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Die Auswanderung des Stuttgarters Christoph Friedrich Cotta

von Hellmut G. Haasis

Die ältere deutsche Revolutionsgeschichtsschreibung, besonders die auf Literatur- und Ideengeschichte beschränkte, begnügte sich mit der Ansicht, im Deutschen Reich habe es fast ausschließlich intellektuelle Sympathien mit der Französischen Revolution gegeben. Praktische Konsequenzen seien nicht gezogen worden, weder durch die Vorbereitung einer deutschen Revolution noch durch die wirkungsvolle Teilnahme in Frankreich selbst. Nur am Rande tauchte die kleine Gruppe deutscher Revolutionsfreunde in Paris auf. Von unleugbaren Mitstreitern wie Georg Kerner, von Eulogius Schneider, gar von der großen Mainzer Emigrantengruppe brauchte da nicht zu viel die Rede sein.

In Unkenntnis einer beträchtlichen Wanderungsbewegung nach Westen wurde ein Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland konstruiert. Je nach politischer Lage und Absicht wurden Deutsche und Franzosen kräftig gegeneinander ausgespielt: die Franzosen seien praktisch-politisch, die Deutschen theoretisch-philosophisch.

Die Abstraktion von der realen Revolutionsgeschichte ist freilich selbstverschuldet: Über Generationen wurde die Vielzahl an überlieferter Zeugnisse immer wirksamer verschüttet. Das unglückliche, obendrein kollektiv deprimierende Theorem der »verspäteten Nation« spinnt in modernisierter Fassung den Faden dieser geschichtsfremden Fiktion eines deutschen Wesens weiter. Wie wenn irgend ein Volk anderen die Uhren stellen und somit bestimmen könnte, was es geschlagen haben soll.

Am Anfang herrschte in Deutschland eine allgemeine, naive Freude über die Erstürmung und Zerstörung der Bastille. Selbst der deutsche Adel und die Landesfürsten nickten beifällig, freuten sich über den Sturz des französischen Despotismus. Aber ein wenig schwang dabei auch die Schadenfreude über die Schwächung eines außenpolitischen Kontrahenten mit. Schon zwei Wochen später, ab Anfang August, schmeckten deutschen Machthabern die französischen Ereignisse weniger. Die Beseitigung der adeligen Privilegien und der Feudalpflichten der Untertanen, endlich die Enteignung des Kirchenbesitzes und die verfassungsmäßige Einschränkung des Königtums ließen die Sympathien für die Revolution in Rauch aufgehen.

Mit dem Fortschreiten der Revolution, mit dem politischen Aufstieg radikalerer Bürgerschichten – Sansculotten: die kleineren Gewerbe- und Handelstreibenden, die nicht die »culottes«, die höfischen Kniehosen, trugen; deutsch ab und zu mißverständlich-belustigend übersetzt als »Ohnehosen« - und mit dem zeitweiligen Einfluß plebejischer Unterschichten (Jahr II) verschärfte sich die Ungleichzeitigkeit zwischen der französischen und der deutschen Entwicklung für die Revolutionsfreunde in Deutschland bis zur Unerträglichkeit. Die gegenrevolutionären französischen Emigranten taten ein Übriges, die beginnende Polarisierung zu beschleunigen. Wo sie auftraten, verbreitete sich streckenweise ein exterritorialer Ausnahmezustand. Wer auf eine Befreiung von den Feudalverhältnissen hoffte, die Chancen dafür aber im eigenen Land noch weit unter dem Horizont sah, den mußte das revolutionäre Nachbarland anziehen. Wer genügend Mut zum Absprung aufbrachte, keine hemmenden Bindungen eingegangen war und überm Rhein eine Möglichkeit, sein Leben zu fristen, in Aussicht hatte, der konnte nach Frankreich auswandern. Der stärkste Strom solcher revolutionärer Emigranten richtete sich ins Elsaß. Aus Walldünn stammte einer der ersten deutschen Auswanderer: Franz Joseph Crecely (geb. 1770). Derselbe Kurmainzer Wallfahrtsort am Rande des Odenwaldes brachte noch drei weitere Jakobiner hervor: Felix Anton Blau, Johann Georg Nimis (beide geboren 1754) und Philipp Jakob Heimberger (geboren 1769).

Der Straßburger Priester und Historiker Louis Kammerer (1912-1994) hat in zwei bewundernswerten biographischen Lexika viel Material auch für die deutsche Demokratieforschung bereitgestellt. Allein unter dem revolutionären katholischen Klerus im Elsaß fand er mehr als 110 deutsche Einwanderer. Die hier begonnene Geschichtslinie schlägt übrigens auch Brücken zum späteren Sonderstatus der pfälzischen Demokratie, zur revolutionären Kontinuität im Linksrheinischen, gipfelnd im Hambacher Fest und im Aufstand von 1849. Einige Enkel standen noch bei der zuletzt genannten Erhebung in vorderster Reihe: Mathilde Hitzfeld, eine junge Frau in Kirchenheimholanden, und Otto Heuck, Mitglied der pfälzischen Studentenlegion. Beider Großvater waren 1791/92 als Geistliche ins Elsaß ausgewandert, hatten auf dem Höhepunkt der Revolution im Jahr II den Priestertum abgeschworen, später geheiratet und sich der Verteidigung des französischen Rechtssystems gewidmet. Adrian Heuck war zuletzt Notar in Billigheim, Johann Baptist Hitzfeld Appellationsgerichtsrat in Zweibrücken.

