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Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Zehntes Kapitel

Am andern Morgen zögerte Josephine mit ihrer Abreise so lange als möglich. Ungestört konnte sie hier sich ihren Träumen überlassen, und sie that es mit aller der schmerzlichen Wollust, die durch die tiefe Ruhe der Natur, durch ihren blauen, klaren Himmel, an dem nicht ein einziges Wölkchen zu sehn ist, und durch die reine, kühle, vom Sonnenstrahl gemilderte Luft den Anfang des Septembers so reizend macht; – Josephine ging hinaus ins Freie, ganz versunken in ihr Nachdenken, die Unruhe der Ungewißheit, und die Wehmuth ihrer Zweifel. Auf einmal hörte sie hinter sich ein Geräusch, wie den Tritt eines Mannes. Sie sah sich um, ahndend hob sich ihr Busen, eine hohe Röthe stieg in ihre Wangen, und mit einer Verwirrung, die ihr keine Worte ließ, erwiederte sie den Gruß des Unbekannten, der sich ihr mit einem freimüthigen Anstand als den Grafen Wodmar, ihren Bräutigam, darstellte.

Einige Minuten standen sie sprachlos einander gegenüber, Wodmar beobachtender als Josephine, die mit lächelnden Lippen gegen die Trauer ihres Auges zu streiten suchte, um dem Mann, der sie mit glühenden Blicken betrachtete, die Thräne zu verbergen, die es trüben wollte. Aber vergebens, sie kam aus einem vollen Herzen, das zu wund war, um mit Fassung diese Ueberraschung zu ertragen, und ehe sie es verhindern konnte, rollten sie über ihre brennende Wange. Lange sah sie der Graf ernst, fest und stumm an, endlich ergriff er bewegt ihre Hand, und führte sie an seine Lippen.

Diese schönen Augen sollen nie wieder weinen, sagte er, wenn es von mir abhängt, jede Ursach des Kummers von Ihnen zu entfernen.

Unsre Familien haben über uns entschieden, – – versetzte Josephine leise mit bebendem Ton, ohne ihn anzusehn. Möchte Ihre Verbindung mit mir keine glücklichere stören!

Wodmar dachte an Marien, und konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, den der Rückblick in eine schöne, aber kurze Vergangenheit forderte. Aber er wußte seinem innerlichen Schmerze eine heitre Außenseite zu geben, und versicherte Josephinen mit aller Beredsamkeit, die er besaß, daß der Ruf ihrer Liebenswürdigkeit, und das Ideal ihrer Anmuth, das er sich geträumt, und nun realisirt gefunden hätte, bisher einzig sein Herz beschäftiget hätte. Josephine, in deren edlen Seele das Verlangen lag, immer mehr zu geben, als sie empfing, wurde roth und beschämt, als sie fühlte, daß sie niemals diese Zärtlichkeit würde belohnen können, die der Graf äußerte. Sie fand ihn schöner und angenehmer, als das Bild, das ihr ihre Einbildungskraft von ihm entworfen hatte. Der Unmuth der gestörten Liebe, mit dem sie immer ehmals an ihn dachte, und Augusts ihm gefährliche Nähe, hatten ihm in ihrer Fantasie eine finstre unfreundliche Gestalt gegeben, von der sie keine Spur an seinem wirklichen Selbst fand. –

Aber nichts desto weniger war ihr Vorsatz fest, dem Mann, dem, ohne daß er diese glänzenden, äußern Vorzüge wie Wodmar besaß, dennoch alle die heiligen Gefühle ihrer ersten Liebe gehuldigt hatten, treu zu bleiben. Sie nahm sich vor, zuerst mit ihrer Mutter von der Lage ihres Herzens, und dann mit Wodmar selbst zu reden. Sie traute ihm Edelmuth genug zu, ihr freiwillig zu entsagen.

Sie reisten ab. Er war ihr in dem schönen Whisky entgegen gekommen, der auf Hannchen einen so tiefen Eindruck gemacht hatte, und Josephine nahm ohne eine Weigerung den Platz an seiner Seite ein, indeß Hannchen ihnen in dem andern Wagen folgte. Welch' ein schönes Paar! murmelte die Menge, die sich versammelt hatte, Braut und Bräutigam zu sehen. Beide zeigten in der Art, wie sie diesen unpartheiischen Lobspruch aufnahmen, die Verschiedenheit ihrer Denkungsart. Josephine zog bescheiden den Schleier über ihr lieblich erröthetes Angesicht, nachdem sie freundlich dem Gruß gedankt hatte, der von allen Seiten ihr winkte. Sie verbarg sich lieber, als daß sie schimmerte. Der Graf hingegen ließ stolz und zufrieden sein triumphirendes Auge umhergehn, ergriff selber die Zügel der Pferde, und lenkte sie stehend, um durch die ganze Anmuth seiner schönen Figur noch mehr um die Bewunderung zu buhlen, die ihm so süß war. Endlich, als sich nach und nach die Gaffenden verloren, setzte er sich wieder nieder zu seiner Braut, die, als sie sich unbemerkt sah, den Flor von ihrem Gesicht entfernte, der ihr neidisch den schönen Tag verbarg.

