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Ludwig August Unzer an Jakob Eléazar de Mauvillon

vom 19.07.1772.

Wemigerode den 19ten July.

Endlich doch ein Brief von Ihnen mein allerliebster Freund! So lange hatte ich darauf geharret! So lange schon Ihrentwegen Grillen gefangen! Nein Sie haben mich nicht vergessen; Sie lieben mich noch — ich bin beruhigt.

Es ist mir schmeichelhaft, daß meine kleinen Versuche wider Vermuthen aller Orten Beifall gefunden haben. Aber das Körnchen, so Sie mir geben, ist mir das schmeichelhafteste unter allen. Ich fange an, wirklich einen Werth auf diese Kleinigkeiten zu legen, da Sie Ihnen und den H. R. Raspe so sehr gefallen, den ich schon längst aus seiner Schrift wider Klotzen schätzen gelernt habe. Empfehlen Sie mich Ihm ganz gehorsamst. Ich habe in meiner jetzigen Brunnenkur eine Chinesische Stanie unter dem Titel: Von - lian thin-na gesungen, die jetzt in Leipzig gedruckt wird. Es soll mich wundern, was Sie davon urtheilen werden. Sie scheinen meines Schmidts petrarchische Gedichte mit dem Gleimischen und Jacobischen in einen Haufen zu werfen. Daran thun Sie unrecht. Ich erkenne Schmidten im Denkungsgeiste weit über mich, und liebe seine Gedichte, als sehr glückliche Nachahmungen der Italienischen Manier. Von Gleim, Jacobi und Michaelis denke ich eben so wie Sie. Michaelis hat Kopf, aber kein Gefühl, und was ist der Dichter ohne dies? Eben das, was der Philosoph mit Gefühl ist. Ich habe auch diesen Herrn bei Gelegenheit tüchtig die Wahrheit gesagt, und finde eine Ehre darin der erste zu sein, der es thut, den Verfasser der Rezension über Michaelis in der Lemgoer Bibliothek ausgenommen, welche ich als einen Taumelkelch bis auf die Hefen verschluugen habe. Meine Meinung über die Lemgoer Bibliothek werde ich nächstens in die Braunschweigische Zeitung einrücken lassen. Ich habe sie mit Vergnügen gelesen. Vor .allen gefällt mir die Rezension über Hausens Compendium. An den Leipziger gelehrten Zeitungen nehme ich auch vielen Antheil. Benzler ist jetzt in Leipzig bei Garve. Er will mich durchaus dort hin haben. Garven schildert er mir mit den schönsten Farben. Ich hoffe mit ihm in Briefwechsel zu gerathen. Er soll sehr vorteilhaft von unsern Dichterbriefen urtheilen; Weiße und, Kretschmann desgleichen. Besonders hat Weißen Ihr Schreiben über die erolischen Dichter gefallen. Ich habe Weißen meine Abhandlung über die Chinesischen Gärten für seine Bibliothek zusenden müssen. Vielleicht nehme ich auch künftig an den eigentlichen Kritiken dieses Journals Antheil. Sie sind doch ein origineller Kopf. Andere freuen sich, wenn man Ihnen öffentlich seine Hochachtung zu erkennen giebt, und Sie schmollen darüber, daß ich Ihnen, meinem ersten und würdigsten Freunde, ein kleines Denkmal habe errichten wollen, welches der Welt zeigen soll, daß ich stolz auf Ihre Freundschaft bin. Doch — Ich schätze Sie um so mehr wegen dieser Sonderheiten. Sie zeigen, daß Sie kein Schwindlichter, sondern ein Mann nach Grundsätzen sind. Wegen des Inhalts meines Gedichts brauchen Sie aber keine Sorge zu haben. Nenne ich Sie nicht einen Sohn der ächten Stoadarin? Wer wird so thöricht sein zu glauben, daß Sie einen Hang zum Mißvergnügen hätten, weil Sie einmal in einem Gedichte ein bischen übel aufgelegt geschildert werden? Und warum sollten Sie nicht einmal in Ilfeld mißvergnügt gewesen sein, wenn Sie es gleich nicht in Cassel sind? Ich habe einen Brief von Ihnen, worin Sie schreiben: Ich bin mürrisch, verdrüßlich, und hasse Vergnügungen. Dieser Brief rechtfertigt meinen Schritt, daß ich Ihnen ein Gedicht gewidmet habe, welches freilieh nicht für Sie-gesungen ist. Ich setzte Ihren (Namen davor, weil es das beste in der ganzen Sammlung ist, und die Hanptidee einen Zweig unsers, irdischen Glücks berührt, nämlich die Künste der Einbildungskraft. Reichard hat Ihnen eine vortrefflich passende Devise gegeben, die Sie verdienen. Was kümmert Sie das weiter, welche etwanige Folgen daraus entstehen können. Sind doch auch mehr würdige Männer darin gelobt!

