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Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Zwei und zwanzigstes Kapitel

Durch Fleiß und Wohlthun suchte sie den Gram zu bannen, der an die Stelle ihrer ehemaligen Munterkeit getreten war, und er ging nach und nach in jene stille Schwermuth über, die immer die Begleiterin einer unbelohnten Liebe ist. – Sie verhüllte sich gewaltsam die Bilder einer Zeit, in der sie von unerschöpflichem Glück geträumt hatte, und kämpfte mit allen Kräften ihrer Seele gegen die schmerzlich-süßen Erinnerungen, die sich ihr aufdrängen wollten.

Der Geist ihres Vaters schien sie unterstüzzend zu umschweben, wenn ein leiser Seufzer bisweilen ihren vorübergegangnen Freuden nachfloh, und jedesmal verwandelte sich bei seinem Andenken die Sehnsucht ihrer halb erstorbnen Liebe in heißen, unversöhnlichen Haß, wie ihn Wodmars unedles Betragen gegen sie verdiente.

Zwar überhob sie die Summe Geld, die sie besaß, aller Sorgen um ihren anständigen Unterhalt, aber sie war an ein thätiges Leben gewöhnt und wußte, daß immerwährende Beschäftigung ihr die stärksten Waffen in die Hand geben würde, ihren Schmerz zu besiegen. Sie brachte also ihre Tage unter unablässiger Arbeit zu, und suchte zu nützen, so viel es ihr ihre eingeschränkte Lage erlaubte. Konrad und Liese segneten den Augenblick, wo sie in ihr Haus gekommen war, denn sie belehrte und erzog mit der zärtlichsten Sorgfalt ihre Kinder.

Die Mädchen unterrichtete sie in weiblichen Arbeiten, die Knaben in Lesen und Schreiben, und dabei suchte sie einfach, aber mit dem ganzen Zauber der Wahrheit, der auf ihren Lehren ruhte, ihren Verstand und ihre Herzen zu bilden, so viel es ihr Bedürfniß für ihren künftigen Stand schien. Dies fesselte die guten, unverdorbenen Kleinen mit dem schönsten Bande, das die Menschheit verknüpfen kann, mit dem der Dankbarkeit an sie, und gab ihr süße Sorgen und schwermüthige Freuden. Der Glaube an eine bessere Zukunft jenseits des Grabes, an die Vergebung ihres unwissentlich begangenen Vergehens, schmiegte sich in tröstender Gestalt an ihren Kummer, und erheiterte ihn wie der Sonnenstrahl das finstre Gewitter, aber er erweckte auch ihr Verlangen nach einem zweiten Leben, und die Welt lag vor ihr wie ein Thal vom herbstlichen Nebel verdunkelt. Nur auf die Spuren, wo sie einst gewandelt war, hatte das Schicksal Rosen gestreut, aber ihr Duft war verflogen und ihre Dornen blieben dem verlassenen Herzen zurück.

Liese hatte mit Konrad den Plan indessen besprochen, dem jungen Förster zu Mariens Bekanntschaft zu verhelfen, denn ihre glückliche Ehe machte es ihr nicht glaubhaft, daß ein so isolirtes Leben, wie Marie führte, auch seine Reize, besonders für die haben könnte, die so bitter betrogen worden war. Konrad gab ihr vollkommen Recht, aber die Sache war schwerer als sie schien. Der Förster lebte eingezogen und einsam in seiner romantischen Wohnung auf dem Waldenberg und schien keine Heurathsgedanken zu nähren. Auch war die Geselligkeit eben nicht seine hauptsächlichste Tugend, denn er ließ sich nur selten, und auch dann nur ganz von weitem sehn, wenn er mit seinem getreuen Hunde und dem Gewehr über die Schulter die untern Waldungen durchstrich.

