Die Beerdigung des Mainzer Jakobiners Felix Anton Blau
von Hellmut G. Haasis
III.
Geboren war Felix Anton Blau in Walldürn, einem Kurmainzer Städtchen am Schnittpunkt zwischen Odenwald und Bauland. Der Ort lag im Kräftefeld eines ansehnlichen Rebellengebietes, in dem die verschiedenen Herrschaften immer wieder mit bäuerlichem und städtischen Widerstand zu tun hatten, oft seit Jahrhunderten. Im Osten der von Bauernbewegungen durchzogene Taubergrund und die Gegend um Würzburg, im Norden Miltenberg und der 1848 wieder rührige Spessart, im Westen der Odenwald und der Mittelrhein.
Walldürn selbst trug als zugkräftiger Wallfahrtsort mit dem Wunder des Heiligen Blutes[1] ein bigottes Äußeres. Das scheint bei heranwachsenden kritischen Geistern enen Boden zur Auflehnung geschaffen zu haben. Außer Blau kamen zu dieser Zeit in Walldürn noch drei weitere künftige revolutionäre Demokraten zur Welt, die allesamt zuerst katholische Theologen.
Johann Georg Nimis (1754-1811): Studium in Mainz und Heidelberg, 1787 Lektor und Professor der Theologie in Mainz, November 1792 Mitglied des Jakobinerklubs, 1793-95 Haft in Königstein, Emigration nach Paris, dort Jurastudium, 1797 Friedensrichter in Kaiserslautern, Pirmasens, Kirrweiler, 1798 Regierungskommissar in Neustadt (Weinstraße), bis zum Tod Notar in Hassloch.
Philipp Jakob Heimberger (1769-1834): Studium in Mainz, 1792 Eintritt in den Jakobinerklub, 2. Sekretär der Munizipalität und Pfarrverweser, 1793 konstitutionelle Priesterweihe in Straßburg, 1793-95 Haft auf den Petersberg in Erfurt, Emigration nach Frankreich, lebte in Colmar, 1796/97 Notar in Hagenau, Steuereinnehmer in Soulz-sous-Forêt, ab 1798 in Mainz nacheinander Steuerbeamter der Zentralverwaltung, Bürochef der Munizipalverwaltung, Regierungskommissar des Kantons, 1800-14 Steuerkontrolleur in Speyer, Mitglied des Bezirksrats, anfangs auch Sekertär der Unterpräfektur, 1815 Direktor der Steuerdirektion Mainz, 1816 bis zum Tod Regierungsrat, zuletzt Regierungsdirektor bei der Finanzkammer der rheinbayerischen Kreisregierung in Speyer. Er war verheiratet mit einer Schwester des Homburger, dann württembergischen Jakobiners Wilhelm Ludwig Kämpf (1765-1811) aus dem Kreis um Sinclair und Hölderlin. Ein Sohn schmuggelte 1832 den verhafteten Jacob Venedey (1805-71) Fluchtwerkzeuge ins Frankenthaler Gefängnis.
Franz Joseph Crecely (1770-1839): Studium in München und Freiburg, 1789 Austritt aus dem geistlichen Stand, Auswanderung nach Frankreich, 1793 Schreiber des Friedensgerichts Drulingen (einst Grafschaft Saarwerden)[2], Munizipalsekretär, Heirat mit einer Drulinger Wirtstochter, Regierungskommissar und Ankläger am Friedensgericht, Wahlmann, 1812 Sekretär mehrerer Mairien im Kanton Drulingen, 1818 Schreiber des Friedensgerichtes, später Wirt, gestorben in Drulingen.
