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Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Zweites Kapitel

Es vergingen einige Tage. Marie dachte oft an Ludwig, doch öfter an den Fremden, dessen Bild sich ihrem Herzen tief eingeprägt hatte. Immer erblickte sie ihn vor sich, den Glanz der schönen Augen vom milden Schimmer der Wohlthätigkeit überflossen, und ihre Fantasie malte die schönsten Züge, die sie jemals sah, aus, und grub sie tief in ihre Seele. Endlich trat der Vater mit einem Zeitungsblatt zu ihr. Lies, sagte er, man fordert Deinen Hausgenossen zurück. – Marie ergriff das Blatt, ihr Blick durchlief es flüchtig, bis sie den Namen fand, den sie suchte; – mit einem tiefen Erröthen las sie: Carl Graf von Wodmar. Wehmüthig betrachtete sie den Hund, der ihr so lieb geworden war, und der ruhig zu ihren Füßen schlummerte. Wir sollen uns trennen, sagte sie zu ihm, und neigte sich ihn streichelnd zu ihm herab, und ich hätte Dich so gern immer bey mir behalten. – Was wolltest Du wohl mit dem großen Thiere machen? versetzte der Alte. Nein, wir wollen ihn zurückgeben, und ich kaufe Dir lieber einmal ein Bologneserhündchen, oder ein kleines Windspiel, wie es sich eher für ein Mädchen schickt.

Also ein Graf? sprach Marie zu sich selbst, als sie allein war, und ein tiefer Seufzer schwellte unwillkürlich ihren Busen. – Wie schön ist er nicht! Mich dünkt, ich sah nie einen schönern Mann! Selbst Ludwig, der doch auch wohlgebildet ist, würde mir neben ihm so gemein, so alltäglich vorkommen. – Und wie gut muß er nicht seyn, fuhr sie mit gerührter Stimme fort, denn er war so freundlich, und schien so gern zu geben, als der Arme um ein Almosen bat! Aber was geht es mir an? – Sie wurde unwillig über ihr Selbstgespräch, brach es schnell ab, und lief, ohne zu wissen warum, geschwind zu dem Vater, um ihn zu bitten, daß er doch gleich möchte im Zeitungs-Comtoir bekannt machen, wo der Hund abzuholen sey. Es geschah, und in wenig Stunden darauf klopfte jemand an die Thür. – Marie rief herein, es war der Kammerdiener des Grafen.

Mein Herr dankt Ihnen sehr, hub er an, und wandte sich zum alten Müller, der seine Pfeife Tabak in Ruhe rauchte, daß Sie Sich so gütig seines verirrten Hundes angenommen haben, den er wie seine beiden Augen liebt. Er bittet, Sie möchten diese Kleinigkeit, hier wollte er dem Alten sechs Louisd'or in die Hand drücken, als ein Zeichen seiner Erkenntlichkeit annehmen.

Sie sind Ihren Dank eigentlich meiner Tochter schuldig, antwortete Müller. Ich habe wenig Verdienste um das Thier, denn Marie hat sichs nicht nehmen lassen, dafür zu sorgen. Der Kammerdiener machte eine Verbeugung an Marien, und wollte ihr das Gold überreichen. Ihr holdes Gesicht glühte, – sie fühlte sich in diesem Augenblick beleidigt, und von einer sonderbaren Beschämung durchbebt.

Sagen Sie Ihrem Herrn, sprach sie, daß ich, ohne mich belohnen zu lassen, meine Schuldigkeit thue. Der Hund ist sein, und ich gebe ihn unentgeldlich zurück. Ihr Herr, fuhr sie zögernd fort, scheint von seinem Gelde den besten Gebrauch zu machen, indem er gütig seinen Ueberfluß unter die Armen vertheilt; – bitten Sie ihn, die mir zugedachte Belohnung eben so anzuwenden. Sie liebkosete Pallas, so hieß der Hund, zum Abschied, entfernte sich dann, begleitet von den verwunderungsvollen Blicken des Kammerdieners, der niemals so viel Schönheit und Anmuth beisammen gesehn hatte.

Georg, dies war sein Name, kehrte zum Grafen zurück, und nachdem er ausführliche Rechenschaft von seinem Auftrage abgelegt hatte, ergoß er sich in eine Menge Lobsprüche über Mariens Reize. Der Graf, ein junger Libertin, wurde neugierig, eine Bekanntschaft zu machen, von der Georg ganz begeistert war. Sie hat mein Geld verschmäht, sagte er zu ihm, – meinen Dank wird sie doch annehmen. Morgen will ich einen Augenblick hingehn, und sehn, ob dein Lob nicht übertrieben ist.