Vergebens hatte ihn Konrad einigemal, wenn er ihm begegnet war, eingeladen, in seiner engen, ländlichen Klause bei ihm einzusprechen; – er schützte Geschäfte vor und schlug es ab. Vergebens hatte die kleine Marie, noch eingedenk seiner ehemaligen Liebkosungen, nach dem Willen ihrer Mutter, als Herbst und Winter vorüber waren, und die schönere Jahrszeit die ersten Erdbeeren reifte, diese in ein Sträuschen gebunden, und sie ihm auf seinen einsamen Berg getragen, in der Hoffnung, ihr erneuertes Andenken werde ihn zu einem Besuch bewegen; – er drückte die Kleine mit Innigkeit an seine Brust, gab ihr Spielwerk und Zucker und die Erlaubniß, so oft zu ihm zu kommen, als sie nur selbst wollte. Aber dabei blieb's, – und da Marie sich durchaus nicht dazu verstehen wollte, seine Bekanntschaft zu suchen, und der Förster eben so wenig Verlangen bezeugte, die ihrige zu machen, so glaubten Konrad und Liese am besten zu thun, wenn sie diese Sache, wie so manches andre, was ihnen einst am Herzen lag, dem lieben Gott und dem Zufall überließen. – –

Marie war nicht mehr das schöne, blühende Geschöpf, das sie in den Tagen ihres Glücks gewesen war. Ihre Wange war zwar noch voll, aber der Kummer hatte sie abgebleicht, und dem sonst so frohen, heitern Auge seinen Glanz genommen. Auf ihren Lippen thronte nicht mehr jenes süße Lächeln, das sonst mit unwiderstehlicher Anmuth zum Herzen drang; aber der sanfte, resignirte Gram, der in ihren Zügen wohnte, störte die Harmonie derselben nicht, und gab ihnen ein rührendes Interesse, wenn er auch die frische Blüthe der jugendlichen Fröhlichkeit, und der Gesundheit der Seele gebrochen hatte, die man sonst in ihrem Gesichte las.

Ihre Leiden hatten ihr eben so viel gegeben, als genommen, wenigstens ersetzte der ruhige Ernst ihres Wesens die Heiterkeit, die man an ihr vermißte, und man konnte der edlen Art, mit der sie ihren Schmerz trug und überschleierte, weder seine Achtung, noch sein innigstes Mitgefühl versagen. Sie glich einer Lilie, die im dürren Boden verschmachtet, aber noch sterbend ihre süßen Gerüche verbreitet.

Einst lockte sie ein schöner Sommerabend ins Freie. Sie war zu ihrer bürgerlichen Tracht zurückgekehrt und hatte mit dem Wahn eines höhern Standes alles abgelegt, was er ihr zu erlauben schien. Einsam durchwandelte sie die schönen Fluren, ohne sie zu bemerken, denn ihre Fantasie versetzte sie in die Tage ihrer ersten Jugend, und rief ihr noch einmal mit süß- umdämmerten Farben den ruhigen, einfachen Genuß ihres häuslichen Glücks und der Erfüllung ihrer kindlichen Pflichten zurück. Auch an Ludwig dachte sie in dieser stillen Stunde, und die Vorstellung, ihn vielleicht unglücklich gemacht zu haben, mischte Wermuth in ihre lächelnde Erinnerung. – So ging sie an dem Gehölze dahin, und jeder Beweis von Güte und Liebe, den er ihr sonst gegeben hatte, stieß einen neuen schmerzlichen Dorn in ihre Brust. Sie hatte keine Nachricht von ihm, und ach! sie wünschte auch keine, weil es ihre Leiden noch vermehrt haben würde, ihn um ihrentwillen traurend zu wissen. Ach wer weiß, sagte sie unter strömenden Thränen, ob er nicht mit Haß und Unwillen an die Unglückliche zurück denkt, die ihn mit falschen Hoffnungen betrog! Aber könnt' er mir sein Mitleid verweigern, wenn er wüßte, wie bitter mich das Schicksal bestraft hat, daß ich der Stimme der Leidenschaft folgte? – Könnt' er grausam genug seyn und mir, die ich so verarmt an jeder Freude bin, den Trost seiner Vergebung und seines Bedauerns versagen? – Ach, möchte er glücklich seyn, glücklicher als ich, und möchte mein Bild ihm nur in einer sanften Stunde vorschweben, wo sein Herz geneigt wäre, mir den Kummer zu verzeihen, den ich ihm machte! – Sie warf sich unter eine hohe, majestätische Eiche und versank in ernste, wehmuthsvolle Träume. Auf einmal rief sie eine sanfte, gebrochene Stimme aus einer bessern Welt zurück, in der sie schwärmte. Mein Herz ist geneigt, Dir zu vergeben. Marie! sagte die Stimme bebend und leise, wie die Rührung zu sprechen pflegt, – ach, es vergab Dir schon längst und alle mein Unwille fiel nicht auf Dich, sondern auf Deinen Verführer.

