Über Volkshaß
von Ernst Moritz Arndt
Man will hier einen Gegenstand, der umstreitig einer der wichtigsten Gegenstände der Geschichte und auch der politischen Gesetzgebung ist, keineswegs erschöpfen - dann müsste man ein Buch schreiben - sondern bloß einige Worte zur Verständigung sprechen, einige leichte Gedanken hinwerfen, die über das Ganze wieder Gedanken erregen. Dies ist das Leben fliegender Blätter.
In Zeiten von Kreig und Hader, besonders in so unglücklichen Zeiten, wo einige Völker oder Ein Volk nach allgemeiner Herrschaft streben, andere vor der Schande der Knechtschaft oder unter dieser Knechtschaft zittern, oder kämpfen, damit diese Schande nicht über sie komme, oder damit die gekommene abgeschüttelt werde - da wird natürlich ot geredet von dem, was man Volkshaß oder Nationalhaß nennt.
Die Einen fragen dann: Volkshaß ist so natürlich und nothwendig als das Leben, ja es ist das Leben selbst, denn ohne reinen Haß gegen Etwasist gar kein Leben, wenn anders nicht Faulheit, Geistlosigkeit, Schlaffheit, oder gar die wirkliche schändliche Knechtschaft, deren Einleiterinnen jene drei ersten sind. Leben genannt werden soll. Erdreißtet sich vollends ein Volk, mich und mein Volk unterjochen und zu einem Knecht machen zu wollen, so fordern alle Gefühle erlaubter Rache, die Gott zur Verteidigung meies Daseins mich auf, solches nicht zu leiden, sondern gegen die Unterdrücker aufzustehenund durch alle mögliche Mittel zu schänden und zu verderben, die mich und mein Volk schänden und verderben wollen. Da ist der Haß gegen das fremde Volk nicht allein erlaubt, sondern geboten; denn die Knechtschaft ist die Amme aller Laster und die Großmutter aller Lüge und Teufelei: ein Sklav kann sein Angesicht und seine Gedanken nicht zum Himmel erheben, er kann Gott nicht anbeten, er kann keine seiner Pflichten sicher und würdig erfüllen, ein Sklav eines fremden Volkes kann überhaupt kein Mensch seyn.
Die Andern warnen dann: Haß, Rache, Rachekrieg, Krieg auf Leben und Tod, Aufforderung, alle Fremden, die des egenen Landes Herren seyn wollen, ohne Gnade zu vertilgen, wo sie sich in deinen Gränzen finden - welche gräuelvolle und abscheuliche Worte für einen Christen! wie klingen sie gelcihsam aus der alten lange verschollenen heidnischen Wildheit und Rohheit hervor, und wollen milde und gesittete Völker, ja gar christliche Völker wieder zu reißenden Thieren machen! Wir sind Christen, wir haben die Lehre der Gnade und Freundlichkeit Gottes, wir haben das Evangelium von der Liebe, und wir sollten eine solche verruchte Lehre vom Haß und Rache unter uns predigen lassen? Sagt nicht Christus unser Herr: Gesegnet, die euch fluchen, und thut wohl denen, die euch hassen, und wir wollen bloß die wilden und unmenschlichen Triebe walten lassen, und noch hoffen, daß Gott uns bei solchen Empfindungen und Gesinnungen Glück und Sieg geben soll? Nimmermehr - Ihm müssen wir die große Sache und ihre Entscheidung anheimstellen, ihm, bei welchem der Anfang und das Ende aller Dinge ist, und alles in Menschlichkeit, Schuld, und Verträglichkeit ausführen und ausführen lassen; denn der Samftmüthige kann wohl der tapferste seyn und der Mildeste der unerschrockenste in der Schlacht, und wilde und rachelustige Herzen haben nicht immer den größten Muth.
So haben wir in Zeiten der Zwietracht und des Unglücks, wie die Zeit ist, worin wir leben, zwei Partheien gegen einander, die in einem gewissen Sinn beide Recht haben, meistens aber leere Lufthiebe gegen einander thun, weil sie von zu verschiedenen Welten sprechen. Jene Ersten haben unstreitig Recht - das sagt einem jedem tagendlich und frei gesinnten Mann sein Gefühl; jene Zweiten haben es auch, wenn man die Sache bloß überirdisch oder vielmehr außerweltlich ansieht. Wenn man aber das, was auf Erden wirklich ist und geschieht, wenn man die Menschen, wie sie sind und seyn müssen, betrachtet, so haben sie völlig Unrecht. Sie vermischen zwei Welten, die geschieden stehen und ewig geschieden stehen werden, die kleine und die große, die irdische und die himmlische Welt, und wollen für die erste Grundsätze gelten lassen, die nur für die zweite gelten sollen. Ihr Christenthum ist nur ein schlecht vorhandenes Christentum; denn wenn wir glauben und thäten, wie sie meinen, so hätte Christus das Evangelium der Faulheit gepredigt. Ich sage, wie es ist.