Vor der großen Emigrationswelle ab Sommer 1791 – auch Eulogius Schneider emigrierte damals – streckte Christoph Friedrich Cotta, Staatsrechtlehrer an der Stuttgarter Karlsschule, schon 1790 seine Fühler nach Straßburg aus. Als Journalist und Herausgeber der »Stuttgarter privilegierten Zeitung« und der theoretischen Monatsschrift »Teutsche Staatsliteratur« stand er in Verbindung mit seinem Straßburger Journalistenkollegen Andreas Meyer (zugleich Richter am Departementsgericht und Klubsekretär) und Johann Friedrich Simon. Er ließ sich von ihnen die neueste Revolutionsliteratur besorgen, die er ohne weiteres in seiner theoretischen Zeitschrift besprach. Zum Bündnisfest der Straßburger Nationalgarde in der Metzgerau am 13. Juni 1790 (Schäfer S. 338-362, der Eid S. 360, das Bundeslied S. 361) schickte er aus Stuttgart einen Brief an die Straßburger »Gesellschaft der Konstitutionsfreunde«. Vielleicht waren außer ihm noch der alte Schubart (ein begeisterter Brief Schubarts aus dem nächsten Jahr, Stuttgart, 4. Juli 1791, an Andreas Meyer, in Schubart, 2. Bd. S. 428ff) und weitere württembergische und badische Revolutionsanhänger zu diesem ersten Fest eingeladen worden. Einen ungebetenen Gast schickte der Markgraf von Baden: einen Hauptmann in Zivil als Spitzel (Schäfer S. 358). Im Briefwechsel mit Schubart stand auch Daniel Stamm, der dann 1792/93 in Mainz als Custines Adjutant stärker hervortrat. In seinem kosmopolitisch gestimmten Stuttgarter Brief vom Juni 1790, verlesen im Klub am 15. Juni, bat Cotta um die Aufnahme in den Klub, unter voller Nennung seiner Lehr- und Journalistentätigkeit (französische Übersetzung des vermutlich deutschen Briefes in Heitz, S. 41f), Die Aufnahme erfolgte am 23. Juni 1790 (Barth, S. 255). Am 13. Juli wurde im Klub ein weiterer Brief Cottas vorgelesen, mit Cottas kosmopolitischem Eid vom 9. Juli 1790 in Stuttgart, worin der französische Monarch ausdrücklich respektiert wurde (französische Übersetzung bei Heitz, S. 48). Von nun an stand Cotta im Klubverzeichnis als auswärtiges Klubmitglied, unter Angabe seines Wohnortes (Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques M 6809, Nr. II, S. 6f), sogar im gedruckten Mitgliederverzeichnis (Namensverzeichnis, S. 20).

Die immer deutlicher gegen die Revolution gerichtete Politik des alternden Herzogs Karl Eugen von Württemberg, im Schlepptau der reaktionären französischen Prinzen, drängte den demokratischen Journalisten Cotta in Richtung Frankreich. Der Fluchtversuch der französischen Königsfamilie am 20. Juni 1791 – ein offener Verrat – beschleunigte Cottas  Auswanderungspläne. Ein halbes Jahr später schrieb er, nun schon seit Monaten im befreiten Straßburg aufatmend, wie jenes Ereignis in Stuttgart gewirkt hatte. Ein denkwürdiges Zeugnis für die auch in Stuttgart spürbare, allgemeine Parteibildung im Deutschen Reich. Eine köstliche Nachricht über die Freude der Demokraten, wie sie damals auch aus anderen Städten Deutschlands bezeugt ist:

Bei der ersten – philosophischen Reise unseres Königs zeigte sich mir in Stuttgart der Hang zur National- oder zur Aristokratenpartei ebenfalls sehr deutlich. Zufällig speisten am nämlichen Abend, wovon man in Stuttgart zuverlässig wußte, Ludwigs Reise sei unterbrochen, unsrer zwölf miteinander. Das nannte man ein Freudenfest »wegen der Arretierung seiner Allerchristlichsten Majestät«. Hätten wir uns denn nicht freuen sollen, in Stuttgart nicht darüber freuen dürfen? Man tituliere die Sache vorläufig eine Polizeisache, obschon Polizei und Inquisition hier in eines zusammenlaufen mochten. Dies beschleunigte meinen Entschluß, nach Frankreich zu ziehen. F.C. (Geschichte der gegenwärtigen Zeit, Nr. 87, 27. Christmonats [Dezember] 1791, S. 348)

Tatsächlich datierten Cottas Spannungen mit dem Herrscherhaus früher, spätestens vom Dezember 1790. Am 21. Dezember wies der Herzog den Direktor Seeger der Karlsschule an, Cotta zu verwarnen:

Mein lieber Obrister und Intendant von Seeger,

Da die Schreibart und der ganze Ton, dessen sich die Verfasser der hiesigen politischen Zeitungsblätter beinahe ohne Ausnahme, besonders aber der Verfasser der Vaterländischen Chronik in Ansehung der Begebenheiten der französischen Revolution und zum Teil in Ansehung der Niederländischen und Lüttichischen Unruhen, seit geraumer Zeit bedienen, einer aufmerksamen Beobachtung nicht entgehen und mit der Zeit auch von sehr nachhaltigen Folgen sein können, so erteile ich demselben gnädigst die Ordré,

1) dem bei der Herzogl. Hohen Karlsschule als Doctor legens [Lehrer ohne Professur] angestellten Doctor Cotta, als Redakteur der Teutschen Staatsliteratur, die allgemeine Weisung zu geben, alle nötige Vorsicht bei denen angeführten politischen Gegenständen sowohl, als auch was die reichsständische Hoheitsrechte betrifft , in Zukunft zu beobachten und sich keine rasche, eingestreute Urteile und Entscheidungen bei seinen Rezensionen hinfüro mehr zu erlauben; denen sämtlichen Verfasser der hiesigen politischen Zeitungsblätter aber