Noch zur Zeit der aufklärerischen Phase der Universität Mainz wurde Blau Philosophieprofessor (1781), nach zwei Jahren übernahm er, zum Ärger seiner Freunde, einen Lehrstuhl für katholische Dogmatik. Seine entscheidenden Schriften, die den Katholizismus den Glauben an die Unfehlbarkeit, an die Macht des Papstes und selbst an die der Bischöfe bestritten, mussten anonym erscheinen. Dauernder Verfolgung konnte sich Blau im goldenen, aber bigotten Mainz des Spätfeudalismus sicher sein. Konsequenterweise schloss sich Blau dann den Illuminaten an, einen aufklärerischen Geheimorden. Seine geistigen Vorgesetzen nannte er in einen Brief vom 3. Juli 1789 »Despoten«[3]. Die Zeitschrift »Eudämonia«, praktisch das Zentralorgan der Reaktion, goß acht Jahre später, als die Polizei diesen Brief beschlagnahmt hatte, Gehässigkeiten über Blau aus. Sie stellte ihn in die Nähe eines »Nationalwechseljuden«, der falsche Münzen verschachere[4]. Antisemitismus also auch gegen einen Nichtjuden.
Mit dem katholischen Pfarrer Philipp Joseph Brunner (1758-1829) von Tiefenbach bei Bruchsal, einem mit Eulogius Schneider und Nimis befreundeten Illuminaten, erwog Blau die Gründung einer katholischen Akademie als eines Instituts der Aufklärung. Ein hoffnungsloses Projekt. Über diesen unschuldige, briefliche Spuren fiel bald die Polizei her[5]. Brunner kannte seine Gegner und ließ sich heikle Briefe über eine Deckadresse schicken[6].
Im Sommer 1791 besuchte der dänische Kirchenhistoriker Frederik Münter (1761-1830) auf einer Deutschlandreise Mainz. Nach einem zwölftägigen Aufenthalt, bei dem er die Größen des Mainzer Geisteslebens kennengelernt hatte, darunter einige spätere revolutionäre Demokraten, notierte er am 5. August 1791 in sein Tagebuch: »Von allen Gelehrten, die ich in Mainz kennengelernt habe, ist mir Professor Blau der liebste gewesen. Ein sanfter, stiller, sehr aufgeklärter Mann, der gerne im Stillen Gutes wirkt, den Druck fühlt, der auf ihm liegt, und das System, so sehr es irgend möglich ist, auf die Seite der Vernunft beugt.« [7]
Mit der Kapitulation von Mainz am 21. Oktober 1792 bot sich der Opposition überraschend die Chance zu einer demokratischen Umgestaltung der Gesellschaftsordnung. Blau hielt sich anfangs zurück. Er gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern des Klubs, trat noch später als der zögernde Georg Forster[8] ein: am 7. November. Auf Dorschs Vorschlag ernannte ihn Custine zum Mitglied der Allgemeinen Administration, der ersten Revolutionsregierung, offenbar für das Finanzreferat.
Bei den Wahlen zum Rheinisch-deutschen Nationalkonvent wirkte Blau im Februar und März 1793 als Wahlkommissar auf dem Land mit, in Badenheim wurde er am 28. Februar selbst gewählt. Im Parlament arbeitete er im Petitions- und Justizausschuss mit. Gegenüber den Eidverweigerern, den erklärten Gegnern der Revolution, schlug er energisch vor, diese als Feinde zu behandeln[9]. Dieser Zug passt so gar nicht zu den sanften Blau, wie ihn die Beerdigungsfeier zu verewigen suchte. Er offenbart uns einen zielbewussten und Verteidiger der jungen Demokratie. Bei den Debatten und Beschlüssen mischte Blau kräftig mit. Als die Preußen den Belagerungsring um Mainz schlossen, versuchte er am 30. März 1793 nach Frankreich zu entkommen.
Während der Mainzer Revolution soll Blau den katholischen Pfarrer Adam Franz Starck von Bensheim an der Bergstraße Mainzer jakobinische Flugschriften geschickt und mit ihm korrespondiert haben[10]. Starck, wohl ein Schüler Blaus, Gesinnungsfreund und zeitweise sogar Mainzer Klubmitglied[11], entzog sich der Verfolgung, indem er sich 1793 nach Metz rettete und dort am Seminar tätig wurde.
Blaus unfangreiche Untersuchungsakten im Würzburger Staatsarchiv sind bisher noch nicht umfassend ausgewertet worden. Ein Predigtentwurf für die Fastenzeit 1793, also zur Zeit der Wahlkampagne, entwickelt einen kritischen Begriff der Freiheit.