Meine Schwäche machte es nöthig, mein engagement beim Präsident in Haiberstadt aufzugeben. Jetzt fange ich aber an mich zu bessern. Können Sie mir eine Stelle in Cassel anschaffen, so komme ich Michaelis zu Ihnen. Den Winter mögte ich nicht gern außerhalb Cassel zubringen; sonst wäre der Vorschlag in Allendorf schön. Ihre Gesellschaft zu genießen, ist der Hauptreitz, der mich wünschen macht dort zu leben. Melden Sie mir so bald Sie etwas für mich ausgerichtet haben, und schreiben mir gleich die Umstande dabei. Meine Eltern die Ihnen eine wahre Hochachtung und Freundschaft versichern lassen, würden sich freuen, wenn Sie mich nach kaum wieder erlangten Gesundheitskräften wenigstens an einen Ort placirt sähen, wo ich auf alle Fälle die Unterstützung eines geprüften und edlen Freundes erwarten kann. Sollte es in Cassel nichts Sein; so bringe ich vielleicht künftigen Winter in Braunschweig bei meinem Rautenberg zu, der sehr freundschaftlich für mich gesinnt ist. Doch mein Mauvillon würde mir über alles gehn. Ich werde Rautenbergen in meinem nächsten Briefe wegen der Michaelischen Schrift befragen, und Ihnen bald Nachricht davon geben. Die letzten Werte der Rautenbergischen Critik sind nicht von ihm, wie er mir schreibt; sondern wie ich glaube von Zachariä, der Direktor der Zeitung ist, ohne sein Wissen hinzugesetzt. Es ist freilich komisch. — Wissen Sie denn den. Spaß, daß Schirach in seinem Magazin der Deutschen Kritik den Verfassern der Dichter Briefe eine gewisse Schrift auf den Kopf zusagt, die in Göttingen unter dem Titel: Revision der Philosophie herausgekommen ist? Rautenberg will ihm aber bei Gelegenheit einer Recension dieser Schrift öffentlich widersprechen. Haben Sie die Schrift gelesen. Sie ist unmöglich von Ihnen. Wenn ich-bei Ihnen wäre; so wollten wir in Gestalt eines baylischen Dictionaire unsere kritischen Briefe en compagnie fortsetzen. Haben Sie die vortrefflich launigte Critik unserer Briefe in den Frankfurter gelehrten Anzeigen gelesen? Sie ist höchst vortheilhaft für uns, und verräth einen denkenden Kopf. Forschen Sie doch den Verfasser aus. Helhwing hat mir einen Bogen geschickt, worauf drei Recensionen unserer Briefe 1ter Theil gedruckt waren. Ist das auf Ihr Geheiß geschehen. Der Einfall gefällt mir, nur müßte Titel und Vorrede dazu gemacht werden. Es wäre alsdann eine komische Manier, seine Verachtung gegen dumme Urtheile zu erkennen zu geben. Zu meinem Magazin der Musen mache ich gewaltige Anstalten. Sie müssen mir durchaus künftigen Winter einen kleinen Beitrag liefern. Was ist einem Kopfe wie dem Ihrigen, eine critische oder moralische Abhandlung? Die Abhandlung über die Physionomik ist von Lavater. Sie ist auch besonders herausgekommen.

