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Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

* 22.04.1766 in Paris
† 14.07.1817 in Paris

Madame de Staël, wie sie in der Literaturgeschichte heißt, war eine wichtige Vermittlerin deutscher Literatur und Philosophie in Frankreich und wurde damit eine Wegbereiterin der französischen Romantik. Ihr Buch »De l’Allemagne« oder auf Deutsch »Über Deutschland« (1810) hat mehr als 50 Jahre lang das Bild der Franzosen von Deutschland geprägt.

Sie wuchs auf in Paris als einziges Kind von Jacques Necker, einem aus Genf zugewanderten Bankier, Unternehmer und Diplomaten mit deutschen Wurzeln, der zeitweilig eine bedeutende Rolle in der franz. Politik spielte als ein Reformen versuchender Finanzminister (1777-81) bzw. Regierungschef (1788-90).

Im Salon ihrer schöngeistig interessierten Mutter Suzanne, die ebenfalls aus der Schweiz stammte, lernte Madame de Staël viele Autoren der Spätaufklärung kennen und entwickelte sie ihre vielfältigen Talente. Schon als Jugendliche machte sie Schreibversuche, mit 12 beispielsweise verfasste sie eine Komödie. Über ihren Vater, der spätestens ab 1768 auf der Pariser politischen Bühne aktiv war, kam sie früh in Kontakt mit der Politik. Als Zehnjährige war sie erstmals länger in England.

1786, mit knapp 20 Jahren, ehelichte sie den 17 Jahre älteren schwedischen Botschafter Baron Staël de von Holstein, der schon Jahre vorher, noch als Botschaftsattaché, um ihre Hand angehalten hatte. Nach ihrer Heirat wurde sie von ihm am Königshof eingeführt und profitierte auch anderweitig von ihrem Status als Botschaftergattin. Im Verlauf der 14jährigen Ehe mit Staël, bekam sie vier Kinder, deren erstes, Gustavine (geb. 1787), zweijährig starb und deren letztes, Albertine (geb. 1797), außerehelich gezeugt war. Denn eine treue Gattin war sie nicht: Schon ab 1788 hatte sie einen ersten länger zeitigen Geliebten, den Comte de Narbonne. Darüber hinaus lebte sie oft fern von ihrem Mann auf längeren Reisen oder in der Verbannung. Man trennte sich offiziell, kurze Zeit vor seinem Tod im Jahre 1802, im Laufe des Jahres 1800.

1788 ließ sie ein erstes, kürzeres, Werk drucken: die 1786 begonnenen, teils apologetisch-bewundernden, teils kritischen »Lettres sur le caractère et les écrits de Jean-Jacques Rousseau« (auf Deutsch: »Briefe über den Charakter und die Schriften von Jean-Jacques Rousseau«). Zwei 1786 und 1787 entstandene Dramen, »Sophie, ou les sentiments secrets« (auf Deutsch: »Sophie oder die geheimen Gefühle«) und »Jane Gray«, publizierte sie erst 1790, die 1786 verfasste Novelle »Zulma« sogar erst 1794.

1789 sympathisierte Madame de Staël, wie so viele liberale Adelige und Großbürger, zunächst mit der Revolution. Ihr Salon war ein Treffpunkt der gemäßigten Revolutionäre, und große Teile der ersten Verfassung von 1791 entstanden unter ihren Augen. Auch in der Folgezeit versuchte sie den Gang der Politik mitzubestimmen, und zwar direkt über eine gelegentliche publizistische Tätigkeit und indirekt über die Einflussnahme auf einflussreiche Männer, z.B. Narbonne, der 1790/91 Kriegsminister war.

1790 brachte sie ihr zweites Kind zur Welt, den Sohn Auguste.

Als die Revolution sich 1792 zunehmend radikalisierte und die Gemäßigten ins politische Abseits, wenn nicht in Köpfungsgefahr gerieten, versuchte Madame de Staël im Juli, die königliche Familie zur Flucht aus Paris zu bewegen, was die Königin jedoch ablehnte. Sie selbst floh im September auf das Schlösschen Coppet bei Genf, wo sie wenig später ihr drittes Kind, Albert, bekam.

