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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Fünfter Brief

Frankfurt am M., den 10. Juli.

Heute giengen wir zuerst in die Domkirche, die von Karl den Großen gestiftet wurde. Sie hat die Gestalt eines Kreuzes, viele merkwürdige Altäre und einige bedeutende Gemälde. Widerlich  war mir aber unter diesen der Anblick irgend eines Heiligen, welcher geschunden wurde. Die Kunst sollte nie Gegenstände wählen, von denen sich das Auge mit um so größerem Ekel abwendet, je täuschender sie ausgeführt sind, denn ihre eigenthümliche Würde läßt sich nur mit hohen, reinen und edlen Darstellungen vereinnigen, die die Seele erheben, statt sie in den Staub der Gemeinheit hinab zu ziehen.

Wir besahen das Konclave und verschiedene Monumente, wo das von Günther von Schwarzburg [1] wegen der simpeln Einfalt jener alten Ritterzeiten, die es ausspricht, mich am meisten anzog. Nur wenig Wochen trug er die deutsche Kaiserkrone, als er hier vergiftet und begraben wurde. Mannhaft und unerschrocken, den Kelch in der Hand, steht er in Stein gehauen da, als wollte er noch jetzt dem Tode trotzen, der nicht wagte ihn im offenen, ehrlichen Kampf anzufallen, sondern der heimlich, der Verrätherei zu fröhnen, in seine Eingeweide schlich. Guter Günther von Schwarzburg! wärst Du in dem kleinen Lande geblieben, das durch hohe, romantische Berge Dir die Grenzen einer Heimath bezeichnete, die wohl werth ist, sie einem thron vorzuziehen — wärst Du dort geblieben am kühlen Ufer der Schwarze, im Schooß Deiner friedlichen Thäler, so hätte der vergiftete Pokal nimmer Deine Lippen erreicht und nicht glänzend, aber glücklich hätte sich Deine Laufbahn geschlossen. Das Andenken an die herrlichen Gegenden Schwarzburgs wachte in voller Lebendigkeit in meiner Seele auf. Dort sah ich die ersten, bedeutenden Berge in meinem Leben, und ihre Schönheit, die der Reiz der Neuheit und die frische Empfänglichkeit der frühen Jugend noch erhöhte, grub ihr Bild so unauslöschlich in mein Inneres, daß kein neuer Eindruck es jemals in mir vertilgen wird.

Die zwölf Apostel, ebenfalls in Stein gehauen, wie sie Christus Leichnam umgeben, schmücken den ältesten Altar der Kirche — — nicht weit von ihnen steht das Bild ihres Stifters, Karl des Großen, halb verdunkelt von der Zeit, die, seitdem es entstanden ist, mehr als tausend Jahre daran vorüber führte.

Es war gerade Kirche als wir kamen. Ein Mönch, der eben predigte, ergoß seine Worte nicht wie einen samften Strom der Beredsamkeit, sondern wie einen donnernden Catarakt. Er schrie, daß man hätte taub werden mögen, und ich wußte nicht, ob ich die Ohren der Zuhörer, oder seine Lunge am meisten bedauern sollte. Späterhin hielt ein Carmelitermönch Kirche für das französische Militär.

Wir ließen uns auch in den Römer führen; aber mit der alten Verfassung des deutschen Reiches ist auch das Ehrwürdige des grauen Alterthums daraus verschwunden —die Bilder der Kaiser sind zerstreut und in Bodenkammern transportiert worden, und nichts ist mehr übrig, als die Erinnerung, die diese, durch ihr Alter geheiligten Mauern umschwebt, und die in jedem deutsch fühlenden Herzen eine innige Wehmut erweckt. Ich betrachtete das Wahlzimmer aufmerksam, und unterließ nicht, die armen verwiesenen Kaiser in ihrer Verbannung zu besuchen, um mir einen Begriff von dem Krönungsornat zu machen. Dieser Gang war sehr geschickt, die ernste Überzeugung von dem Wankelmuth aller irdischen Größe in mir zu befestigen.


[1] Günther XXI. Von Schwarzburg-Blankenburg (1304-1349) war ein deutscher Adeliger, der sich im Jahr 1349 gegen König und späteren Kaiser Karl IV. als Gegenkönig aufstellen ließ.