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Brief Heinrich Dietrich von Grolmans an seinen Sohn Karl Wilhelm

vom 26.05.1808.

26 Mai 1808

 

Lieber Sohn! Deinen Brief vom 6ten Mai habe ich erst am 20sten, also spät erhalten; es ist mir allerdings unangenehm gewesen, dass Du in fünf Monaten nicht an mich geschrieben hast, ist es verdrießlich, von jedermann befragt zu werden: was macht Ihr Sohn in Königsberg? und antworten zu müssen: ich weiß nicht, er schreibt nicht. Es ist verdrießlich, erst von fremden Leuten zu erfahren, dass Du bei der Untersuchungskommission angestellt seist, insonders ist es mir unangenehm, dass ich noch bis jetzt nicht weiß, ob Du einen Brief, welchen ich Dir von dem Vetter aus Gießen übersandt habe, und wobei ein Schreiben an die Kriegskanzlei mit Geld gefügt war, erhalten hast. Mir scheint es immerfort, als wenn Du die Lage der Dinge aus einem zu schwarzen Lichte ansiehst. Bei mir sinkt auch die Hoffnung, allein ich suche sie doch so viel als möglich zu erhalten, und bemühe mich, eine jede Sache von der besten Seite anzusehen. Die Herrschsucht des Bonaparte hat freilich keine Grenzen, allein gesunde Politik scheint ihn doch zu verlassen. Diese erforderte, den preussischen Staat zu erhalten, und ihn als ein Bollwerk gegen Russland zu gebrauchen; da er dies nicht tut, so braucht in Russland nur ein kriegerischer Fürst aufzustehen, der schmeißt all' die kleinen Königleins über den Haufen und steht in wenigen Jahren vor den Thoren von Paris. Der Ruin von Schweden, woran er arbeitet, ist ebenso unverständig; die Vertreibung des Königs von Portugal nach Brasilien ist es nicht weniger. Dadurch ist das reiche Brasilien für Europa verloren. Die Intriguen in Spanien werden auch keinen andern Ausgang haben. Die Gouverneure in dem spanischen Amerika müssten wahre Klötze sein, wenn sie sich nicht für unabhängig erklärten; das eigenen Beispiel des Bonaparte muss sie dazu reizen. Bonaparte, der den Engländern schaden will, arbeitet also zu ihrem Vorteil, notwendig muss der gesamte amerikanische Handel in ihre Hände fallen. Diese werden also am Ende allein prosperieren, ob sie gleich den Krieg auf eine erbärmliche Art führen. Nur bei dem Angriff auf Kopenhagen zeigten sie Kraft, das erregte in mir die Hoffnung, dass sich das jetzige Ministerium tätiger als das vorige nehmen würde. Aber wie elend sind ihre Unternehmungen, gegen Alexandrien, Konstantinopel, u. Buenos Aires abgelaufen. Die Spazierfahrt der...[?] flotte in das mittelländische und adriatische Meer beschimpft die englische Marine. Doch was gehen uns die Handlungen der Regenten an, auf welche wir keinen Einfluss haben können? Lass uns nur unsere Pflichten getreu erfüllen, in jeder Lage rechtschaffen handeln, alsdann können auch wir sagen: ... Du bist auf einem Posten, wo Du schon jetzt nützlich sein kannst, und Hoffnung hast, künftig noch nützlicher zu werden. Diesen Posten musst Du nicht verlassen, Dich nicht von schlechten Leuten aus dem Felde schlagen lassen; nur musst Du mit Klugheit handeln, nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen, Dich in keine Intriguen einlassen, das Gute nicht auf einmal ausführen wollen, sondern was Du heute nicht erreichen kannst, auf morgen aufschieben. Durch Standhaftigkeit, durch beständige Verfolgung desselben Gesichtspunktes, erlangt man endlich seinen Zweck, hingegen verdirbt man alles, wenn man mit Gewalt alles auf einmal durchsetzen will. Wenn Du den Geheimrat Beyme sprichst, so sage ihm doch, ich ließ ihn bitten, ja nicht den König zu verlassen, ich hielte es nicht nur für unrecht, wenn ein Staatsdiener, welcher in glücklichen Zeiten vom König Wohltaten, Gnade und Freundschaft genossen hat, im Unglück davon gehen wollte, sondern ich wäre wahrhaft überzeugt, dass er sich äußerst unglücklich hier finden werde, so lange die Franzosen im Lande sind. Das hiesige Gerede, Du wolltest in englische Dienste gehen, wird aus Königsberg kommen, wenigstens haben LeCoqs dasselbe Raumer erzählt, und einige aus Preußen gekommne Offiziere haben ausgestreut, Du und andre Offiziere, Ihr lerntet Tag und Nacht die englische Sprache. So gern ich Dich bald wiedersehen möchte, so wünsche ich doch nicht, dass Du eher als der König nach Berlin kämst. Unter allen Umständen bleibet meine väterliche Liebe zu Dir unvermindert, und ich jederzeit

Dein treuer Vater
von Grolman

Berlin, 26 Mai 1808

P. S.: Wir sind insgesamt gesund, nur die Frau von Gerlach kann sich über den Tod ihrer Tochter noch nicht zufrieden geben. In diesem Stück ist sie unverständig. Leopold und sein Bruder sind nach Göttingen.

Quelle:
Schweinitz, Anna-Fanziska von: "Briefe aus den Befrieungskriegen - Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl vom 10.07.1807 bis 06.06.1816", o.J., o.O. (Privatdruck)