Ein komprimitierender Brief des Freiherrn von Stein

Nach der Entlassung aus preußischen Diensten verfasste der Freiherr vom Stein seine Reformschrift »Über die zweckmäßige Bildung der obersten und Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der preußischen Monarchie«. Preußen, das durch den Vertrag von Tilsit sein gesamtes Gebiet westlich der Elbe an das neu geschaffene Königreich Westphalen verloren hatte, wurde durch Napoleon gezwungen, den amtierenden Staatskanzler Fürsten Hardenberg zu entlassen. Hardenberg selbst schlug als seinen Nachfolger den Freiherrn vom Stein vor. Napoleon förderte im übrigen die Wahl vom Steins zum preußischen Staatsminister.  Ummittelbar nach seiner Amtseinführung wurden im preußischen Staat einschneidende Veränderungen vorangetrieben. Am 09.10.1807 wurde zunächst das »Edikt über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums, sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner«, einige Wochen später  die Kabinettsordre über die »Aufhebung der Erbuntertänigkeit«; und im November folgte schließlich noch die reformierte preußische »Städteordnung«. In Spanien brach im folgenden Jahr ein Volksaufstand aus, Österreich rüstete auf und so begann Stein in vielen geheimen Kanälen Kontakte zu den österreichischen Erbherzögen zu knüpfen. Dabei ließ er jedoch die notwendige Sorgfalt fehlen und schickte einige Briefe unchiffriert weiter. Marschall Soult verhaftete auf der Straße nach Tegel einen Kurier des Staatskanzlers, der einen solchen unchiffrierte Brief an den Oberhofmeister und Kabinettsminister Grafen Wittgenstein bei sich führte, und entführte ihn nach Frankreich. Nachdem Napoleon den Brief des Freiherrn vom Stein vom 15.08.1808 gelesen hatte, ließ er ihn mit eigenen Randbemerkungen - die im Text eingerückten Stellen - in der Zeitung »Journal de l´Empire« vom 02.09.1808 veröffentlichen:
Eure Durchlaucht werden in den offiziellen Schreiben, So Herr Koppe Ihnen zu überreichen die Ehre haben wird, alles finden, was sich auf die Geldgeschäfte selbst bezieht; ich erlaube mir nur noch einige Bemerkungen über unsere Lage im allgemeinen. Nach dem Rate des Grafen G.LW. hat man dem Prinzen Wilhelm wiederholt aufgetragen, eine Allianz, ein Hilfstruppenkorps anzubieten und eine Verminderung oder Fristung der Kontributionen zu erbitten: Sollte aber der Kaiser wieder zu neuen Unternehmungen abreisen, sich auf eine anständige Art zu entfernen. Nimmt der Kaiser unter den gegenwärtigen Umständen, wo wir ihm nur nützlich sein können, dieses unser Anerbieten nicht an, so beweißt er, dass er entschieden ist, uns zu vernichten, das wir alles abwarten müssen.
    Man bemerke wohl, dass Herr vom Stein hier sehr reelle Vorschläge anbringt, das heißt: Anträge einer Allianz mit Frankreich und eines Hilfstruppenkorps. Dieses Korps könnte nicht anders als gegen Russland und Österreich gebraucht werden; und sicherlich sollte es wohl Österreich sein, wozu es bestimmt wäre. Frankreich verlangt nicht dieses Hilfstruppenkorps; diese Forderung könnte nie in einem gesunden Kopf Einzug finden, es ist Preußen, das ein Hilfstruppenkorps gegen Österreich anträgt, und gleichwohl hat Österreich ihm nichts zuleide getan.
    Der Herr vom Stein setzt in der Tat voraus, dass der Kaiser dergleichen Anerbietungen nicht annehmen werde, und hieraus zieht er die Folgerung, dass es seine Absicht sei, Preußen zu vernichten. Der Herr vom Stein sollte in der Tat glauben, dass der Kaiser dergleichen Anerbietungen von seiten Preußens nicht annehmen könne, weil er die preußischen Minister kennt und genug mit Preußen gehandelt und unterhandelt hat, um zu wissen, wie viel man auf die Verbindungen, die mit demselben kontrahiert werden, rechnen könne. Wir sind hier keineswegs gesonnen, gegen die Meinung anzustoßen, die man von den persönlichen Gesinnungen des Königs von Preußen haben sollte, aber wir können nicht leugnen, dass solange dieser Fürst von seinem alten Ministerium umgeben ist, sein Kabinett kein Zutrauen einflössen wird. Sie hatten ihn dahin geleitet, die ganze Welt zu hintergehen und der Brief des Herrn vom Stein beweist, dass sie noch immer die nämlichen Grundsätze haben.
