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Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Vierzehntes Kapitel

Sie reisten am andern Morgen ab, Marie ohne Betrübniß die Stadt zu verlassen, in der sie geboren und erzogen war, denn fern von ihren Mauern warteten süßere Bande auf sie, als sie noch jemals getragen hatte. – Schon auf der ersten Station holte sie der Graf ein, und nun setzten sie vereint ihre Reise fort.

Glückliche Tage! – auch lange nachher hob noch bei ihrem Andenken ein stiller Seufzer Mariens Brust, und schien sie zurück zu wünschen. An der Seite des Mannes, den sie liebte und der nun bald ihr auf ewig angehören sollte, die schönsten Gegenden ihres Vaterlandes gleichsam zu durchfliegen, – Freude und Belehrung in jedem Gegenstand zu finden, an dem sie vorübereilten, – dazu die sanfte, laue Luft und der ungetrübte Himmel des ersten Frühlings, – die Neuheit, die das Vergnügen des Reisens für sie hatte, und die schonende Zartheit, mit der der Graf, um sein Opfer noch mehr zu täuschen, mit ihr umging, – – endlich die Hoffnung einer nahen Vereinigung, die über alles ihren eignen Zauber goß; – war dies nicht genug, um ein schuldloses, empfängliches Herz, wie das ihrige, mit dem höchsten Grad des Entzückens zu füllen?

Am dritten Tage kamen sie auf ein Landgut an, wo man sie schien erwartet zu haben. Wodmar führte seine Marie in das alte prächtige Schloß, und gleich nach ihrer Ankunft verrichtete ein gewissenloser Betrüger, den der Graf durch Bestechungen gewonnen hatte, mit allem Schein der Wahrheit die heilige Handlung der Vermählung.

Sie blieben hier nur wenige Tage, denn Wodmar glaubte sich hier nicht verborgen genug; dann verließen sie diesen, Marien so theuer gewordnen Ort, um den zu erreichen, der ihre künftige Bestimmung war.

Nesselfeld lag nur sechs Meilen davon, aber immer einsamer wurde der Weg, der über unfruchtbare Haiden und steinigte Felder dahin führte. Endlich, als die öde Gegend immer flacher und flacher wurde, sahen sie es schon weit aus der Ferne liegen, denn es war das einzige Haus, das das Auge auf der ganzen leeren, mit Getreide sparsam bebauten Ebene erblickte. Einige wilde Kastanienbäume, deren Grün noch nicht erwacht war, warfen den Schatten ihrer unbekleideten Aeste auf den Hofraum, und an der grauen, halbbemoosten Steinwand schlängelte sich der gesellige Epheu empor. Sie stiegen ab, der Kastellan des Schlosses empfing sie und öffnete ihnen die Zimmer, die für sie bereitet waren. Außer ihm und dem Schloßgesinde gab es meilenweit kein lebendiges Wesen in der Gegend, denn Nesselfeld lag ganz allein, ohne ein Dorf das dazu gehörte. Ein artig möblirtes Zimmer, mit einem schönen Klavier, über welchem das wohlgetroffne Bild des Grafen in Lebensgröße hing, war für Marien bestimmt, und hatte eben dieses Bildes wegen unaussprechlichen Werth für ihr Herz. Auch fand sie eine kleine Bibliothek, die ihr Unterhaltung genug in ihren Nebenstunden hoffen ließ. Uebrigens hatte das Ganze ein etwas melancholisches Ansehn. Trat sie ans Fenster, halb von dem düstern Grün des Epheus verdunkelt, so breitete sich die unermeßlich weite Fläche vor ihren Blicken aus, die sich in ferne, zum Theil von Waldung geschwärzte Höhen verlor. Nirgends eine Spur von Leben und Thätigkeit, – nirgends ein Gegenstand, auf dem das Auge mit Theilnahme hätte verweilen können! – Aber Marien dünkte an der Seite ihres Karls die Gegend paradiesisch. Sie fühlte sich so innig vertraut mit jedem Wehen der kosenden Frühlingsluft, empfand so tief und mit so viel Dank das Glück seiner Liebe, daß die Schwermuth ihres Aufenthalts keinen Eindruck auf sie machte.