Mariens Gemüth, das durch des Grafen Anblick bewegt worden war, fing gerade an diesem Tage an, wieder ruhig zu werden. Sie dachte ernsthaft an Ludwig und an die Zukunft, und eine sanfte Schwermuth bemächtigte sich ihrer, und füllte ihr Auge mit Thränen. Neben den schönen Grafen stellte sie im Geist ihren Ludwig mit seiner treuen Liebe, und so, glaubte sie, würde ihr es leicht werden, den Mann zu vergessen, den sie gleichsam nur im Vorüberfliegen gesehn hatte, und der wie ein Zauberbild aus einer schönen Ideenwelt vor ihrer Seele schwebte. Da hörte sie einen leisen Gang vor ihrer Thür, endlich Pallas wohlbekanntes Bellen; unentschlossen stand sie noch da, als es klopfte; – sie öffnete, und der Graf mit seiner Dogge stand vor ihr. Pallas lief auf sie zu, und bezeugte ihr seine Freude, sie wieder zu sehn; sie neigte sich lächelnd zu ihm, und Wodmar, dessen Erwartung weit übertroffen war, redete sie an. Verzeihen Sie, liebenswürdiges Mädchen! sagte er, daß ich selbst komme, Ihnen den Dank zu überbringen, den ich Ihnen schuldig bin. Er schwieg, aber sein Auge sprach fort. Marie schlug erröthend die ihrigen nieder, eine süße Unruh bewegte ihr Innres: – O gnädiger Herr! stammelte sie leise, und schwieg dann verlegen. Gerade zur rechten Zeit kam der alte Müller, der beym Anblick seines vornehmen Gastes in ein angenehmes Erstaunen gerieth. Der Graf wurde zum Sitzen genöthigt, und Marie erlangte ihr unbefangnes Wesen wieder, als ihr der Vater den Auftrag gab, eine Flasche alten Rheinwein aus dem Keller zu holen, mit welcher er ihn bewirthen wollte. Wodmar folgte ihr mit seinen Blicken, – Marie war schön wie ein Engel. Ihre einfache, aber saubre, bürgerliche Kleidung lieh ihren Reizen nichts, ohne sie allzuneidisch zu verhüllen. Sie war liebenswürdig durch sich selbst, und brauchte keiner fremden Hülfe um zu gefallen. Die holde Sittsamkeit auf ihrer leicht erröthenden Wange, und die kunstlose Anmuth, die ihre Bewegungen schmückte, alles dies gab ihrer Schönheit in seinen Augen doppelten Reiz.

Der Wein öffnet die Herzen; besonders hatte er auf Müllern, der ihn selten zu trinken pflegte, für den Grafen den wohlthätigsten Einfluß. Er wurde lustig und vertraulich. Wodmar besaß die Gabe, sich mit einer Geschmeidigkeit, die man nur in der großen Welt erlernt, in jede Lage zu fügen, und so verschlossen auch Müller gegen jede neue Bekanntschaft war, so offen wurde er bald gegen ihn. Diese abgeglättete Feinheit, die den Mann von Ton karakterisirt, diese Politur, die sich nur im Glanz der Höfe und eines rauschenden Lebens erwerben läßt, und ach! unter welcher oft die schönste Würde des Menschen, die edle Einfalt und Unschuld des Herzens verloren geht, wie gefährlich ist sie nicht dem stillen Biedersinn des redlichen Bürgers, der keine Tiefe ahnet, wo er eine klare, ruhige Fläche sieht.

Marie saß bescheiden in einiger Entfernung den beiden Trinkenden gegenüber. Ihr ganzes Gesicht wurde Glut, als der Vater in seiner gutmüthigen Geschwätzigkeit dem Grafen ihr Verhältniß zu Ludwig entdeckte, unterm Spiegel ihm seinen Schattenriß zeigte, und das Glas mit den Worten: Er soll leben! hoch empor hob, und dann leerte. Das soll er, versetzte der Graf, indem er langsam trank, und einen ernsten, forschenden Blick auf Marien heftete, der dies Gespräch immer peinlicher wurde. Dann stand er auf, ging hin zu dem Schattenriß, und sah ihn an. Marie, die ihn in den letzten Tagen vernachlässigt hatte, putzte den Staub herunter, und mit einer stillen Melancholie in seinen Zügen betrachtete er den glücklichen Bräutigam.

Lieben Sie Ludwig? fragte er leise Marien, auf deren Gesicht er einen verschwiegenen Kummer wahrzunehmen glaubte.

Ich schätze ihn hoch, war ihre Antwort.

