Skip to main content Skip to page footer

Rede Friedrich Christoph Dahlmanns zur Feier des Sieges vom 18. Junius vor der Universität

vom 07.07.1815.

Daß, wer vor einer Versammlung redend auftritt, mit einer Entschuldigung seiner Untüchtigkeit im Reden beginne, ist beinahe alltäglich und zur gewöhnlichen Formel geworden. In dem gegenwärtigen Falle aber wird es wesentlich, ja unentbehrlich. Denn ich sehe eine höchst verehrungswürdige Versammlung vor mir, glänzender und zahlreicher als sie sonst unsre academischen Kreise zu besuchen pflegt; ich sehe unter ihr edle deutsche Frauen und Jungfrauen, welche theils aus solchem Mitgefühl, theils um die Feier dieses Tages durch eigne Mitwirkung zu verherrlichen, in ernste ungewohnte Räume treten, und welche sämmtlich die Forderung machen, dass wer bei solchem Anlasse spricht, wenn nicht neu und bedeutend doch anziehend und gefällig rede; dann blicke ich mit Scheu auf bis verehrten Lehrer dieser Universität hin, unter denen ich als einer der jüngsten und als der unverdienteste stehe, auf die academische Jugend auch, vor der ich hier zum ersten Mahle als Organ der Universität auftreten soll, an einem Platze, welchen sonst nur Männer, die des Beifalls und der ehrenvollen Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer längst versichert waren, geziert haben; und eintreten soll ich an die Stelle, eines weit erfahrnern und kundigen Redners, plötzlich, fast ganz unvorbereitet, gezwungen nach dem ersten kaum erwogenen Antriebe der Seele an einem Orte zu reden, wo das Beste, was man hätte, noch nicht genügen würde.
Dennoch, wenn ich des alten Worts gedenke, daß die Brust en Redner macht, daß ein Herz in der Brust, voll von seinem Gegenstande, wenigstens einige Anklänge der Empfindung hervorrufen kann, wächst mir der Muth. Wie wenig bedarf es, um Gleichgesinnten zu genügen! Und sind doch hier sich Allle gleichgestimmt! Ist es doch so ganz unnöthig, den Gegenstand der Rede hier mühsam einzuleiten, umständlich und langsam zu erwärmen wie für einen weitentlegenen Gegenstand des Wissens. Sind doch Aller Herzen offen und nur für diese eine Sache! Ist doch der Gedanke dieses frohen Festes, wie aus dem Haupte Aller entsprungen, kaum vernommen, auch gebilligt, auch mit Theilnahme und Freude empfangen worden, wie die Morgenröthe einer schönen Zukunft auch für uns. Denn ein großes Heil ist uns wiederfahren.

Ein großes Heil ist uns wiederfahren und auf die wundervollste Weise; es ist uns so geworden, daß was unsre kurzsichtigen Augen eben noch als das schrecklichste Unglück und das Verderben der Welt betrachten mußten, uns jetzt gerechtfertigt wie ein heilsames  Gewitter, das die Welt gereinigt hat, erscheint. Schon einmahl erfreuten wir uns der Rettung, der Erlösung vn einen zwanzigjährigen, sinnverwirrenden, völkerzerstörenden Taumel, der glorreichen Auferstehung unserer so manches Jahr zum Todesschlaf herabgewürdigten Deutschen. Wir haben jenen Tag mit Dank und Jubel begrüßt, an dem uns kund ward, daß durch die Anstrengung des vereinten Europa die Burg des Tyrannen gestürmt und er selber gebunden von den zürnenden Völkern, vor die Füße ihrer Herrscher gelegt sey. Dankbare Rührung mußte die Sieger in dem Augenblick ergreifen, ein tiefes Gefühl der höhern Hand, die hier gewaltet, ein inniger Wunsch, da so großes für uns geschehen, das Versöhnungsfest der Menschheit zu feiern und selbst den Volke nicht mehr zu grollen, das mit gieriger Lust von unserm Herzensblute getrunken hatte. Mahnte gleich weltliche Klugheit ab, hieß sie bedenken, daß das zu Wünschende nicht mit dem Thunlichen zu verwechseln sey, daß ein plötzlicher Umschwung der Gesinnungen überhaupt selten von den Menschen, am wenigsten aber von der Herzenshärtigkeit dieses Volks zu erwarten sei, - wir sahen es ohne Neid, wenn gleich nicht ohne Sorge geschehen, daß Frankreich übermächtig, daß der Weltbedrücker in Freiheit furchtbarer Nähe blieb.

