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Ludwig August Unzer an Jakob Eléazar de Mauvillon

vom 02.06.1772.

Wenigerode,den 2ten Jun.

Mein liebster Freund!

Man hört ja gar nichts von Ihnen? Leben Sie denn noch? oder sind sie schon dort, wo Pius Aeneaus die Vorwürfe der Ungreue von der armen Dido einschlucken muß. Ich wäre beinahe geneigt, Ihnen eben diese Vorwürfe zu machen. Was in aller Welt Ihren Zögling Ihren ehemaligen Freund so ganz zu vergessen? Himmel! was die Ingenieurkunst für eine böse Sache ist! Da ich nun nicht mit Ihnen von den Equilibre des Bogens Brücke, oder von Pontons, oder von dem geraden Visir eines flüchtigen Acenue plaudern kann; siehe so schreiben Sie gar nicht an mich. Indeß werden zehn Nesseln auf dem Grabe wachsen, worin die Herrn Zeitungsschreiber unsern Schriftsteller Ruhm en compagnie begraben haben. Was? Ihren rüstigen Mitfechter auf dem kritischen Kampfplatze so bald zu vergessen? Liebster Manuvillon, wo bleiben die Pflichten des Trutz und Schutzbundes, den wir beide gegen das ganze ehrsame Deutsche Publikum unter einander errichtet haben? Schon vor ein Paar Monaten hat mein Vater an Sie geschrieben, und einen Brief von mir in den seinigen eingelegt. Und bis auf diesen Tag noch keine Antwort darauf. Das ist zu arg. Sollten Sie sich nicht wenigstens für das Geschenk des dankbaren Sohnes, welches Stück (nach dem sanften Modeton geschrieben) mein Vater aus einem lächerlichen Mißverständnisse Ihnen Überblick hat, bedankt haben? Sie verlernen in dem artigen Cassel alle Lebensart. O bekehren Sie sich, und schreiben bald an Ihren Unzer. Ich habe die Unterhaltung eines gesetzten Denkers jetzt mehr als jemals nöthig, da ich mit lauter sanften Seelen umzingelt bin.

Ich halte jetzt Krankheitshalber in Wernigerode bei meinen Eltern auf, (die sich Ihnen vielmals empfehlen lassen). Es äußern sich bedenkliche Symptomen der Schwindsucht bei mir, und ich bin mit einen so heftigen Husten beschwert, daß ich nur von dem anhaltenden Gebrauche der Arzneimittel meine Besserung erwarten darf. Von der Brunnenkur, deren ich mich nächstens bedienen werde, mache ich mir gute Hoffnung. Es ist mir gut, daß mich dieser Zufall nicht gänzlich hindert, meine Lieblingsstunden fortzusetzen. An Muße dazu fehlt es mir nicht. Mein einziges Bedürfnis sind Materialien. Wenn ich nicht bald besser werde, so hebe ich mein engagement bei dem Regierungs-Präsidenten von Cornberg auf, und gehe nie wieder nach Halberstadt. Gliem, Jacobi und Michaelis fliehen mich wegen der Dichterbriefe, so wie ich Sie erachte. Benzler ist nach Dessau zu Basedov gegangen, um mit demselben gemeinschaftlich am Elementarwerke zu arbeiten. Paulus, ein artige Dichter in kleinern Gattungen - ist gestorben, und mein Schmidt ist ganz Hypochonder. Er hat seine Gedichte unter den Titel: Phantasien nach Petrarchs Manier, und nich einen Band vermischter Gedichte herausgegeben. Sie bringen ihm mehrentheils
Ehre, und erhalten viel Beiflal. Er übersetzt jetzt mit Benzlern in compagnie, Memoires de la vie de Peirarque in zwei 4to  Bänden. Ich schätze ihn als einen unserer empfindungsreichsten Dichter. - Sie müssen das 2te Stück unserer Dichterbriefe nunmehr schon gelesen haben. Nimmt es sich in Betracht des Styls nicht weit besser, als das erste aus? Und haben die darin gefällten Urtheile nicht eben den furchtlosen Ton, wie im ersten, ob sie gleich nicht mit so beleidigenden Ausdrücken gesagt sind? Ihre Theorie in nuce von Stutzen der Pariser ist etwas wirklich neues, welches verdiente, in einer besondern Schrift ausgeführt zu werden. Was agen Sie zu meinem Briefe ber Wielands Diogenes? Ich wüßte nichts, das er zu seiner Rechtfertigung anführen könnte. Den letzten Brief fand ich für nothwendig hinzuzuthun, um der schleunigen Endschaft unserer Schrift nur einigermaßen einen Anstrich zu geben. Die Bestimmung der zweiten Klasse der Dichter nimmt sich am Ende deswegen gut aus, weil dadurch dem Leser gleichsam ein stiller Wunsch abgelockt wird, daß das Werk fortgesetzt werden mögte, damit er die fernere Classification erführe. Wie ich höre, so wollen Sie sich auf ein drittes Stück einlassen. Ich war es anfänglich auch Willens, habe aber meinen Entschluß geändert. Indessen freue ich mich ausnehmend auf Ihre Fortsetzung, und bitte nur im Vorberichte zu erklären, daß ich gar keinen Antheil daran habe. zu den Ende ist es mir lieb, daß ich unsere Briefe mit Buchstaben unterzeichnet. Durch Hülfe derselben ist eine Erklärung leichter.

