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Am Neujahrstage

von Luise Hensel

 

Laß doch, Herr! in meinem Leben
Nicht dies Jahr vergeblich sein;
Gib Verlangen und Bestreben,
Meine Seele dir zu weihn!
Laß mich nicht mein eigen sein!

     Viele Jahre sind vorüber,
Die im Leichtsinn ich durchlebt;
Ach! jetzt wär' es mir viel lieber,
Hätt' ich ernst nach dir gestrebt,
Nicht am Eiteln so geklebt.

     Meine Seele liegt in Ketten
Unter schwerer Sünden Last,
Ringt und kann sich doch nicht retten,
Aus der Sünde, die sie haßt
Und doch immer wieder faßt.

     Löse du, o Herr, die Ketten,
Nimm vom Herzen mir die Last.
Deine Hand nur kann mich retten,
Wenn sie mächtig mich umfaßt.
Laß mir weder Ruh' noch Rast!

     Herr! in den vergangnen Tagen
Hab' ich wenig dich geliebt,
Wollte nie dein Kreuz dir tragen,
Habe dich so oft betrübt,
Mich im Guten schlecht geübt.

     Ach! ich selbst kann's nicht vollbringen,
Und ich muß doch zu dir hin;
Du, mein Gott, du selbst mußt zwingen
Den verkehrten eiteln Sinn,
Bis ich dir geheiligt bin.

     Amen, Amen,
In Jesu Namen!

Berlin, 1818.