Wie ganz anders aber ward uns, als wir wernahmen, daß alle jene gutmüthigen Hoffnungen zu nichts geworden seyen, daß der allgemeine Feind zurückgekehrt, mit Jauchzen von seinem Dienern empfangen worden, daß unser eben errungenes Heil furchtbar wiederum auf die Wage gestellt sey. Da sahen wir manchen ganz verzweifeln an den Heile unsers Geschlechtes, völlig aufgeben, was uns eben noch so nahe stand, aufgeben selbst den Werth unsers Volkes in dem entwürdigenden Verdachte, daß der Deutschen Eifer nun erkaltet sey. Gram über den Verlust, Zorn gegen diejenigen, welche mit der Völker Glück ein leichtfertig Spiel getrieben hatten, schien das kaum geschlungene Eintrachtsband der Deutschen zerreißen zu wollen. Doch nicht lange blieb es so. Ernste Stimmen erschollen und riefen »Rechnet nicht mit Euren Obern, schiebt nicht träge von Euch auf die kommenden Geschlechter, was jetzt nach höherem Willen geschehn muß, kämpfet durch und leidet jetzt was gelitten sey.« So sprach mancher laut, die meisten im Herzen zu sich selber; und es erhoben sich alle Gemüther und Arme und rüsteten sich zum Kriege, und die deutschen Spartaner, die Preußen,  zogen voran, wohl wissend, daß ihrer viele nicht wiederkehren würden, aber bereit das Recht mit dem Tode zu besiegeln. Die einzige Sorge, war, es möge nicht zum Kampfe kommen, es möge mit dem Erzverräther Vertrag geschlossen, und auf der Schande der Deutschen ein trügerischer Ruhestand gegründet werden. Diese Sorge ward behoben; die höchste Langmuth der Fürsten war ermüdet; es erging das Wort, der Geächtete soll nirgend weilen dürfen – und nun, wie ein lang gehemmter Strom durch die Dämme bricht, vergoß sich die Volkszahl über den Rhein, um unsere Heiligen Landmarken zu vertheidigen.

Aber auch der Feind hatte furchtbar gerüstet; alle die den guten König verrathen um dem Argen anzuhängen, standen zusammen, kriegskundig, voll von Grimm, von Gier nach dem lang ersehnten Völkerraube, geübt in jeder Fertigkeit, welche die Bösen vor den Guten voraus haben. Aber die Unsern stehen früher schlagfertig im Felde, sie und ihre Feldherren verzweifeln fast, daß die Erlaubnis zum Angriff nicht erscheinen will; es fehlt an Lebensmitteln schon in dem mit Kriegsvolk überhäuften Gränzlande, und die ungeduldigen Truppen werden wie zur Ruhe auseinander gelegt. Da ersteht der Schlaue seinen Vortheil; er sammelt und vereinigt in der Ferne große Massen, thut dann einige lange Tiegersprünge und bringt Tod und Verderben in die Reihen unsrer Brüder.
Warum erzählen, was in den Gedächnis eines jeden meiner Hörer tief eingegraben ist, was uns zuerst mit dem tiefsten Schmerze, dann mit der reinsten Freude erfüllt hat! Wollen  wir die Tage des 15ten und 16ten Junius jetz noch traurig nennen, weil an ihnen das edelste Blut in der Niederlage verströmte, oder nennen wir sie nicht vielmehr die herrlichsten, weil hier im tiefsten Unglück es sich offenbarte, was gereinigte Menschenkraft und eine gerechte Sache vermöge? Die Sache muss schon gut seyn, zu der sich zwei Feldherren verschiedener Völker so getreu verbünden, daß sie für ein einziges Haupt zählen und der eine sein Heil nur in dem Heile des andern sucht. Was es aber auch galt, ist alles in dem Worten enthalten, die Blücher, der Mann des Volks, der ächte Held der Deutschen, zu seinen Waffengefährten nach dem Siege spricht.

