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Ortelsburger Publicandum

vom 01.12.1806.

Publicandum
wegene
Abstellung verschiedener Mißbräuche bei der Armee.

Bei der leider fast gänzlichen Auflösung der verschiedenen gegen Frankreich ins Feld gerückten Armee-Corps ist es Seiner Königlichen Majestät von Preußen bei dem gänzlichen Mangel an bewährten Nachrichten bis jetzt unmöglich geblieben, das Wahre vom Falschen, Gerüchte von Thatsachen zu unterscheiden oder nach Verdienst belohnen oder bestrafen zu können; Sie müssen daher Ihre hierüber zu nehmenden Beschlüsse bis dahin aussetzen, wo sie solches mit mehrerer Gewißheit und Bestimmtheit zu thun im Stande seyn werden. Seine Majestät sind weit entfernt Ihrer braven Armee alle Drangsalen und Unglücksfällen zuzuschreiben, welche sowohl ihr selbst, als dem Lande begegnet sind, vielmehr gereicht es Ihnen zur größten Beruhigung, daß sich viele Theile derselben vom Ersten bis zum Geringsten durch ausdauernden Muth, Beharrlichkeit und wahres Ehrgefühl ausgezeichnet haben. Ebenso haben sich aber leider auch Thatsachen ergeben, die für sich selbst sprechen und keiner nähern Aufklärung weiter bedürfen, und die von der Art sind, daß solche nicht länger mit Stillschweigen übergangen, vielmehr zum warnenden Beispiel für die Zukunft auf das allerstrengste und öffentlich geahndet werden müssen. Hierunter sind zu rechnen: 1. Alle diejenigen so an der beispiellosen Art wie die Festungen Stettin, Küstrin, Spandau und Magdeburg sich dem Feinde übergeben haben, mehr oder weniger Antheil haben, 2. Ferner alle diejenigen Officiere, welche nicht bei den capitulirenden Corps zugegen gewesen, sich aber freiwillig als hiezu gehörig angesehen und wohl gar ihre Cameraden oder selbst ihre Untergebenen zugeredet haben einen gleichen nichtswürdigen Entschluß zu fassen. 3. Endlich alle diejenigen, welche ohne Urlaub erhalten zu haben, oder gefangen zu seyn, sich von der Armee weg und etwa nach Hause usw. begeben haben. Dem zufolge haben Seine Königliche Majestät vorläufig

ad 1. In Erfurth den Major und Commandanten v. Brüschenk ohne Abschied entlassen; denn wenn sich auch Erfurth übergab, so brauchte deswegen nicht der Petersberg und die Tiriarburg mit inbegriffen zu werden, wenn der Commandant die gehörigen Anordnungen getroffen hätte.

In Stettin den General Lieutenant und Gouverneur v. Romberg cassirt, den General-Major v. Knobelsdorff cassirt.

den Genral Major von Rauch als ViceCommandant ohne Abschied entlassen; den Major und Ingenieur de la place v. Harenberg cassirt.

In Cüstrin, den Obersten und Commandanten v. Ingersleben zum arquebusiren comdemnirt.

In Spandau den Major und Commandanten v. Benkendorff, ohne Abschied entlassen.

In Magdeburg den General der Infanterie v. Kleist, imgleichen den Commandanten Obersten du Trossel ohne Abschied entlassen.

Sämmtliche in Magdeburg befindlich gewesene Generale, die bei dem versammelten Kriegsrathe für die Uebergabe der Stadt gestimmt haben, sind gleichfalls ohne Abschied entlassen, desgleichen alle diejenigen Officiere, welche mehrerwähnte Capitulationen mit unterzeichnet haben.

Ad 2. Alle Officiere von den Hohenloheschen Corps, welche bei Prenzlau oder Pasewalk zu diesem Corps gehörten, allein vor, während, oder nach der bei PRenzlau abgeschlossenen Capitulation in Stettin angekommen waren, ohne in jener Capitulation de facto begriffen gewesen zu seyn, die aber in Stettin unter den nämlichen Bedingungen, wie die in mehrgedachter Capitulation wirklich begriffenen und übergebenen Officiere, gefangen geworden, sind ohne Abschied ihres Dienstes entlassen.

Alle Officiere, welche vor der in Anclam abgeschlossenen Capitulation diese Stadt schon im Rücken hatten, aber zurückritten, um sich zu ergeben, sind gleichfalls ohne Abschied entlasssen.

ad 3. Alle Officiere, welche während des Rückzuges ihre Corps verlassen haben, und ohne Urlaub oder gefangen zu seyn, in ihre Heimath zurückgekehrt sind; ferner alle diejenigen, welche ohne einmal zu einem durch Capitulation übergebenen Corps gehört zu haben, zum Feinde geritten seyn sollen, um sich Pässe geben zu lassen, damit sie ungehindert nach Hause gehen können, sind ohne Abschied entlassen.

Außerdem behalten Seine Königliche Majestät sich vor, noch besonders alle diejenigen Generale, hohe und niedere Officiere, auch Verpflegungs-Beamten, zur Verantwortung zu ziehen, deren Benehmen zweifelhaft geblieben, oder die sich sonst in den Augen der Armee etwas Pflichtwidriges haben zu Schulden kommen lassen.

Sollten unter den oben specificirten Fällen bey näherer Untersuchung sich noch besonders gravirende Umstände ergeben, so wird dieses vorläufige Urtheil dem gemäß geschärft werden.