Meine Familie besteht in Sachen des Geschmacks aus Layen. Unsere Briefe sind noch zur Zeit nicht nach Wernigerode gedrungen. Auch muthmaßet man die Verfasser nicht. Wahr ists, ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, eigne Sachen in Ihre Briefe mit einzuflicken. Der Satan oder vielmehr die Hitze der Materie muß mich verführt haben. Ich bitte Sie deshalb aufrichtig um Vergebung. Es ist doch nichts mal a propos darin. Und die pubüc incognitos. Je nun: es ist eine Kleinigkeit abgenommen, ausgedruckt. Kein Brief wider Wielands Apologie der Freude, hat aller meiner Freund« Beifall erhalten. Es thut mir leid, daß er den Ihrigen nicht hat; denn Ihr Beifall geht in meinen Augen allen übrigen vor. Ich glaube aber meinen Tadel noch immer sehr gut vertheidigen zu können. Sagt Wieland die Stelle wäre ironisch zu verstehen; so sage ich der Ton der Ironie herrscht gar nicht darin; sondern es ist dies im Gegentheil Wielands allgemeine.Denkungsart. Den Satz: »Sucht euer Volk zu belustigen, so wird es Ungerechtigkeit williger ertragen, leugne ich ja nicht; im Gegentheile sage ich, es wäre eine bekannte Wahrheit. Ich tadle nur Wieland hauptsächlich deswegen, daß er der schwermüthigen ernsthaften Nation Eigenschaften beilegt, die gerade im Gegentheile auf die leichtsinnige scherzende passen, und bei der ersten gar nicht gefunden werden, Ich bin von meinem Rechte vollkommen überzeugt. — Ob Lessing und Weiße viel Genie haben, ist noch eine Frage. Ich kann mich hierüber nicht erklären. Dennoch setze ich sie nebst Bodmer und Kleist immer in die zweite Classe, wenn es verlangt wird. Ueberhaupt soll ja das Classenwesen nur ein kleiner Wink für die Kenner sein. Der 2te Theil unserer Briefe sol1 in Braunschweig und Leipzig von den gewöhnlichen Denkern günstiger beurtheilt werden, als der erste. Rautenberg ist, mit Wieland in einen hitzigen Streit verwickelt worden.

Antworten Sie mir bald mein schätzbarer Freund. Ich denke tätlich an Sie. Könnte ich Sie doch einmal sprechen. Wie viel! wie viel hätte ich Ihnen zu sagen. Hören Sie nicht auf mich zu lieben, so wie Sie verehrt und zärtlich liebt

Ihr

ergebenster Freund C, Unzer.

N. S. Ich habe mein Museum mit den Denksprüchen meiner besten Freunde ausgeziert. Sie fehlen mir noch. Sein Sie daher so gütig, mir in Ihrem nächsten Briefe ein Octavblatt quer beschrieben (wie in einem Stammbuche) mit dem ihrigen zuzuschicken. Es müssen aber einige Gedanken darauf geschrieben sein. Schicken Sie mir etwas in Französischer Sprache. Aber vergessen Sie es ja nicht. Es ist mir an Ihrem Namen das meiste gelegen.

Quelle:
Mauvillon, F. (Hg.): Mauvillons Briefwechsel oder oder Briefe an von verschiedenen Gelehrten an den in Herzoglich-Braunschweigischen Diensten verstorbenen Obristlieutenant Mauvillon gesammelt und herausgegeben von seinen Sohn., Deutschland 1801