Skip to main contentSkip to page footer

Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Eilftes Kapitel

Josephine war für heute unfähig, den Befehl ihrer Mutter zu befolgen. Zwar zog sie sich, Dank sey Hannchens emsiger Bemühung, – aufmerksam genug an, zwar band sie sogar mit zitternden Händen das reichgefaßte Bild des Grafen an einer Schnur von Brillanten um den Hals, aber kaum war der bräutliche Anzug vollendet, als sie in eine dumpfe Bewußtlosigkeit versank, die sich mit einem Fieber endigte.

Hannchen benachrichtigte die Familie von diesem Unfall, der jedermann überraschte, ausgenommen die Gräfin. Wodmar, in dessen Herzen ihre Anmuth, wenn auch nicht Liebe, doch einen innigen Antheil entflammt hatte, eilte, sie zu sehen. Bleich wie eine Lilie, lag sie da, und aus ihrem geschloßnen Auge drangen schönere Perlen, als er ihr gegeben hatte. Die Gräfin befahl, sie zu Bette zu bringen und einen Arzt zu holen, und man begab sich wieder weg. –

Einige Tage lag Josephine ohne Besinnung: endlich, als sie wieder zu sich selbst kam, und als ihre Seele wieder ruhig genug wurde, an vergangene Dinge zu denken, reifte ein Entschluß, in ihr, ihrer würdig, – der schöne Entschluß die rosenfarbnen Bilder ihrer Liebe dem Willen des Schicksals zu opfern. Sie fing langsam an zu genesen; – mit stummer Geduld ertrug sie die Vorwürfe ihrer Mutter, und versprach zu gehorchen. Sie bemühte sich sogar, ihre ehemaligen Wünsche zu vergessen, aber das war unmöglich. Wie das immergrünende Epheu sich um öde Mauern windet, so schlangen sich holde Erinnerungen um die versinkenden Trümmer ihrer Freuden.

Wodmar sah ihren innern Kampf. Ihr ganzes Wesen war Huld und Güte, und das Bemühen, ihm die ausgezeichnetste Achtung zu bezeigen, – aber Liebe war es nicht, wie er sie an Mariens Herzen empfunden hatte, so glühend, so einzig, so entgegen kommend allen seinen Gefühlen. Sein Stolz war beleidigt, denn das pflichtmäßige, stille Wohlwollen, mit dem ihm Josephine begegnete, gnügte seiner Eitelkeit nicht, die Liebe verlangte, auch wenn er selbst kalt blieb. Wie anders war doch Marie! seufzte er oft im Stillen, wenn seine unzufriedne Seele die Sehnsucht, geliebt zu werden, füllte. Alle ihre Reize, selbst ihre hartnäckige Weigerung, auf eine unrechtmäßige Weise sein zu seyn, stellten sich seiner Einbildungskraft wieder dar, und erhöhten die Begierde, sie zu besitzen. Aber ach, nur vergebens! Mariens Tugend war unerschütterlich, und wenn auch seine nahe Verbindung mit Josephinen nicht gewesen wäre, so vernichtete doch ihre niedre Herkunft, trotz der Allmacht, mit der ihn ihre Liebenswürdigkeit anzog, jeden Anspruch auf seine Hand.

Der Zeitpunkt seiner Vermählung rückte immer näher. Josephine sah diesem feierlichen Tag mit einem stummen Gram entgegen, den sie nur in der Stille enthüllte. Gegen ihren Bräutigam war sie sanft und duldend, – keine Klage erleichterte ihr Herz, und still, wie die Ergebung, mit verschlossenen Lippen, die sich zu lächeln bemühten, trug sie ihren Schmerz, und nur ungesehen ließ ihr volles Auge seine bittre, einsame Thräne auf den Boden fallen.

Erst wenig Tage vor dem gefürchteten zwanzigsten Oktober hatte sie Kraft genug, ihrem August die Entscheidung ihres Schicksals und ihren gescheiterten Vorsatz zu schreiben. Sie that es mit zerrissenem Herzen.

»Auch den letzten lichten Strahl von Hoffnung, schrieb sie ihm, der noch beim Abschied heimlich die düstere Nacht meines Innern erleuchtete, ist nun verschwunden. Ich muß den Mann heurathen, den mir meine Eltern bestimmt haben, und ich will suchen, ihn glücklich zu machen. O, Wilmuth, glauben Sie nicht, daß es mir so leicht wird, Ihnen auf ewig zu entsagen, aber ich bemühe mich, die Gedanken zu verbannen, die wider mein Schicksal murren. Die Ansprüche, die mir die Erfüllung meiner Pflichten auf ein besseres Leben giebt, wo ich laut gestehen darf, was ich empfand, diese sind's allein, die mich zu trösten vermögen über ihren unersetzlichen Verlust.