Coppet, das ihr Vater 1784 gekauft hatte, diente ihr von nun an immer wieder als Zufluchtsort für kürzere oder längere Aufenthalte. Hier beherbergte sie häufig auch andere Flüchtlinge und empfing Besuche von bedeutenden Zeitgenossen, z.B. Chateaubriand oder Lord Byron.

Anfang 1793 (d.h. kurz nach Alberts Geburt) ging sie für mehrere Monate nach England. Dort traf sie sich mit französischen Emigranten, u.a. Narbonne, und begann eine größere philosophisch-politologische Schrift: »De l’influence des passions sur le bonheur des individus et des nations« (auf Deutsch: »Über den Einfluss der Leidenschaften auf das Glück der Individuen und der Nationen«), die 1796 gedruckt wurde. Im September setzte sie sich mit der Broschüre »Réflexions sur le procès de la Reine« (auf Deutsch: »Überlegungen zum Prozess gegen die Königin«) vergeblich für Marie-Antoinette ein.

1794 lernte sie in der Schweiz den etwas jüngeren Publizisten und Literaten Benjamin Constant kennen. Mit ihm, der zwar verheiratet war, aber von seiner Frau getrennt lebte, unterhielt sie anschließend eine langjährige, sehr wechselhafte und aufreibende Beziehung, die bei ihm geprägt war von der Faszination durch ihre Genialität und Vitalität, aber zugleich von ständigen Versuchen sich aus ihrem Bann zu lösen.

Im Frühjahr 95 brachte Madame de Staël ihre erste Buchpublikation heraus: einen Sammelband mit vermischten Schriften, darunter einem »Essai sur les fictions« (auf Deutsch: »Essay über die fiktionale Literatur«) und zwei Novellen. Noch im selben Jahr erschien ihre Broschüre »Réflexions sur la paix, adressées à M. Pitt et aux Français« (auf Deutsch: »Gedanken über den Frieden an die Adresse M. Pitts [des englischen Regierungschefs] und der Franzosen«, Genf 1795).

Nach dem Sturz Robespierres (1794) und dem Ende der Schreckensherrschaft kehrte sie im Mai 1795 zusammen mit Constant zurück nach Paris. Während er eine Karriere als vielbeachteter politischer Redner und Publizist begann und 1799 kurzzeitig auch in der hohen Politik mitmischte, wurde sie schon im Oktober von den Machthabern des neuen Direktoriums verdächtigt, zu den Drahtziehern eines Aufstandes königstreuer Kräfte zu gehören. Sie wurde aus Paris verbannt und durfte erst Ende 96 zurück.

Im Juni 1797 brachte sie in Paris ihr viertes Kind zur Welt, Albertine, deren Vater vermutlich Constant war. Ende des Jahres lernte sie Napoléon Bonaparte kennen, der nach seinem siegreichen Italienfeldzug in die Politik eingestiegen war, und den sie, zusammen mit Constant, zunächst bewunderte und unterstützte. Ihm dagegen war sie von Anbeginn unsympathisch, und als sie ihn 1798 vergeblich von einer Eroberung der Schweiz abzuhalten versuchte, wurde sie ihm endgültig lästig. Nach seinem Staatsstreich 1799 ging sie denn auch ihrerseits in Opposition zu ihm und wurde bald zu einem der Eckpfeiler des Widerstandes gegen sein zunehmend diktatorisches Regime.

