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Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Zweite Abteilung.

Reichtum.

Viertes Kapitel

Versöhnung beider und Hochzeit

Der Drang des Grafen zu seiner eigentlichen Tätigkeit, und einige arkadische Träume der Gräfin, auch ihr Wunsch sich den zahlreichen Untertanen recht prachtvoll und wohltätig zu zeigen, beschleunigten die Abreise der Neuvermählten aufs Land nach dem Stammschlosse des Grafen. Ihr Empfang war herzlich froh; Ehrenpforten und Blumen waren nicht gespart und das Schloß und die Gärten, alles gefiel der Gräfin ungemein, weil es ihr alles noch so neu war. Dieses Anknüpfen mit tausend neuen Bekannten schützte sie wohl einen Monat gegen die Langeweile, die sie später doch empfand, nachdem sie in der Art der meisten jungen Frauen und adligen Mädchen Beschäftigungen mit Künsten, wie Malerei, Musik unter großen Anstalten dazu aufgegeben hatte. Sie nahm an allen Beschäftigungen und Freuden des Landlebens einen spielenden, aber eben darum unerquicklichen Anteil, der ihr den Drang, das Beschwerliche darin, das Wachen, die Mühe, die böse Witterung ganz unerträglich machte. Mit den Nachbaren hatte sie sich durch ihre städtische Art bald entzweit; sie wollte durchaus spät essen und keinen Tabaksrauch erdulden; sie sprach über Dinge scherzend ab, die den Leuten sehr ernsthaft waren, verachtete anderes, was jenen feierlich verehrungswürdig; sie hatte die rechte Art nicht, mit diesen starren, eigentümlich im eignen Hause und kleinen Leben gebildeten Seelen zu sprechen; sie hatte in diesem neuen Kreise kein Gefühl, wo sie anstieß, und wo sie gefiel, und so verschloß sie sich mit verkehrter Freimütigkeit sehr bald die schwache Quelle der Unterhaltung, welche sie mit Familien des Landadels, der Pächter und Prediger verbinden konnte. Nur ein furchtbar von den Pocken zerrissener Nachbar, ein Baron, der früher in fremden Kriegsdiensten gestanden, hielt es mit seiner allgemeinen Grobheit vollkommen gegen sie aus; ihre Unterhaltung war ein Austausch von Beleidigungen, besonders war sein vergebliches Freien ein Lieblingsgegenstand ihres Spottes. Der Baron schoß schon seit vielen Jahren Reiher, um seiner Braut einen recht vollen Busch zum Kopfschmucke zu überreichen, und ließ alle Jahr eine gewisse Zahl Gänse zur besseren Füllung des Brautbettes einschlachten. Aber der Busch hätte fast schon einen schwachen Kopf niedergedrückt und das Bette erreichte beinahe den Balken und noch immer hatte er keine willige Schöne finden können, so verschrieen war er wie ein Blaubart wegen der Grausamkeit, mit der er seine erste Frau ohne geistlichen Trost hatte sterben lassen, indem er ihr immer zugeschworen, sie sei gar nicht krank. Mit gleicher Grausamkeit verfuhr er gegen seine Bauern, hetzte sie mit Hunden, ließ den trägen Mägden Flachs um die Finger binden und anzünden, und schon dadurch war er dem Grafen verhaßt. Wie nun jede Unterhaltung, die in ihrem Scherze über die wohlgezogenen würdigen Grenzen, welche die Schicklichkeit der geselligen Freude gesteckt hat, hinaus springt, leicht überschlagen kann, so erging's auch eines Morgens zwischen dem Baron und der Gräfin; er sagte ihr so harte Worte, nahm so bösen Abschied von ihr, daß der Graf bei seiner Heimkunft sie einsam weinend auf ihrem Ruhebette ausgestreckt fand. Sie klagte ihm ihr Ärgernis, und ehe sie ihn noch aufforderte, sie an dem Baron zu rächen, war ihr Ingrimm schon so gedoppelt zu ihm übergegangen, daß er es kaum über sich gewinnen konnte, sie auszuhören. Vielhundertmal hatte er demonstriert, daß der Zweikampf, so wie er in Deutschland nur zwischen gewissen Ständen eingeführt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen Klassen des Volkes für etwas Schändliches halten; da sei kein Gottesgericht wie in der ältesten Zeit, keine allgemein geglaubte Ehrenreinigung dabei und in seinem unbestimmten Verhältnisse zu den Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geböten, bald verböten, stelle er ein trauriges Zeichen jener Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die gerade so wesentliche edelste höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne allgemeine durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und unterdrückten. Das war seine Betrachtung, aber mit dem Augenblicke der Leidenschaft faßte ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes; an dem Baron ist nichts verloren, dachte er noch obenein; die Bauern werden von einem schlechten Herren befreit, niemand mag ihn leiden: das waren die jetzigen Betrachtungen, mit denen er seine Kuchenreiterschen Pistolen in die Halftern steckte, sich auf seinen schwarzen Hengst schwang und kaum mehr hörte, daß ihm die Gräfin