»Die Stunde der Entscheidung sollte schlagen und kundthun, wer seiner herrschen sollte, ob jener ehrsüchtige Abentheurer, oder friedliche Regierungen.«

Nie ist ein schönerer Sieg erfochten worden, als der vom 18ten Junius. Er weicht dem großen Leipziger Tagen um etwas in dem Ungeheuren des Erfolges, bei der ängstlich gespanntesten Erwartung; in den unbezwinglichen Heldenmuth aller Truppen, in der Tüchtigkeit der Ausführung, in der raschen Verfolgung aller errungenen Vortheile geht er ihnen voran; unleugbar ist Deutschland durch ihn zum zweiten Mahle gerettet worden. Dieser Sieg belehrt uns, daß deutsche Macht und Kraft seit der Leipziger Schlacht fortgeschritten sind; an der Gränze selber wird der Feind empfangen, und durch eine Schlacht, durch ein unaufhaltbares Vordringen nach dem Siege auf seine Hauptstadt zurückgeworfen. Das Geheimnis der revolutionären Kriegskunst ist entlarvt, ihr Vollender »der Universalerbe der französischen Revolution,«  wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Was er nur immer von Siegesruhm errungen hat, wenn ihn der volle Strom seines Glückes in die deutschen Kaiser- und Königsstädte trug, haben Blücher und Wellington nicht nur erreicht, sonder übertroffen, denn sie haben diesen Siegesruhm nicht über schlecht geführte Heere, sondern über ihn selber den gepriesensten Feldherrn davon getragen. Die Schande aber seines Unterganges darf mit den Leiden jener von ihm ehedem vertriebenen Fürsten gar nicht verglichen werden; diesen blieb ihre Hauptstadt treu in Herz und Sinn, wiewohl sie dem Feinde hingegeben war, den Thronräuber verspotten seine Bauern, bevor er noch mit wenigen Gefolge fliehend Paris erreicht; hier verlassen ihn seine Pairs, seine Gemeinen, die ersten Anführer seiner Heere, das Volk stößt ihn aus – bevor noch ein Feind die Thürme der Hauptstadt sah. Und warum wird der aufgeopfert? Weil er eine Schlacht verlor, in der er doch fürwahr, wie sein großer Britischer Gegner selbst versichert, alle militärische Wissenschaft aufbot und, gleich als sey er wieder angehender Feldherr, sein Leben für den Siegspreis in jede Gefahr stürzte. Zum ersten Mahl ist ihm, der stets Unrecht übte, Unrecht geschehen; dem für die verlorene Schlacht verdient er von seinem Volke die Entsetzung nicht.

