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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Sechster Brief

Heidelberg, den 11. Juli.

Halb versengt von der brennenden Gluth der Sonne kamen wir gestern gegen Abend in Darmstadt an. Diese Gegend hat in meinen Augen Aehnlichkeit mit gewissen Personen, die, ohne regelmäßig schön zu seyn, dennoch gefallen. Reicher Kornbau, blühende Mohnfelder, Wald und schlanke Pappelalleen machten den Strich Landes von Frankfurt bis Darmstadt sehr belebt und anmuthig, und er schien mir eine würdige Vorbereitung zu dem Genuß der Bergstraße zu seyn, die sich bald in voller Schönheit vor uns aufthat.

Wir Recht wird die Gegend, durch die sei führt, das Paradies von Deutschland genannt. Rechts, von Heppenheim bis Weinheim und weiter, breitet sich eine große Fläche aus, die durch die Abwechselung der Feldfrüchte, welche sie hervor bringt und durch das frische Grün der Weingärten, und die oft sehr reizenden Baumgruppen eine äußerst liebliche Landschaft ausmacht, welche in der Ferne von Waldungen begränzt wird. Links erhebt sich eine Reihe von Bergen, die theils durch ds Malerische ihrer Formen, theils durch die grotesken Ueberreste alter, im dreißigjährigen Kriege und noch viel früher zerstörtet Burgen eine unbeschreiblich romantische Ansicht gewährt. Der Weg, — eine der vortrefflichsten Chausseen von der Welt – wird von beiden Seiten durch dunklen Schatten vor dem all zu heißen Schein der Sonne geschützt. Die Allee, die sich so wohlthätig schrimene über dem Reisenden wölbt, besteht aus lauter Obstbäumen, welche nicht verkrüppelt und kümmerlich, wie man sie im Norden sieht, sondern in üppiger Kraft ihre Aeste in einander stechen und mit ihrem mächtigen Wuchse es wagen dürfen, sich kühn neben die Riesen der Wälder, neben Eichen und Buchen, zu stellen. Größtentheils waren es Wallmußbäume, welche in der Frühe des Morgens einen aromatischen Wohlgeruch von sich hauchten. Auch mitten in den gesegneten Kornfluren standen zuweilen einzelne Mußbäume zerstreut, die mit Früchten beladen waren und die unteren Zweige tief in die schwankenden Aehren senkten, während die Gipfel mit dem gesundesten Grün hinauf ins blua der Lüfte strebten.

Dicht vor Heidelberg überrascht mit einem male der Anblick der schnell hervortretenden Stadt, jenseits an eine Reihe hoher Berge angelehnt, und diesseits von den Fluthen des Neckars eingeschlossen, an dessen Ufer man bis zu der Brücke fährt, die den Eingang nach Heidelberg eröffnet. Das alte Schloß liegt herrlich auf einem Berge, und blickt von Schauern der Vergangenheit umweht, mit ernster Würde über das weite, lachende Thal, wie ein König von seinem Throne herab schaut.

Wir eilten, diese prächtige Ruine zu ersteigen. Der Weg hinauf ist nicht beschwerlich: aber wenn er es auch wäre, so würde sich dennoch die Aufopferung jeder körperlichen Kraft tausendfältig durch die verschiedenen entzückenden Ansichten der Gegend und durch die stille Feier belohnen, welche die Trümmern umgiebt, über denen die Geister der vorigen Jahrhunderte noch zu schweben scheinen. Himmlisch rein und balsamisch ist oben die Luft, und die benachbarten Berge stellen mit ihren Mandelbäumen und Reben und ächten Kastanien, welche eben in voller Blüthe waren, ein reiches, schwelgerisches Bild des Südens dar. Zwischen den Mauern des ehemaligen Speisesaals der alten Pfalzgrafen Churfürsten grünt ein freundliches Gärtchen, der Lustgarten genannt und aus der Fensterreihe, die der Zeit trotzend noch immer da steht, sieht man tief hinunter zwischen malerisch zertrümmerte Steinwände, die ein unendlicher Reichthum von Epheu aufs neue mit einander verbindet.