zurief, er möchte ihrer gedenken, so werde er ihn nicht verfehlen. Er ritt keine halbe Stunde, da stand er vor dem Baron und machte ihm mit der Art angenommener Kaltblütigkeit, die in solchen Verhältnissen geachtet wird, seinen gefährlichen Antrag. Der Baron war aber längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an: ob er ihn denn für wahnsinnig halte, sich auf so etwas einzulassen, da er noch tausend andern Spaß haben könne, und ihm selbst die schimpflichste Abbitte nichts koste. Wirklich rief er in großer Ruhe seine Schreiber hinein und diktierte einem eine so beschämende demütige Abbitte, unterschrieb und besiegelte sie, war nachher so lustig wie vorher, daß der Graf, der von dem Mute des Barons manche Proben wußte, die er in fremden Diensten abgelegt hatte, über eine Natur staunte, die aus dem ganzen Ehrenkreise seiner Zeit, seines Volkes, ohne große Begebenheiten, bloß durch sich selbst heraus gerissen worden; mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution gerade notwendig solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse, und mancher jugendliche Umwälzungsplan, den er mit dem gärenden Moste der Zeit getränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in dem einen bedeutenden Augenblicke; nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich, das Gute war ewig; das Bestehende soll gut gedeutet werden, sagt ein tiefer Denker[1], dem folgt Deutschland in seiner Entwickelung. Es wurde ihm so wohl, indem er rasch fortreitend dieser ruhig fortschreitenden Bildung des geliebten Vaterlandes gedachte; er sah schon bis zur Hütte herunter alles in behaglicher, selbständiger Freiheit, daß schon das schöne Verhältnis im unbedeutendsten Baue, das Wohlgefällige im ärmlichsten Anzuge es dartaten, ein höheres Leben habe sich bis zu allen äußersten Punkten verbreitet; es dringe die Blütezeit hervor, auf welche die Dichter schon lange vergebens hoffen. Wurde ihm aber recht wohl und freudig, so schwebte ihm jedesmal unwillkürlich seine Frau vor, die jetzt in höchster Blüte ihrer Schönheit alles erstaunte und bezwang; er pflegte sich dann ein lautes Glückauf zu rufen. Diesmal spornte er mit lustigem Eifer sein Pferd, sah mehr nach den Wipfeln der Bäume, die über ihm rauschten und taumelten, als nach dem Wege, der unter ihm hallte. Er glaubte noch auf dem rechten Fußpfade zu sein, und an der Furt, die er gut kannte, als er seinen Hengst heftig in den Fluß spornte, vor dem er scheute. Kaum war er drin, so merkte er, daß dies eine andre sehr tiefe heftig strudelnde Stelle sei, sein Pferd wollte er nicht verlassen und konnte es auch nicht, das Wasser hatte ihm die Bügel angedrückt; es schwamm schlecht und versank immer tiefer. Endlich zeigte sich am Ufer ein neugieriges schwach wieherndes Pferd; gleich war sein Hengst von neuer Kraft durchdrungen, arbeitete sich empor und ohne Unterlaß ans Land, von wo sich das grasende Pferd im plumpen Umschwenken ungeschickt in des Waldes Dickicht flüchtete. Diese Lebensrettung durch die Zuneigung der beiden Pferde, so zufällig sie sein mochte, hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es tat ihm so leid dieses Ungeschick des grasenden Pferdes, dessen dumme Flucht es eines guten Futters beraubte, das er ihm im Schlosse zudachte; er wollte es dahin treiben, aber es war ihm nicht beizukommen, also drehte er sein Pferd nicht ohne Widerstand nach seinem Schlosse um, jagte immer schneller je näher, und als er endlich die Waldhörner seines Jägers hörte und das Tüchlein seiner Frau ihm winkte, da ging es in vollem Laufe in den Torweg und im Schwunge vom Pferde, mit klirrendem Sporne die Treppen hinauf zu Dolores. – »Du lebst und er ist tot?« rief sie ihm entgegen, »sehnlich habe ich dich erwartet!« – »Wir leben beide«, antwortete der Graf lächelnd; »wie du vom Tode eines Menschen redest, und weinst doch über einen Nietnagel. Er ist tot und nicht tot, wie du es nennen willst, im bessern Sinne ist er es schon lange; – deine Ehre habe ich in der Tasche, sieh da, sie ist ganz naß geworden, aber nicht verlöscht und nicht zerrieben.« – Der Gräfin war es eigentlich nicht ganz recht, daß ihr Beleidiger nicht umgekommen: wir werden die Gründe nachher erfahren; doch verbarg sie das unter Liebkosungen; sie erzählte dem Grafen so viel Schönes, wie sie den Tag bei einer Einsiedlerin zugebracht habe. »Wo wohnt die?« fragte der Graf neugierig. Die Gräfin zeigte weithin nach einer Ecke des Waldes, und erzählte dann, wie ihre Kammerjungfer Rosalie sie dahin geführt; sie habe ein artig Hüttchen gefunden mit Rasen ganz bedeckt, mit zwei kleinen Fenstern und einer Türe versehen, vor welchem ein verbranntes Mädchen von auffallend nach einer Seite zusammengezogenen Zügen und listigen Blicken einige Töpfe ausgewaschen, die ihr zugerufen: »Woher du glänzende Schönheit im weißen Kleide mit dem schmutzigen Saume?