Der Tiroler Volksaufstand im Kontext der Konflikte des beginnenden 19. Jahrhunderts
von Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle
»Der Bayer hat das Land verheeret,
wie eine Sau die Flur zerstöret.
Franz! leg dem Rüssel Ringe an,
damit er nicht mehr wühlen kann.«[1]
So lautet eine Strophe aus einem typischen derben Tiroler Spottlied. Lieder wie dieses wurden in den Wirtshäusern zwischen Kufstein und Salurn vielfach gesungen – nach der Etablierung der bayerischen Herrschaft per Besitzergreifungspatent von König Max I. Josef vom 22. Januar 1806. Mit »Franz« ist naturgemäß der in Wien regierende Kaiser Franz gemeint, der Landesherr auch Tirols bis zur österreichischen Niederlage im Krieg gegen das napoleonische Frankreich von 1805.
Die Geschehnisse von vor 200 Jahren, der Konflikt zwischen dem erst wenige Jahre alten bayerischen Königreich und dem Tiroler Volk unter seinem Anführer und Heros Andreas Hofer – sie sind vielfach thematisiert, beschrieben, bedichtet und verfilmt, verkitscht wie analysiert worden. Sie sind auf der einen Seite unbestreitbar in einem welthistorischen Kontext zu sehen.
Der Bayerische Staat und die Tiroler Bauern haben keinen isolierten Konflikt fernab von den Zeitläufen des beginnenden 19. Jahrhunderts ausgetragen. Der Konflikt war Teil der großen, ganz Europa in Beschlag nehmenden Auseinandersetzung zwischen dem napoleonischen Empire auf der einen Seite und den Ländern, Monarchien und Mächten des restlichen Kontinents auf der anderen. Und auch mit dieser Feststellung ist die Dimension des Gesamtprozesses gewiss nicht erschöpfend beschrieben.
Das napoleonische Kaisertum folgt auf die Französische Revolution, die zunächst für den Kontinent, gerade für viele Dichter und Intellektuelle im deutschen Sprachraum, eine große und positive Verheißung zu sein schien – nämlich die Verheißung der Überwindung absolutistisch-monarchischer Willkürherrschaft, der Verbürgung von Menschenrechten und politischer Teilhabe der Individuen. Unter Napoléon schlägt diese Verheißung weitgehend in Expansion, Unterdrückung und Hybris um.
Diese Entwicklung ist kein Einzelfall, sondern eine allgemeine historische Erfahrung. Ich erinnere nur an das Buch des ehemaligen deutschen Kommunisten Wolfgang Leonhard »Die Revolution entlässt ihre Kinder«. Immer wieder sind in der Geschichte Ideale und Utopien Opfer politischen Machtanspruches und politischer Willkür geworden oder haben sich als unrealisierbar erwiesen. Diese Erfahrung bestätigt sich im Zusammenhang von Französischer Revolution auf der einen Seite und napoleonischem Herrschaftsanspruch auf der anderen in beispielhafter Form.
Freilich wird man zugleich anerkennen müssen, dass die Zeit Napoléons auch manch Positives gebracht hat, denken wir nur an den »Code Napoléon«, das große Zivilrechtsbuch. Es hat gerade auch in Deutschland fortschrittlich gewirkt. Hell und Dunkel liegen hier, wie oft in der Geschichte, nahe beieinander. Gerade die Intellektuellen und Dichter der Zeit haben auch schon im Deutschland jener Jahre diese Ambivalenzen bemerkt und ihre Schlüsse daraus gezogen. Ich denke dabei an Goethe, Heinrich von Kleist und an Friedrich Schiller. Dieser hat sich sehr bald von den Entwicklungen in Frankreich abgewandt, denen wir im heutigen Sprachgebrauch totalitäre Züge zuschreiben – etwa den Wohlfahrtsausschüssen und einer denkbar blutigen Justiz.