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Leben mit dem Krieg. Süddeutschland im Krieg mit und gegen Napoleon

von Prof. Dr. Ute Planert

2. Feindbilder und der Umgang mit dem Fremden

Wie fremde Truppen wahrgenommen wurden, hing  weniger von ihrer Nationalität ab als von der ihrem konkreten Verhalten und der jeweiligen Situation, zum Teil auch noch von ihrer Konfession. Konflikte um die Verteilung von Quartierlasten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der bäuerlichen Bevölkerung seit dem Siebenjährigen Krieg. Dabei spielte es -  wie an hohenlohischem Material gezeigt werden kann -  eine untergeordnete Rolle, ob beim Winterquartier der Kaiserlichen die »eigenen« Truppen oder nach der Niederlage der Allierten im zweiten Koalitionskrieg französische Soldaten versorgt werden mußten. Ich möchte das noch an einem Beispiel deutlich machen: Als Ende des 18. Jahrhunderts in der Hohenlohe eine Armee aus - katholischen - französischen Republikflüchtlingen auf dem Gebiet der Freiherrn von Bartenstein und von Schillingsfürst aufgestellt wurde, um die Kaiserlichen - also die »eigenen« zu unterstützen, kam es zu Unruhen, die nur vordergründig nationalen Mustern folgten. Die Hohenloher Bauern fürchteten, durch die Aufrüstung Kriegshandlungen auf ihr Territorium zu ziehen;  außerdem wurden, so hat es den Anschein, alte konfessionelle Rechnungen zwischen der evangelischen Bevölkerung und der zum Katholizismus übergetretenen Herrschaft beglichen. Und nicht zuletzt spielten bei diesem Konflikt auch soziale Schichtung und finanzielle Interessen  eine Rolle. Diejenigen  Orte, in denen es am lautesten rumorte, hatten im Verhältnis die wenigsten adeligen) Offiziere, dafür aber die meisten Mannschaften im Quartier, für die weit weniger bezahlt wurde.  An anderen Orten und unter anderen Umständen dagegen war die gegenrevolutionäre Armee Condé wohlgelitten, so etwa unter der katholischen Bevölkerung im vorderösterreichischen Villingen. Hier kam den Konterrevolutionären zugute, daß sie zusammen mit dem Haus Habsburg gegen die Feinde der göttlich-katholischen Ordnung fochten. Vor allem aber brachten sie etlichen Einwohnern der einst vom Klerus geprägten Stadt  den nach der Säkularisation so sehr entbehrten Zusatzverdienst. Für die Wahrnehmung fremder Truppen spielte ihr Status als Verbündete oder Feinde also nicht immer die wichtigste Rolle. Wichtiger war mitunter die Konfession und auch, ob es Möglichkeiten der sprachlichen Verständigung gab. Pfarrer, die des Französischen mächtig waren, konnten  ihre Gemeinde vor Plünderungen verschonen und hatten auf die Anfrage des Würzburger Erzbischofs keineswegs nur Negatives über das Verhalten der französischen Armee zu berichten. Am Ende der napoleonischen Epoche dürften freilich die meisten Zeitgenossen in den Stoßseufzer des Schwenniger Schusters Johannes Jauch eingestimmt haben, der an seine Kinder gerichtet ins Tagebuch schrieb: »O ihr, wünscht euch nur Fried und kein Krieg, dann man hat seit 18 Jahren viel erfahren, da die Franzosen sind über uns atanzirt und rediriert. Sie haben geblindert und gestohlen und gefressen und gesoffen und die Leute hart geblakt.« Einig sind sich die rheinbündischen Autographen aber auch darin, daß die größte Bedrückung nicht von den französischen, sondern von den russischen Truppen ausging. »O ihr lieben Kinder«, heißt es in dem erwähnten Tagebuch 1814, »laßet nur keine Rußen mer und keine Koßaken in euer Land, denn das ist das böseste Folk, das zu finden ist.« Und der Wiesbadener Ackerbürger Friedrich Ludwig Burk notiert im gleichen Jahr: »Ach, wenn es doch nur die Nachwelt besser machen würde als wie wir Betrogne, die wir mit Verlangen auf unsere Verderber warteten, auch wenn Russen als Freunde und Hilfsvölker nach Deutschland kommen wollen, so solle doch alles das Gewehr ergreifen und die barbarischen Völker zurückhalten. Lieber todt als so gequält.« Ob es an den mangelnden Verständigungsmöglichkeiten, der von den Zeitgenossen oft beschriebenen kulturellen Distanz, der Struktur des russischen Militärs oder am konkreten Verhalten der Soldaten lag: Jedenfalls war die Distanz zu den durchziehenden russischen Allierten größer als zum - erst Jahrzehnte später  zum solchen apostrophierten- ‘Erbfeind' jenseits des Rheins.