Das gerade gehört aber auch zu den Schönen dieses Sieges, daß sich das Gute immer bestimmter von dem Bösen und Argen scheidet; wer nur sehen will, kann jetzt nicht mehr irren. Wer unter uns in Zukunft nach Franzosen und Deutschen bloß als zwei feindliche Partheien betrachtet, die mit gleichem Rechte hadern, wie noch vernünftelt, daß wenn er als Franzose geboren wäre, er es eben so machen würde, - wer noch dieses von einer bessern Vorzeit so schmählich entartete, dieses meineidige, gottesläugnerische, raubbegierige Volk dem edeln aufopfernden Sinne der Deutschen vergleicht, der ist ein Franzose neuester Art, wo er auch geboren worden, und verdient in Deutschland als ein solcher geachtet zu werden. Keine der schadenfrohen Weissagungen dieser Menschen ist in Erfüllung gegangen; kein Verrath der Brüder gegen Brüder ist eingetreten; auch keine einzige deutsche Regierung ist dem Bunde untreu geworden und dem Feinde der Welt zugefallen; keine würde es gekonnt haben, wenn sie auch so schlechten Willen hegte; sie hätte damit eine ewige Kluft zwischen sich und ihrem Volke befestigt. Denn die deutschen Stämme, wie zersplittert sie auch dastehn, sind sich einig geworden in den Hauptsachen, in der gemeinsamen Behauptung, der Freiheit, der Volksthümlichkeit und de Rechts. Mag dann im Einzelnen noch manches Störende seyn, so mag der Zwiespalt und das alte gehässige Treiben der Cabinette vieles noch verwirren, Deutschland ist da durch sein Volk, das sich mitjedem Tage mehr verbrüdert, Deutschland ist da, bevor noch jene Bundesacte ausgefertigt wird; whe dem, der was das heiligste Gefühl vereinigt hat, frevelnd von einander reißen wollte!

Und wie uns alle Zeichen günstig werden, seit wir einig sind! Wie alle Gestirne, die sich früher feindselig gegen uns verschworen, nun besämftigt sind! Keine glückliche Zufälle, wie ehedem, als wir noch in Hader gegen einander standen, begünstigen unsre Feinde mher. Auch das Glück huldigt der gerechten Sache. Dieses hat sich in manchen einzelnen Vorfällen jener großen Tage offenbart; aber müssen wir es mit gerührterem herzen anerkennen, als in der wunderbaren Errettung des Mannes, ohne dessen Erhaltung uns der sieg, wenn er anders errungen worden konnte, keine siegesfreude gewährt hätte. An dem unglücklichen Schlachttage des 16ten stellt sich der alte Held an die Spitze seiner Reuterei zum Angriff. Er misslingt. Blüchers Pferd, von einer feindlichen Kugel durchbohrt, stürzt im raschen Zurücksprengen und deckt den siebenzigjährigen Greis mit seinem Körper. Er verschwindet seinem braven Waffengefährten im Getümmel – nur ein einziger bleibt ihm getreu zur Seite. Schaaren verfolgender Franzosen sprengen verblendet zurück und entdecken den köstlichen Edelstein der Deutschen nicht. Eine höhere Hand hat über ihn gewaltet. Sie hat uns ihn erhalten, hat uns den sieg geschenkt; sie führt uns einer glücklichen Zukunft entgegen. Darum dürfen wir uns freuen.

Allgemein sey diese Freude. Wie sie durch alle Gauen des übrigen Deutschlands sich verbreitet und ein neues Eintrachtsband schlingt, möge sie so auch hier im Lande, möge si in unserm beiden Herzogthümern so empfunden werden. Ihnen beiden gehört dieser Sitz der Wissenschaften im gleichen Maaße an und in diesem Sinne, des Mitgefühls beider versichert, hat unsre Universität diese Feier angeordnet, zugleich aber auch um einmahl auszusprechen, wie sehr sie es entpfinde, daß alles Wissen nichts sey ohne das Leben, und daß die Bewahrung des heiligen Feuers der Vaterlandsliebe niemanden so nahe stehe als den Pflegern der Wissenschaft. Wenn auch der Schleswiger nie im deutschen Bunde gewesen ist, er gehörte ihm und gehört ihm noch durch den verbrüderten Holsteiner an, dem er seit Jahrhunderten die treue Hand gereicht hat, mit dem er in Verfassung, Freiheiten und Gerechtsamen inningst verschmolzen ist. Mögen sich diese Hände nun noch so fester fassen. Möge der Anblick des auch in seiner gegenwärtigen politischen Zersplitterung sieghaften deutschen Volks die Ueberzeugung immer mehr in den uns befestigen, daß ein innerer Geistesverein, eine treue liebevolle Verbrüderung über alle feindseligen Verhältnisse endlich siegen müsse. Wir dürfen an einer Zeit, wie diese, nicht träge verzweifeln; es ist Pflicht von dieser Zeit zu hoffen, Pflicht an ihr zu arbeiten.