Engang: Freiheit war die erste Grundlage, auf der unser Religionsstifter sein Gebäude aufführte, es [sic] war der wichtigste Teil jener fröhlichen Botschaft, welche seine Schüler in der ganzen Welt verkündigen sollen. Freiheit ist und bleibt zu allen Zeiten ein wesentlicher Teil jener fröhlichen Botschaft, welche seine Schüler in der ganzen Welt verkündigen sollen. Freiheit ist und bleibt zu allen Zeiten ein wesentlicher Teil jener Würde, die uns das Christentum verschafft und die wir nach der Lehre des Apostels Gal. 5. I. S.[12] mit allen Leuten erzielen sollen. Keine Sache aber war der Mißdeutung und Verdrehung mehr ausgesetzt, als eben diese; und was ist in unsern Tagen das allgemeine Losungswort? Freiheit. Nie war der Name des Christentums mehr zur willkürlichen Deutung gemißbraucht worden als itzt.[13]
Blau meint dann weiter, er werde in der Fastenzeit besonders über die Freiheit reden. Im ersten Punkt will er zeigen »dass die heutigentages so sehr gepriesene Freiheit der Lehre des Christentums nicht gemäß sei«.
Seine Begründung:
1. Das Christentum fordert [sic] moralische Freihet. Die heutigertages so sehr gepriesene Freiheit ist keine wahre moralische Freiheit.
2. Das Christentum erlaubt keine ungerechten Mittel, um politische Freiheit zu erlangen. Die heutigertages so sehr gepriesene Freiheit erlaubt sich die ungerechtesten Mittel um politisch Freiheit zu erlangen.[14]
Es ist unklar, ob sich Blau damit vom Freiheitsbegriff der orthodoxen Geistlichkeit und des revolutionsfeindlichen Handelsbürgertums in Mainz distanzierte oder von Maßnahmen der revolutionären Gewalt. In Konvent selbst unterstützte er dann ohne Wenn und Aber den Kampf gegen die Reaktion.
In seiner Trauerrede sprach Johann Baptist Neeb (1767-1843) recht allgemein von dem, was der am 30. März 1793 zwischen Bodenheim und Nackenheim verhaftete Blau[15] später erleiden musste: »Blau fiel in die Hände seiner Feinde. Die Misshandlungen, die ihm widerfuhren, empören alles Menschengefühl. Er ward endlich ins Gefängnis geworfen und sein Name selten ohne Verwünschungen gehört.« [16]
Keiner der Redner wollte konkreter werden: verständlich angesichts des offenen Sarges. Die Verfolgten mochten nicht noch einmal diese Widerlichkeiten hören, die sie zur Genüge kannten. Hätten wir nicht zwei ausführliche Augenzeugenschilderungen zu Blaus Misshandlungen, wäre alles vergessen. Der Arzt Georg Wedekind (1761-1839), der in der Anatomie Blaus Leiche obduziert hatte, verlangte »Mag sein künftiger Biograph mit gerechten Unwillen die Grausamkeiten einiger blinder Schwärmer und einiger herzlosen Bösewichten schildern, welche durch kannibalische Misshandlungen den Grund zu seinem Tode legten!« [17]
Ein wirklicher, unfassender Biograph hat sich bis heute nicht gefunden. Der einst Mitgefangene Wörrstadter Arzt Georg Ludwig Koeler schilderte den grausigen Gefangenentransport des 8. April 1793 von Frankfurt nach Königstein:
Gegen Mittag stellte man uns neben die Hauptwache [in Frankfurt] zur Schau dem rasenden Pöbel – unter welchem eine große Menge wohlgekleideter Herren waren – aus. Blau mit Ketten an B. Scheuer geschlossen und neben ihm Bürger Arnsberger, ebenfalls in Ketten, standen an der Spitze. […] Die Soldaten hielten uns einmal über das andere die Flinten auf die Brust und drohten, uns zu erschießen. Aber gegen niemand wurde die Wut so weit getrieben als gegen Blau, Scheuer und Arnsberger. Wir alle, aber besonders sie, mussten stundenlang einen Regen von Steinen, Kot und geflissentlich herbeigebrachten Eiern aushalten. […]