2) gemessenst aufzugeben, nur allein die faktischen Umstände der französischen Revolution und der damit verbundenen Begebenheiten in ihre Blätter aufzunehmen, sich aber dabei alles eigenen als aus fremden Zungen entlehnten Urteils gänzlich zu enthalten. Ich bin, mein lieber Obrister u[nd] Intendant, dessen wohlaffektionierter Carl Herzog von Württemberg (Cotta, Anhang, S. 3f)

Cotta hatte in Rezensionen zeitgenössische Literatur über die Revolutionsereignisse seine Meinung am Rande einfließen lassen. Dem Hof war jede kritische Anspielung zu viel. Cotta antwortete am 6. Januar 1791 mit einem äußerst gemäßigten Brief. Seine wirkliche Gesinnung, auch seine gut vorstellbare Wut über den landesweit verhaßten Despoten schluckte er noch einmal hinunter. In der zweiten Hälfte des Briefes ging er zu einem Gegenangriff über, wenn auch vorsichtig:

Eure Herzogliche Durchlaucht haben geruhet, mir unter dem 21. Dez[ember] und durch den Obristen und Intendanten Seeger die allgemeine Weisung geben zu lassen, Gelegenheiten, welche Frankreich, Belgien und Lüttich darbieten, als auch was die reichsständischen Hoheitsrechte betrifft, in Zukunft zu beobachten und mir keine rasche, eingestreute Urteile und Entscheidungen bei meinen Rezensionen hinfüro mehr zu erlauben.

Gnädigster Herr, bei Verfassung aller vorjährigen Hefte meiner Monatsschrift, wandte ich ganz diejenige Vorsicht an, welche ich nach besten Wissen um die Zeitumstände willen für nötig hielt, und ich beruhigte mich nicht damit, daß ich bloß als Privatmann schreibe, daß meine Schrift nur nach der Zensur eines Kollegiums erscheint, welches Pflicht, Neigung und Kenntnis hat, nichts drucken zu lassen, was dem allgemeinen Besten zuwider wäre, und daß meine Leser nur Geschäftsmänner [Juristen] bei der Reichsversammlung und in Kollegien [Regierungsorgane], Gelehrte, überhaupt von derjenigen Klasse sind, auf welche mein Urteil nie einen gemeinschädlichen Einfluß haben kann; auch damit beruhigte ich mich nicht, daß ich bereits im Eingang meiner Monatsschrift meine Meinung über die darin vorkommenden Gegenstände nur für das, was sie allein ist, für die Meinung eines Einzelnen vorläufig erklärt hatte, sondern ich behielt beim Schreiben stets meine Pflicht vor Augen, auch dann, wann ich als freier Mann frei meine von dem Urteil anderer abweichende Meinungen über die nun in Frankreich, bisher in Lüttich und neuerlich noch in Belgien gültigen Grundsätze äußerte, und tat dieses, ohne in jenen Ton zu fallen, wodurch in einem öffentlichen Blatt sogar, im courier du Bas-Rhin, die Elsasser Entschädigungs- und die Lütticher Exekutionssache zum Spott und Hohn des teutschen Publikums gemacht wird. Mit noch verstärkter Vorsicht aber, Durchle[!]uchtigster Herzog und Herr, schrieb ich, wann es reichsständische Hoheitsrechte galt; hier trat Amtspflicht, Reichsbürgerpflicht, selbst das, was keinem meiner Landsleute wichtiger als mir sein kann, Württembergerpflicht trat hier mit an.

Und doch muß ich nun nach Höchstdero Äußerung befürchten, das Verhältnis das Reichsoberhaupts zu den Reichsständen oder dieser zur übrigen teutschen Nation, insbesondere zu ihren Landständen und Untertanen, angegriffen zu haben, vielleicht gar Württembergs Verfassung, eine Verfassung, wofür alles und mich selbst aufzuopfern, ich völlig und verbunden bin, angegriffen zu haben. Hier, Gnädigster Herr, ist die Entschuldigung mir nicht hinlänglich, daß, wenn es geschehen ist, es allein aus Irrtum gesehen sei; nein ich bin empfindlich gerührt darüber, von meinem Durchl[auchtigstigen] Fürsten und in einem Schreiben, welches vor die Augen meiner Mitbürger kam, einer Verletzung der Bürgerpflichten schuldig erklärt zu sein.

Eure H. Dr. [Herzogliche Durchlaucht] werden also andurch von mir unt[tertänigst] gebeten, Höchstdies[elben] wollen geruhen, durch das Hochpreisliche Regierungsratskollegium als die zugleich mir zum Forum gesetzte Höchste Behörde, jene Seiten meiner Schrift, worin nach E[urer] H[erzoglichen] D[urchlaucht] Höchstem Ermessen reichsständische Hoheitsrechte von mir beleidigt worden sind, mir nachzuweisen und mich auch zur Verantwortung darüber und, wie ich hoffe Reinigung kommen zu lassen. Sollte es Höchstdenselben nicht gefallen, diese meine unt[ertänigste] Bitte zu erfüllen, so würde ich beunruhigt bleiben, obgleich sodann die Hinsicht auf Höchstdero Regentenamt mir die volle Überzeugung gewähren müsste, daß ich wenigstens nicht als Württemberger gesündigt habe.

Das soll auch bei der Fortsetzung der Teutschen Staatsliteratur nie geschehen; ich werde mich auch dabei befleißen, meine Pflicht gegen mein Vaterland und seine Verfassung zu erfüllen, ja ich wiederhole diesfalls, was Höchstdems[elben] durch die Obersten und Intendanten von Seeger bereits von meinetwegen unt[ertänigst] wird versprochen worden sein, hier an Eidesstatt: ich werde meine Untertanenpflichten erfüllen.

Im Gefühl dieser Pflichten ersterbe ich

E.H.D.