Wie klein und erbärmlich dünkte mir da oben jede, auch noch so glücklich gelungene Nachahmung zerstörter Schlösser; denn die Kunst kann wohl diese regellos der Zeit als Opfer gefallenen Mauern nachbilden, und umgestürzte Thürme und gähnende Burgverließe, die wie offene Gräber sich aufthun, täuschend hervorbringen. Aber der geheimnißvolle Reiz der Ruinen besteht nicht in leblosen Steinmassen, sondern in den Schattengestalten der Bergwelt, die die Fantasie aufs neue mit glühenden Farben belebt, und in der Vorstellung, daß da, wo jetzt Stille und schauerliches Schweigen herrscht, einst auch die Stürme der Leidenschaft tobten, mit denen der Lauf des Lebens die menschlichen Schicksale erschüttert. O gewiß, für den, der ein tiefes Leiden in seiner Brust verbirgt, quillt ein schmerzstillender Balsam aus dem Gedanken: das nichts Bleibendes auf Erden seine Heimath findet — — und wo könnte er wohl lebendiger rege werden, als unter den Ueberresten ehemaliger Festigkeit und Größe, die im Bilde der Nachäfung widerlich den Sinn von lindernder Erhebhung abziehen.

Ganz anders, wie unter solchen erkünstelten Ruinen, war hier mein Gefühl beim Anschauen der eingegrabenene Wappen und der steinernen Ritter, die aus tiefen Nischen hervorblicken, als wollten sie sehen, wo das noch hinaus will mit der Zeit, die nicht mehr der alten, biederen Ritterzeit gleicht. In der sie lebend. Mir war zu Muthe, als thäten sich die bemoorten Gräber wieder auf, und als wandelte die vergessene Reihe der Bewohner dieses Schlosses mit feierlichem Ernst unter den Trümmern ihres ehemaligen Glanzes umher, meinen Geist von der Gegenwart abzulenken, und ihn mit Erinnerungen jenes altdeutschen wackeren Wandels zu erfüllen, der sich Jahrhunderte hindurch in heiliger Einfalt erhielt.

Aber auch düstere Scenen der Vergangenheit, deren Schauplatz dieses Schloß war, steigen schwermüthig vor mir auf, und vor allem das Schicksal der unglücklichen Churfürstin Charlotte, die in den Jahren 1650 bis 1657 hier lebte und litt. Mehrere Schriftsteller, die ihrer Geschichte erwähen, sprechen unbarmherzig das Urtheil über sie aus, daß sie das traurige Loos ihres Lebens selbst verschuldete. Aber, obgleich jeder die Umstände eingesteht, die sich zu ihrem Unglück vereinigt hatten, so drang doch keiner – die Individualität der beklagenswerthen Fürstin ehrend – durch eine unpartheiische Untersuchung in das Innere ihrer Lage ein; und mir dünkt, nur aus einer genauen Prüfung derselben und ihres Karakters kann ein richtiges Urtheil über sie hervorgehn, das gewiß einer Vertheidigung ähnlich sehen muß.

An den heiteren Hof ihres Vaters, des Landgrafen Wilhelm des Fünften von Hessen Kassel, aufgewachsen, hatte sie sich früh daran gewöhnt, in männlichen Uebungen ihre Lieblingsvergnügungen zu finden. Wenn andere Fürstentöchter daheim bei der Spindel in ehrbarer Einsamkeit saßen, flog sie jagend in dem Forst der Wälder auf muthigen Rosse einher, die goldene Freiheit ihrer ersten Jugend in froher Ungebundenheit genießend, als habe ihr geahndet, daß die Zukunft nur drückende Fesseln ihr brächte.

Doch ihr rascher, feuriger Sinn, den keine sorgsame Erziehung schonend einschränken suchte, würde dem Zauber wahrer Liebe, der sie früh ergriff, gewiß gemildert sich unterworfen haben, hätte nicht ein finsteres Geschick ihr diese Blüthe des Himmels nur gezeigt, um sie ihr auf immer zu entziehen. Herzog Friedrich von Würtemberg wußte ihr Herz zu rühren. Seit dieser Zeit schien an die Stelle einer wilden, fast bizarren Lebhaftigkeit das zartere Gefühl der Weiblichkeit in ihr Gemüth einzukehren, und ohne Verstellung, doch sittsam und bescheiden gab sie sich dem Zug einer Neigung hin, die sie wahrscheinlich zum höchsten Glück des Lebens, zum Glück einer zufriedenen Häuslichkeit geführt hätte, wäre nicht der Churfürst Karl Ludwig von Pfalz-Baiern damals wie ihr böser Genius am hessischen Hofe erschienen.