Sie schätzen ihn, aber Sie lieben ihn nicht? fuhr er dringender fort. – Ich bin ihm gut, versetzte das erröthende Mädchen. – Reden Sie bestimmt, ich beschwöre Sie bei dem Glück meines Lebens! Lieben Sie Ihren Bräutigam? – – Mariens Auge sank zu Boden; – sie schwieg.

Des Grafen Blicke wurden inniger, eine brennende Röthe flammte auf seinen Wangen, er drückte ihre Hand, und setzte sich wieder zum Alten.

Marien wurde es zu eng im Zimmer. Sie eilte hinaus, und machte sich Vorwürfe über ihr Betragen. Wie thöricht habe ich mich aufgeführt, rief sie aus. Muß nicht der Graf denken, daß mir Ludwig so gleichgültig ist, wie ein Fremder? Warum sagt' ich denn nicht, daß ich ihn liebe? – und liebe ich ihn etwa nicht, fuhr sie nach einer Pause fort, – hat ihm nicht seine Gefälligkeit, seine Treue, seine Liebe für mich die meinige erworben? – Sie dachte nach über ihre Gefühle, und sie wurden ihr klarer. Mit tiefem, edlem Unwillen über sich selbst erblickte sie Ludwigs Bild in ihrem Herzen von des Grafen Liebenswürdigkeit ganz in Schatten gestellt. Sie wurde bestürzt über Empfindungen, die sie für Sünde hielt. Ich war auf dem Wege mich zu verirren, sagte sie, und holte aus ihrem Schmuckkästchen Ludwigs Ring, den sie an ihren Finger steckte, und zärtlich betrachtete. Vergieb mir, Ludwig! Dieser Ring, das Andenken Deiner Liebe soll mich erinnern was ich Dir schuldig bin, und mir selbst, wenn eine unselige Schwäche es mir vergessen lassen sollte. Bei diesen Worten trocknete sie ihr Auge, das eine unwillkührliche Thräne benetzte, und ging wieder zu ihrem Vater, welcher allein war. Der Graf hatte so viel Vergnügen an seinem Umgange gefunden, daß er mit dem Versprechen gegangen war, öfter wieder zu kommen.

Es macht uns nicht immer glücklich, wenn es uns klar ist, was wir fühlen. Mariens Nachdenken über sich selbst führte die erste dunkle Stunde ihres Lebens herbei. Ihre Lage erschien ihr jetzt in einem ganz andern Lichte, wie ehemals. Wo sie zu lieben glaubte, fand sie nur Freundschaft, und ihr Wohlgefallen an dem Grafen führte sie zu aufkeimender Liebe. Noch immer erblickte sie ihn neben sich, als er, Ludwigs Schattenriß in der Hand, mit einem festen, ausdrucksvollen Blick sie ansah, als wollte er in ihrem Herzen lesen. Immer kehrte die süße Beklemmung wieder, die bei seinem Händedruck ihr Wesen mit einem wonnevollen Schauder durchdrang. Immer rief sie sich die Melodie seiner Stimme, die Zauberkraft seines Anblicks, die rührende Schwermuth zurück, die seine Züge bewölkte, und suchte dann das Bild wieder zu verlöschen, mit dem sie sich so gern beschäftigte. Die reichen Fräulein sind doch glücklich, dachte sie oft, wenn sie allein war, und Er ihre Gedanken belebte. Sie dürfen ihn anhören, wenn er von Liebe spricht, sie dürfen hoffen! Aber ich – – – ich murre nicht über meinen niedern Stand, – ich murre nicht über mein Schicksal, ich bin ja Ludwigs Verlobte. Er wird mich glücklich machen, meine Wünsche sind Träume, – ich will sie vergessen. Sie bemühte sich, es zu thun, es kostete ihr Seufzer, und oft auch heimliche Thränen, und Wodmars Bild grub sich dennoch mit unauslöschbaren Zügen in ihr Herz.

Drey Tage waren vergangen seit seinem Besuche. Er wird nicht wiederkommen, sagte sie traurig zu ihrem Vater. Wer, mein Kind? antwortete Müller. Sie schwieg, lächelte schmerzlich, und setzte sich zum Klavier, um durch Musik die dumpfe Traurigkeit, die ihre Seele umlagerte, in milde Wehmuth aufzulösen. Der Vater ging seinen Geschäften nach, und ließ sie allein mit ihrer Schwermuth, die er Ludwigs Abwesenheit zuschrieb. Da flog die Thür auf, sie sah sich um, und Todtenblässe wechselte schnell in ihrem Gesicht mit dem hohen Roth der Freude, die ihren schönen Augen doppelten Glanz gab, als sie den Grafen mit einem schmeichelhaften Erstaunen, sie am Klavier zu finden, vor sich stehn, und ihre Hände mit Innigkeit fassen sah.