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Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Fünf und dreißigster Brief.

Würzburg, den 14. September.

Nur durch einzelne Bruchstücke, meine theure Caroline, kann ich die lange Pause ausfüllen, die zwischen meinen Briefen entstanden ist. Zwar hätte die häusliche Ruhe eines zehntägigen ländlichen Aufenthalts mir Muße genug geben sollen, Dir mit meiner vorigen Unständlichkeit zu schreiben; aber sie war mit so manchen angenehmen Abwechslungen und mit so anziehenden Unterhaltungen verbunden, daß ich mich selbst über die so unvermerkt dahin gehende Zeit täuschte. Auch entwand zuweilen die Nähe unseres Wiedersehns mir die in Gedanken schon ergriffene Feder —doch nehme ich sie noch einmal auf, um Dir und meiner eigenen Erinnerung so wenig wie möglich von dem Genuß dieser letzten Tage verlohren gehen zu lassen.

Von Ludwigsburg fuhren wir nach Monrepos, wo wir das Schloß besahen. Es ist über alle Beschreibung prächtig und verbindet den feinsten edelsten Geschmack mit königlichen Luxus. Doch zog mich eine Reihe Zimmer des Königs auf der Meierei, die nur im Vergleich des Schlosses simpel genannt werden darf, noch mehr, wie jenes an, mit dessen Pracht ich niemals so völlig vertraut werden könnte, wie man es mit einer Wohnung werden muß, in der man sich recht wohl und gemüthlich befinden soll. Ich habe keine Worte, um Dir auszudrücken, wie unaussprechlich-lachend und lieblich dort alles ist, was man sieht, und nur ungern und mit schweren Herzen verließ ich dies freundliche Asyl der Ruhe und der Heiterkeit, das so lebhaft zu meinem Innern sprach. Die Gegend ist ziemlich flach. Um so auffallender stellt sich als eine Zierde derselben der Hohenasperg dar, der eine Festung auf seinem Gipfel trägt, in welcher Staatsgefangene aufbewahrt werden. — Wir setzten unsern Weg über Heilbronn, und von da nach Bonfled fort, wo wir zehen glückliche Tage verweilten. Während dieser Zeit machten wir manche interessante Exkursion zu Pferd und zu Wagen, und sammelten Erinnerungen der Vorzeit ein, die diese Strecke Landes beleben. Sie war der Schauplatz des Bauernkriegs, der 1525 – 1526 mit so viel Greuelthaten und Grausamkeiten begann und endigte. In dem Städtchen Weinsberg, das nicht weit entfernt ist, bemächtigten sich damals die ergrimmten Bauern siebzig Edelleuten, die sie der Rache opferten, indem sie sie wehrlos in einen Kreis schlossen und mit Spießen niederstachen. Durch das frühere Andenken der deutschen weiblichen Treue, die Bürger durch sein Lied verewigt hat, erhält dieser kleine Ort ein freundlicheres historisches Interesse. — Der dreißigjährige Krieg hat hier auch noch Spuren zurückgelassen, und man zeigte uns Schanzen, die der große Gustav Adolph aufwerfen ließ. Unvergeßlich bleibt mir ein Spazierritt durch schöne Reiche Gegenden nach einem Kloster, dessen Mönche uns mit gutmüthiger Gefälligkeit in ihrer Kirche und in ihren Zellen umher führten. Eine der herrlichsten Aussichten innerhalb Deutschland gewährt ein mit Wald und Reben bewachsener Berg jenseits Heilbronn, auf dessen Höhe ein Wirthshaus erbaut ist, das den Einwohnern Heilbronns zum Belustigungsort dient. Unermeßlich weit ist hier der Gesichtskreis, der sich dem Auge öffnet, und eine reizende Mannichfaltigkeit schmückt seinen ungehuern Umfang. — Vorgestern früh verließen wir Bonfeld. Unser Weg führte uns durch eine schöne und überaus interessante Landschaft. Der Rittergeist längst vergangener Jahrhunderte schien die Ruinen der alten Schlösser zu beseelen, an denen wir vorüber fuhren, und ernste, kräftige Bilder des Faustrechts, der Unterdrückung des Schwächern, und der rasch geübten Gerechtigkeit manches biedern Bewohners dieser zerstörten Burgen traten vor meine Seele. Besonders lebhaft erneuerte sich die Erinnerung an die Geschichte jener barbarischen, aber doch großen Vergangenheit in der Nähe des Hornbergs, auf dessen waldigem Gipfel die Trümmern eines Schlosses sich noch erhalten haben, das Götz von Berlichingen bewohnte. Zwischen mit Wein bepflanzten Hügeln, Wiesen, wohlgenutzten Feldern fließt der Neckar in seinem flachen Bette durch das Thal. Das zuweilen angenehme Ansichten in die Ferne eröffnet.

