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Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Dritte Abteilung.

Schuld.

Zehntes Kapitel

Der Marchese D ... verläßt die Gräfin

Zu lange für meine Zuneigung zur Gräfin Dolores, habe ich den Grafen durch eine fremde Welt begleiten müssen, mir wird gleich so wohl, da ich wieder zu ihr umkehren darf, ungeachtet sich wieder manches Betrübte ereignet hat. – Der Marchese war von dem Gute des Grafen mit einem so auffallenden Lärmen und Lobpreisen desselben zurückgekommen, daß die Gräfin darüber erstaunte, was sie meist kaum angesehen, öfter verspottet, hier in dem Leben der Worte, das sie besser als die eigentliche Anschauung von vielen Dingen kannte, zu solcher Wichtigkeit ansteigen zu sehen. Dieser neue Reiz übertrug sich in ihrer Art Unmittelbarkeit an den Marchese; es war ihr zu Mute, als wenn der alles das ihr zu Ehren angelegt habe; sie sah ihn mit so wunderlich angenehmen Blicken an, die nur ihr eigen, worüber nur der Marchese lächeln konnte, der unterdessen eine andre Bekanntschaft in der Gegend gemacht hatte, und mit ihr brechen wollte. Je mehr er sich von ihr wandte, je weniger Politik er ihr vertraute, doch immer mit dem Anscheine eines Mannes, der sich viel versagt, desto unwiderstehlicher war es ihrem Eigensinne, ihn nicht mit Zärtlichkeit zu verfolgen; unter allerlei leichtem Vorwand drängte sie sich an ihn, schlug mit ihren Stricknadeln auf seine Hand, ließ eine Schleife an ihrem Ärmel zubinden; der Marchese erzählte ihr, als wär es von einem Dritten, sie hätte ungemein zärtliche Augen und schmachtende Blicke, eigentlich mehr als einer verheirateten Frau gezieme. Sie versicherte ihm noch immer scherzend, das habe ihre Mutter schon früh an ihr getadelt, sie wisse aber nichts davon, und dabei erzählte sie so artig ein Duett, halb singend, halb sprechend, das damals, als sie dies zum erstenmal ihrem Manne erzählt, von ihm darauf gedichtet worden sei.

                 MUTTER:

            Mädchen laß die schmachtend süßen Blicke,
            Mach die Augen nicht so klein,
            Denn zu ihrem schmerzlichsten Geschicke
            Alle Männer sehn hinein,
            Jeder meint, daß er gemeinet wäre.

                TOCHTER:

            Laß sie doch so eitel sein.

                MUTTER:

            Nein, es schadet endlich deiner Ehre,
            Meide wenigstens den Schein.

                TOCHTER:

            Mutter sprich, wie soll ich denn nun lassen,
            Was mir angeboren ist,
            Wenn ich auch mit niemand möchte spaßen,
            Bebt mir doch die Wang von List.

                MUTTER:

            Nein, das ist kein Blick, der bloß zum Lachen,
            Du verwirrest jedermann,
            Willst du einen wirklich glücklich machen,
            Sieh allein auf einen Mann.
            Mädchen, nicht bei stillen, edlen Frauen
            Kannst du solches Auge sehn,
            Einige so ruhig vor sich schauen,
            Andre gar verschämet gehn.

                TOCHTER:

            Meine Augen flüchtig sich bewegen,
            Müde von dem Stillestehn,
            Keinen Ausdruck mag ich drinnen hegen,
            Gleich hinaus muß er da gehn.
            Mutter sprich, von wem die Deutungsaugen,
            Gern geb ich sie dem zurück,
            Denn zum Glücke sie wohl nimmer taugen,
            Und ich fürchte meinen Blick.

                MUTTER:

            Tochter, könntest du den Vater finden,
            Diesen Flüchtling ohne Ruh,
            Gern vergäb ich alle seine Sünden
            Und vergäb dir auch dazu.

                TOCHTER:

            Laß mich einsam, daß ich keinem schade,
            Denke still bei mir an ihn,
            Und erfleh für ihn des Himmels Gnade,
            Und so will ich fromm verblühn.
            Alte Jungfer will ich bei dir werden,
            Blühen unter Schnee und Eis,
            Denn kein Jüngling, den ich sah auf Erden,
            Hat verstanden meine Weis.

                MUTTER:

            Wie ein Vogel, der im Fluge träumte,
            Sinket auf des Sees Flut,
            Siehst du bald im Spiegel die versäumte
            Aufgeschreckte Liebesglut,
            Daß der Jugend goldne Zeit verrinne,
            Lieblos über Lieb hinaus;
            Sieh hinaus, was dir dein Aug gewinne,
            Ob's ein Hüttchen, ob's ein Haus.