« – »Das Mädchen ist wohl toll?« fragte der Graf. – »Keinesweges«, antwortete Dolores, »sie ist ungemein gescheit, aber sie ist zu gescheit, zu witzig für Bauersleute; sie hat über Vater und Mutter und Bruder und Bräutigam so viel Spott ergossen, der aber wahr ist, bis sie endlich von ihren Eltern nach dem Stadttollhause gebracht worden. Dort kam sie unter städtische Leute und redete allen so zu Dank, daß sie mit dem Zeugnisse eines völlig gesunden Verstandes zurückging; aber gleich wie sie wieder zu ihrem Vater kam, redete sie so böse Worte darüber, daß er seinen einen Strumpf verkehrt angezogen, daß weder er noch irgend einer im Dorfe sie aufnehmen wollte. Sie ging trotzig aus dem Dorfe, wie sie sagte, weil die Dummheit sich immer so breit setze, daß für die Klugheit kein Platz übrig sei. Ihr Bräutigam, der vergebens getrachtet hatte, sie bei seinen Verwandten unterzubringen, ward traurig über dieses Ereignis und bot ihr sein Haus an, sie sollte drin schon jetzt als seine Frau schalten und walten. Sie aber fragte ihn kalt: ›Da soll ich wohl kochen und backen und brauen für alle; Sommers auf dem Felde arbeiten, Winters spinnen, mit Schmerzen Kinder gebären und die kleinen schmutzigen Tiere säugen und waschen und wickeln? Ich bin Euch recht gut, aber daraus wird nichts; ich will eine Jungfer bleiben und mir mit Botenlaufen meinen Unterhalt verdienen, da hör ich alle Tage was Neues und brauch keinem Rechenschaft abzulegen.‹ Da hat ihr der Bräutigam mit Tränen die Hütte gebaut und ist mit Tränen von ihr geschieden.« – »Abscheulich«, rief der Graf, »die muß eine Hexe werden, die ist es schon.« – »Ei nicht doch«, sagte die Gräfin, »du sollst sie gleich sehen, sie sieht nicht häßlich aus, hat klare Augen und, lieber Mann, ich habe sie zu meiner zweiten Kammerjungfer gemacht; du mußt sie schon ertragen lernen.« – »Liebes Kind«, antwortete der Graf, »du weißt, dein Wille ist der meine; aber gedenk daran, daß es eine schlechte Aufmunterung für brave Mädchen ist, wenn so ein freches verwogenes Weibsbild ihr Glück macht; nirgend muß das Geld mit mehrerer Schonung und Billigkeit wieder verteilt werden, als da, wo es im mühsamen Gewerbe gewonnen wird; manche Verschwendung ist uns in der Stadt erlaubt, wo keiner weiß, mit welcher Anstrengung es zu kleinen Hauszinsen gesammelt worden, und es fällt doch den armen Leuten auf, zwei Mädchen bei dir müßig zu sehen, die nur eines bei meiner Mutter gewohnt waren, aber wie viel mehr, so ein nichtsnutziges Mädchen in dem Staate zu sehen, nach welchem die Besten umsonst trachten.« – Die Frau schmeichelte und der Mann schwieg. »Wie du nun bist«, sagte sie, »da habe ich den ganzen Tag allein gesessen, du läßt mich ganz allein, und habe in Angst geschauet aus dem Fenster, ob du kämest; habe dazwischen vor dem Spiegel mit mir getanzt, bis es dunkel wurde, und du gönnst mir nicht die kleine Unterhaltung mit dem wunderlichen Mädchen, mit der Ilse.« – »Ach ist das die Ilse«, sagte der Graf, »mit der habe ich oft auch Spaß gehabt, sie hatte schon als Kind eine unverschämte Art zu antworten. Wenn sie dir gefällt, behalt sie; mir muß sie aber aus dem Wege gehen, das sage ihr.« – So endete sich das Gespräch, in welchem der Graf tausend neue Beweise von der Liebe und Ergebenheit seiner Frau zu entdecken meinte; die Wahrheit ist, daß dieses verschmitzte Mädchen, die tolle Ilse, die Gräfin mit ihrem Geschwätze ganz umstrickt hatte; sie schmeichelte ihr so geschickt, kniete vor ihr, betete sie an, er zählte so viele fatale Geschichten aus der Gegend von heimlichen Liebeshändeln und Abenteuern, daß dieser Tag der vergnügteste gewesen, den die Gräfin auf dem Lande zugebracht hatte; der Graf und sein Zweikampf war ihr dabei fast entfallen, als ihr Ilse sagte, daß er über das Feld jage, und sie ihm entgegen winkte. Der Graf stand am nächsten Morgen früh auf, und noch voll von den Gefühlen des vorigen Tages, dachte er sich ganz in die Stimmung seiner Frau; da saß er still lächelnd und redete vor sich, wie sie gestern in seiner Abwesenheit wohl hätte träumen können. Es ist so süß sich etwas Liebes und Freundliches aus der Seele eines andern zu denken, dem wir ergeben; wir versichern uns seiner in uns, und so dachte er, wie sie in allen schönen Nachgedanken über Augenblicke, die ihm wert, nach seiner Art in träumender Unterhaltung sich befunden; wie sie plötzlich erfreut, in der Meinung er komme, den Zusammenhang des Gedankens vergesse und nicht wieder auf die Vorstellung kommen könne, die sie so innerlich erfüllt hatte, und wie sie da so sehnlich ausrufe:

 

Sie zu Hause

 

            Was füllte mein träumendes Herze?
            Vergessener Schein!
            Schwer trifft sich ein liebendes Herze
            So ledig allein.

            Die Schatten sind niedergezogen,
            Ich ahndet es nicht,
            Die schönen Geschichten verflogen,
            Mein Wundergesicht.

            Wie Abend die Seen erreget
            Mit fröhlichem Hauch,
            So nur ein Gedanke beweget,
            Bewegte mich auch.

            Ich sinne und suche und springe
            So hin und zurück,
            Und locke zum Käfig ihn, singe,
            Blick einmal zurück.

            Nicht mehr in dem Spiegel ich sehe
            Mein lieblich Gestalt
            Und wende mich abwärts und flöhe
            Gern tief in den Wald.

            Wie wird's ach im Walde so helle,
            Am Himmel, am Himmel so klar,
            Es kehret zurück der Geselle,
            Und alles und alles wird wahr.

Er nach Hause eilend sang darauf, als spornte er in die Gitarre mit raschen Griffen:

            Mein Auge treu,
            Mein Ohr so wach,
            Die Liebe neu
            Vieltausendfach.
            Was siehst du fern,
            Was siehst du gern?
            Auf Wäldern hoch
            Das weiße Schloß,
            Und rascher flog
            Mein schwarzes Roß,
            Die Brust, so heiß,
            Beschäumt sich weiß.

            Mein Auge treu,
            Mein Ohr so wach,
            Die Liebe neu
            Vieltausendfach.
            Was hörst du fern,
            Was ist dein Stern?
            Das Tüchlein winkt,
            Das Waldhorn schallt.
            Die Sonne sinkt,
            Mein Herz hoch wallt;
            Das Tor weit auf
            Durchhallt im Lauf.


[1] Hölderlin siehe Tröst-Einsamkeit S. 73.