Stuttgart den, 6. Jan[uar] 1791

 treugehorsamuntertänigster
Dr. Cotta

(Cotta, Anhang S. 4-7)

Wirklich kein Rebellenbrief. Schon der aufgezwungene Kanzleistil, dem sich Cotta unterwarf, sollte das Rückgrat des Briefeschreibers geschmeidig machen. Beim Untertanenlob auf Württembergs Verfassung, dem typischen Verfassungsbewußtsein im damaligen Württemberg, selbst in der radikalen Opposition, müssen wir annehmen, daß Cottas sich damals noch im Widerspruch zwischen der württembergischen Ständeverfassung und den neuen Ideen aus Frankreich befand, in einem ihm selbst noch nicht bewußten Übergang.

Auf dieses Schreiben blieb der Hof stumm. Am 7. Mai 1791 schlug der Prinz Ludwig Eugen (Louis), Bruder von Carl Eugen, mit einem Brief von Schloß Weitlingen (bei Dinkelsbühl) zurück. Nun galt ihm Cotta als Anhänger der Revolution.

Mein Herr Doctor!

Da Sie mir die ersten Blätter der von Ihnen herausgegebenen Zeitschrift Teutsche Staatsliteratur zukommen ließen, nahme ich einen Anstand, die Fortsetzung derselben anzunehmen; dann die meisten heutigen Journals sind mit so vielen irrigen Sätzen und mit einer so falschen Philosophie angefüllet, daß ein jeder reif und wohldenkender Leser notwendigerweis einen Ekel daran schöpfen muß. Jedoch da Ihre Schrift aus einer württembergischen Feder fließet, so konnte ich mich schmeicheln, daß ich in solcher lauter Gesinnungen eines biederen, rechtschaffenen Teutschen antreffen würde. Da ich aber nun jetzo leider sehen muß, daß Sie die höchstschädliche und aufrührerische Gesinnungen der gegenwärtig äußerst verdorbenen und unglücklichen französischen Nation hegen, ausbreiten und verteidigen, so würde ich ein unverzeihliches Beispiel geben, wenn ich eine so gefährliche Schrift, die ich aus allen Händen winden möchte, noch ferners halten würde. Auch schicke ich Ihnen alle mir zugesendeten Exemplaren derselben wieder zurück, und solang Sie ihre Talenten so übel werden anwenden und fortfahren wollen, so unsinnige und aufrührische Gesinnungen auszubreiten und zu verteidigen und auf solche respektwidrige Art auch von großen Herren und Reichsfürsten zu schreiben und dieselbe vor Ihren von Ihnen selbst aufgerichteten und vielleicht ohnbärtigen, aber gewiß sehr lächerlichen Tribunal auf eine so unverschämte Weis zu zitieren, so kann ich mich Ihr Wohlgewogener nicht nennen und folglich auch nicht unterschreiben.

Louis, E.H. zu Württemberg

Weitlingen, den 7. Mai 1791

(Cotta, Anhang, S. 7f)

Am 15. Mai 1791 antwortete Cotta mit einem langen Schreiben, dem ungnädigen landesväterlichen Stil begann er in Andeutungen zu ironisieren. Ein Zeichen für die zunehmende Distanz. Doch noch immer verbarg er seine demokratisch-revolutionäre Tendenz. Er wollte es nicht zum Bruch kommen lassen. Über Cottas Brief schwebt als Damoklesschwert die herzogliche Beschuldigung, Cotta verbreite aufrührerische Ideen. Cotta sah die Gefahr, als Hochverräter zu enden. Deshalb müssen wir seinen Brief, der schon fast vergessen ist, ungekürzt zur Kenntnis nehmen. Briefe unter einer so niederschmetternden Beschuldigung sind selten, für die Jakobinerzeit fast einmalig.

Ich empfing vorgestern ein Schreiben vom 7. dies[es Monats], mit E.H.D. Höchsten Namen unterzeichnet. In welcher Bewegung ich es las und wieder las und lese und immer wieder lesen werde, kann ich nicht ausdrücken.

Auf H.D. Befehl ist es geschrieben worden, davon bin ich überzeugt. H.D. wollten mich dadurch wegen der T[eutschen] S[taats] L[iteratur] zurechtweisen; daa erkenne ich und danke dafür untertänigst. Aber ebenso gewiß bin ich, daß es Leuten, welche H.D. wieder mich einzunehmen gesucht hatten, damit gelungen ist; denn wenigstens im August und im Oktober des vorigen Jahrs ließen H.D. mir »das Gn[ädigste] Wohlgefallen« an meiner Monatsschrift bezeugen. Und ebenso gewiß bin ich, daß H.D. nicht jeden Ausdruck dieses Schreibens wissen, sonst würde E.H.D. manchen haben mildern lassen; ich hätte es zu Höchster Einsicht und somit auch als Beweis dieser meiner Behauptung beigeschlossen, wenn mein jetziges trauriges Verhältnis gegen H.D. die Zurücksendung dieses Schreibens erlaubete.

Ich bin Mann und Christ, ich bin ein Teutscher, ein Württemberger, welcher von keinem seiner Landsleute es sich in Vaterlandsliebe zuvortun lassen will; ich bin Doktor der Rechte, weiß, daß dies Amt meine Bürgerpflichten verstärkt. Und jenes mir unglückliche Schreiben spricht von sehr lächerlichen, vielleicht unbärtigen, unverschämten, unsinnigen, ja von – und wenn jenes nur schmerzte, so muß das Folgende tief verwunden! – von höchstschädlichen, von aufrührischen Gesinnungen.

