Skip to main contentSkip to page footer

Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Sechs und dreißigster Brief.

Liebenstein, den 16. Sept.

Beständiger Rege bewog uns, vorgestern schon in Bobenhausen unser Nachtquartier zu nehmen, ob wir uns gleich ein weiteres Ziel vorgesetzt hatten. Eng und unbehaglich war die Wohnung, die wir fanden, und der Ungestüm des Wetters, der bei noch hoher Tageszeit unsere Reise hemmte, machte mich mißmuthig, da diese so unnütz verlohrenen Stunden unsere Ankunft in Weimar verzögern. Als wir gestern weiter reisten, regnete es zwar noch, aber nicht lange mehr. Doch blieb ein empfindlich kalter Wind als eine Geißel der üblen Witterung den ganzen Tag zurück, und die Sonne versagte uns hartnäckig den Anblick ihres göttlichen Lichts. Und doch wäre ihr erwärmender Schimmer in mehr als einer Hinsicht sehr willkommen gewesen, denn außer der Kälte, die der Milderung bedurfte, hatten wir auch eine freundliche Gegend um uns, der nur das höhere Leben fehlte, das die Beleuchtung allein den Gegenständen zu geben vermag. Nahe bei Neustadt an der Saale eblickten wir die Trümmer des Schlosses Salzburg auf einem waldumkränzten Berggipfel, und die Ruine des Schlosses Henneberg begegnet ebenfalls dem Auge auf ihrer stolzen, nun verödeten Höhe. Meiningen liegt recht ländlich, von Hügeln umgeben, und der englische Garten, den der verstorbene Herzog dem öffentlichen Vergnügen gewidmet hat, hat sehr hübsche Anlagen, obgleich sein Umfang nur beschränkt ist.

Wir blieben die Nacht in Meiningen und kamen heute durch sehr anmuthige Gegenden, die oft an die Schweiz erinnern, ob sie gleich nicht hoch sind, hierher, wo wir zuerst die gut erhaltene Ruine des Schlosses Liebenstein besahen. Der Weg zu ihr leitet durch waldige Gänge den Berg sanft hinauf, w sie steht und wo man von einer ausgebreiteten Aussicht überrascht wird, die blaue Ferne duftig begränzt. Auch besuchten wir die Quelle, deren kräftiges Sauerwasser jeden Sommer eine große Anzahl Brunnengäste hierher lockt. Jetzt aber, wo der Herbst schon anfängt bunte Blätter zu streuen, ist das gesellige Leben hier verschwunden, und einsam sind die dunklen Felsengrotten und die lieblichen Spaziergänge. Ich habe alles nur flüchtig in berauschenden Vorgefühl des Wiedersehens meiner Vaterstadt betrachtet, und noch flüchtiger halte ich die Erinnerung daran auf diesem Blatte fest. Denn immer näher, beste Caroline! rückt der Augenblick, der uns vereinigt, da wir von hier geradezu nach Weimar reisen. Ich endige also diesen Brief, um alles, was ich Dir noch mitzutheilen habe, für lang entbehrte, mündliche Ergießungen aufzusparen.