Leben Sie wohl, theurer Freund meiner schönsten, glücklichsten Jahre! Nehmen Sie den Dank Ihrer fernen Josephine noch einmal für alle Ihre Liebe und Treue. Ach, wenn ich sie Ihnen auch nicht lohnen konnte, so hätte sie doch kein Herz tiefer empfunden, als das meinige, keines. Ihren Werth inniger erkannt. Nur nach Jahren erst schreib' ich Ihnen wieder. Dann wird vielleicht, und Gott erhöre mein Gebet, das darum fleht, dann wird vielleicht nicht mehr Leidenschaft meine Feder führen, dann werden die Wünsche, die meine Seele nährt, sich selbst aufgezehrt haben, da das Schicksal sie niemals stillen wird, und meine heiße Liebe wird geworden seyn, was sie werden muß: innige Freundschaft, an der unser ehemaliges Verhältniß keinen Theil mehr hat. Die Zeit wird Ihr Andenken in mir nicht verlöschen, nur mildern, und auch in der kältern Sprache der Freundschaft noch werden sich unsre Seelen verstehn.« – – –

Endlich erschien der zwanzigste Oktober, und mit dem sinkenden Laub sanken auch die Thränen ihrer Entsagung. Wodmar bemerkte den Kummer, den sie verhehlen wollte, der aber nur zu deutlich aus ihrem verlöschten Auge und ihrer bleichen Wange sprach. Fehlt Ihnen etwas, Josephine? frug er mit zürnendem Befremden, als er sie zu der feierlichen Ceremonie abholen wollte, die auf sie wartete, um ihre Hände zu vereinigen, und er sie blaß, bebend und in Thränen fand. Diese sonderbare Traurigkeit, der Sie Sich überlassen, ist zu groß und anhaltend, als daß sie aus den Regungen Ihrer Sittsamkeit entstehen sollte, wie mich Ihre Mutter überreden will. Haben Sie vielleicht Vorstellungen vom Ehestande, die Ihnen Schrecken machen, so seyn Sie ruhig. Ich werde alles thun, was in meinen Kräften steht, Ihnen ein frohes, glückliches Loos zu bereiten. Oder, fuhr er mit ernsteren, forschendern Blicken fort, sollten Sie nur mir, gerade mir, ungern diese Hand geben, da vielleicht ein Andrer Ihr Herz besitzt? Hab' ich vielleicht, ohne es zu wissen, Hoffnungen vernichtet, die einen andern Gegenstand hatten, als mich? O, Josephine, Ihr einsames Grämen ist mir nicht entgangen, ob es Ihnen gleich so schien. Reden Sie, was ist seine Ursach? –

Josephine warf sich zum erstenmal in ihrem Leben in seine Arme mit einer Heftigkeit, die ihr der aufgeregte Schmerz lieh. Wodmar! rief sie aus, schonen Sie mit Güte und Nachsicht die Schwächen meines nicht ganz glücklichen Herzens. Ich fühle, daß ich Ihnen eigentlich mehr seyn sollte als ich bin, und es macht mich traurig, daß ich es noch nicht kann. Aber haben Sie Geduld, mein Freund, – wenn ich auch nicht mit dem Feuer der Leidenschaft, das wohl ohnedem bald verraucht, an Ihnen hänge, so soll mir doch stets meine Schuldigkeit heilig und kein Opfer zu theuer seyn, wenn es Ihr Glück erkauft.

Den Graf befriedigte diese Erklärung nicht, im Gegentheil beleidigte sie seinen Stolz, da er in ihr nur das verschleierte Geständniß ihrer Liebe zu einem Andern sah. Aber sie war so schön mitten in ihrem Kummer, daß er mit einem grausamen Vergnügen sie lange betrachtete. Er sah an ihr nur die Anmuth, nicht die Bitterkeit ihrer Thränen, – nicht die Seufzer ihres Schmerzes, nur den schwellenden Busen, den sie hoben; und so sehr er auch Willens war, ihr seine gereizte Empfindlichkeit unverhüllt zu zeigen, so konnte er doch ihrer Schönheit, die ihre Fürsprecherin war, nicht widerstehn, und eine glühende Umarmung war seine einzige Antwort.