Darf sich zu der Feier dieses Tages wohl auch die Betrachtung gesellen? Oder wird sein Glanz getrübt werden, wenn wir zurück- und wieder vorwärts blickend das eben Geschehene in unserer Betrachtung an Vergangenheit und Zukunft halten? Ich glaube kaum. Gemäßigt werden die Bilder der Freude so vielleicht, aber sie erhalten dafür auch einen bestimmten Umriß und begeistern vielleicht zur erhöhten Thätigkeit. Nicht mit bloßem Jubel, scheint mir, dürfen solche Tage begangen werden, und in dem gegenwärtigen Falle würden wir uns nur selber täuschen, wenn wir unbegränzten Träumen einer wolkenlosen Zukunft Raum gäben. Wir feiern diesen Sieg, so schön er ist, doch mehr nur im Glauben und in der Hoffnung der Früchte, die er für Glück und Ruhe der Menschheit tragen wird; wir feiern, Gottlob freilich getrost und freudiges Muthes, eine ernste Feier. Wir sind von großer Gefahr errettet, aber viele Tausende unserer Brüder decken mit ihrem Leichen das blutige Schlachtfeld; ganze deutsche Länder sind durch wenige Schlachttage ihrer blühenden Jugend beraubt, das Glück unzähliger Familien ist an ihnen zu Grabe getragen. Freilich wohl die Sache ist über Alles groß und kann auch den, der verloren hat, mit seinem Jammer versöhnen, - aber gewaltig drängt sich doch die Frage, immer wiederkehrend, auf: warum doch gerade in unsere Zeiten ein so gedrängtes Verderbens stets nur scheinbar ebbe, um dann mit erhöhter Fluth das Glück Europas zum andern Mahle zu begraben?

Seit vor einem Jahrtausend Karl der Große die Europäische Staatenordnung gründete, sind solche Zeiten nicht erhört. Wohl lesen wir in alten Geschichten von vielen Kriegen, bedeutenden Umwälzungen der Zeit, manichfachen Elende – aber die Grundlagen des Staatenbestandes erhielten sich. Die Erschütterung alles Bestehenden zu schauen, war erst unserer Zeit vorbehalten. Ein großer Sturm ist über die Völker gekommen; die tausendjährige Grundfeste des Europäischen Lebens ist zerbrochen, mit jedem Tage stürzt des Alten mehr ein.
Wo aber liegt die Ursache dieser ungeheuren Verwandlung? Wo ist ihre Quelle zu finden? – Nicht übermäßig tief; die Aufklärung darüber braucht aus keiner alten Rüstkammer des Wissens, aus keinen metaphysischen Abstractionen geschöpft zu werden. Daß ein Gebäude einstürzt, dem man die Grundpfeiler wegzieht, ist eine gemeine, ganz alltägliche Sache. Das Europäische Staatengebäude war auf Volksfreiheit und Verfassung gegründet. Diese werden zertrümmert, sinken zusammen, das Gebäude stürzt nach und – man verwundert sich.

Alle unsere alten Verfassungen, die man jetzt barbarisch und gothisch schilt, waren ganz aus dem Volksleben genommen, ja das Volksleben selber. Die Stände, wie sie sich nch und nach entwickelten, waren wie die Glieder des Staatskörpers; keines dem andern gleich, keines blos dienstbar, jedes von der Natur auf die Behauptung seines Rechts angewiesen. Aber diese Glieder entzweiten sich oftmals, boten sich einander Fehde, wie natürliche Feinde, miskennend, daß ihrer aller Heil ein gemeinsames sey. Fast nur in Zeiten der Noth, oder wenn eine große Begeisterung die Menschen über sich selber erhob, vereinigte man sich zu einer wohltätigen Kraft, und offenbarte dann herrlich, daß nur in wohlgeordneten Staate das Höchste der Menschheit erscheine. Die Staaten also erkrankten damahls oft, erkrankten gefährlich, aber sie starben nicht; die Kraft war angegriffen, aber in den edelsten Theilen noch nicht zerstört.

