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Entwurf zu einem preußischen Ministerialblatt

vom 31.03.1815.

Vorwort

Die öffentliche Meinung ist im Staat eine Mitherrscherin des Fürsten und gibt den Einfluss, den sie einmal errungen, so wenig auf, daß im dauernden Kampfe mit ihr selbst die größte Macht unterliegen muß. Sie ist der Geist des Staates selbst und als solcher unbezwinglich, sobald sie nicht bloß als Gefühl im Volke, sondern auch als Verstand in der Regierung ist. Daraus  folgt, daß die Regierung ebenso mittätig zur Bildung der öffentlichen Meinung sein muß, als diese es zur Regierung ist, und wenn alle Stimmen frei ihr Urteil und ihre Ansicht darlegen, so würde offenbar eine nachteilige Lücke entstehn, wenn bloß die Regierung sich dieses Recht versagen wollte. In England, wo der regierende und regierte Teil seit langer Zeit als Ministerium und Opposition im Gegensatze seht und die geübte Erfahrung in Staatssachen durch lange Gewohnheit das Volk zu einer hohen Stufe von Einsicht über die Regierung emporgebildet hat, ist nichtsdestoweniger von den Ministern zu keiner Zeit versäumt worden, auf den Gang der öffentlichen Meinung durch unaufhörliche Verständigung und Ansprache mitzuwirken. Es gibt unter den Zeitungen beinah immer so viele Ministerialblätter als Oppositionsblätter. Bei uns in Preußen, wo die zu berufende Volksvertretung neu, unerfahren und schwankend ihre Richtung erst suchen und gleichsam darauf angewiesen wird, sie in Gegensätzen an den Tag zu bringen, wo, auch ohne Volksvertretung, durch die bloße Freiheit der Presse notwendig eine Opposition entstehen muß, dürfte die Mittätigkeit der Regierung zu der öffentlichen Meinung, ja sogar eine beinah vormundschaftliche Leitung, in vielen Fällen bald als ein dringendes Hilfsmittel erfordert werden. Die Oppositionsblätter sind zum Teil schon jetzt vorhanden, sie entstehn von selbst, und am wenigsten wird es an ihnen fehlen,

wenn erst eine beratschlagende Versammlung von Volksvertretern ihnen Reiz und Bedeutung gibt. Sollen sie allein das Wort haben? Will die Regierung nicht auch auf diesem Wege ihre Ansicht mitteilen, in ihrem Sinne zu dem Volke reden? Sie

habe ihre Rednerbühne - denn das sind die Zeitungen – so gut wie jene und wiege die Oppositionsblätter durch Ministerialzeitungen auf. Diese kann sie nicht dem zufälligen Entstehn überlassen, sie müssen von ihr ausgehn, Kunde, Verständnis und Übersicht von ihr erhalten. Eine offizielle Zeitung wäre damit zu verbinden, hat aber im Wesen nichts damit gemein. Jene sagt bloß, was die Regierung sagen will, die Ministerialzeitung sagt, was die Regierung gesagt wünscht und selbst ausdrücklich zu sagen doch nicht schicklich findet. Oft ist es grade an fremden Gegenständen, wo sie mittelbar auf die innern Angelegenheiten am entschiedensten einwirkt. An der Spitze einer solchen Ministerialzeitung könnte vorderhand wohl niemand als ein wirklicher Staatsbeamter stehn, weil die nötige Einweihung in die öffentlichen Angelegenheiten

ein völliges Vertrauen voraussetzt. Die Regierung behielte auf diese Weise die ganze Einrichtung in ihrer Gewalt. Es brauchte nicht aufzufallen, wenn die Regierung zu diesem Behufe einen ihrer Beamten für dieses Geschäft freiließe, da schon der Geheime Staatsrat Niebuhr durch Herausgabe des preußischen Korrespondenten hiezu ein glückliches Beispiel liefert.

Entwurf zur Herausgabe eines Ministerialblattes.

Der Zweck der Zeitung ist nach dem Obigen vorzüglich dahingestellt, in der

öffentlichen Meinung die Gesichtspunkte aufzustellen, die Stimme dieses Teils des Staats und die Einsichten und Erläuterungen, die nur von oben her möglich sind, nach Maßgabe des Bedürfnisses auszubreiten. Daraus ist klar, daß die Zeitung im allgemeinem durchaus im Sinne der Regierung schreiben muß, die Aussicht

in die Zukunft kündigt die glückliche Gewißheit an, daß die Quelle des Guten hier reichlich strömen wird und der echte Vaterlandsfreund nicht grade der Opposition anzugehören braucht. Jedoch versteht es sich von selbst, daß die allgemein

bewilligte Preßfreiheit auch selbst einer Ministerialzeitung so weit zustatten kommen muß, daß dieser eine möglichst große Bewegungsfreiheit übrigbleibe und sie als der Freund der Regierung, nicht als deren bloßer Knecht, wodurch ihre Wirkung  von selbst aufhören würde, erscheine.

Die Regierung bietet zur Gründung eines solchen Instituts folgende

Hilfsmittel dar:

  1. Sie bestimmt einen ihrer Beamten vorzugsweise zu dem Geschäft der Herausgabe, erteilt ihm dazu die Befugnis und, falls dergleichen noch stattfindet, ein Privilegium.
  2. Sie teilt ihm alle diejenigen auswärtigen und inländischen Angelenheiten mit, bei welchen ihr die Art der Darstellung für das Publikum nicht gleichgültig ist und deren zusammenhängende Kenntnis zur richtigen Auffassung ihres Geistes überhaupt nötig sein durfte. Dieser Punkt ist für die innere Zweckmäßigkeit des Ganzen von größter Wichtigkeit und bestimmt den Nutzen, den die Regierung davon erwarten kann.
    Es ist zu hoffen, daß der Herausgeber das größte Vertrauen der Regierung durch Verschwiegenheit sowohl als durch Takt im Reden zu verdienen wissen wird.
  3. Die Minister und anderen Oberbehörden teilen der Ministerialzeitung noch besonders dasjenige mit, was aus ihren Geschäftskreisen in einer bestimmten Weise zur Kenntnis des Publikums zu bringen nützlich befunden würde, es sei zur Bearbeitung oder schon bearbeitet.
    Die Ministerialzeitung würde diesem nach sowohl geschichtlich erzählend als auch abhandelnd sein, je nachdem der Stoff sich darbietet. Die Verhandlungen der Volksvertretung würden eine vorzügliche Aufmerksamkeit verdienen.

Die Wirkung auf das übrige Deutschland und auf das Ausland überhaupt kann bei diesem Unternehmen für Preußen nicht geringerer Beachtung wert und von dem entschiedensten Nutzen sein.

Der Titel scheint am besten „Preußische Zeitung" und könnte diese vielleicht füglich mit dem ehemaligen preußischen Korrespondenten verschmolzen werden, wodurch die buchhändlerische Einrichtung des Erseheinens beschleunigt wäre.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl: Kommentare zum Zeitgeschehen, Leipzig 1984