Ruhiger folgte ihm nun Josephine in den von hundert Kerzen erleuchteten Hochzeitssaal, und in den bebenden Ton, mit dem sie das feierliche Ja aussprach, goß sie die ganze Sanftmuth ihres Herzens. Wir sind nun verbunden, Josephine! sagte ihr Gemahl, als sie allein waren, aber um beide glücklich zu seyn, wollen wir die Uebereinkunft treffen, einander wechselsweise nicht in unsrer Freiheit zu beschränken. Sie sind ganz Meisterin Ihrer Zeit und Ihres Willens, und Ihr feines Gefuhl ist mir Bürge, daß Sie, auch wenn Sie Sich ganz selbst überlassen sind, nichts trotz Ihrer Jugend unternehmen werden, was meiner Liebe und meines Namens unwerth wäre, und den zarten Ruf beflecken könnte, den Sie zu erhalten, Sich und mir schuldig sind. Die große Welt spottet über eine zärtliche Ehe, und ich muß gestehn, ich bin zu stolz, als daß ich verliebt in meine Frau scheinen möchte; – wenn ich also in Gesellschaften Ihre Liebenswürdigkeit weniger zu fühlen, und diesen schönen Augen, die ich zu Hause mit so vielem Vergnügen aufsuche, weniger zu begegnen scheine, als ich sollte, so geben Sie nicht mir, sondern dem großen Ton, in den man einstimmen muß, die Schuld dieser scheinbaren Vernachlässigung, und seyn Sie versichert, daß ich demohngeachtet das Glück lebhaft empfinde, Sie zu besitzen. Ich möchte, wenn ich wählen sollte, der Welt lieber verächtlich als lächerlich seyn, und unterwerfe mich deswegen willig diesem Zwang, um dies letztere zu vermeiden. – Josephine hörte ihm ernsthaft zu, ohne zu antworten. Seine Grundsätze empörten ihr Herz, und füllten es mit Kälte für ihn, die sich ihrem Benehmen gegen ihn mittheilte. Wenig Tage nach ihrer Verheirathung führte sie der Graf auf seine Güter, um sie ihr zu zeigen, ehe sie die Stadt bezögen, der seine Brust sehnlich entgegen klopfte, weil sie der Wohnort seiner unvergeßlichen Marie war. Josephine, an ein einsames Leben gewöhnt und nicht gestimmt, Theil an den Freuden der Stadt zu nehmen, äußerte den Wunsch, den Winter auf dem Lande zuzubringen, und Wodmar willigte gern ein, da die Verschiedenheit ihrer Gesinnungen immer eine Scheidewand zwischen beiden war, die sie nicht zu übersteigen vermochten, und da die, oft mit etwas Stolz und Strenge verknüpfte Moralität ihres Wesens ihn eben so sehr von ihr zurückscheuchte, als ihre Schönheit ihn anzog. Aber werden Sie nicht Langeweile haben, den ganzen langen Winter hindurch? frug er Josephinen. – O nein, versetzte diese, – denn Beschäftigung wird meine Gesellschaft seyn.

Noch einen Monat hielt es der Graf in der ländlichen Abgeschiedenheit aus, die ihm anfing herzlich zur Last zu werden. Die Jagd war sein einziges Vergnügen, und er hing ihr mit Leidenschaft nach, aber sie konnte doch nicht ganz die Wünsche seines Herzens stillen, die nach süßeren Freuden strebten. Marie war und blieb der Inbegriff seiner schmerzlichsten Sehnsucht. Er suchte alles hervor, um die Gedanken zu entfernen, die ihn immer auf ihr Andenken leiteten; – er versammelte eine Menge junger Wüstlinge um sich her, und bemühte sich durch die lärmende Fröhlichkeit, die unter ihnen herrschte, die Seufzer seiner Liebe zu ersticken: aber das Denkmal, das verschwundne Freuden zurücklassen, ist nicht zu verlöschen. Er suchte es zu verbannen, wenn er sich mit seinen Freunden der zügellosesten Laune überließ, und wirklich floh vor ihrer stürmischen Munterkeit das Bild seines süßen, ehemalichen Glücks, und seiner Marie. Aber ein Augenblick der Einsamkeit gab seiner Erinnerung ihre ganze Kraft wieder, die die Zerstreuung geschwächt hatte, und er fühlte sich mißvergnügter als jemals.

Eine Menge Entwürfe beschäftigten nun seine Seele. Ueberall stand ihm Mariens Festigkeit im Wege, aber er ließ doch den Muth nicht sinken, denn er rechnete auf die Ueberreste ihrer Liebe, und auf – Betrug.