Der schlechte Weg nöthigte uns, die Nacht in Adelsheim zu bleiben. Am andern Morgen hüllte ein dichter Nebel die Umrisse der Gegend neidisch ein, und erst spät gelang es der Sonne, ihn zu zerstreuen. Als wir uns Würzburg näherten, konnten wir nicht viel mehr von den anmuthigen Umgebungen dieser Stadt sehen, weil die Abenddämmerung schon ihren Flor über das Thal breitete, indem uns zur linken Hand der Main in vielfachen Krümmungen durch Rebenhügel sich schlängelte. Nur die Citadelle schimmerte noch auf ihrer Anhöhe im letzten Strahl des purpurnen Abendroths.

Heute Morgen war der Regen, der schon früh in Strömen niederfiel, den Ansichten ebenfalls nicht günstig, die wir sonst vom Großherzoglichen Schlosse herab so schön genossen hätten. Das Schloß ist alt, aber prächtig erbaut, und im Geschmack ehemaliger Zeiten verziert. In einem hohen Saal zeigt der Plasond Venus, wie sie die Braut des Friedrich Barbarossa in ihrem Wagen herbei führt. Auf der einen Seite dieses Saals sieht man diesen Kaiser knieend mit seiner Braut vor dem Bischof die priesterliche Einsegnung empfangen, auf der andern aber — um die weltliche Macht der geistlichen nicht völlig unterzuordnen — sitzt er auf seinem Thorn, und der Bischof knieet vor ihm und erbittet sich die Lehn.

Wir besuchten auch das vortrefflich eingerichtete Spital, das im Jahr 1575 der Bischof Juilius den Leiden und Schwächen der Menschheit errichtete. Die edelste Toleranz öffnet hier allen Glaubensgenossen mild und tröstend die Thüre, und es werden über vierhundert Kranke, Alte, Wahnsinnige und Gebrechliche da verpflegt. Eine unbeschreibliche Reinlichkeit und Ordnung verbreitet sich über das Ganze, und vermindert den widerlichen Eindruck, den der Anblick so vieler, oft mit ekelhaften Krankheiten behafteter Menschen macht. Unter den Wahnsinnigen fanden wir neunzehn Frauen und Mädchen, die gerad zu Mittag aßen. Die meisten hatten ein sehr frohes, sorgenloses Ansehen, und ließen sichs wohl schmecken. Es schien nicht, als wenn mit dem Licht der Vernunft ihnen jene innere Klarheit erloschen wäre, die die Mutter der Heiterkeit ist, sondern als wenn sie mit ihrem Verstand nur die Fähigkeit verlohren hätten, den Schmerz des Lebens zu begreifen. Nur eine lag im Bette mit einem traurigen Ausdruck nicht gerade von Verwirrung, aber von Abwesenheit des Geistes. Unser Lohnbedienter redete sie an, aber sie antwortete nicht und starrte düster vor sich nieder. Sie ist schon einige zwanzig Jahre hier, und — wie die größte Anzahl dieser Unglücklichen — aus Liebe verrückt geworden.

Es ist höchstauffallend, daß diese Leidenschaft mehr auf das Gehirn der Frauen, als der Männer zu wirken scheint, denn man sagte uns, daß lange Erfahrungen das Resultat hervorgebracht haben, daß diese nur durch Ehrgeiz, Sorgen, Neid, übertriebene Geistesanstrengungen und Habsucht — nicht durch Liebe — zu Bürgern des Tollhauses eingeweiht werden. Vielleicht ist dies ein Beweis, daß ihnen die Liebe nur Nebensache ist, und daher nie zur fixen Idee wird, noch weniger aber die ganze Seele ausfüllt, während ein fühlendes weibliches Gemüth nur in ihr sein Daseyn ahndet, nur in ihr seine Welt und seine Glückseligkeit findet.