Erschrocken sprang sie auf und trocknete die von Thränen verdunkelten Augen, die sie verhinderten, die Gestalt zu sehen, die so sanft zu ihr sprach. Ach, es war Ludwig, – bleich wie sie und abgezehrt vom stillen Schmerze einer vergeblichen Liebe! – Sprachlos und starr stand ihm Marie gegenüber, und ihre Betrübniß war beredter wie ihre Lippe. –

Marie, sagte Ludwig, erwarte keine Vorwürfe von mir. Dein blasses Gesicht und Dein rothgeweintes, erloschnes Auge sagen mir, daß Du unglücklich bist, und dieser rührende Anblick würde meinen heftigsten Haß entwaffnen, wenn ich den jemals hätte für Dich fühlen können. Kann ich etwas beitragen, Dir Deine Lage zu erleichtern, so rechne ganz auf Deinen ersten, Dir immer treugebliebnen Freund, und – – – seine Thränen ließen sich nicht länger zurückhalten, er umfing sie in einer schmerzlichen krampfhaften Umarmung, in der sich alle ihre stechenden Wunden regten und beruhigten, durch die Qualen der Erinnerung und den Balsam der Freundschaft!!! –

Marie war unvermögend, nach diesem Auftritt, der ihr Herz zerschnitt, zu reden. Sie verlangte nach Hause, und Ludwig führte sie durch die schlummernden Gefilde nach dem Dorfe und ihrer Wohnung zurück. Oben von dem Gipfel des Waldenbergs blickte ein freundliches Ziegeldach, von Tannen umgeben, herab in das Thal, und auf ihm glänzten noch die letzten Strahlen der schon untergegangnen Sonne.

Dort wohn' ich, Marie! sagte Ludwig, indem er hinauf wies, dort hab' ich einsam an Dich gedacht und um Dich getrauert, ohne zu wissen daß ich Dir so nahe war. O, wie oft hat mich die Ungewißheit Deines Schicksals gequält, und doch hätt' ich mich nicht entschließen können, Dir den Wahn zu nehmen, in dem Du so glücklich schienst! – Marie drückte ihm stumm die Hand, mit einem zermalmenden Gefühle in ihrem Innern.

Und so unerwartet muß ich Dich wieder finden, fuhr er fort, nachdem ich die Hoffnung aufgegeben hatte, Dich jemals wieder anzutreffen. Und so blaß, so leidend! O, Marie, Du könntest Dich keiner rührendern Beredsamkeit bedienen, als dieser Spuren eines tiefen Grams, die ich in Deinem Gesicht lese. Aber verbanne sie, ich bitte Dich darum! Dein Herz ist rein, Du ließest Dich nicht verführen, nur betrügen, und dies muß Dir Beruhigung seyn.

Marie konnte nichts antworten. Nur dann und wann erwiederte ein leiser Druck der Hand, von einem Seufzer begleitet, die Herzlichkeit, mit der er sprach. Endlich erreichte sie die friedliche Hütte, die sie bewohnte. Ach Ludwig! sagte sie beim Abschied, Ueberraschung und innre Vorwürfe haben meine Zunge gelähmt, aber ich fühle Deine Güte! – – Gerührt und innig drückte er sie noch einmal an sein ehrliches Herz und sie schieden.