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Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Zweite Abteilung.

Reichtum.

Neunzehntes Kapitel

Der Dichter Waller und seine Frau, Traugott und Alonso

Er hatte kaum ein paar Minuten hinausgeblickt, als er seine Frau auf eine Gruppe aufmerksam machte, die den hohen Weg vorüber unter den palmenartigen Weiden wie ein Schattenspiel fortschritt. Ein wohlgekleideter Mann führte ein Pferd, auf welchem eine Frau in Betten eingepackt saß; zwei Kinder ritten auf großen langgehörnten Ziegen nebenher. Unsre beiden Zuschauer eilten herunter die Leute näher zu betrachten und sie wurden von dem Manne, der in einem sehr ausgearbeiteten faltigen verbrannten haarichten Gesichte viel Geist verriet, angeredet. Er klagte, daß seine Frau, der diese Lustreise zur Gesundheit empfohlen, immer kränker würde; zugleich bat er um ein Unterkommen. Der Graf erbot ihm alle seine Dienste, und führte selbst das Pferd nach einem Gartenhause, wo die Kranke keine Stufen zu steigen brauchte und doch aller Annehmlichkeit der Gegend genoß. Als sie sich auf dem Sopha eingerichtet, erhob sie den Schleier und zeigte ein so reizend sterbendes Gesicht, etwa in der Art, wie wir auf einigen altdeutschen Bildern von der sterbenden Maria sehen; sie sprach wenig, aber dieses Wenige beschäftigte sich nach dem ersten Danke ganz mit Sorge für Mann und Kinder, daß sie die Zeit nicht ihretwegen versäumen möchten; sie möchten ihre gewöhnten Arbeiten vornehmen. Nachdem dieses wenigstens von den Kindern geschehen und beide einige landschaftliche Skizzen auszuzeichnen begonnen hatten, redete sie erst die Wirte an und versicherte ihnen mit einer Art innerer Zufriedenheit, daß ihre Milde diesmal wohl angewendet sei, da ihr Haus durch die Gegenwart des großen Waller gesegnet werde, den als ihren Mann zu nennen, ihr höchster Stolz sei. Jetzt begannen allerlei Komplimente; der Graf mochte nicht sagen, daß er seine meisten Gedichte für falsche Münze halte, welche die Eitelkeit mancherlei tönenden Worten ausgeprägt hatte; die Gräfin mochte nicht eingestehen, wie hoch sie ihn verehre; Waller entwickelte dabei in hoher Vollendung seine Manier, das Ernste spaßhaft, das Spaßhafte ernst zu nehmen, durch Sonderbarkeit zu verwirren, seine Vortrefflichkeiten als zu leicht auszuwerfen, und war bald so laut, als er vorher einsilbig gewesen. Seine Frau durfte ihrer Brust wegen wenig reden, sie legte zu ihrer Unterhaltung eine Rötelzeichnung von der Aussicht an, die alle umgab, bald ging ein Knabe hinaus, eine der Ziegen zu melken, und brachte ihr die Milch, die sie mit Lust austrank, dann gab sie beiden Kindern, dem Traugott und dem Alonso, die Freiheit umherzulaufen. Ohne eines Menschen zu achten, immer mit einander beschäftigt, holten die Knaben mancherlei Spielzeug aus den Taschen und begannen im Schlosse ein Durchsuchen, ein Umklettern, wie eine Diebesbande, oder wie ein paar neu angekaufte Hofhunde; die Leute des Grafen wollten es ihnen wehren, er aber gönnte ihnen dieses Vergnügen, was ihm sehr natürlich in jedem Kinde vorkam, aber wunderbar, insofern sie sich ihm ganz unbesorgt überließen, als wäre die Welt ihre. Küche und Garten plünderten sie durch wie die Affen nur in dem Bedürfnisse des Augenblicks, ohne der Zukunft zu achten. Etwas von allen Tieren hatten sie auch wirklich in ihrer Bildung und in der Art ihrer Bewegung, vielerlei Fertigkeit, wenig Überlegung. Ihr Vater sagte mit Recht: »Es sind Menschen, wie die künftige Zeit sie brauchen kann, mit jeder Not vertraut, in Arbeit und Mühe und jeder Witterung abgehärtet.« Da Frau Waller Ruhe bedurfte, so ließ sich Waller mit seinen neuen Bekannten in ein Gespräch ein, wußte so schnell in alle Besonderheiten des Hauses einzudringen und sich darin zu fügen, daß er in einer Stunde mehr Herr darin zu sein schien, als der Graf. Für die Vertraulichkeiten, die er ihnen entlockt hatte, forderten sie gleiche Vertraulichkeit von ihm und er sprach mit einer Art Überhebung von sich; seine Frau sei früher an einen reichen Kaufmann verheiratet gewesen, er habe sich in dem Geldmangel, worin er sich seit seiner Jugend befunden, auch an dieses Haus gewendet und sei wegen seiner Spaßhaftigkeit Tischgenosse geworden. Die Frau, die älter als er, habe sich in ihn verliebt, und um sie nicht unglücklich zu machen, ungeachtet sie ihm immer fatal gewesen, habe er drein willigen müssen, daß sie sich scheiden lassen und ihn geheiratet. Wir wollen hier seine lange Erzählung zusammen ziehen. Waller war des Herumstreifens müde, er beredete sein Frau, ihr Haus in der Stadt zu verkaufen, um ganz der Kunst in einem abgelegenen Landhause zu leben, das ihn einmal auf einer Reise in der Mitte eines Tannenwaldes entzückt hatte. Sie willigte in alles; seit ihrer Scheidung lebte sie ganz ihrem Manne und der Malerei; er reiste in die romantische Gegend, kaufte das Haus sehr teuer, weil eine Familie, die dort geboren und groß gezogen, nicht aus gleichem Sinn an der Natur, sondern aus Gewohnheit sich nur großer Vorteile wegen davon trennen mochte. In wenigen Tagen richtete er sich alles nach seinem Geschmacke ein: sonnte die angekommenen Betten, stellte Blumentöpfe in die Fenster, wand eine Ehrenpforte an der Türe aus Birken mit Bärenklau und Feldblumen, setzte sich in den Garten und schrieb dieser Ehrenpforte eine Inschrift:

            Hier fielen Druck und Sorgen
            Von eines Menschen Herz,
            Er kann euch wieder borgen
            Von seinem eignen Scherz.

            Nur einmal Herr der Erde,
            Nur einmal Herr der Luft,
            Dann weichet die Beschwerde,
            Dann füllet sich die Kluft.

            Die offnen Augen tragen,
            Wohin der Fuß mich trägt,
            Bis zu dem Sonnenwagen,
            Der hoch am Himmel wegt.

            Nach einem andern Wagen
            Horcht hier im Sand sein Ohr,
            Der soll die Freundin tragen
            Durchs hohe Gartentor.

            Er sonnte still im Garten
            Die Betten ganz allein,
            Er mußte lange warten,
            Sie tritt ins Haus herein,

            Und an der Ehrenpforte
            Vielbuntem Bogenzug
            Liest sie die frohen Worte:
            Die Eine mir genug.

Er hatte es sich aber bloß eingebildet, daß sie gekommen, sie war durch ein gebrochenes Rad auf dem Wege aufgehalten; er wurde immer ungeduldiger, hatte für alles gesorgt, nur nicht fürs Essen: er mußte sich mit Brot und Milch begnügen; aus Ärger warf er endlich die Ehrenpforte zusammen, fegte die Blumen aus den Zimmern und empfing die Frau, die dazu ankam, mit heftigen Vorwürfen, wie sie ihm jedes Vergnügen verderbe. Sie suchte, ihn zu beschwichtigen und er ward wieder vergnügt. Am anderen Morgen wollte er eine gewaltige Arbeit machen, zu der er sich lange einen recht schönen Tag gewünscht; wirklich war das Wetter hell, er ging auf sein Studierzimmer, aber es wollte ihm nichts gelingen: er war zerstreut; ein paar welsche Hähne, die sich im Hofe bissen, zogen alle Aufmerksamkeit an sich; dann sah er einer dicken Magd zu, die im Garten arbeitete; dann wurde es ihm zu heiß. Es ward Mittag und er hatte nichts getan, und fand darüber alle Lieblingsspeisen schlecht, die ihm seine Frau zubereitet hatte. Jeder Tag hatte seine eigne wunderbare Geschichte, insbesondre seit er sich darauf legte, die Natur recht zu genießen; da zog er seine Frau halbe Nächte durch nebelbelegte Wiesen und kühle Waldungen herum, den Sonnenaufgang zu sehen, und gemeiniglich ehe es dazu kam, mußte einer von ihnen aus irgend einer Unbequemlichkeit nach Hause gehen und sie hatten nichts als Schnupfen und Fieber davon gehabt. Wallern war es ganz erstaunungswürdig, daß er die Natur ganz anders gefunden, als er sie beschrieben, aber die Landleute entsprachen noch weniger seinen Erwartungen; seine ländlichen Gedichte verstand keiner, sie hatten alle den »Eulenspiegel« viel lieber. Diese Erfahrungen machte er im Sommer, aber im Winter hatte er noch viel mehr zu lernen; vergebens schrieb er an alle Bekannte der ganzen Gegend, daß sie ihn besuchen möchten, keiner mochte die gefährlichen Wege in Schneewetter machen; der Unmut darüber erzeugte manches Lied, unter andern auch dieses:

Winterunruhe

            Ich räume auf für Gäste,
            Sie hält mich auf dem Neste;
            Die Wege sind beschneit
            Und keiner kommt so weit:
            »Wie Espenlaub mein Herz hat keine Ruh,
            O wäre früher ich geboren, oder später du.«

            Ich sitz bei ihr, sie spinnet,
            Mein Herz in mir, es sinnet,
            Es treibt mich durch den Wald,
            Wie ist der Wald so kalt:
            »Wie Espenlaub mein Herz hat keine Ruh,
            O wäre früher ich geboren, oder später du.«

            Die Tanne sagt vom Schmause,
            Mich brausend jagt nach Hause;
            Zu Hause bei dem Herd,
            Da werd ich so beschwert:
            »Wie Espenlaub mein Herz hat keine Ruh,
            O wäre früher ich geboren, oder später du.«

            In ihrem Haar ich spiele,
            Der Träume Schar ich fühle
            In ihrer Locken Nacht;
            Doch bald bin ich erwacht:
            »Wie Espenlaub mein Herz hat keine Ruh,
            O wäre früher ich geboren, oder später du.«

»Lieben Leute«, rief hier Waller aus, »hätte meine Frau nicht ein Kind bekommen, den Alonso, ich wäre aus Langeweile toll geworden; da bekam ich doch was zu sprechen mit all dem närrischen Volke von Ärzten und Weisemüttern. Das hielt doch auch nicht länger vor als bis zum Frühling, da sagte ich, daß ich auf die Leipziger Messe gehen müsse, um ein Manuskript zu verkaufen, und lief über Berg und Tal, als wenn ich gehetzt würde. Denkt euch, in Leipzig sitze ich in guter Ruhe bei Mainoni und esse Stengelrosinen und Knackmandeln, da bringt mir der Bursche aus der Buchhandlung einen poetischen Brief von meiner Frau:

    Der Liebe Furcht ist Fackel meiner Liebe,
    Die meinen Traum mit Strahlen Nachts erfreut,
    Damit mich nicht die Einsamkeit betrübe,
    Mir Sterne auf die dunkle Erde streut,
    Und meiner Liebe Flamme höher treibt,
    Daß Dir ein Zeichen bleibt.

    In Liebesfurcht ich seh die Wolken jagen
    Dort überm Mond, daß er zu wanken scheint.
    Wohin, wohin will euch der Sturmwind tragen?
    Zu meinem Lieben, der es treulich meint!
    Der Blume Blätter werf ich in den Wind,
    Er bringt sie Dir geschwind.

    Der Liebe Furcht durchbebet mich so sachte,
    Zu schauen, ob mein Kind noch atmen kann,
    Es sah mich an, und drehte sich und lachte,
    Ich sah es schon wie Dich, wenn es ein Mann;
    So schauet aus der Liebe ödem Haus
    Ein frommer Geist voraus.

    Wird Liebe Furcht, so laß die Furcht mich lieben,
    Und liebe mich, dieweil ich furchtsam bin,
    So kann die Furcht die Liebe nie betrüben,
    Und Furcht und Liebe haben gleichen Sinn,
    Es wächst die Furcht der Liebe zum Gewinn
    In Deiner Liebe Sinn.

Fragen Sie sich selbst, ob ich länger von ihr bleiben konnte nach solcher Einladung; denken Sie sich, mir zu Liebe hatte die liebe Frau die ersten Verse in ihrem Leben gemacht. Ich trat denselben Tag noch meinen Rückmarsch an; mein Buch wurde nicht fertig gedruckt.

Damals hab ich eine schöne Zeit mit ihr gelebt; leider, daß uns die allergemeinste Ursache bald in Verlegenheit setzte. Ich hatte ein Landgut gekauft und war kein Landwirt, und meine Frau verstand bei dem besten Willen eben so wenig davon; ich hatte viel bezahlt, verzehrte noch mehr und nahm nichts ein; die Summe gezogen, mußte ich den Hof meinen Schuldnern überlassen und in die Stadt ziehen. Da jubelte mein ganzes Herz; meine Frau war aber betrübt, sie machte mir so rührende Vorstellungen, daß ich ihr zuschwor, recht fleißig zu werden; sie selbst fing an Kupferstiche zu meinen Gedichten recht artig zu radieren und die waren meist schon fertig, wenn das Gedicht erst zur Hälfte gelangte. Dann weckte sie mich immer früh auf, hatte schon mein Zimmer geheizt, mir Kaffee gekocht, und da sollte ich nun arbeiten, das war eine Sache zum Einschlafen; in meinem Ärger über diese Behandlung und doch im Gefühle, wie es nicht anders gehen könne, schrieb ich eine Elegie vom Weber, den ich vorstellte, und von der Spinnerin, die meine Frau bezeichnet, welche ich Ihnen mit der rechten Betonung vorlesen will; macht sie Ihnen Langeweile, so ist es meine Schuld.«