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Heinrich von Kleist an seine Schwester Ulrike

vom 25.02.1795.

Eschborn, den 25. Febr. 1795

Liebe Ullrique,

Ein Geschenk mit so außerordentlichen Aufopferungen von Seiten der Geberin verknüpft, als Deine für mich gestrickte Weste, macht natürlich auf das Herz des Empfängers einen außerordentlichen Eindruck. Du schlägst jede Schlittenfahrt, jede Maskerade, jeden Ball, jede Komödie aus, um, wie Du sagst, Zeit zu gewinnen, für Deinen Bruder zu arbeiten; Du zwingst Dir eine Gleichgültigkeit gegen die für Dich sonst so reizbaren Freuden der Stadt ab, um Dir das einfachere Vergnügen zu gewähren, Deinen Bruder Dich zu verbinden. Erlaube mir daß ich hierin sehr viel finde; mehr, - als gewöhnlich dergleichen Geschenke an wahren inneren Wert in sich enthalten. Gewöhnlich denkt sich der Geber so wenig bei der Gabe, als der Empfänger bei dem Danke; gewöhnlich vernichtet die Art zu geben, was die Gabe selbst vielleicht gut gemacht haben würde. Aber Dein Geschenk heischt einen ganz eignen Dank. Irre ich nicht, so hältst Du den Dank für überflüssig, für gleichgültig, oder eigentlich für geschmacklos. Auch hast Du in gewisser Rücksicht recht, wenn Du von jener Empfindung sprichst, die in dem Munde einer gewissen Art von Menschen, weiter nichts als der Klang einer hohlen Schelle ist. Was mich dahin leitet Dir zu danken, ist aber eine sehr natürliche Empfindung, ist bloß Folge Deines glücklich gewählten Geschenks. Es flößt mir die wärmste Erkenntlichkeit gegen eine Schwester ein, die mitten in dem rauschenden Gewühl der Stadt, für deren Freuden sie sonst ein so fühlbares Herz hatte, an die Bedürfnisse eines weit entfernten Bruders denkt, nach einem jahrelangen Schweigen an ihn schreibt, und mit der Arbeit ihrer geschickten Hand, den Beweis ihrer Zuneigung ihm gibt. Du siehst wenigstens, liebe Ullrique, daß ich den Wert Deines Geschenkes zu schätzen weiß, und ich wünsche mir Glück, wenn ich Dich davon überzeugt habe. -

Gustchens Brief, und der Brief von der Tante Massow und der Nogier haben mir ein gleich lebhaftes Vergnügen gemacht. Sie beweisen mir alle eine gleiche Teilnahme an meine Lage, und ich muß meine Erkenntlichkeit teilen. Der Brief von der gnädigen Tante enthält die Verwunderung daß ich das Geld durch den Kaufmann Meyer noch nicht erhalten habe; auch mir ist der Vorfall unbegreiflich, und ich würde den Rat der Tante, an ihn zu schreiben, gern befolgen, wenn ich nur den Ort seines Aufenthaltes wüßte. Das Paket, worin die Strümpfe von der Nogier, und noch andere Wäsche war, nebst die Briefe vom 21. Dezbr. 1794, habe ich durch die Post erhalten; um so mehr ist es mir unerklärbar, warum der Kaufmann Meyer nicht zugleich das Geld abgeschickt hat. Ich verliere dabei zwar nichts, denn der Cap. v. Franckenberg ist so gnädig mir meine Zulage, selbst in seiner Abwesenheit auszahlen zu lassen; allein ich fürchte für eine Verwirrung mit den Geldern. Doch wird sich das alles wohl mit der nächsten Messe heben. -

Die Nähe unserer Abreise nach Westfalen hindert mich daran, die Briefe von der Tante und der Nogier zu beantworten; einige nicht unwichtige Geschäfte erhalten mich diese kurze Zeit über, so ziemlich in Bewegung. Dagegen wird die erste Zeit der Ruhe, die wir in Westfalen genießen, mir Gelegenheit geben, meine Pflicht zu beobachten. Ich hoffe auch von da aus zugleich die Nachricht von meinem Avancement abschicken zu können; der Marsch hat eine Änderung darin gemacht, sonst wäre ich vielleicht jetzt schon Offizier. Es macht mir indessen eine herzliche Freude, zu hören, daß Leopold schon so früh zum Offizier reift. Der Stand, in den er bisher gelebt hat, führt so manches Unangenehme, so manche Unbequemlichkeit mit sich, die sein junges Alter, vielleicht zu sehr angreifen würden. Auch hat ihm der Feldzug gegen die Polen genug mit Erfahrungen bereichert um einige Ansprüche auf diese Stelle machen zu können. Gebe uns der Himmel nur Frieden, um die Zeit, die wir hier so unmoralisch töten, mit menschenfreundlicheren Taten bezahlen zu können! -

Und nun nur noch ein paar Worte: ein Auftrag, mich der gnädigen Tante, der Fr. und Frl. v. Gloger, dem Protzenschen Hause, der Bonne, Martinin, Gustchen, mit deren Brief ich für diesmal nicht ganz zufrieden bin, und allen meinen Geschwistern zu empfehlen: die Bitte, mein jetziges Schreiben bald zu beantworten, und: die Versicherung, meiner unveränderlichen herzlichen Freundschaft.

Heinrich.