Die Erbitterung nimmt in Deutschland täglich zu, und es ist ratsam, sie zu nähren und auf die Menschen zu wirken. Ich wünschte sehr, dass die Verbindungen in Hessen und Westfalen erhalten würden und dass man sich auf gewisse Fälle vorbereite, auch eine fortdauernde Verbindung mit energischen, gut gesinnten Männern erhalte und diese wieder mit anderen in Berührung setze. Sollten Euer Durchlaucht mir hierüber Eröffnung tun können, so bitte ich Sie, mir Herrn Koppe oder einen vertrauten Mann wieder herzuschicken.
    Wie, Herr vom Stein, ist dieses eine von den Wirkungen Ihrer Allianz ? Sie wollen die Erbitterung nähren und auf die Menschen zu wirken suchen? Sie wollen Hessen und Westfalen empören und doch der Alliierte Frankreichs sein? Man muss bekennen, dass sie Ihre Allianz und ihre Freundschaft durch Wohltaten offenbaren. Hat man jeweils zwei Paragraphen nebeneinander gesehen, die mehr Unwissenheit und mehr Schlechtigkeit verraten? Hessen und Westfalen sind ruhig; sie betreten die Basis, die eine Nation begründen soll. Sie haben einen Fehler begangen, indem Sie Ihre Bürger haben Dienste in Preußen nehmen lassen; aber er wird verbessert werden.
    Und Sie Herr vom Stein, entweder Sie werden erscheinen um vor den Tribunalen von Westfalen von Ihren scheußlichen Plänen Rechenschaft zu geben, oder Ihre sehr beträchtlichen Güter werden konfisziert, und alsdann wird ein entlarvter Bürger wenigstens bestraft.
Die spanische Angelegenheit machen einen sehr lebhaften Eindruck und beweisen handgreiflich, was wir längst hätten vermuten sollen. Es wird sehr nützlich sein, sie möglichst auf eine vorsichtige Art zu verbreiten, [denn sie zeigen wieweit List und Herrschsucht es treiben können und was andererseits eine Nation vermag, die Kraft und Mut besitzt.]
    Was verstehen Sie darunter? Fürchten Sie Deutschland zu erschrecken, indem Sie ihm den Abgrund zeigten, worin Sie dasselbe stürzen wollen! Sie wünschen ihm das Unglück, der Spanier; Sie bestreiten ihm das abscheuliche Schauspiel von Magistratspersonen, die auf öffentlichen Plätzen zerfleischt, von Städten, die eingeäschert werden, und von allen Gräueln eines fremden und bürgerlichen Krieges. Sie sind ein schlechter Bürger. Deutschland, das jetzt Sie erkennen wird, wird ihrer guten Gesinnungen für dasselbe zu Buch tragen.
Man sieht hier den Krieg mit Österreich als unausweichlich an! Dieser Kampf würde über das Schicksal von Europa entscheiden und als über unseres.
    Herr vom Stein, Sie sind ein ebenso schlechter Politiker als schlechter Bürger. Der Krieg mit Österreich wird nicht statthaben; das Kontingent, welches Sie uns anbieten wollen, um diesen Krieg zu beginnen, wird keine Gelegenheit haben, seine Tapferkeit an den Tag zu legen.
Welchen Erfolg erwarten Euer Durchlaucht? Es ließen sich Pläne, die man im Frühjahr 1807 hatte, jetzt realisieren. - Wo ist Herr von Mauring?
    Wie Herr vom Stein, sie wollen eine Allianz mit Frankreich schließen, ihn den Kontingent anbieten? So lautet der erste Paragraph Ihres Briefes. Durch den zweiten Paragraphen kündigen Sie an, dass Sie Deutschland in Aufruhr bringen, Hessen und Westfalen empören wollen und wir müssen in der Tat sagen, dass ihre Allianz eine sehr sonderbare Allianz ist. Aber in dem dritten Paragraphen verkündigen Sie ein anderes System: Sie wollen die Pläne erneuern, die man im Frühjahr 1807 gemacht hat. Aber Herr vom Stein, Österreich wird ebenso wenig als Frankreich Vertrauen in Ihre Versprechungen setzen und verlangt Ihr Kontingent nicht. Hat man je einen solchen Wahnsinn gesehen?
    Dies ist indessen die Moral gewisser Minister, dies ist es, was soviel Ungewissheit in die Angelegenheit ihrer Herren setzt. Mögen endlich die Fürsten sich von Männern umringen, die Ihrer würdig sind und deren erste politische Grundsätze Offenheit und Rechtschaffenheit sind. Mögen sie aus ihrer Diplomatie jene inneren Restriktionen, jene eventuellen Verhandlungen entfernen, die verbinden und nicht verbinden, und dann erst werden sie die Größer ihrer Väter wiederfinden!