Mein Freund Reichard hat Deviden auf Deutsche Gelehrte herausgegeben, die großes Aufsehn machen. Der Einfall ist allerliebst, um freie Urtheile und Wahrheiten mehr auszubreiten. Schreiben Sie mir doch Ihre Meinung davon.

Meine Unpäßlichkeit verhindert mich, künftige Michaelismesse den ersten Band von dem Magazin der Musen herauszugeben. Ostern aber wird er vermutlich erscheinen. Ich mache noch immer sichere Rechnung auf Ihre Beihiüfe, und bitte Sie inständigst, mir eine Abhandlung dazu mitzutheilen, sie schlage nun entweder ins Fach der schönen Wissenschaften, oder der Weltweisheit ein. Für jeden Druckbogen bin ich erbötig, Ihnen 4 Rthlr. richtig und gewissenhaft zu bezahlen. Aber alsdann muß ich mich auch darauf verlassen können, daß Sie mir zu jedem Bande einen Beitrag liefern. Sehr gute Gelehrte habe ich zu Mitarbeitern. Wenn ich nur gesund und an einem großen Orte wohnhaft wäre. Können Sie mir in Cassel nicht irgend eine Art von Versorgung ausmachen?

Da ich Willens bin, in einigen Jahren eine Theorie vom Romane, und einen Roman selbst zu schrieben, der nicht die gewöhnlichen gerechnet werden soll; so übe ich mich zum Voraus in kleinen Aufsätzen, die ich vielleicht einzeln werde drucken lassen. Auch habe ich der Poesie noch nicht en Abschied gegeben. Vorzüglich aber studiere ich die Italiener fleißig, um eine Abhandlung für die Leipziger Bibliothek fertig zu schaffen, welche uns mit einigen Italienischen Dichtern bekannt zu machen, die Absicht hat. An den Lemgoer Journale hätte ich große Lust Mitarbeiter zu werden. Sagen Sie mir doch, wie ich es anfage. Weil ich nun überdies verschiedene Rezensionen in die Braunschweigische Zeitung, und in die Leipziger gelehrte Zeitung einschicken muß; so können Sie leicht denken, daß meine Muße nicht zur Langeweile werden kann. Aber wie steht es denn mit Ihren Schriften? wird nicht bald eine derselben erscheinen? Ist ihre Vertheidigung der abhandlung des Königs schon im Druck? Arbeiten Sie mit an dem Lemgoer Journale, und welches sind ihre Rezensionen darin? Leben Sie noch den Wissenschaften? Oder reißt Sie Ihr Amt ganz an sich? Wie leben Sie? Vergnügt? Alles Fragen, die ich für mein Leben gern beantwortet wissen möchte. O schreiben Sie doch bald an mich, und stillen Sie meine ungeduldige Neugierde.

Was sagen Sie zu Lessings Emilia Gallotti, zu Wielands Abhandlung über eine aufschrift, zu seinem goldenen Spiegel, zu Klopstocks David, zu Ramlers neuen lyrischen Gedichte, und zu dem Gedichte vom Könige von Preußen, welches Gliem unter den Titel Lobschrift auf Noel in Deutsche Verse übersetzt hat. Haben Sie im Hannöverschen Magazine die Abhandlung über die Physionomik gelesen?

Quelle:
Mauvillon, F. (Hg.): Mauvillons Briefwechsel oder oder Briefe an von verschiedenen Gelehrten an den in Herzoglich-Braunschweigischen Diensten verstorbenen Obristlieutenant Mauvillon gesammelt und herausgegeben von seinen Sohn., Deutschland 1801