Nach zwei unstet in Paris, Coppet und auf Reisen verbrachten Jahren publizierte sie im April 1800 die bedeutende Abhandlung »De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales« (auf Deutsch »Über die Literatur und ihr Verhältnis zu den gesellschaftlichen Institutionen«). Hierin formuliert sie als eine der Ersten die Theorie, dass literarische Werke geprägt sind durch die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer sie entstehen. Dabei geht sie im Sinne Montesquieus von der Annahme aus, dass diese Verhältnisse nicht nur durch die historisch gewachsenen Institutionen einer Gesellschaft bestimmt werden, sondern auch durch die Mentaltät der Menschen, die ihrerseits von äußeren Faktoren, z.B. Klima und Geographie, beeinflusst ist. In der zweiten Auflage von 1802 änderte sie entsprechend den Schlussteil des ursprünglichen Titels in »avec l'état moral et politique des nations« ( zu Deutsch: »zum moralischen und politischen Zustand der Nationen«). Im Sinne ihrer Theorie rief sie die quasi zwischen Nord und Süd platzierten französischen Literaten auf, sich nicht mehr nur an der heidnischen mediterranen Kultur der Antike zu inspirieren, sondern auch an der christlich-germanisch geprägten Kultur des mittelalterlichen Mittel- und Nordeuropas. Hiermit wies sie der beginnenden Romantik den Weg. Sie selbst begann, in Konsequenz ihrer Einsichten, Deutsch zu lernen und sich mit der deutschen Kultur zu befassen.

1802 erschien ihr erstes längeres erzählendes Werk: der teils in Coppet, teils in Paris entstandene Briefroman »Delphine«. Im Mittelpunkt steht die Figur einer für die damalige Zeit relativ emanzipierten Frau, die ihr Glück mit dem Mann, den sie liebt und der sie ebenfalls liebt, nicht findet, weil er sich in einer Krisensituation von ihr abwendet, eine Andere heiratet und danach nicht die Kraft aufbringt, sich aus dieser Ehe wieder zu lösen. Der Roman spiegelt sichtlich die Enttäuschung Madame de Staëls durch Constant, der sich nicht zwischen ihr und einer Geliebten zu entscheiden vermochte, nachdem sie soeben verwitwet und frei für eine Heirat geworden war.

Da Madame de Staël sich 1802 an Umtrieben gegen Napoléon beteiligt hatte, wurde ihr im Dezember der Aufenthalt in Paris untersagt. Als das Verbot im Oktober 1803 auf das Pariser Umland ausgedehnt wurde, unternahm sie, zeitweise von Constant begleitet, eine halbjährige Reise durch Deutschland. Erste Station war im Winter Weimar, wo sie u.a. Wieland, Friedrich SchillerSchiller und Goethe traf. Im Frühjahr war sie längere Zeit in Berlin, wo sie neben vielen anderen Intellektuellen den Literaturkritiker und –historiker August Wilhelm Schlegel kennenlernte, den sie als Mentor für sich selbst sowie als Hauslehrer für ihre Kinder gewann.

Ende 1804 trat sie zusammen mit Schlegel eine mehrmonatige Italienreise an, die sie zu ihrem zweiten Roman inspirierte, »Corinne ou L'Italie« [auf Deutsch: »Corinne oder Italien«], der 1805/06 entstand und 1807 erfolgreich herauskam. Er zeigt eine vitale, literatur- und kunstbegeisterte Frau, deren Liebe zu einem zunächst zwar gutwilligen und scheinbar seelenverwandten Mann scheitert, weil dieser ihre Emanzipiertheit letztlich nicht verkraftet und es vorzieht, eine weniger anspruchsvolle Person zu ehelichen. Auch »Corinne« ist sicher noch ein Reflex der Enttäuschungen, die Madame de Staël durch den wankelmütigen Constant erlitten hatte, von dem sie sich 1805, nach einem plötzlichen Heiratsantrag seinerseits, endgültig getrennt hatte.

1807 begann sie ihr meistgelesenes und langfristig wirksamstes Buch, »De l'Allemagne«, für das sie im Winter 1807/08 in Wien weitere Informationen und Anregungen sammelte. Es wurde 1810 fertiggestellt, aber sofort nach seinem Druck von der napoleonischen Zensur verboten, samt Manuskript konfisziert und eingestampft. Denn es zeigte den Franzosen ein stark idealisiertes Deutschland als positiven Kontrast zu ihrem eigenen Land jener Jahre, das nach fast 20 Jahren Revolution und Krieg in Zentralismus und Militarismus erstarrt war und von Napoléon diktatorisch regiert und mundtot gemacht wurde. Das Bild eines regionalistisch-vielfältigen, musik-, philosophie- und literaturbegeisterten, gefühls- und phantasiebetonten, mittelalterlich-pittoresken (allerdings auch etwas rückständigen und harmlosen) Deutschlands, das Madame de Staël so entwarf, bestimmte nach 1815 jahrzehntelang die Sicht der französischen Eliten und trug dazu bei, dass sie nicht bemerkten, wie ihr Nachbarland sie demographisch, wirtschaftlich und militärisch überholte.