In Württemberg soll bei Dienstersetzungen auf Landeseingeborene, falls solche tüchtig sind, und natürlich ebenso unter diesen auf den tüchtigsten vorzüglich gesehen werden. Es werden aber Ausländer angestellt, und mir Mann von 33 Jahren, welchen schon während der Universitätszeit, im Jahr 1785, mein Durchl. Fürst für tüchtig zur Archivariusstelle erkannte, wurden seit fünf Jahren sogar Jünglinge vorgezogen. Also mußte ich meiner Ehre wegen Aus- und Inländern mich als eine tüchtigen Mann zeigen. Also mußte ich mir selbst Brot erwerben. Ich wählte dazu die Herausgabe der Teutschen Staatsliteratur als ein meiner Fähigkeit und Neigung am meisten angemessenes Geschäft. Und diese Anwendung meiner Talente geschahe nach H.D. Urteil übel.

Bei Verfassung jedes Hefts meiner Monatsschrift wandte ich ganz diejenige Vorsicht an, welche ich nach bester, durch mehrjährige Erfahrung, das Verfassen der hiesigen Hofzeitung und fortgesetztes Studium erworbenen Kenntnis um der Zeitumstände willen für nötig hielt. Ich beruhigte mich nicht damit, daß ich bloß als Privatmann schreibe, daß meine Schrift jeden Monat nur nach Zensur derselben durch ein dazu beordertes Kollegium von Männern erscheint, welche sämtlich Pflicht, Neigung und Wissenschaft haben, nichts abdrucken zu lassen, was dem allgemeinen Besten zuwider oder auch nur dem Vaterland im mindesten nachteilig wäre, daß meine Leser nur Geschäftsmänner bei der Reichsversammlung und in Kollegien, Gelehrte, überhaupt allein von derjenigen Klasse sind, auf welche mein Urteil nie einen gemeinschädlichen Einfluß haben kann. Auch damit beruhigte ich mich nicht, daß ich bereits im Anfang meiner Zeitschrift vorläufig und seither oft meine Meinung über die darin vorkommenden Schriften und deren Gegenstände für das, was sie allein ist, für die Meinung eines Einzelnen erklärt hatte, sondern ich behielt beim Schreiben meine Pflichten stets im Andenken, besonders dann, wann ich als freier Mann frei mein von Anderer Meinung abweichendes Urteil äußerte. Und bei all dieser Vorsicht soll ich in Fehler, ja in Verbrechen, in das größte Verbrechen gefallen sein.

Wegen Frankreichs äußerte ich mich freilich in vielen Punkten anders als manche andre Schriftsteller außer Frankreich, aber doch war ich dieserwegen nicht einzeln, wie die Schriften eines Payne, Wielands, Schlözers, Bergs, Wittenbergs etc. zeigen. Zudem kam, daß, da die sogenannte Gesellschaft der Konstitutionsfreunde in Straßburg zu dem Ende mit mir in Korrespondenz trat, daß ich ihr die sie interessierenden teutschen Staatsschriften lieferte, sie hingegen mich mit vielerlei Abhandlungen versahe, welche sonst nur selten herüberkamen – ich mir dadurch eine geschichtliche und rechtliche Kenntnis vom jetzigen Frankreich erwarb, welche der größte Teil meiner Mitbürger nicht bekommen konnte.

Über das Verhältnis Frankreichs gegen seinen König, gegen das teutsche Reich und dessen Glieder nahm ich eben die Grundsätze an, wonach gegenwärtig das Durchleuchtigste Haus Württemberg handelt.

Die nun in Frankreich geltenden, die Kirche betreffenden Grundsätze sind zwar meiner Meinung nach ganz dem kanonischen Recht gemäß. Doch hierin kann der Protestant leicht irren. Aber gleiche Sprache mit mir führen darüber selbst Katholiken, wie die in einer katholischen, erzbischöflichen Stadt [gemeint Salzburg] öffentlich erscheinende Oberteutsche Literaturzeitung in ihren Urteilen über die gegen jene Grundsätze gerichteten teutschen Hirtenbriefe zeigt.

Daß das größte Unglück die Revolution Frankreichs als eines äußerst verdorbenen Staats begleitete, daß diese Revolution von einem teutschen Volk nicht nachgeahmt werden dürfe, daß sie auch in Teutschland großes Unglück erregen würde, daß Frankreichs Konstitution, ob ich gleich als vortrefflich für Frankreich erkenne, für Teutschland nicht ebenso tauge, daß Württembergs Konstitution die beste unter den teutschen sei, daß zwar jede Konstitution den Wunsch nach Verbesserungen übrig lasse, aber daß diese nur gesetzmäßig zu bewirken und auszuführen seien - das alles sagte ich in der Teutschen Staatsliteratur mehrmals. Aber unter H.D. Namen werden mir »Hegung, ausbreitung und Verteidigung der höchstschädlichen und aufrührischen Gesinnungen« Frankreichs Schuld gegeben und zur Last gelegt.

Die Verhältnisse des Kaisers und der Reichsstände gegeneinander werden von den größten Publizisten und von den Ministern selbst sehr verschieden vorgetragen. Ich folgte keiner von den beiden Parteien, sondern meiner Überzeugung, und diese wurde von der Liebe zu Württemberg geleitet, wann die beiderseitigen Gründe mir gleichwichtig schienen. Hatte ich von Verhältnissen zwischen Fürsten und Untertanen zu sprechen, so war ich beflissen, nicht nur Sätze aufzustellen, welche der Gerechtigkeit gemäß sind, sondern sie auch, falls sie außer ihrer Verbindung mit andern zu Untergrabung der Ordnung mißbraucht werden konnten, in einer diesfalls nötigen Verbindung oder gehörig bestimmt vorzutragen. Willkommen war mir dabei die Gelegenheit, wo ich von irgendeinem Satz zeigen konnte, daß er in Württembergs Staatsgesetzen gegründet ist. Und doch werden mir in jenem Schreiben die Gesinnungen abgesprochen, welche H.D. in meiner Monatsschrift darum erwarteten, weil sie aus einer württembergischen Feder fließet, die Gesinnungen eines biedern, rechtschaffenen Teutschen.

