausgaben und ihre deutsche Übersetzung
- Pensées philosophiques – Philosophische Gedanken (1746)
- La promenade du sceptique – Der Spaziergang des Skeptikers (1747, Erstveröff. 1831)
- Les bijoux indiscrets – Die geschwätzigen Kleinode (1748)
- Lettre sur les aveugles à l'usage de ceux qui voient – Brief über die Blinden zum Gebrauch der Sehenden (1749, anonym)
- Lettre sur les sourds et muets – Brief über die Taubstummen (1751)
- Pensées sur l'interprétation de la nature – Gedanken über die Interpretation der Natur (1753)
- Le Fils naturel – Der natürliche Sohn (Theaterstück, 1757)
- Le Père de famille – Der Hausvater (Drama, 1758)
- Discours sur la poésie dramatique – Abhandlung über die dramatische Dichtkunst (1758)
- La religieuse – Die Nonne (Roman, 1760)
- Le Neveu de Rameau – Rameaus Neffe (1761–1776, Erstveröff. dt. v. Goethe 1805; Erstveröff. frz. 1823)
- Le rêve de D’Alembert – D’Alemberts Traum (1769)
- Jacques le fataliste et son maître – Jacques der Fatalist und sein Herr (1771, Erstveröff. dt. teilw. v. Schiller 1785, v. Mylius 1792; Erstveröff. frz. 1796)
- Ceci n'est pas un conte – Dies ist keine Erzählung (Erzählung, 1772)
- Réfutation d'Helvétius – Fortlaufende Widerlegung von Helvétius’ Werk „Vom Menschen“ (1774)
- Supplément au Voyage de Bougainville – Nachtrag zu Bougainvilles Reise (1775, Erstveröff. 1796)
- Essai sur les règnes de Claude et de Néron – Essay über die Herrschaft der Kaiser Claudius und Nero (1778)