Der samftmüthigste, mildeste, frommste Mensch, mit Einem Worte der Christ, ist allerdings das Schönste, was man denken aber setzen kann, und ein solcher Mensch wird gewiß alle Pflichten des Lebens zugleich auf das stilßte und tapferste erfüllen; er wird im Unglück am seltensten stehen, weil er Gott in seinem Herzen hat; er wird in der Schlacht wie ein unerschütterlicher Fels ausharren, weil allein die Schande Schrecken für ihn hat und der Tod gar keine. Aber wie? ihr, die ihr so viel sprechet von Christentum und von christlicher Liebe, sollte ein solcher samftmüthiger und frommer Christ gar nicht zürnen und ergrimmen können? O ihr irret; ihr kennet das Menschliche nicht, weil ihr keine Menschen mehr seyd, sondern in Faulheit und Abgestorbenheit der edlen und kühnen Triebe der menschlichen Natur unterginget. Ein Mensch, der die rechte Liebe hat, muß das Böse hassen, und hassen bis in den Tod. Das hat Christus gethan, welcher doch der samftmüthigste war und wie ein himmlische Kind in Freundlichkeit auf Erden wandelte. Wißt ihr nicht, wie er die heuchlerischen und klüglerischen Pharisäer schalt und verspottete? wie er ergrimmte, als er den heiligsten Tempfel zu Jerusalem entweiht sah, und den Krämern und Wechslern die Tische umstieß und sie hinaustrieb? Könnt ihr fühlen, welch ein tiefer und hoher Zorn es war, der ihn am Kreuz über das Böse und über die Sünde triumphieren ließ? Hat er euch nicht gesagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern den Krieg? Hat er euch nicht gelehrt, haben seine Jünger und Boten nach ihm nicht gelehrt, daß das ganze Leben des Menschen und Christen ein ewiger Kampf und Krieg seyn soll gegen das Böse? - Und ist es dem Menschen auf Erden gegeben, in unschuldigem Frieden zu wohnen, er habe denn das Schwerdt in der Hand und im Herzen? Wann er durchaus allen Haß von sich halten und sich gegen Tyrannei und Verruchtheit nicht waffnen will, wir diese Tyrannei und Verruchtheit ihn nicht fassen und mit Gewalt zur Unterdrückung und Schändung der Unschuld und Gerechtigkeit treiben? - Also Krieg blutiger Krieg gegen alle Schande und Ungerechtigkeit, und gegen alles, woraus Schande und Ungerechtigkeit brütet! Abscheu vor der Sklaverei, weil der Sklav kein Mensch, sondern ein kriechendes Thier ist: Haß und Rache gegen die Tyrannei und gegen alle Tyrannen, weil sie die Freiheit und Freude und jedes edle Gefühl und jeden göttlichen Gedanken von der Erde vertilgen wollen! Diesen Haß den Enkeln und Urenkeln eingehaucht und überliefert, als ein Unterpfand der Tugend und der christlichen und menschlichen Liebe. Das ist das rechte Christenthum und die rechte Menschlichkeit, das ist die rechte alte teutsche Treue und Tugend, Wenn in so edlem Haß und so edlem Rachekrieg gegen das Unrecht und die Schande auch jede Art der Verwüstung über ein Land kommt, auch alle seine Bewohner in so heiligen Kampfe umkommen - stolze Streiter für Freiheit und Gerechtigkeit, das rechnet nicht, weil ihr das nicht rechnen könnet; das müsset ihr Gott rechnen lassen, ihr aber müsset eure Pflicht thun. Glaubet jenen nicht, die euch eine Samftmuth und Geduld predigen, welche wahrlich nicht christlich sind; glaubet euren eigenen Gefühlen, glaubet den Gefühlen, welche alle bessere und edlere Menschen von jeher gehabt haben und ewg haben werden. Auch diese Gefühle sind von Gott in die Menschenbrust gepflanzt, sie gebieten die größten Thaten und Tugenden, wie könnten sie denn Sünde seyn? Sie und ihre Werke sind das Einzige, warum wir die oft so schwermüthige und traurige Geschichte studieren, warum wir glauben, daß es werth