Reichsfürsten, Reichshofräte und Kammergerichtsassessoren, Komitialgesandte, Ministers, Räte, Professoren, Theologen von der katholischen und von der evangelischen Kirche etc. lobten mich wegen der Teutschen Staatsliteratur, munterten mich auch unter ausdrücklichem Beifall wegen meiner darin geäußerten Grundsätze auf, so fortzufahren; seit einigen Monaten steigt die Zahl meiner Leser bei der Reichsversammlung, bei den Reichsgerichten, in Kanzleien und Universitäten fast jede Woche; erst noch in gegenwärtigem Monat gaben meine Zensoren öffentlich das amtliche Zeugnis, sie hätten nicht nur nie etwas Gemeinschädliches, sondern auch noch weiter nie etwas, was nicht unbedenklich durch den Druck bekanntgemacht werden dürfte, in meiner Zeitschrift gefunden; durch alles das wurde ich angefeuert, meine Bemühungen zu verdoppeln, ja ich schmeichelte mir, Nutzen stiften zu können; jetzt gerade, wo so viele Völker unzufrieden und manche Fürsten und Ministerien auf Herstellung der Verfassung ihrer Staaten bedacht sind, Nutzen stiften zu können, diese Hoffnung war mein Glück. Und plötzlich wird mir gemeldet, H.D. würden durch ferneres Halten meiner Schrift ein verzeihliches Beispiel geben, möchten sie vielmehr als so gefährlich aus allen Händen winden.

Ich weiß, daß ich der Würde eines Fürsten Achtung schuldig bin, auch wenn ich sie von seiner Person unterscheide, ihn von edeln Männern, welche mit ihm oder unter seinem Namen das Volk beglücken, oder von Aristokraten unterscheide, welche sich zwischen ihn und das Volk stellen, um beide zu beherrschen, ihn um die Liebe des Volks bringen und in diesem ihn nur einen Haufen Nichtswürdiger erblicken lassen. Aber nicht Ihre Würde, D. H., ist der Grund, warum ich H[öchst] Dens[elben] größere Verehrung widmete als je einem Fürsten, sondern diese Verehrung gründete sich auf H[öchst] Dero Handlungen, auf die daraus entsprungene Hoffnung, was H.D. einst als Regent dem Vaterland sein würden. Und ebendieser Fürst, mein künftiger Fürst, ist es, in dessen Namen ich des Hochverrats schuldig erklärt werde.

Ich bin Mensch und folglich nicht fehlerfrei. Das erkenne ich, bin daher auch bereit einen Irrtum sogleich zu widerrufen und zu verbessern, als er mir angezeigt wird. Wäre es E. H. D. gefällig gewesen oder noch, mir die Fehler nachweisen zu lassen, welche H.D. in meiner Monatsschrift bemerkt haben, so könnte ich von der Bereitheit, sie zu berichtigen, im 6. Heft gedachter Schrift, dem das 5. ist schon verfaßt, Beweise geben. Hingegen das höchste Verbrechen, was nur der unwürdigste Bürger begehen kann, das wird nicht aus Irrtum begangen, das läßt sich nur mit einem äußerst schlechten Charakter verbinden, und von ihm zeugen nur Handlungen, Handlungen, welche in hohem Grad an mir sträflich wären, da ich von Amts wegen verpflichtet bin, andere von Ungerechtigkeit abzumahnen. Aber ich weiß mich keiner solchen Handlungen schuldig, unschuldig des schröcklichsten Verbrechens, und H.D. hat es leider nicht gefallen, mir das Nähere darüber eröffnen zu lassen, wodurch ich in den Stand gesetzt worden wäre, mich völlig zu rechtfertigen.

Daher kann ich auch wegen meines künftigen Benehmens bei Verfassung der Teutschen Staatsliteratur nur den allgemeinen Schluß fassen, meine Vorsicht überhaupt also anzustrengen, daß bei jeder Gelegenheit meine Liebe zum Vaterland und mein Gehorsam gegen seine Gesetze sich zeigen. Gewiß verlangen H.D sodann die Fortsetzungen meiner Schrift und vielleicht mit ihnen auch die Hefte wieder, welche mir zurückgeschickt wurden. Unterdessen werden E.H.D. aus der Art, wie ich bei meiner so tiefen Wunde meinen Schmerz äußere, sehen, daß die bürgerliche in Ordnung jedem ihrer Teile mir bis zur Aufopferung heilig ist.

Ich bin daher in unwandelbarer Verehrung stets

E.D.H.

Stuttgart, den 15. Mai 1791

treugehorsamuntertänigster
Dr. Cottas

N[ach]S[chrift]

Nun D.H., ist es – höchst wahrscheinlich, daß von dem auf H.D. Befehl an mich ergangenen Schreiben Abschriften hieher gebracht sind und hier und im übrigen Land in Umlauf gesetzt werden. Meine Landsleute wissen und erfahren also, unser künftiger Durchl. Fürst erklärte mich zu einem Verbreiter aufrührischer Gesinnungen. Auch dies nicht zu ersetzende Unglück werde ich in Geduld leiden. Den 17. Mai 1791 [Cotta, Anhang S. 9-16)

Der Briefwechsel – so zurückhaltend Cotta auch schrieb – erregte in Württemberg Aufsehen. Er kursierte unter der Hand. Nicht einmal Schubart hatte so mit dem Herrscherhaus gesprochen. Ein besonders eisiger Wind schlug Cotta nicht aus Stuttgart, sondern aus Bruchsal entgegen [Cotta, Anhang, S. 16], aus der Residenz des Fürstbischofs von Speyer, eines jähzornigen, launischen Reaktionärs, des Einpeitschers für eine bewaffnete Gegenrevolution. Bruchsal intervenierte in Stuttgart und beim Reichstag in Regensburg,  um Cottas Zeitschrift unterdrücken zu lassen. Cotta bat in Stuttgart am 10. Juni die Regierung um Aufschluß über das Verfahren gegen ihn. Noch immer wehrte er sich dagegen, als »ein Verbrecher aufrührischer Gesinnungen« zu gelten [Cotta, Anhang.S. 19]. Daran tat er gut, wenn er nicht für ein Jahrzehnt auf dem Asperg verschwinden wollte. Und wieder kniff die Gegenseite und vermochte die Verdächtigungen nicht zu belegen. Die ganze Richtung paßte nicht. Und damit basta!