Sie sprachen wenig mit einander, aber sie dachten viel. Josephine ging im Geist in die Rosenauen der vergangnen Zeiten zurück, und hing mit stillem Gram an den Bildern ihrer süßesten Wünsche. Wodmar verglich sie mit Marien, ohne die Träumereien zu stören, denen sie nachhing. Sie waren beide schön, Josephine stolzer, Marie rührender in ihrer Bildung. Die innige, hingebende Zärtlichkeit, die diese Letztere für ihn empfunden hatte, malte mit doppelt reizenden Farben ihr trauriges Bild in seine Seele, und die Sehnsucht nach ihrem Wiedersehn und ihrem Besitz wachte mit aller der Leidenschaft seines Wesens in ihm auf. Ein tiefer Seufzer machte seiner Brust Luft, von der süßen Qual seiner Erinnerung und seiner Wünsche beklemmt; – Josephine sah ihn schüchtern an, sie hatte nicht den Muth, ihn um dessen Ursach zu fragen, noch wenige ahndete sie sie. Wodmar, dem es wie einem Mann von Welt nicht an der Gewandtheit fehlte, jeden Umstand zu seinem Vortheil zu nutzen, ließ ihr in Anspielungen merken, die ihre Feinheit verstand, daß sie selbst der Gegenstand seiner Seufzer sey. Die Sonne loderte eben im Abendroth hinter dem waldigten Gipfel der westlichen Anhöhe, als sie ankamen. Noch spiegelte sich die sterbende Gluth in den großen Bogenfenstern, die wie brennende Spiegel aussahen, und eine sanfte Rührung ergriff Josephinen beim Anblick der stolzen Gebäude, die im milden Abendlicht vor ihr lagen. Eine große Anzahl von Bedienten empfing sie mit einer so schüchternen Ehrfurcht, daß sie daraus sehr leicht auf die Art ihrer Eltern, mit ihnen umzugehn, schließen konnte. Wodmar leitete ihre wankenden Schritte zu einem Saal, wo die ganze Familie beisammen war.

Josephine, erschüttert und zärtlich bewegt durch den Anblick ihrer Eltern, die sie liebte und ehrte, denn ihre Grundsätze waren edel, und zogen sie mit einer geheimen, unwiderstehlichen Macht zu denen hin, die ihr das Leben gaben, – Josephine sank auf ihre Kniee in frommer, kindlicher Regung nieder, und benetzte die Hand ihrer Mutter, die ihr entgegen kam, mit den bittersüßen Thränen des Wiedersehns.

Die Versammlung war groß, und beobachtete ein feierliches Schweigen, nicht gemacht, Josephinens schüchterne Schwermuth zu zerstreuen. Besonders fremd und traurig waren ihr die finstern Blicke ihres Vaters, mit denen er von Zeit zu Zeit ihre ganze Gestalt und ihr Benehmen musterte. Sie befolgte daher gern seinen Befehl, sich umzukleiden, weil ihr der Zwang, in dem sie sich befand, peinlich wurde. Als sie die Zimmer betrat, die sie bewohnen sollte, war ihr erster Gang zu den Fenstern, von denen sie eine herrliche Aussicht in die weiten, tiefen Thäler hatte, die das Felsenschloß umgaben. Sie sah mit einer unbeschreiblichen Empfindung den Weg zurück, den sie gekommen war, der sich in der Ferne in einer dunkeln Krümmung verlor. Die Thränen waren ihr so nahe, die Brust so beklemmt, all' ihr Muth mit der Sonne gesunken, die ihre letzten bebenden Strahlen, und lange Schatten auf die Fluren warf. Auf einmal rauschten die Flügelthüren auf, und – ihre Mutter trat herein.

