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Abschiedsbrief von Marie Antoinette de Bourbon

vom 16.10.1793.

An Dich, meine Schwester, schreibe ich zum letzten Mal. Ich bin nicht verurteilt worden, eines schmachvollen Todes zu sterben - denn der gebührt nur den Verbrechern - sondern Deinen Bruder wieder zu sehen.

Ich hoffe, dieselbe Festigkeit wie er zu zeigen.

Es tut mir schmerzlich leid, meine armen Kinder verlassen zu müssen; Du weißt, das ich nur für sie und für Dich lebte.

Du hast in Deiner Freundschaft alles geopfert, um bei uns zu leben; in welcher Lage lasse ich Dich! Aus der Verteidigungsrede beim Prozess habe ich erst erfahren, dass meine Tochter von Dir getrennt ist.

Ach, das arme Kind! Ich wage nicht, ihm zu schreiben, denn es würde meinen Brief nicht erhalten; ich weiß nicht einmal, ob derselbe Dir zugehen wird.

Nimm meinen Segen für sie!

Ich hoffe, dass sie sich eines Tages, wenn sie erwachsen sein werden, wieder mit Dir vereinigen und Deine zärtliche Sorgfalt in Frieden genießen können; mögen sie stets der Lehre gedenken, die ich ihnen immer einzuflössen suchte, dass ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen ihr einziges Glück ausmachen; möge meine Tochter eingedenk sein, dass sie, durch ihr reiferes Alter befähigt, ihren Bruder mit allen Ratschlägen beistehen soll, welche ihre Erfahrung und ihre Freundschaft ihr einflössen; mögen beide bedenken, in welche Lage sie auch kommen, dass sie nur durch Eintracht wahrhaft glücklich sein können. Möchten sie sich doch an uns ein Beispiel nehmen!

Wie viel Trost hat uns wahre Freundschaft im Unglück gewährt; und des Glücks genießt man doppelt, wenn man es mit einem Freund teilen kann; wo kann man zärtlichere und treuere Freunde finden als im Schoß der eigenen Familie? Mein Sohn soll niemals die letzten Worte seines unglücklichen Vaters, die ich ihm ausdrücklich wiederhole, vergessen: Er trachte niemals danach, unseren Tod zu rächen.

Ich habe nun noch von einer Sache zu sprechen, die meinem Herzen peinlich ist; ich weiß wie viel Mühe Dir dieses Kind machen muss! Verzeihe ihm teure Schwester, bedenke sein zartes Alter. Wie leicht ist es einem Kind einzureden, was man will und was es selber nicht versteht! Hoffentlich wird dereinst ein Tag kommen, wo er Deine Güte und Zärtlichkeit für ihn und seine Schwester besser zu würdigen wissen wird.

Es bleibt mir noch übrig, Dir meine letzten Gedanken anzuvertrauen.

Ich wollte Dir beim Beginn des Prozesses schreiben; aber abgesehen davon, dass man mich nicht schreiben ließ, war der Verlauf so schnell, dass ich auch keine Zeit dazu gehabt hätte.

Ich sterbe in der römisch-katholischen apostolischen Religion, in welcher ich mit meinen Brüdern erzogen wurde und zu welcher ich mich stets bekannte; ich habe keinen anderen geistlichen Trost zu erwarten, denn ich weiß nicht, ob überhaupt noch Priester dieser Religion vorhanden sind und ob sie sich nicht großem Gefahren aussetzen würden, wenn sie den Ort, wo ich mich befinde, zu betreten wagten; ich bitte aufrichtig Gott um Verzeihung für alle Fehler, die ich bei meinen Lebzeiten begangen habe.

Ich hoffe, dass er in seiner Güte meine Seele in seinen barmherzigen Schutz aufnehmen wird; ich verzeihe allen meinen Feinden das Übel, das sie mir zugefügt haben. Ich bitte alle diejenigen, die ich kenne, und Dich, meine Schwester, im besonderen um Verzeihung für alle Mühe, die ich Euch ohne meinen Willen verursacht habe. Ich sage meinen Tanten und allen meinen Geschwistern Lebewohl.

Ich hatte Freunde, und der Gedanke von ihnen und ihrer Liebe für immer getrennt zu werden, verursacht mir großes Leid in meinem Tod; mögen sie hierdurch wenigstens erfahren, dass ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie dachte!

Lebe wohl, meine gute und zärtliche Schwester; o möchte dieser Brief zu Dir gelangen! Denke immer an mich! Ich umarme Dich von ganzen Herzen ebenso wie jene armen geliebten Kinder.

Mein Gott, wie herzzerreissend ist es, sie auf immer verlassen zu müssen! Lebe wohk! Lebe wohl!

Ich darf mich jetzt nur mit meinen geistlichen Pflichten beschäftigen; da ich nicht  über meine Handlungen frei verfügen kann, so wird man mir vielleicht einen Priester zuführen; aber ich erkläre hiermit, dass ich demselben nicht ein Wort sagen und ihn wie ein durchaus fremdes Wesen behandeln werde.

Quelle:
Sanson, Charles Henri: Tagebuch der Henker von Paris 1685-1847