Es haben die sogenannten barbarischen Jahrhunderte ihre Staatsordnung den Zeiten überliefert, welche die verfeinerten und aufgeklärten heißen. Die Aufgabe, welche diese letzteren zu lösen hatten (und jedes Zeitalter hat wohl seine Aufgabe), lag klar vor Augen. Es lag diesem Zeitalter ob das tiefere Gefühl für allgemeinen Menschenwerth, welches ihm zu Theil geworden war, jene geriesene Tugend der Humanität auch in die Staatsverhältnisse einzuführen, die uneinigen Glieder durch hohe Gerechtigkeit zu versöhnen, jeden Stand, wenn ich so sagen darf, zu behandeln wie einen köstlichen Edelstein, ihn zu reinigen von dem Wuste der Jahrhunderte, ihm seine rechte Folie zu geben und dann mit den übrigen zu einem schönen gemeinsamen Licht zu vereinen. Diese große Aufgabe hat die neuere Zeit vornehmlich leider in unserm Deutschland, träge abgewiesen; sie hat sich zurückgezogen in stille Kammern und hat im Verborgenen Menschlichkeit geübt; sie hat den Sturm draußen im Staatsgemäuer toben lassen, in metaphysische Grübeleien vergraben; sie hat es gleichzeitig aufgegeben, daß die Glieder, welche belebt werden konnten, abgehauen wurden und daß aus dem vielgezweigten, schattigen Baume des Staats ein kahler nackter Stamm ward; sie hat es ertragen, daß in die väterlichen Hallen althergebrachter einfacher Freiheit die prunkende Knechtschaft einzog; sie ist nicht vor Gram vergangen, als aus aus ehemals freien Menschen, aus Menschen mit Mark und Kraft tüchtig ausgerüstet, im eigenen Willen stark, nun bloße Seelen wurden, jedem Seelenverkäufer zu ganzen Tausenden fiel. – Das ist das politische Treiben unserer neuern Zeit, und die Folgen dieses Treibens hat die neueste Zeit gesehen, den Umsturz unsres Glücks und der ganzen bestehenden Staatsordnung.

In die Zeit der höchsten politischen Untüchtigkeit unter den Deutschen fiel die französische Revolution, mit ihren ungeheuren politischen Triebfedern und dem rastlosen Streben Alles in ihren Schlund zu reißen. Was bedarf es hier der Worte? Zwanzig  Jahre lang haben die Deutschen gegen sie und gegen die Hydra, die aus ihrem Pfuhl erwachsen ist, gestritten, nicht unwillig, aber unglücklich und zuerst mit so offenbarer Schande, daß Deutsche  gegen Deutsche wütheten und alle alte Größe unsers Volks auf immer verloren schien.

Da gingen endlich Vielen die Augen auf; man sah wohin man in müssigen Träumen gerathen, welch eine Fülle von Unglück und Lastern aus bloßer Unthätigkeit entsprungen sey, man sah was es bedeute mit der Bevormundung der Völker, auch der wohlgemeintesten, wie wenig Regierungen die Schlaffheit der Völker ersetzen können, man blickte hin auf das stammverwandte England, den in der großen Ueberschwemmung allein noch übrigen Warthurm der Freiheit – und ward seiner Nichtigkeit recht inne. Nach menschlicher Ansicht schien der Weg zur Rettung verloren; eine höhere Hand allein hat ihn eröffnet. Aber ein hoffnungsstärkendes Wunder wird es doch bleiben für die Nachwelt, wie nun auf einmal der gehemmte Volksgeist schnell hervorbrach, sobald ihm nur die Bahn eröffnet war, wie er in der höchsten Freiheit den Regierungen treu, den Rechten und Wahren treu, auf den mit eignem Blut gefärbten Pfade ohn umzuschaun vordrang, das Werk vollendete und ruhig wieder in die Heimath kehrte. Ein solches Volk ist der Freiheit würdig; Gott wird auch dazu helfen, wenn das Herz rein und der Wille stark bleibt. Friede und Freude kann nicht sicher wiederkehren auf Erden, bis, wie die Kriege volksmässig und dadurch siegreich geworden sind, auch die Friedenszeiten es werden, bis auch in diesen der Volksgeist gefragt und in Ehren gehalten wird, bis das Licht guter Verfassungen herantritt und die kümmerlichen Lumpen der Cabinette überstrahlt.