Die Jahre 1810-12 verbrachte Madame de Staël überwiegend in Coppet, wo sie praktisch unter Hausarrest gestellt worden war. Bei einem Besuch im nahen Genf verliebte sich ein jüngerer, kriegsversehrter Offizier in sie, John Rocca, mit dem sie 1812 ein fünftes Kind, Louis Alphonse, bekam und den sie 1816 heimlich heiratete. In Coppet auch begann sie 1811 Memoiren zu schreiben (gedruckt postum als »Dix années d'exil«/»Zehn Jahre Exil«) und arbeitete daneben an anderen Schriften.

Im Mai 1812, kurz nach der letzten Entbindung, brach sie heimlich zu einer langen Reise auf, die sie offenbar als Propaganda-Mission gegen Napoléon verstand, der gerade auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt war. Über Österreich, das 1809 widerwillig napoleonischer Satellitenstaat geworden war, reiste sie nach Russland, das ebenfalls widerwillig Frieden geschlossen hatte, aber, während sie dort war, von Napoléons Truppen überfallen wurde. Als Mitteleuropa sich daraufhin in einen Kriegsschauplatz verwandelte, ging sie ins neutrale Schweden, in dessen Armee ihr Sohn Albert Offizier geworden war. Hier verbrachte sie den Winter und versuchte dabei, gegen Napoléon Stimmung zu machen. Aus Schweden reiste sie im Mai 1813 nach London, wo sie bald nach ihrer Ankunft die Nachricht erhielt, dass Albert in einem Duell ums Leben gekommen war.

In London blieb sie kriegsbedingt fast ein Jahr. Sie ließ hier »De l’Allemagne« drucken, von dem Schlegel einen Satz Korrekturfahnen gerettet hatte, und begann ihre Schrift »Considérations sur les principaux événements de la Révolution française« (auf Deutsch »Betrachtungen über die hauptsächlichen Ereignisse der französischen Revolution«, gedruckt postum 1818). Zugleich war sie Mittelpunkt eines regen gesellschaftlichen Lebens.

Dasselbe wurde sie in Paris, als sie im Mai 1814, nach der Niederlage und Abdankung Napoléons, dorthin zurückkehrte und wie eine Fürstin Hof hielt.

Die »hundert Tage« Napoléons (März bis Juni 1815) verbrachte sie in Coppet. Im September ging sie nach Paris zurück und stellte sich demonstrativ hinter den neuen König Louis XVIII. Zum Dank erhielt sie von ihm die 2 Millionen Francs erstattet, die sein älterer Bruder Louis XVI. während der Revolutionszeit von ihrem Vater Jacques Necker als Kredit bekommen hatte.

1816 verheiratete sie in Pisa ihre und Constants Tochter Albertine mit dem Duc Victor de Broglie und wurde damit zur Stamm-Mutter einer ganzen Reihe bedeutender franz. Persönlichkeiten dieses Namens bzw. aus dieser Familie.

Madame de Staël starb am 14.07.1817 in Paris. Nach ihrem Tod brachte ihr ältester Sohn Auguste eine erste Gesamtausgabe ihres Werkes in 17 Bänden heraus, dass in den Jahren 1820/21 publiziert wurde. Im Jahre 1821 erschien noch ihre Sammlung »Essais dramatiques« mit sieben Stücken in Prosa, wo auch das Drama »Sapho« publiziert wurde.

Werke:

  • Delphine, 1802
  • Corinne ou l’Italie, 1807
  • De l’Allemagne, 1813
  • Considérations sur la Révolution française, 1818