Auch Wodmar lebte die glücklichsten Tage, die ihm noch jemals geworden waren, in den Armen dieses reizenden Geschöpfs, und in dieser menschenleeren Einsamkeit. Er, der immer mehr gesucht als gefunden, immer mehr verlangt als genossen hatte, sah durch Mariens Zärtlichkeit, die ihm immer neu blieb, die süßen Erwartungen übertroffen, die er genährt hatte. Bessere Regungen, als er noch jemals gekannt, kehrten bei ihrem sanften Umgang in sein Herz zurück, und bittre Empfindungen durchbebten es bey dem Gedanken, sie so grausam hintergangen zu haben. Ach, er hatte oft die liebevolle Sorgfalt nöthig, mit der sie seinen Kummer zu zerstreuen suchte, wenn sei Bewußtseyn ihm Vorwürfe über den schwarzen Betrug machte, den er sich erlaubt hatte. Vielleicht, wenn seine Hand noch frei gewesen wäre, hätte er mit ihr ihre gränzenlose Liebe belohnt, – vielleicht, wenn er den ganzen Umfang ihrer Güte, den ganzen Werth und die ganze Reinheit ihres Wesens, die sich ihm nun enthüllte, vorher gekannt hätte, hätte er den schönsten Sieg über sich selbst errungen und nie den goldnen Frieden ihrer Unbefangenheit gestört. Marie wäre dann glücklich mit ihrem Ludwig, wenn auch nicht durch eine leidenschaftliche Liebe, doch durch gegenseitige Achtung und Gleichheit ihrer Verhältnisse geworden, und der Staat hätte eine nützliche, bürgerliche Familie mehr gehabt. Aber nun, – da alles geschehn war, was es ihm unmöglich machte, zurück zu gehn, da ein feierliches Gelübde ihn an Josephinen, die zärtlichste Neigung ihn an Marien band, da entschloß er sich wenigstens ihr so lang als möglich den durchbohrenden Schmerz der Entdeckung ihrer wahren Lage zu ersparen, und ihr einsames Leben so süß zu machen, als in seinen Kräften stand.

Einige Monate brachte er bei ihr zu, ohne sich andre Freuden zu wünschen, als ihm ihr Umgang bot. Nie hatte er im Getümmel der großen Welt geglaubt, daß Häuslichkeit so süß sey. Marie wußte sie durch eine immer gleiche Heiterkeit ihres lebhaften Geistes, durch ein beständiges, freundliches Entgegenkommen seiner Wünsche, und durch die angenehmen Talente zu würzen, die sie gesammelt hatte und zu vermehren suchte. Oft gingen sie Hand in Hand durch die sparsam grünende Wiese, über die sich ein schmaler Bach, mit Weiden bepflanzt, lieblich-flüsternd ergoß, und war gleich die Aussicht weit und leer, so blickten sie sich wechselsweise ins Auge, und glaubten im Paradiese zu wandeln. Oder sie saßen in der Mittagsstunde unter den Kastanien in ihrem Hofraum in ein süßes Schweigen versunken, – oft angenehmer noch, als das traulichste Geschwätz, – und nahmen ihr einfaches Mittagsmahl ein. Sanft regte sich der laue Wind in den breiten, schattigten Blättern, und manche weiß und röthliche Blüthe wehte sein Hauch herab, um damit ihre Tafel zu schmücken. Oder sie sahen die Sonne untergehen, wie sie hinter die fernen Anhöhen wie in ein Meer von Purpur sank, und Wodmar hinderte den rosenfarbnen Schimmer ihres Wiederscheins Mariens Gesicht zu erreichen, das die Gesundheit schöner geschmückt hatte, als es das Abendroth vermochte; – oder wenn der Abend herandunkelte, lockte Marie den Geliebten durch die silbernen, rührenden Töne, die sie dem Klaviere abzugewinnen wußte, in ihr stilles, friedliches Zimmerchen und begleitete sie, wenn er kam, durch ihren kunstlosen, aber reizenden Gesang, der ohne mit Künsteleien überladen zu seyn, unwiderstehlich zum Herzen drang.