ist, Mensch zu seyn. - Und wir wollten leiden, daß man sie uns als etwas Abscheuliches und Unchristliches zeige? Nein nimmermehr, Es ist ein angeborenes Gefühl, daß schon jedes Kind sich des Unterdrückten gegen den Unterdrücker annimmt, daß es Thränen heiligen Zorns und heiligeren Mitleids vergießt, wenn die Tugend den Laster und die Kraft der Hinterlist erliegt. Warum sollte der Mann sich dieser Empfindungen schämen, wenn er ein Mann ist? Wir meinen in der Bibel über König Sauls Fall, welchen die Tücke Samuels und der Ehrgeiz Davids verdirbt; Zyrus, Karthago, Numantia, Hannibal, Mithridares, Kato dünken uns herrlichere Namen als Alexander, Rom, Scipio, Pompejus, Cäsar, weil sie für die Tugend und die Gerechtigkeit untergingen. Wir würden nicht weinen und bis in das tiefste Herz brennen, wenn sie sich wie die Schafe in Geduld hätten abschlachten lassen. Weil sie sich und ihr Leben, weil sie Hab und Gut, Weiber und Kinder, Festungen und Mauern lieber durch Feuer und Schwerdt fallen sehen, als in die Knechtschaft und Schande willigen wollten, darum meinen und glühen wir. Soll ich zur Gegenwart kommen? soll ich das Jüngste nennen? Soll ich mich auf die Gefühle berufen, welche alle edle Europäer die letzte Jahre gehabt haben und noch jeden Augenblick haben? Wer hätte es gewagt, die von Saragossa zu schelten, welche sich unter Schutt und Flammen begruben? wer hat des hochherzigen Palafoy Tugend nd Geronas Stolz und Hotalrichs Standhaftigkeit vergessen? wer hat die Flammen von Smolensk und Moskwa nicht bewundert? Wir wissen, wie die Spanier Krieg führen, wie die Russen ihn geführt haben; wir haben gehört, was sie begeisterte. Wagen wir, diese Völker Wilde und Unchristen zu nennen? Ich weis wohl, was alle Besseren schlecht und unchristlich genant haben; aber ich will alte und neue Schanden hier nicht wieder aufrufen.
Nein, das ist menschlich und christlich das Gute und Gerechte, aber das, was man für gut und gerecht hält, zu thun und dafür alles hinzugeben, und auch das Leben, welches ohne das Gefühl der Tugend und des Stolzes gar keinen Werth hat. Schändlich aber ist es, wo die Pflicht gebietet, über den Ausgang und die Folgen zu klügeln, und immer zu fragen, wie viel man kann und was man ausrichten wird; man soll allein fragen, was man thun muß, und Gott die Ausführung überlassen. Das ist die wahre Tugend und das wahre Christentum. Jene Prediger aber von sogenannten christlicher Geduld und Freundlichkeit und Versönlichkeit wissen von dem christlichen Gott und dem christlichen Leben nichts, sondern weil ihr Gemüth klein und feig und elendig ist, darum haben sie sich auch einen weinerlichen und weichlichen Gott erfunden, welcher nicht zürnen noch strafen kann. Der rechte Gott aber ist auch ein zorniger und gewaltiger Gott, der das Böse ewig strafen muß und dem die faule Tugend und die mürbe Feigheit nicht gefällt, wodurch alle Redlichkeit und Freiheit von der Erde verschwinden würde. Weil er der Gott der Liebe ist, darum gefällt ihm Haß; weil er ein Gott der Freude ist, darum gefällt ihm Muth; jenes Gesindel aber, welches weder liebt noch haßt, sondern mit bunten Worten tändeltund mit eitlen Gedanken hin und her würfelt, hat ihm nimmer gefallen, denn Gott heißt nicht der Hin und Her und der Gestern und Heute, sondern der Eine und Derselbe. Warum aber edle Völker oft den schlechten, warum redliche Männer oft den treulosen unterliegen, oder vielmehr zu unterliegen scheinen, warum Hinterlist und Verbrechen oft stärker scheint, als Treue und Tugend - das sollen wir Gott nicht fragen, denn seine Wege sind unerforschlich.