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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Zwei und zwanzigster Brief

Bevey, den 7. August.

Es war gestern früh etwas am Wagen zerbrochen, weshalb wir erst ziemlich spät Martigny verließen. Wir kamen daher bei dem schönen Wasserfall Pissevache erst dann an, als die Sonne schon zu hoch stand, um noch aus seinem strömenden Staube Regenbogen zu bilden. Der Bach, aus dem er entsteht, heißt Salnche. Er stürzt, ganz in Schaum aufgelöst, von dem Felsen herab dicht bei einer kleinen Mühle, die seinen Ueberfluß benutzt. Wir kamen durch St. Maurice, ein kleines STädchen das mich durch seine unvergleichliche Lage sehr angezog. Eng zusammengedrückt sind hier die Felsen, durch welche die Rhone ihre raschen Wellen hinwälzt. Die Bücke, die sich über sie wölbt und die aus einem einzigen, kühn und leicht geschwungenen Bogen besteht, ist noch ein schönes Ueberbleibsel aus der Römerzeit. Am Ende derselben bezeichnet ein Thor den Eingang in den Canton Lemon, und verschließt gleichsam Wallis, das sich hier so sonderbar verengt, daß diese Brücke der einzige Weg ist, der heraus leitet. Der Dent de midi erhebt sich kollossalisch über die übrigen Reihen der Gebirge, und nur der Dent le morcles darf sich an Erhabenheit mit ihm messen. Zu den Füßen dieser Felsen bemerkt man die frischeste, üppigste Vegetation des reichsten Südens, während ihre zackigten Gipfel mit schimmernden Schnee belastet sind. Unbeschreiblich schön war der Weg, der uns nach Ber führte, wo wir in einem sehr guten Wirthshaus einige Stunden ausruhten.

Wir setzten alsdenn unsern Weg durch die herrlichsten Gegenden fort. Das Reisen ist hier nur eine Lustfahrt, und man möchte dem Argus seine hundert Augen beneiden, weil man sie alle nöthig hätte, um jeden einzelnen Reiz dieser Natur aufzufassen. Der Dent de Midi scheint die Reisenden zu begleiten, denn überall begegnet er dem Blicke, wenn man zurück sieht, und in jeder Beleuchtung des Tages erscheint seine unermeßliche Größe neu und majestätisch als der Grundpfeiler einer zetrrümmerten Welt, der schon vor Jahrtausenden den Stürmen trotzte, welche eine allgemeine Umwälzung der Erde begannnen.

Bei Villeneufe, einem kleinen, nicht einladenden Städtchen, das aber eine vortreffliche Lage hat, fanden wir den schönen Genfersee wieder, und die untergehenden Sonne spiegelte sich göttlich auf seiner reinen Fläche, die nur leise von spielenden Abendlüften bewegt wurde. Ein neues unangenehmes Ereigniß hielt uns hier beinahe eine Stunde fest. Wir hatten eine Schraube verlohren — c`est à dire: am Wagen — und ein Schmidt in Villeneufe mußte sie wieder machen. Der Straße gegen über , wo wir hielten, blickte der See zwischen enge beisammenstehenden Häusern hervor, und ich gieng hin an seine Ufer, und athmete mit Entzücken die reine milde Luft, die da wehte. Die Sonne war hinab gesunken, aber der Prupr der Abendröthe schimmerte noch an dem westlichen Gewölk, bis auch er verblich und der tieferen Dämmerung Platz machte, die späterhin des Mondes silberner Glanz verklärte. Der See wr so ruhig — er glich einem klaren Spiegel, der rein und ungetrübt eds Bild zurückstrahlte, das sich ihm darbietet. So still und unbewegt sollte das Gemüth des Menschen seyn, um alle Eindrücke der großen, erhabenen Natur lauter und fest in sich aufnehmen zu können — aber die Stürme der Leidenschaften erschüttern es zu oft, und es vermag alsdann nur schwankende Umrisse zu sammeln, die wie verworrene Schatten durch die Tiefe des Bewußtseyns zittern.

Unser unfreiwilliger Aufenthalt in Villeneufe war Schuld, daß wir auf dem Weg nach Bevay nur wenig mehr von dem Ufer des schönen Sees sahen. Zwar erhellte der Mondschein samft und freundlcih die Gegend, und hob jeden beddeutenden Gegenstand aus dem grauen Duft der Daämmerung hervor; aber nicht, um ihn bestimmt und klar der Seele einzuprägen, sondern nur, um mit Ungeduld den Nebelflor hinweg zu wünschen, der seine Deutlichkeit trübte.

Wir langten gegen eilf Uhr in Bevay an und kamen kurz vorher durch das Dorf Clarens, das durch Rousseaus Heloise ein so unvergängliches Interesse bekommen hat, daß viele Menschen diese Gegend blos darum besuchen, weil er sie würdig fand, der Schauplatz seines unsterblichen Romans zu seyn.

Heute Morgen giengen wir in eine Allee, die an dem See sich hinzieht. Dieser reizende Spaziergang wird derriére l’aile genannt. Man sieht über die reinen, bläulichen Fluthen die dunklen Felsen von Meillerie empor ragen, die in der Heloise eine so bedeutende Rolle spielten. Ueber sie erheben sich in malerischen Formen die Savoyischen Gebirge, an die sich die Felsenreihe von Wallis, Ver und Aigle anschließt. Alsdann giengen wir nach einem nahe gelegenen kleinen Städtchen, Tour du Peil, wo wir fast die nämliche Aussicht, nur noch ausgebreiteter, fanden. Wunderbar barock starrt die hohe Felsenspitze des Jaman in die Luft, die man gewöhnlich das Horn zu nennen pflegt. Ehe wir nach Beyay zurück kehrten, besahen wir die Kathedral-Kirche, und in ihr das Grab von Edmund Ludlow, einer der strengsten Richter des unglücklichen Karls des Ersten von England. Er war ein Mann von den festesten Grundsätzen und haßte den Despotismus eben so sehr, wie er die Freiheit liebte. Von der Regierung in Bern gegen alle Verfolgungen Karls des Zweiten geschützt, endete er 1693 hier sein Leben, und diene schwarze Marmortafel bezeichnet die liebevolle Achtung seiner Gemahlin Elisabeeth, die ihm dies Monument errichtete. Er war der einzige von den Richtern Karls, der eines natürlichen Todes starb; doch beweist die Sorge, die er vor seine Sicherheit trug, die Angst , welche seine Tage verbitterte, und es ist unentschieden, ob sie aus der Unruh seines Gewissens, oder aus geführchteten Nachstellungen entstand. Eine schöne Allee vor der Kirche eröffnet wiieder die herrliche Aussicht über den See nach Meillerie. Niemals fühlte ich lebhafter den unendlichen Zauber, der in den Schöpfungen der Fanatais liegt, als hier, wo ich im Geist den treuen St. Preux zwischen den Festen umherirren sah — hier, wo in dem Wehen der milden Luft mir die Seufzer seiner Sehnsucht zu begegnen scheinen. —