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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Eilfter Brief

Wallenburg, den 21. Juli
früh 4 Uhr

Wir lernten gestern die ersten Launen des Schweizer-Himmels kennen, als wir von Basel wegfuhren. Es war helles, heiteres Wetter; aber plötzlich erhob sich ein tobender Sturm, der den Staub in dichten Wolken empor wirbelte und endlich fieng es an zu regnen. Wir ertrugen aber alles mit musterhafter Geduld und ließen den Wagen zurückgeschlagen, um lieber etwas naß zu werden, als einen Blick in die blauen Berge zu verlieren.

Bald besserte sich auch das Wetter, und nun wurde unsere Fahrt wahrhaft herrlich durch die frischen Thäler, deren Grün durch den Regen neu belegt, und durch die immer tiefer sinkende Sonne unendlich reizend beleuchtet war. Auf beiden Seiten waldigte Berge, aus deren dunklen Schatten zuweilen große Granit und Kalksteinblöcke hervorragten, oder Kornfelder, die sich die Anhöhen hinabzogen, aufs reichste, und malerischte mit Bäumen gruppirt. Schöne Dörfer und Flekcne, oder einzelne Landhäuser, in deren Umgebung man die sorgfältigste Kultur des Bodens gewahr wird, welchseln rasch mit einander ab, und die hohen Felsenmassen haben nichts ödes, schauerliches hier, da der volle Anbau beweist, daß viele, und glückliche Menschen innerhalb ihrer Gränzen wohnen.Ein kleiner Fluß – eigentlich wohl nur ein starker Bach – rauschte gesellig neben unserm Wege hin, und krümmte sind mit ihm in freundlicher Begleitung. Die einzelnen Wasserfälle, die er so bildete, unterbrachen mit frischer Lebendigkeit zuweilen die tiefe Stille der Natur um uns her.

Leider aber gieng die Sonne viel früher unter, ehe wir unser Nachtquartier erreichten. Nie bin ich der Dämmerung so feind gewesen! Sie senkte sich nicht tief genug auf die Gegenstände, um sie ganz zu verhüllen, und ließ gleichwohl nicht deutlich erkennen, als die Gewißheit, wie viel wir durch ihr neidisches Dazwischenkommen verlohren. Wäre es ganz dunkel gewesen, so würde meine Fantasie, um sich abzuspannen, sich auf die Lüneburger Heide geträumt haben; aber auch diesen matten Trost mußte ich mir versagen, da die steilen Gebirge, deren Formen sich dunkel an dem helleren Grau des Himmels abzeichneten, mir überall zuriefen: Hier ist die Schweiz, und Du siehst sie nicht! –

* * *

Solothurn, Nachmittags

Seit einigen Stunden sind wir hier und lüften uns, schon diesen Abend den Weißenstein zu ersteigen, von dessen Höhe die Aussicht einzig und allumfassend seyn soll. Solothurn liegt schön zwischen der Aar und dem Jura, der kühn und ernst mit seinem schroffen Felsenrücken emporsteigt. Nebelwolken lagerten sich dumpf und schwül auf den Bergen, als wir ausfuhren, und drangen hinauf in die oberen Regionen, bis die Sonne sie allmählich wieder niederdrückte. Die Viehheerden, die bald an den Abhängen der Berge, bald in der grünen Tiefe der Thäler mit ihrem harmonischen Glockengeläute weiden, wecken in ihrer erhabenen Umgebung das Gefühl, in der Schweiz zu seyn, mit voller Stärke, und vermischen es durch ihren leisen, melancholisch im Ohr verklingenden Ton mit einer wunderbaren, unerklärlichen Wehmuth.

Auf steilen Höhen begegnen hier dem Auge sehr oft Felsenschlösser, erst in neuer sehr neuer Zeit zerstört, und aus friedlichen Wohnungen in Ruinen umgeschaffen. Gern hätte ich die historischen Merkwürdigkeiten dieser alten Burgen wissen mögen. Einige derselben waren sonst Landvogteien – andere aber wurden erst vor wenig Jahren von den Franzosen geschleift. Wenn man die Trümmer aller Raubschlösser erblickt, die in längst vergangenen Jahren der Grausamkeit und dem Despotismus zum Asyl dienten, so sieht man mit Wohlgefallen auf ihre Ueberreste, die der allgemeinen Sicherheit wegen zerstört wurden. Aber hier mischt der Gedanke, daß noch vor kurzem freie, glückliche Menschen auf jenen nun verödeten Höhen wohnten, einen trüben Schatten von Trauer in das Nachdenken, mit dem man sie betrachtet.

Die unserem Gasthof hier gegen über liegende Kirche St. Ursus is von einem italienischen Baumeister erbaut. Ihre Façade wird zu den vollkommensten Meisterstücken der Architektur in der Schweiz gezählt. Die inwendige Verzierung ist einfach und edel, und oben auf dem Thurm überrascht ein so weiter und herrlicher Gesichtskreis das Auge, daß es beinahe die Mannichfaltigkeit desselben nicht fassen kann. Der Jura liegt majestätisch da in seinem blauen, zarten Dufte, und die Aar schlängelt sich in vielfachen Krümmungen auf der andern Seite der Stadt dahin.