Genau einen Monat später hatte Cotta endgültig genug. Um den 10. Juli 1791 verließ er Stuttgart, am 12. Juli begleiete ihn sein Straßburger Freund Andreas Meyer zum Maire Friedrich von Dietrich, der Cotta sofort als neuen Bürger Frankreichs aufnahm. Zwei Tage danach, am 14. Juli, erschien Cotta in Straßburg, beim 2. Jahrestag des Bastillesturms, auf der Bundesau (einst Metzgerau) in Uniform und Waffen in einem Verband der Nationalgarde und leistete den vorgeschriebenen Bürgereid. Am 17. Juli ließ er sich als vollwertiges Mitglied in den Klub aufnehmen. Am folgenden Tag erschien sein erster Straßburger Zeitungsartikel Darin stimmte Cotta einen antifeudalen Ton an, den er in Württemberg nie hätte anschlagen können, außer der Autor hätte sich schon lange auf den Asperg eingestellt gehabt.

Regensburg. Der deutschen Konstitution zu Ehren melden wir, daß ein ganzer großer Staat des teutschen Reichs in die Provinz eines andern verwandelt wurde, welcher in und außer diesem Reich zugleich liegt. (Bei Gott, die Deutschen hatten Recht, als sie sagten, Riquetti [d.h. Mirabeau], Merlin etc. verstünden nichts von der deutschen Konstitution. Wer wird das vorhin Gesagte verständlich finden? Und doch ist es ganz deutsch.konstitutionsmäßig!) »Der Markgraf von Brandenburg-Ansbach hat nämlich seine Lande und Untertanen dem König von Preußen abgetreten, unter Vorbehalt einer jährlichen Revenue [Einkommen] von einer Viertelmillion Taler und gegen die Summe von 800.000 Taler in 20 Gulden-Fuß.«

Das ist wirklich konstitutionsmäßig und heißt in der Sprache der Vernunft: Menschenhandel. Das Volk wurde nicht gefragt, ob es denn einen andern Oberbeamten wolle (sie nennen das in Deutschland: Landesherrn) , nicht einmal die Volksdeputiertenerlaubnis hat man eingeholt. Daß die Revenue nicht aus des Königs von Preußen Börse, sondern aus dem Volksschatz genommen werde, versteht sich von selbst; in solchen Fällen sind die Oberbeamten verschiedener Völker äußerst gefällig gegeneinander. Jeder kennt des andern Bedürfnisse, und hat jeder, ohne ein oder noch mehrere Weiber, noch eine Favorithure, so sind auch diese äußerst besorgt für die gegenseitigen Galans, und dann gibt es wohl gar Konventionen, welche ganz Europa wenigstens auf ein Jahr lang, wie die Reichenbacher Konvention, in Bewegung setzen. Von all diesen Welthändeln hat sich der Markgraf nun in eine philosophische Ruhe zurückgezogen, wie man von 1789 zu sagen pflegte, wo noch alles, was der Oberbeamte eines Volkes tat, philosophisch genannt wurde. Deutsch gesprochen verhält sich die Sache freilich ganz anders. Der Markgraf schwelgt nun von der Viertelmillion in Ostende mit der berüchtigten Engländerin Grave. Gern gingen sie nach Engelland; aber dort – herrscht ein Gesetz, wornach der Engelländer Grave sein ehebrecherisches Weib samt ihrem Buhlen zu Strafe ziehen kann, ungeachtet letzterer auch ein von Gottes Gnaden unverletzlich geborner Mensch ist. C.

(Geschichte der gegenwärtigen Zeit, Nr. 257, 18. Heumonats [Juli] 1791., S. 1034)

Damit ließ Cotta sein Programm anklingen, das er so lange energisch verfolgte, als es die französischen Verhältnisse ihm erlaubten: Kampf gegen die menschenverachtende deutsche Reichsverfassung, Entlarvung der Diplomatie der deutschen Feudalherren.

Da er aus Stuttgart offenbar überstürzt abgereist war, kehrte er noch einmal zurück, um alle Angelegenheiten zu erledigen [Vollmer, S. 199]. In aller Form zeigte er dem Herzog an, daß er französischer Bürger geworden sei und auswandern wolle. Vorher, am 20. Juli, hatte der Herzog schon Erkundigungen einziehen lassen, ob das Gerücht von Cottas französischen Bürgerrecht zutreffe (herzogliches Resprikt an den Geheimen Rat und Regierungspräsidenten von Taubenheim, 20. Juli 1791 in Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 8 Bü 363, Nr. 655, Blatt 2). Am 29. Juli ging wegen Cotta das letzte herzogliche Reskript heraus:

Anbringen

Über die Anzeige des D. Cotta v. Stuttgart, daß er französischer Bürger sei.

Eingesehen. Obwohlen de rigore [streng genommen] der Dr. Cotta als ein solcher anzusehen ist, der wider die Landesgesetze anderwärts Bürgerpflichten geleistet hat, ehe das Untertanenrecht von ihm aufgekündigt wurde, so wollen D[urchlaucht] jedanach darüber weggehen u[nd] genehmigen den u[ntertänigsten] Antrag, wornach ihm unter Beobachtung der H[erzoglichen] Verordnungen der Wegzug gestattet u[nd] ihm diese Bewilligung auf die in solchen Fällen gewöhnl[iche] Art p[er] Reskr[ipt] an das H[erzogliche] Stoa. [Sadtoberamt] Stuttgart auf seine Anzeige vi commissions [kraft Auftrags] zu erkennen zu geben ist.