Vergebens war er Zeuge von ihrer innigen Anhänglichkeit an Friedrich von Würtemberg – vergebens warnte ihn selbst Charlottens Mutter, nicht um das Herz zu werben, das einem andern bereits gehörte. Charlottens lebhafter Geist zog ihn eben so unwiderstehlich an, wie die Lieblichkeit ihrer reizenden Gestalt, und ohne Rücksicht auf ihre Gesinnungen und auf die Rechte einer früheren Liebe zu nehmen, hielt er um ihre Hand an, die sie gezwungen wurde, seinem höheren Range und seiner ausgebreiteteren Macht zum traurigen Opfer zu bringen.

Sehr bald, nachdem diese Verbindung geschlossen worden war, entdeckte sich die größte Verschiedenheit in der Denkungsart des Churfürsten und seiner Gemahlin. Er hatte durch den Druck seiner ersten Jugend, die er als Flüchtling in fremden Ländern zubrachte, sich an eine Sparsamkeit gewöhnt, die oft in Geiz ausartete. Charlotte hingegen liebte den Aufwand. Sie theilte gern mit vollen Händen Wohlthaten aus, und der traurige Zustand der Pfalz, die durch einen langwierigen Krieg halb verwüstet war, gab ihr hierzu mehr Veranlassung, als sie in den blühenden Ländern ihres Vaters gefunden hatte. Auch betäubte sie gern durch rauschende Lustbarkeiten die innere Stimme, die ihr zurief, daß sie nicht glücklich war, und die Geradheit ihres feurigen Karakters riß sie oft hin, ihrem Gemahl die Abneigung zu zeigen, mit der sie ihm ihre Hand gereicht hatte. Doch gab sie nicht unthätig sich dem Widerwillen hin, der sie von ihm abwandte. Oft rang sie nach Ergebung in ihr Schicksal, und suchte durch freundschaftliche Aufmerksamkeiten den Mangel der Liebe zu ersetzen, dem abzuhelfen nicht in ihrer Willkühr stand. Wie wenig aber des Churfürsten Sinn empfänglich für dies Bestreben war, ihm zu seyn, was sie konnte, beweisen mehrere Thatsachen, durch damalige Schriftsteller der Nachwelt aufbewahrt, und statt durch Gefälligkeit und Güte nach und nach ihr widerstrebendes Herz zu gewinnen, entfernte er es durch öffentliche Kränkungen und Beleidigungen immer mehr und mehr von sich. Denn als, unter andern, einst Charlotte ihm zum Neujahrsgeschenk ein schönes zierlich geschmücktes Pferd verehrte, gab er es noch an demselben Tage mit Verachtung einem seiner Diener, und mehreremale begegnete er ihr im Angesicht seines ganzen Hofes mit einer Härte, die ihr Innerstes empören mußte.

Ein Trost schien Charlotten übrig zu bleiben in dieser freudenleeren Lage – der Trost der Freundschaft, der jede Bürde leichter macht. Doch auch dies Glück war ihr nur in der lügenden Gestalt einer Täuschung erschienen, und tückischer Verrath lauschte hinter der theilnehmenden Ergebenheit, die sie zu finden meinte. Louise von Degenfeld, eine ihrer Hofdamen und ihre innigste Vertraute, war zu gleicher Zeit in Geheim die Geliebte ihres Gemahls, die die erbitterten GEmüther immer mehr von einander trennte, statt sie näher zusammen zu bringen. Endlich entdeckte die Churfürstin, daß sie betrogen wurde. Der Briefwechsel zwischen ihren Gemahl und Louisen fiel in ihre Hände, und es blieb ihr kein Zweifel mehr übrig, daß sie verrathen sey. Zwar leugnete der Churfürst sein Verhältnis zu Louisen und suchte sich unter dem Vorwand zu rechtfertigen, daß die zärtlichsten Briefe, die ihn überführten, nur eine Uebung in der lateinischen Sprache gewesen wären; doch Charlotte hatte sich zu genau von seiner Untreu überzeugt, als daß sie seinen Versicherungen hätte glauben können.