Endlich ging der Zug langsam zum Bockenheimer Tore hinaus. Von der Stadt eröffnete sich nun eine andere kannibalische Szene. Jeder Soldat, mit einem Hasenstock bewaffnet, schlug auf die armen Gefangenen mit der unbeschreiblichsten, schändlichsten Wut zu. Jeder zerschlagene Stock wurde im nächsten besten Zaune ergänzt. An der Spitze dieser Mörderschar zeichnete sich vorzugsweise der kommandierende Leutnant aus – und ihn begleitete, um sich eine kleine Zerstreuung zu machen, einer seiner Herrn Kameraden. Beide zerschlugen ihre spanischen Rohre auf Blau und seinen beiden Begleitern. [18]
Die ganze Gegend, ausgenommen der Haftort Königstein, war aufs schwerste aufgehetzt. Hier hatte die reaktionäre Propaganda gründliche Arbeit geleistet. Liebeskind, der als Verwandter eines Häftlings am Zug teilnahm, schrieb in seinen Erinnerungen: »Ein zügelloser Trupp Menschen löste den andern ab und verfolgte die Gefangenen mit frischer Wut bis über die Grenze. Alt und Jung strömte wie aus einem aufgestörten Wespennest von Dorf zu Dorf heraus aus den Häusern und drängte sich herbei, um sein Kontingent zu der Summe des Volksunwillens zu geben, der heute über diesen Transport Gefangene in vollem Maße ausgeschüttet wurde, bis sie endlich in Königstein ankamen.«[19]
Irgendetwas Vergleichbares hat es während der Mainzer Revolution nicht gegeben. Eine reaktionäre Regensburger Zeitung meldete damals:
Privatbrief aus Frankfurt vom 10. April.
Als Professor Blau von hier nach Königstein abgeführt wurde, ersuchte ein Jude den wachhabenden Offizier um die Erlaubnis ein paar Worte mit dem Prof. sprechen zu dürfen, weil er ihm ehedem große Dienste geleistet hätte. Der Jude trat zu ihm und sagte: Ich kann nicht unterlassen, Ihnen, Herr Professor, eine gute Reise zu wünschen, Sie werden´s wohl brauchen. Hierauf spie er ihn ins Gesicht und ging weiter.[20]
Plitt, der württembergische Gesandte in Frankfurt, schrieb an seinen Auftraggeber nach Stuttgart, die Mainzer Klubisten »empfingen schon hier einen Teil ihres verdienten Lohns – laute, allgemeine Verachtung. Unter ihnen war der berüchtigte Canonicus Blau, Dr. und Professor zu Mainz.“[21] Eine böse Verharmlosung, die auf die Genauigkeit und den Wahrheitsgehalt solcher diplomatischer Nachrichten kein günstiges Licht wirft.
[1] Vgl. Brückner, 1958
[2] Vgl, Kapitel 11
[3] Eudämonia, 5. Bd., S. 51
[4] Eudämonia, 5. Bd., S. 38
[5] Eludämonia 4. Bd., S. 287-318; 5. Bd., S. 38-59, S. 63-89, S. 187f, S. 463-468; 6. Bd. S. 194
[6] Eludämonia 4. Bd., S. 311
[7] Andreasen, S. 73f
[8] 05. November 1792
[9] Scheel, 2. Bd., S. 475
[10] Würzburg, Staatsarchiv, MRA V 64 Bl. 8
[11] Scheel, 1. Bd., S.326 Anm. 3
[12] Galaterbrief 5,1 und 2
[13] Würzburg, Staatsarchiv, V. 239/II Bl. 240
[14] Ebenda
[15] Verhörprotokoll vom 3. April 1793, abgedruckt bei Mathy, S. 12
[16] Beerdigung, S. 40
[17] Beerdigung, S. 61
[18] Hassis, Morgenröte, S. 81f
[19] Hassis, Morgenröte, S. 83
[20] Regensburger Historische Nachrichten, Beilage zum 44. Stück, 13. April 1793, S. 303
[21] Natale, S. 233