Wobei S.H.D., dem H. Geh[eimen] Ratscollegio aus gn[ädigstem] Vertrauen annoch beifügen, es auf eine schickliche Art dahin einzuleiten, daß gedachter D. Cotta nunmehr zur baldigen Abreise aus dem H[erzoglichen] Landen sich veranlaßt finde. (Stuttgart, Haupststaatsarchiv, A 8 Bü 363, Nr. 655, Blatt 1)

In Straßburg arbeitete Cotta zuerst vor allem journalistisch. Ab 17. Dezember 1791 redigierte er in der »Geschichte der gegenwärtigen Zeit« alle ausländischen Nachrichten, außerdem setzte er seine »Teutsche Staatsliteratur« fort, ab Januar 1792 brachte er auch noch das »Straßburgische politische Journal« heraus. Damit schuf er sich eine angesehene, einflußreiche Position, um von außen unaufhörlich zu einer deutschen Revolution aufzurufen. Während der Terreur geriet er wie zahlreiche andere deutsche Emigranten zwischen die Mahlsteine der Robespierre-Fraktion und des eingesessenen Straßburger Bürgertum. Er überstand diese Zeit als Gefangener in der gefürchteten Conciergérie in Paris, auf der Seineinsel. Im September 1794 kam er frei.

Quellen und Literatur:

  • Barth, Étienne: Notes biographiques sur les hommes de la Révolution à Strasbourg et les environs. Extrait de la Revue d’Alsace, Strasbourg 1885 (Standort: Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques, M 5439, M 133:745)
  • Cotta, Christoph Friedrich: Anhang zur Teutschen Staatsliteratur, Beschwerden über dieselbe und Gegenerklärung des Verfassers, Am 14. Dezember im 3. Jahre der Freiheit (Straßburg 1791) (20 S; Standorte Stuttgart, Landesbibliothek, Allg. G oct 1176; in diesem Exemplar fehlen S. 17-20, vollständig in Tübingen, Universitätsbibliothek, HG 599, angebunden an die Teutsche Staatsliteratur 2 Jg., 1791)
  • Ders.: Politische Fabeln und Gleichnisse. Ein Beitrrag zum patriotischen Archiv für Teutschland, Berlin 1786 (Standort: Stuttgart Landesbibliothek, D:D. oct 2481)
  • Ders.: Die Redner für Belgien und Lüttich an die Teutschen, Trier 1790 (Standort: Augsburg, Stadt- und Staatsbibliothek, Str. 1307)
  • Ders.: Teutsche Staatsliteratur, 3 Bände, o.O., (Tübingen) 1790-92 (Standort: Tübingen Universitätsbibliothek Hg 599)
  • Geschichte der gegenwärtigen Zeit, Straßburg, hg. Von Johann Friedrich Simon und Andreas Meyer (ab Sommer 1791 auch von Christoph Friedrich Cotta, Juli bis September 1792 von Eulogius Schneider), I, 1790. Bis 4, 1793 (Standort: Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques M 109)
  • Heitz, F(rédric) C(harles): Les Sociétes politiques de Strasbourg pendant les années 1790 à 1793. Extraits de leur procès-verbaux, Strasbourg 1865
  • Journal von und für Deutschland, 1791, Bd. 1 S. 227-231 (Herzog [muß heißen: Prinz] Ludwig Eugens zu Württembergs Schreiben an den Herausgeber der deutschen Staatsliteratur, Weiltingen 7. Mai 1791, Antwort des Herausgebers ged(achter) Liter(atur) an S(eine) Herzogl. Durchl., Stuttgart, den 17., eben dieses Monats) (Standort: Stuttgart, Landesbibliothek, Miscell. 4º 332
  • Kammerer, Louis: Répertoire du clergé comstitutionel en alsace (1791-1802), Strasbourg 1988 (Maschinenschrift, kopiert, XXXV. 103 Seiten) (Standort: Strasbourg, Archives départementales du bas-Rhin; Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques)
  • Ders.: Répertoire du clergé d’Alsace sous l’Ancien Régime (1648-1792), Strasbourg 1985 (XVIII, 396 Seiten) (Standort: wie beim vorigen Repertorium)
  • Namensverzeichnis sämtlicher Mitglieder von den 15. Januar 1790 im ersten Freiheitsjahr zu Straßburg errichteten Gesellschaft der Konstitutionsfreunde, nebst den auswärtigen mit ihr in Briefwechsel stehenden Mitgliedern wie auch den mit ihr verschwisterten Gesellschaften, Straßburg im zweiten Freiheitsjahr [1790] (Standort: Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques M 5941)
  • Schäfer, Konstantin: Am Rand der großen Revolution 1789-1792, in Alemannisches Jahrbuch 1962/63, Lahr 1964, S, 310-386
  • Schubart, Christian Friedrich Daniel: Leben in seinen Briefen. Gesammelt, bearbeitet und hg. Von David Friedrich Strauß, 2 Bände, Berlin 1849
  • Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, Section des Alsatiques, M 6809, Nr. 11 (Klubmitgliederliste)
  • Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 8 Bü 363, Nr. 655
  • Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 202 Bü 3286 (Brief des Prinzen Louis an Cotta. 7. Mai 1791, Abschrift)
  • Vollmer, Wilhelm (Hg.): Briefwechsel zwischen Schiller und Cotta, Stuttgart 1876
  • Wandel, Uwe Jens: Verdacht auf Demokratismus? Studien zur Geschichte von Stadt und Universität Tübingen im Zeitalter der Französischen Revolution, Tübingen 1981