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Aus St. Tönis wird St. Antoine - Ein niederrheinisches Dorf unter den Franzosen 1794 - 1814.

St. Tönis ist heute Bestandteil des Kreises Viersen und grenzt an die Tore der Samt- und Seidenstadt Krefeld. Auch in St. Tönis herrschten fast 20 Jahre lang die Franzosen.

Nach der österreichischen Niederlage von Jemappes (06.11.1792) erreichten die französischen Truppen schnell auch das Gebiet des Kurfürstentums Köln. So erreichten sie am 18.12.1792 Krefeld, jedoch blieb St. Tönis von ihnen verschont.  Jedoch bereits im Januar 1793 zogen sich die Franzosen vor den anrückenden österreichisch-preussischen Truppen zurück. Bei dieser Gelegenheit blieben jedoch die notwendigen Einquartierungen der Bevölkerung nicht erspart. So mussten in St. Tönis und dem Umland, die größeren Höfe bis zu 30 Soldaten gleichzeitig aufnehmen. Jedoch blieb die Übermacht über die Revolutionsarmee nicht lange erhalten. Bereits am 04.10.1794 stand das französische Revolutionsherr vor den Toren St. Tönis. Über den Eindruck, den die Revolutionstruppen hinterließen, schrieb der Krefelder Leonhard von Beckerath:

Es war zusammengelaufenes Gesindel (sans culottes) von dem kaum ein Zehntel ordentlich gekleidet war. Die meisten trugen große runde Hüte mit kleinen Knöpfen, eine kurze Unter- und Oberweste von grobem Tuch und leinene Hosen, aber alles zerlumpt und ein großer Teil barfuss, so zogen diese Völker, die eine zusammengelaufene Herde von Spitzbuben ähnlicher sah als eine zivilisierte Armee, unter wildem Gesang längst dem Grünenwald und Pullerhof unsere Stadt vorbei. 

Nach der Besetzung von St. Tönis und Krefeld bildete die Revolutionsarmee für etwa 14 Tage ein großes Feldlager, im November schloß sich ein zweites bei Fischeln an. So lagen etwa 15.000 Mann vom 04.11.1794 bis 20.12.1794 in der Benrather Honschaft. In der Zeit vom 12. bis 23.11.1794 quartierte sich der spätere Marschall Napoleons Soult beim Pfarrer Hall in St. Tönis ein und schlug dort sein Divisionshauptquartier auf. Insgesamt sammelten isch etwa 50.000 Mann in der näheren Umgebung von St. Tönis und beuteten die Bevölkerung und das Land aus.

Über die Lage der Bevölkerung kann man folgendes vernehmen:

In den Kirchen und Klöstern, sowie auch in Privathäusern wurde schon früher die beste Habe verpackt und alles zur Flucht und zum Verstecken bereitgehalten, der Abt von Gladbach flüchtete am 04.10. nachdem er in Oedt übernachtet, kam er nach St. Tönis und reiste über den Rhein nach Werden;  auch aus dem Adel und Bürgerstande flüchteten mehrere Personen über den Rhein. - Was St. Tönis während dieser Zeit an Lieferungen und Dienstleistungen aufbringen musste, war fast nicht mehr herbeizuschaffen, und wenn die Franzosen nicht bald Holland erobert hätten, so wäre hier und in der Umgebung eine Hungersnot ausgebrochen. Alle Geschäfte stockten, und dabei waren die Preise der Lebensmittel auf´s höchste gestiegen, ein gewöhnliches Brot von 12 Pfd. kölnisch wurde mit 60 Stüber bezahlt. Nach dem Abzug der französischen Truppen aus dem Lager fingen die Geschäfte zwar langsam sich zu heben, aber der eingetretene verwilderte Zustand dauerte noch lange fort. Räuberbanden, welche sich bildeten, machten die öffentlichen Wege sowohl als die abgelegenen Ortschaften und Gehöfte unsicher. Die Polizei war zu dieser Zeit noch so schlecht eingerichtet, dass sie die persönliche Freiheit und das Eigentum nicht beschützen konnte. Der Freiheitsschwindel hatte dem Volke die Köpfe verdreht, denn im allgemeinen hieß es: Liberté, Egalité, Fraternité - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und jedermann, wessen Standes er auch war, hieß Citoyen - Bürger. Dazu wurden auch noch im gewöhnlichen Verkehr die Assignaten,  Papiergeld, eingeführt, die später gar keinen Wert mehr hatten.

Die republikanischen Gebräuche und Feste mussten ebenfalls gutwillig aufgenommen werden. Ein großes Fest war Aufpflanzung des Freiheitsbaumes auf dem hiesigen Marktplatze.  Bürgermeister und Schöffen mussten die Hand zum Reigen geben und, die Carmagnole singend, mit dem versammelten Volke den Freiheitsbaum umtanzen. Zum Schluss des Festes folgte ein brüderliches Gastmahl. - Die kirchlichen Feiertage sollten ganz abgeschafft und dafür der republikanische Kalender eingeführt werden. Nach diesem Kalender war das Jahr, welches im September seinen Anfang nahm, in zwölf Monate, welche besondere Namen führten, eingeteilt, jeder Monat hatte 30 Tage, die 5 übrigen Tage waren Ergänzungstage und sollten als Festtage gehalten werden. Außerdem war auch jeder 10. Tag des Monats ein Feiertag, Decade genannt, wo nicht gearbeitet werden durfte.