Um aber ähnlichen Pflicht-Vergessenheiten für die Zukunft vorzubeugen, haben Seine Königl. Majestät folgende Beschlüsse gefaßt:

1. alle Gouverneurs und COmmandanten, die künftig aus bloßer Besorgniß vor einem Bombardement oder unter dem Vorwande, daß ihnen die zur Vertheidigung benöthitgten Mittel mangeln, oder aus sonst einem andern nichtigen Grunde, er sey welcher er wolle, die Festung nicht mit den angestrengtesten Kräften bis auf das Aeußerste behaupten, werden ohne Gnade erschossen.

Derjenige COmmandirende, Gouverneur pp., der zu seinem eigenen und zum besten seiner Untergebenen Bequemlichkeits-Artikel in den mit dem Feinde abzuschließenden Capitulationen hinzufügt, wie solches namentlich in Magdeburg der Fall gewesen, wird in Zukunft cassirt.

2. Jedes Regiment, welches den erhaltenen Befehl, anzugreifen, nicht vollzieht, oder wohl gar ohne Befehl das Treffen verläßt, wird, wenn es zuvor S. M. gemeldet, cassirt und untergesteckt.

3. Jeder OFficier, der sich künftig die ad 2 u. 3 erwähnten Pflichtvergessenheiten zu Schulden kommen ließe, oder das Schlachtfeld ohne blessirt zu seyn, einzeln verläßt, ist infam cassirt.

Jeder Soldat der auf der Flucht seine Waffen wegwirft, wird erschossen.

4. Jeder Officier, welcher Versprengte antrifft, hat die Verbindlichkeit, solche zu sammeln, und auf eine sichere Weise zu ihrem Korps oder dem bestimmten Versammlungs-Ort zu befördern; thut er es nicht, wird er zur Verantwortung gezogen.

5. Die Regiments- und Compangnie-Chirurgen müssen sich am Tage des Gefechts in der Nähe ihrer Corps aufhalten, und mit allem Nöthigen versehen seyn; thun sie ersteres nicht werden sie fortgejagt.

6. Bei der Bagage eines Korps muß allzeit wenigstens ein Saabs-Officier oder Capitain commanirt seyn, der auf die Ordnung während des Marsches siehet.

Wer von den zur Bagage commandirten Officieren solche verläßt, wird cassirt.

Wer bei selbiger aus Muthwillen schießt und dadurch unnöthigen Allarm erregt, wird erschossen.

Der Knecht, welcher seine Pferde absträngt, um davon zu jagen, wird erschossen.

Da eine ernsthafte Reform in der Bagage der Armee unumgänglich nothwendig geworden ist, so wird solche zu ihrer Zeit, sobald es thunlich ist, den verschiedenen Corps bekannt gemacht werden.

7. Bei unerwarteten Vorfällen, z. B. bei außerordentlichen Märschen, Retraiten u. dgl. Hat der commandirende  von jedem Grade, an jedem Orte die Gewalt, in den erforderlichen Quantitäten und gegen Quittung für die unter ihm stehende Mannschaft u. Pferde Reqisitionen zu machen. Requirirt er mehr, wird er todtgeschossen.

8. Die Officire des Genral-Staabes mit ihren Adjoints theilen sich in der Führung der Colonnen, die sie untr keinerlei Bedingung verlassen dürfen. Die Zimmerleute der Bataillons sind an der Spitze der Colonnen, um sogleich die Verbesserungen, Communikationen u. dgl. Ausführen zu können.

Die Officiere des General-Staabes sorgen für alles, was die Erleichterung und Beschleunigung des Marsches befördern kann. Soll sich die Armee vor dem Feinde formieren, so suchen sie Richtwege und Recognosziren die Beschaffenheit des Terrains an Ort und Stelle.

9. So lange der Krieg dauert, wird der Unteroffizier und Gemeine, wenn er sich durch Gewandheit und Geistes-Gegenwart besonders ausgezeichnet, so gut Officier, wie der Fürst. Nur der, welcher Verbrechen begangen, ist vom Officier-Range ausgeschlossen.

10. Wer sich ausgezeichnet hat und vor dem Feinde bleibt, dessen Witwe erhält eine Pension, die mit dem Grade, den ihr Mann bekleidete im Verhältniß steht.

11. Daß alle subordinationswidrige Vergehungen regelmäßig und auf das allerstrengste bestraft werden müssen, sollte eigentlich bereits einem jeden hinlänglich bekannt seyn. Da aber die Erfahrung in dieser letzten Zeit mehrmals das Gegentheil bewiesen, so wird es hiermit auf das Bestimmteste in Erinnerung gebracht, damit sich ein jeder vor Schaden hüte.

12. Geld-Erpressungen, Plünderungen, Mißhandlungen des Bürger oder Landmannes und dergleichen grobe Excesse werden mit dem Tode bestraft.

13. Landesinder, welche bei dem Feinde Dienste genommen haben, und mit dem Waffen in der Hand betroffen, gefangen werden, werden ohne Gnade erschossen.

Dieses Publicandum, welches zur Wissenschaft eines jeden Officiers bestimmt ist, muß bei einem jeden Corps vorgelesen werden und hat jeder einzeln hiervon Abschrift zu nehmen, um sich darnach zu richten.

Aus diesem Publikando ist ein Auszug zu machen, der diejenigen Punkte enthält, die zur Wissenschaft der Unterofficiere und Gemeine, wie auch der sämmtlichen Armee-Knechte bestimmt sind, und der ihnen ihn ihrer Landessprache deutlich vorgelesen werden muß. Letzteres ist alle 8 oder 14 Tage zu wiederholen, und muß ein Gleiches mit der frühern Verordnung wegen der Verdienst-Medaillen geschehen.

ORtelsburg, den 1. December 1808.

Friedrich Wilhelm.

Quelle:
Großer Genralstab: 1806. Das oreußische Officierscorps und die Untersuchung der Kriegsereignisse, Berlin 1906