War das Wetter trübe und erlaubte ihnen nicht im Freien zu seyn, so schloß Marie den Bücherschrank auf, und sie lasen sich wechselseitig vor, – oder der Graf unterrichtete sie im Zeichnen, worin er viel Geschicklichkeit besaß, und freute sich der Fortschritte, die seine holde Schülerin in allem machte, was sie unternahm. Bald erfanden sie Desseins zu Stickereien, die dann Mariens Nadel auf seidnen Grund zauberte, während Wodmar ihr vorlas, – bald gaben sie sich mit ernsthaftern Dingen ab, entwarfen Landschaften, Monumente, oder zeichneten Kupferstiche nach, – oder Wodmar lehrte sie Französisch und Marie begriff um ihres Lehrmeisters willen, alles mit erstaunender Leichtigkeit.

So flohen mit unbeschreiblich süßer Eile die Stunden des Beisammenseyns vorüber, und ernst und traurig nahte ihnen die Trennung. – Marie weinte die bittre Thräne des Abschieds an seinem Herzen, und auch ihn beklemmte das Lebewohl mit namenloser Wehmuth. O wie gern hätte er ganze Jahre seines Lebens dahingegeben, um den Vorwürfen zu entfliehen, die ihm sein Gewissen mit jeder neuen Probe lauter machte, die ihm Marie von ihrer Liebe gab.

Die Gewohnheit, sie täglich zu sehen, und die anspruchlose, stille Güte ihres Charakters, und ihre ungeheuchelte Frömmigkeit in einer Menge kleiner Vorfälle zu bemerken, – seine jetzige, unzerstreute, einfache Lebensart, seine Entfernung von den verdorbnen Sitten der großen Welt, und der wohlthätige Einfluß der Natur auf sein ganzes Wesen, hatten ihn besser und fühlbarer für Mariens Werth und seinen eignen Unwerth gemacht, als er es jemals war. Tiefe Schwermuth umhüllte seine Stirn und trübte sein Auge, – und er empfand die Wahrheit in ihrem ganzen Umfang: daß der Betrogne fast immer glücklicher ist, als der Betrüger.

Endlich schied er. Marie sah ihm aus ihrem Fenster nach, so weit ihr Auge reichte; – selbst auf der Staubwolke, hinter der sein Wagen verschwand, verweilte noch lange ihr Blick und dann verhüllte sie ihn und seine Thränen. – Wie war ihr nicht alles so leer, als Er ihr fehlte! – Wie vermißte sie ihn nicht überall, wo Er sonst mit ihr gegangen war, und wie öde dünkten ihr jetzt ihre Spaziergänge, denen damals nur seine Gesellschaft Anmuth und Reize lieh! – Zwar hatte er ihr versprochen, oft zu schreiben, und auf diese Art sie und sich über die Schmerzen der Trennung zu täuschen; – aber ach! ist wohl der todte Buchstabe des Briefwechsels Ersatz für die Abwesenheit des Geliebten? Konnte er sie entschädigen für das Glück ihn zu sehn, ihn zu sprechen, ihn zu umarmen? –

Die ersten Tage vergingen ihr in tiefer Traurigkeit. Endlich verlor ihr Schmerz bei ihrer angebornen Milde etwas von seiner Schärfe, und die Hoffnung des Wiedersehns verwandelte ihn in eine sanfte Melancholie, die ihr theuer wurde. Sie ertrug gern die Einsamkeit, in die sie die Liebe verbannte, und wußte sie zu verschönern. Sie schrieb ihm täglich, und ihre Briefe trugen das Gepräge der Sehnsucht, der Zärtlichkeit und des innigsten Vertrauens. Sie arbeitete fleißig, denn es war für ihn! Sie setzte ihr Zeichnen und ihr Französisch mit einem unermüdeten Fleiß fort, und in den Abendstunden, die ihr sonst mit ihm so fröhlich vergangen waren, folgte sie dem stillen Gebot ihrer Gefühle und stimmte oft das traurige Lied aus Nina an, welches ihr Karl einst gelernt hatte, und das jetzt auf ihren Zustand paßte:
Quand le bien-aimé reviendra etc. –