Der Graf von Vincent wird mich bald besuchen und eine Zeitlang hier bleiben. Der Kurfürst wird bei den jetzigen unruhigen Verhältnissen Gefahr laufen, dass man ihn und sein Eigentum festhält. Das eine und das andere sollte er wenigsten sicherstellen, und fürchte ich sehr, er wird das Opfer seiner Unmenschlichkeit und seiner Habsucht. Noch ist Herr von Jacoby nicht angekommen; man erwartet ihn heute. Seine Reise war langwierig und beschwerlich. Man hat endlich den Beschluss gefasst, Ancillon zum Erzieher des Kronprinzen zu wählen, mit der Ausführung wird noch einige Zeit hingehen. Unterdessen ist doch ein Schritt geschehen, welches bei unserer Unentschlossenheit viel ist. Das die Frau von U. ganz ihrer ersten Idee entsagt hat, ist nicht gut, und würde der Königin der Umgang mit einer gebildeten und durch und durch Erfahrung und Leiden erprobten Dame von großem Nutzen gewesen sein. Die Finanzen des Hauses müssen schlecht stehen, denn man zahlt mir die dreizehntausend Gulden nicht, so man mir als Kaufschilling für einen Hof schuldig ist, den ich vor einigen Jahren an dasselbe verkaufte, und wünschte, ich sehr, dass das Geld mir wieder zukäme, da die jetzigen Zeiten meinen Reichtum auch nicht vermehren und ich mein Einkommen zu Rate halten muss.
Ich vernehme, dass ein Teil Ihrer Freunde aus Holstein abgeht. Der General Blücher ist sehr hinfällig, ihn zu unterstützen, hat man den Oberst Bülow nach Kolberg geschickt. Mit den bekannten Gesinnungen der ausgezeichneten Hochachtung
Euer Durchlaucht untertähnigster Diener

Stein

    Preussen, leset diesen Brief; dies sind eben diese Minister, die euch die Opinion und die Achtung von Europa entzogen haben! Deutsche, leset diesen Brief und betrachtet die Leiden, die man euren Vaterlande wünscht! Westfalen, leset diesen Brief und lernet die Notwendigkeit einsehen, es ist nicht zu erlauben, dass ein einziger eurer Mitbürger in fremden Diensten verbleibe, ohne unter euch auf seiner erblichen Rechte und auf die seiner Güter Verzicht zu leisten!
    Und ihr, Franzosen, ihr Germanen der Konföderation, leset diesen Brief und sehet, wie sehr die Mäßigung, die Großmut gegen Menschen, durch und durch verderbt, an der unrechten Stelle stehen! Unsere Sicherheit beruht bloß auf unserer Organisation, auf unserer Anzahl, auf unserer Energie. Wie viele von uns vernichtete Mächte sind von unserer eigenen Hand wieder emporgehoben worden! Wir hatten ein Recht auf ihrer ewige Erkenntlichkeit, und wir haben bloß Undankbarkeit verpflichtet und gerettet. Diese verschrobenen und verderbten Menschen, die die Ehre und das Interesse ihrer Herren und ihres Vaterlandes verraten, sind unglücklicherweise ohne Mut, ohne Talente, ohne Mittel und ohne irgendein Gefühl von dem, was groß und gerecht ist; ihre Pläne, und der geringste Wind, der sich in der Luft bewegt zerstreut alle die kleinen Blättchen ihrer Politik.
Gleichzeitig war das der Anlass, den in Paris weilenden Prinzen Wilhelm dazu zu zwingen, einen ungünstigen Vertrag über die Regelung von Kontributionszahlungen zu unterzeichnen. Heinrich Friedrich Karl von und zum Stein bot seinen Rücktritt an, doch dieser wurde vom König Friedrich-Wilhelm III. abgelehnt. Dieser war bemüht, vom Stein weiterhin im Amte zu halten. Doch die Umgebung des Königs, die größtenteils gegen den Minister eingestellt war, verleumdete ihn als verkappten Jakobiner, dessen Reformen die Abschaffung des Königtums zur Folge haben würde. Am 24.11.1808 notierte der preußische Gesandte Graf von der Goltz an den Staatsminister Voß:
Der Rücktritt des Freiherrn vom Stein scheint mir für den Augenblick die wesentlichste Bedingung für das Gedeihen des Staates zu sein.
Am gleichen Tage erhielt der preußische Staatsminister vom Stein seine Entlassung durch den König und als Nachfolger wurde Hardenberg wieder in das Amt eingesetzt. Er sollte dieses Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1822 ausüben.
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