Aber auch noch jetzt wäre es vielleicht möglich gewesen, durch ein mildes und kluges Betragen ihres Gemahls ihrer wechselseitig traurigen Lage eine freundlichere Wendung zu geben. Doch er fuhr fort, sie mit aller Rauhheit eines schuldbewußten, und dennoch gefühllosen Herzens zu behandeln, und genöthigt, ihrer falschen Freundin Platz zu machen, die er sich unvermuthet an die linke Hand trauen ließ, beschloß sie, als eine Verwiesene an den Hofe ihres Vaters ihr Leben, das unbekannt mit Glück, und nur mit Leiden vertraut, einem bangen Träume geglichen hätte.

Höchst naiv, und ich möchte sagen tragisch-komisch, ist die Schilderung, die sie von dem Benehmen ihres Gemahls in einem Brief an den Kaiser macht, worin sie sich beklagt, gänzlich verstoßen, und von ihrer Nebebuhlerin verdrängt worden zu seyn. »Es! Hat sich zugetragen,« schreibt sie unter andern: »daß Ihro Liebden, Herr Markgraf Friedrich zu Baden, unser vielgeliebter Herr Schwager sammt Dero geliebten Frau Gemahlin von Durlach uns zu besuchen nacher Heidelberg kommen sind, und als wir zur Tafel gesessen, zu uns gesagt haben: »Wie, meine Frau Schwester, warum so traurig?« — Wir aber antworteten: »Geliebtester Herr Bruder, vielleicht finden sich annoch wohl Ursachen unserer Traurigkeit. Worauf unser Gemahl ganz erröthet sagte: »es ist nichts neues, daß meine Frau Gemahlin ohne gegebene Ursach zörnt.« Wir aber konnten Ehren halber solche Rede nicht unverantwortet lassen, sondern sprachen: Diejenigen, so die Mägde lieber sehen, als die Frauen, machen mich zornen. Worauf unser Herr Gemahl sich gestochen gefunden, und vor Zorn ganz verblichen, auch uns in Gegenwart besagter fürstlicher Personen eine solche harte Maulschelle zugestellet, daß wir uns, wegen des verdrießlichen Nasenschweißens von der Tafel hinweg begeben müssen. etc.«

Unglückliches Opfer einer herz- und seelenlosen Politik, jetzt schlummerst Du ruhig in Deinem Grabe, und die Stürme des Lebens berühren Dich nicht mehr. Vielleicht war eben da, wo ich freudig trunken in den Reizen der Natur schwelgte, der Schauplatz jener widerlichen Scene, die Du beschreibst. – Ich wandte mich weg von dieser Vorstellung, und schaute um mich her, milden Trost an der Schönheit der Gegend suchend, die auch zu ihr gewiß oft wie eine Stimme aus besseren Welten in den Stunden des Kummers sprach. Nie sah ich eine schönere Vegetation, als um Heidelberg, und es ist, als wenn dieser üppig wuchernde Epheu, diese kraftvollen Bäume, und diese mit dem jugendlichsten Grümn emporstrebenden Pflanzen sich bewußt wären, daß der Strich Landes, der sie trägt, recht wie ein Lieblingskind im Schooß der herrlichsten Natur liegt.

Ohnmöglich konnte ich Heidelberg verlassen, ohne Hulda, die einzige Tochter meiner verstorbenen Freundin, Sophie B. wieder zu sehn, die hier von der achtungswerthen, und doch mütterlich für ihre Zöglinge sorgenden Karoline Rudolphi erzogen wird. Aus den kindlichen Blick der Kleinen sprach das Andenken an ihre Mutter mit schmerzlicher Wehmuth zu meinem Herzen, und ich schied gerührt, doch über ihr Schicksal völlig beruhigt, da die reine Liebe und Güte ihrer trefflichen Erzieherin der einzige und schönste Ersatz ist, der ihr für ihre frühverstorbene Mutter werden konnte.