Verzeih, meine Tochter, sagte sie, daß ich Dich überrasche, aber Du wirst aus meinem Besuch sehn, daß ich es gut mit Dir meine. Dein Vater ist nicht ganz zufrieden mit Deiner Art, Dich vorzustellen, und ich muß selbst gestehn, daß Dein Niederknieen und Deine Thränen etwas sehr Romaneskes hatten. Indessen muß man dies der bürgerlichen Erziehung zurechnen, die Du gehabt hast, und deren Rost sich bald in besseren Gesellschaften abreibt. Um nun den Eindruck wieder auszulöschen, den dies auf meinen Gemahl zu Deinem Nachtheil gemacht hat, will ich Dir Verhaltungsregeln geben, wo Du Dich noch nicht zu betragen weißt. Fürs erste kleide Dich so elegant an, wie möglich, und bediene Dich dieses Schmuckes, den Dir Wodmar bestimmt. – Sie reichte ihr ein Kästchen, das Josephine erschrocken auf den Tisch setzte.

Die Gräfin von der Ecke war einnehmend, wenn sie wollte. Sie hatte mehr Sanftheit in ihrem Gesicht, als in ihrem Herzen, mehr Verstand in ihren Augen, als in ihrem Kopf, und wußte besser Vertrauen einzuflößen, als es zu verdienen. Die mütterliche Güte ihres Tons zog Josephinen zu ihr hin. Jetzt, dachte sie, ist vielleicht der einzige Moment, wo ich wagen darf, für das Glück meines Lebens zu reden. Und sie that es mit klopfendem Herzen.

O, meine Mutter, sagte sie mit bittender Stimme, wenn ich mich anders benommen habe, als ich sollte, so verzeihen Sie meiner Unerfahrenheit in den Sitten und Gebräuchen der großen Welt, verzeihen Sie dem Schmerz, der mich zu Boden drückte, und der mir die Ruhe meines ganzen Lebens kosten wird, wenn Sie mir, gütigste Mutter, Ihren Beistand versagen. Verwundert sah sie die Gräfin an. Was kannst Du für einen Schmerz haben, da alle Umstände sich vereinigen, Dich glücklich zu machen? Josephine sank in ihre Umarmung, und drückte sich fest an die Brust, von der sie Theilnahme erwartete. Ach, rief sie aus, kann all' der Glanz, den Sie mir bereiten, aller Ueberfluß, dem ich entgegen sehe, mich über den Kummer einer hoffnungslosen Liebe trösten?

Die Gräfin wand sich aus Josephinens Armen, die sie umschlangen, trat einen Schritt zurück, und sah sie starr und unbeweglich an. Das liebe Mädchen war in heftiger Wallung. – Ja, fuhr sie mit dem Feuer der Verzweiflung fort, die alles wagt, weil sie nur wagen oder verlieren kann, ja ich liebe, – liebe einen Mann, dessen Adel der Seele mir das Wörtchen von zehnfach ersetzt, das seinem Namen fehlt. Sprachlos fiel die Gräfin in einen Stuhl, und Josephine – sagte ihr alles.

Elende, Verworfne! – waren die ersten Worte, die die alte Gräfin zu stammeln vermochte, und Du hast den Muth, den Wunsch einer Mesallianze zu nähren, und ihn sogar, – was alle menschliche Vorstellung übertrifft, – zu äußern? Schande Deiner Familie, die sich so viel von Dir versprach! – Sie würde noch ein Weilchen in diesem Ton fortgefahren haben, wenn nicht ein Bedienter den jungen Grafen gemeldet hätte, der in eben diesem Augenblicke herein trat. Sogleich verdrängte eine Meeresstille in ihrem Gesicht alle Spuren des vorigen Sturms, – lächelnd stand sie auf und wandte sich zu Wodmar, der mit Blicken voll Sorgfalt und Liebe an seiner Braut hing, die blaß und leblos mit weit offnem Auge auf eine Stelle sah. Wir wollen Josephinen jetzt Zeit zu ihrem Anzug lassen, lieber Graf! sagte sie. Meine Tochter, ich habe vergessen, Dir zu sagen, daß noch heute Abend Deine Verlobung ist. – Josephine ist Ihnen sehr verbunden für die schönen Juwelen, setzte sie hinzu, indem sie seinen Arm ergriff und mit ihm das Zimmer verließ. Die arme Josephine! – Dahin war ihre letzte, einzige Hoffnung, dahin die Träume einer beneidenswerthen Zukunft, mit denen sie oft ihren Gram zur Ruhe gewiegt hatte. Sie warf sich auf ein Sopha und überließ sich dem Schmerz ihrer getäuschten Erwartung, der milder wurde, als er sich in Thränen ergoß.

Hannchen trat herein, sie anzukleiden. Sie hatte vor Begierde, die schönen Diamanten zu sehn, kaum die Zeit erwarten können, wenn sich die Gräfin entfernen würde. Mit einem gutmüthigen Neid betrachtete sie die blitzenden Steine, und ihr eitler Sinn konnte nicht begreifen, wie es möglich war, einen solchen Schmuck zu haben, und dabei zu weinen.