Also ferne freilich wären wir, noch vom Ziele.
Aber hegen wir auch in dieser Rücksicht getrosten Muth für die Zukunft. Vieles zwar fehlt, bevor noch auch die Grundlagen nur eine dauernden deutschen Vereins vollendet seyn werden. Aber es ist doch ein Großes geschehen, das die freudigste Anerkennung und Wirkung verdient; es hat sich offenbart, daß das Rechte zwar lange miskannt, nie aber auf immer unterdrückt werden könne. Es ist nicht der einseitige Wunsch der Völker mehr sich guter Verfassungen und sicherer Rechte zu erfreuen, (der könnte noch als die Eingebung eines unruhigen Geistes erscheinen, als ein trotziges Widerstreben gegen den Gehorsam, wiewohl Fürsten haben und sie lieben bei den meisten Völkern einerlei ist); die Fürsten selber haben das allgemeine Bedürfniß empfunden, die größte Herrsherversammlung, die die Welt je gesehen, hat es laut ausgesprochen, hat es in die Welt hinaus verkündigt, da´sie Verfassung wolle, und verkündet eben damit deutlich, daß nach langen Jahren wiedererkannt worden ist, was die Thronen stütze, was die freie Liebe kräftiger Völker voraus habe vor knechtigem Zwang und Frohndienst.
Wenn ich meinen Gefühlen trauen darf, so ist es gerade diese tröstliche Aussicht, welche den unerwartet großen Sieg, den wir begehen, besonders herrlich und erfreulich macht. Bald wird auch dieser Kampf ganz ausgekämpft seyn. Die Völker werden zurückkehren, die Waffen niederlegen und in den freudigsten Vereine mit ihren Fürsten an fester Staatenordnung und gesetzlicher Freiheit arbeiten. Es schweige in dem hoffnungsvollen Lichte dieses Tages jeder kleinmüthige Zweifel an der Ausführung dessen, was wohl freilich schwer und nicht in Eile zu erwerben ist. Wenn es aber wahr ist, was Viele glauben, daß gottesgebene Völker oft weit über menschliches Denken hinaus dem Besseren entgegen geführt werden, so dürfen die Deutschen an ihrer Zukunft nicht verzweifeln. Und wenn es dann gelingt das schöne Werk des Friedens, o dann wollen auch wir dieses Sieges, wollen jener helden wieder gedenken, die in der starken Waffenarbeit uns unser friedliches Heil erkämpften; wollen der Gefallenen heiliges Gedächnis begehen, an jedem Tage der uns eine Freude bringt.

Darum Lob und Dank dem höchsten Wesen, dem reichen Geber alles Guten;
Heil der Zukunft welche unsere Hoffnungen krönen wird.

Heil auch unserm König Friedrich dem Sechsten, welchen es vorbehalten ward, seine Deutschen in den alten Bund ihrer Väter zurückzuführen.

Heil dem Deutschen, welche aus tiefer Noth Errettung gefunden habem, und noch der späte Enkel rufe dankbar: Heil Blücher und den Streitern für das deutsche Vaterland.

Quelle:
Dahlmann, Friedrich Christoph: Rede zur Feier des Sieges vom 18ten Junius gehalten am 7ten Julius, im großen academischen Hofsale, bei der durch die Kieler Universität angeordneten Festlichkeit, von F.C. Dahlmann, Professor der Geschichte, 1815.