In der Zeit der französischen Besetzung musste die Gemeinde St. Tönis auch Kontributionen in Form verschiedenster Dienstleistungen und Warenlieferungen oder Einquartierungen. So mussten zum Beispiel am 24. Dezember 1794 Wolldecken an das Lazarett geliefert werden; am 13.02.1795 musste Getreide geliefert werden. Aber auch Kühe mussten abgeliefert werden. Aber auch Arbeiter wurden für Festungs- und Schanzarbeiten verpflichtet. Auch Heu, Hafer und Stroh mussten an das Magazin in Kempen abgeführt worden. Die Eintreibung der Kontributionen erfolgte mit aller Härte. So erhielt der Gemeindevorsteher am 14.02.1796 die Aufforderung binnen 48 Stunden alle noch rückständigen Kontributionsabgaben abzuführen, da sie sonst mit militärischer Exekution gewaltsam eingeholt werden. 

Aber nicht nur in wirtschaftliche Lage war für die Bürger St. Tönis bedrückend. Auch politisch veränderte sich die Situation erheblich. In den Friedensschlüssen von Basel im Jahre 1795 und Campo Formio im Jahre 1797 wurde das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten. 1801 im Frieden von Luméville wurde dieses durch den deutschen Kaiser endgültig bestätigt.

So wurde aus St. Tönis die Gemeinde St. Antoine und bildete zusammen mit der kleinen Honschaft eine Maire (Bürgermeisterei) im Kanton Kempen. Kempen gehörte zum Arrondissement Krefeld im Roerdepartement.

1797/98 wurden im ländlichen Gebiet alle Feudalrechte, mit Ausnahme der Grund- und Erbrenten, aufgehoben. Aber auch über jahrhunderte gültige Rechts- und Steuerverhältnisse wurden durch die neuen Herren abgeschafft. So wurden alle Arten von Zehnten, die herrschaftliche Gerichtsbarkeit, Jagdgerechtigkeiten aber auch Frondienste abgeschafft. Für die Bauern war es eine entscheidende Verbesserung. So wurden sie von allen grundherrlichen Abgaben befreit und konnten jetzt mehr auf eigene Rechnung wirtschaften. Dabei kam ihnen auch die Säkularisation zu Hilfe. Es konnte Kirchengrund zu günstigen Preisen erworben werden, so das einige Bauern es auch zu gewissen Wohlstand brachten.

Trotz aller Reformen und politisch-gesellschaftlichen Verbesserungen war die französische Herrschaft nicht sehr beliebt am Niederrhein. So bemühte sich die Regierung in Paris schon seit 1795 die Stimmung im Rheinland für einen Zusammenschluss mit Frankreich zu beeinflussen. Jedoch war das Ergebnis für die Pariser Regierung niederschmetternd. So wurde die Gründung von republikanischen Zirkeln gefördert und die Bevölkerung zur Abgabe von sogenanntne Reunionsadressen bewegt. So konnte für das Kanton Kempen folgendes Ergebnis im Mai 1798 gemeldet werden:

Stimmabgabe Reunionsadresse Mai 1798 im Kanton Kempen

Stimmabgabe Reunionsadresse 1798 im Kanton Kempen
Maire Einwohner Unterschriften  
Kempen 2.870 416  
Hüls 1.670 250  
St. Hubert 1.928 163  
Oedt 1.154 40  
Schmalbroich 1.003 57  
St. Tönis 575 100  
  9.200 1.026  

Doch trotz aller Ablehnung wurde der gesamte Niederrhein und somit auch die Gemeinde St. Tönis französisches Staatsgebiet.

Eine weitere Neuerung in der Verwaltung kam nach dem Konkordat Napoleons mit dem Papst im Jahre 1801. Im Konkordat sicherte sich Napoléon die staatliche Kontrolle über Geburten und Tote, indem er staatliche Standesämter schuf. Dies führte insbesondere zu gravierenden Einschnitten in der Bevölkerung, die doch bisher Geburt und Tod beim örtlichen Pfarrer registrieren ließen. In Deutschland wird erst nach Gründung des Deutschen Reiches eine solche Verwaltungsform flächendeckend eingeführt. Seit 1801 gehörte St. Antoinne zum neugeschaffenen Bistum Aachen des Bischofs Berdolet.

Die fast 20jährige französische Herrschaft in St. Tönis ging am 20.01.1814 zu Ende. Doch im November 1813 wurden alle Mairen des Kantons Kempen zur Proviantierung der Festung Wesel aufgefordert: Auf das gesamte Kanton entfielen 8.955 Fr., wovon St. Antoine (St. Tönis) einen Anteil von 1.029 Fr. tragen musste.