Unter den Männern war der Wahnsinn in allen möglichen Abstufungen zu sehn. Einer, dem man Schuld giebt, daß er durch zu eifriges Studiren seine Geisteskräfte verlohren hat, ließ mich lange in dem Zweifel, ob er unter die Aufseher oder unter die Verrückten gehörte. Er hatte beinahe das Ansehn eines völlig vernünftigen Menschen, und versicherte mir mit einem mitleidigen Achselzucken, indem er auf seine Gefährten wies, daß sie alle nicht recht bei sich wären. Einer saß auf der Erde und blckte starr und unbeweglich vor sich hin. Er hat schon in vielen Jahren kein Wort gesprochen. Sie werden alle äußerst menschenfreundlich und milde behandelt. Man läßt sie ganz nach ihrer Neigung, so weit sie unschädlich ist, vegetiren, und ihr Loos ist so erträglich, wie es unter diesen Umständen nur seyn kann. Nur einer lag halb nackend auf Stroh in einem dunklen Loche. Er ist wüthend und auf keine Art zu bändigen. Besonders tobt er, wenn man ihn Kleidungsstücke annöthigen will, und zerreißt sie unter fürchterlichem Gebrüll mit den Zähnen. Nebenan war ein ähnlicher Behälter für eine Frau, welche auch rasend, und durch Güte nicht zu regieren ist. Sie schaute uns mit einem gräßlichen Tigerblick entgegen, als ihre Thür geöffnet wurde, und soll, vorzüglich des Nachts, durch schauderhaftes Heulen das Brüllen ihres Nachbars accompagniren. Doch auch für diese Elenden wird menschlich und zweckmäßig gesorgt, und sie werden keinesweg in der Reinlichkeit oder Pflege vernachlässigt.

Tragikomisch war einer der Rasenden, der nicht die Vortheile des Spitals in Hinblick der freien Verpflegung genießt, sondern der von seinen Verwandten unter die Aufsicht dieses milden Instituts gegeben worden ist, so wie mehrere auf diese Art gegen Erstattung eines Kostgelds aufgenommen sind. Er war in sehr festen Zwillich gekleidet, und man hatte die Ermel seiner Jacke an den Leib derselben befestigt, wodurch er weder sich noch andere beschädigen konnte. Er war noch sehr jung und wohlgebildet. Als seine Thür aufgeschlossen wurde, sah er gerade zu den eisernen Stäben seiner Zelle heraus, doch drehte er sich heftig um, als man ihn rief, und kam mit schnellen Schritten auf mich zu, indem er mich frug, wo wir herkämen und was wir wollten, aber ich möchte ihm die Wahrheit sagen. Da ich mich beim Anblick seiner halb lächerlichen, halb Wehmuth erregenden Getalt nicht so geschwind fassen konnte, als er eine Antwort erwartete, glaubte er, ich verstände kein Deutsch. Er redete mich daher französisch an, und frung mit unsäglicher Hastigkeit nach vielen Personen, die er kannte. Als ich noch immer stumm blieb, gieng er mit den Pantomimen der unwilligsten Ungeduld wieder zur deutschen Sprache über und sagte mit drohenden Blicken: ich solle antworten, wenn ich Ehre im Leibe hätte. Ich ließ mich nun, um seine Wuth nicht zu reizen, in eine Unterhaltung mit ihm ein: als sich aber unser Lohnlaquai hinen mischen wollte, wurde er so rasend, daß ich die Flucht ergriff. Kaum hatte man in jedoch wieder in seinen Kerker eingeschlossen, so verstummten seine Drohungen und wir hörten ihn mit einem gellenden, alle Nerven durchdringenden Tone die fröhlichsten Melodieen singen.

Es gehört unter die traurigsten Wunder, daß der Körper so maschinenmäßig fortdauern kann — ja, daß sogar oft pyhsisches Wohlbefinden aus moralischer Vernichtung sich entweickelt.

Die Kirche dieses Hospitals ist hell, elegant und freundlich. Die Wände sind von gelblichem Marmorguß und grau und weiß gesprengte Säulen tragen die obern Gallerien. In der Mitte ist in From einer Bundeslade der Altar von inländischem, grauund weiß melirtem Marmor. Die Kranken und Schwachen des oberen so wie des unteren Stockwerks könnnen, ohne eine Treppe zu steigen, die Kirche besuchen, und auch die Wahnsinnigen dürfen, wenn sie in hellen Augenblicken es wünschen, hinter Gittern Antheil daran nehmen.

Dies musterhafte Spital enthält auch Zimmer für Unglückliche, die an der fallenden Sucht leiden, so wie auch eine besondere Verpflegungsanstalt für arme Dienstboten und Handwerksbursche. Krüppel und Mißgeburthen finden hier ebenfalls ein sorgenfreies Unterkommen, und wir sahen unter diesen letztern eine Frauensperson, die ohne Beine gebohren ward, und auch nur einen Arm, und an dem andern eine Hand mit vier Fingern hatte.

Mit Ehrfurcht sah ich noch zuletzt das Bild des frommen Bischof Julius, der der Stifter dieser vielumfassenden, wohltätigen Anstalt war. Er hat sich durch dieselbe ein seltenes, herrlches Monument erbaut, das seinen Namen der späten Nachwelt noch mit heiliger Andacht und mit allen Segnungen der Dankbarkeit nennen wird.