»Und darüber können Sie lachen?« fragte der Marchese, »jeder andre dürfte dabei lachen, nur Sie nicht, die von dem Manne so zärtlich gewarnt worden, den Sie nicht verdienen.« – Die Gräfin rief ihm erbleichend in einem Übergang vom Staunen zur Wut: »Und Sie können mir das sagen?« – Der Marchese wollte sanft einlenken; aber wer die tiefe Kränkung einer Frau kennt, die sich hart behandelt fühlt von einem, dem sie sich liebevoll hingegeben, und die Angst eines Gemüts, das sich der Wahrheit noch nicht lange verschlossen, und wo hinein sie sonnenhell plötzlich aus einer Gegend scheint, woher sie nie etwas davon geahndet, der kann sich die fieberhafte Hitze erklären, die abwechselnd das Leben des Marchese in Gefahr setzte, und ihm dann wieder demütig schmeichelte; denn selbst seine spielende Verachtung gegen sie imponierte noch ihrer bewußten Schuld. Kaum konnte sie sich vor dem Auge der Dienerschaft mäßigen. Der Marchese ging von ihr mit dem Entschlusse, den andern Morgen abzureisen, sie wünschte ihm alles Unglück auf den Weg, das er über ihr Haus gebracht, daß er vom höchsten Felsen stürze, wie die Verräter in Rom. Wir ziehen einen Schleier über sie, denn es gibt Grenzen, wo der Zorn auch des schönsten Weibes aufhört, schön zu sein. Der Marchese war solcher Szenen gewohnt; er machte alle Anstalten zur Reise und hatte sich auf sein Lager gestreckt, und schlief schon; aber die Gräfin ließen tausend Leidenschaften nicht ruhen, sie mußte auf, sie mußte dem verhaßten Geliebten noch einmal alles sagen, was ihr Zorn ihm schon so oft zugerufen. Sie schlich in sein Zimmer mit einem Wachsstocke, der ihr unbemerkt über die Hand geflossen; der Marchese erschrak, er fürchtete die Gewalt ihrer Rache nicht, aber ihre Liebe war ihm in diesen Stunden unwillkommen; doch er irrte sich zweifach; ohne eine Begierde, ohne eine Rache setzte sie sich zu ihm aufs Bette, ihm alles das noch einmal vorzuhalten, was er schon so oft gehört, wie er jede Treue ihr und ihrem Manne gebrochen, jede Liebe unnatürlich betrogen und verletzt, jede Rache, jeden Haß teuflisch in ihr geweckt. So sprach sie im ew'gen Einerlei, daß ihm, wie ihm noch nie geschehen, fast alle Gedanken wahnsinnig vergingen; er hätte sie umgebracht, wenn nicht der wiederkehrende Tag sie in ihr Zimmer zurückgeführt hätte. Der Marchese stand gleich auf und reiste ab; um alles Aufsehen zu vermeiden, schrieb er Briefe an mehrere Bekannte der Stadt, die sein Bedauern ausdrückten, dem Befehl seines Hofes, der ihn so plötzlich entfernte, folgen zu müssen. Die Gräfin war zu heftig bewegt, um sich krank zu stellen, sie veranstaltete einen Ball, und überließ sich dem Tanze so ganz, daß wenn sie einen Tänzer gefunden, der sich mit ihr tot zu tanzen geneigt gewesen, sie wahrscheinlich nicht den nächsten Morgen erlebt hätte, wo sie nun wie zerschlagen, matt und erschöpft, die Ärzte kommen ließ, welche die ganze Krankheit dem unseligen Tanze zuschrieben, wogegen sie schon so oft vergebens gewarnt worden. »In jedem Ballsaal«, meinte der eine, »sollte auf Befehl der Regierung ein Dutzend Bildnisse von Menschen sein, die an Auszehrung und Lungensucht krank liegen, ferner Abbildungen in Wachs von der Zartheit der Lungen.« Wie roh dieses Völkchen meist den Menschen nimmt; ist nicht alles Leben ohne Freude die drückendste Krankheit, und darum ist die arme Gräfin schwer krank, ungeachtet die Ärzte ihre völlige Besserung versichern; sie kann nicht aus den Augen sehen und ist doch nicht blind, sie hört niemand und ist doch nicht taub, sie kann kein Wort vorbringen und ist doch nicht stumm. In diesem Zustande erhielt sie die Nachricht von der unerklärlichen Abreise des Grafen vom Landschlosse; zwar war dies nichts Ungewöhnliches, selten erklärte er sich über kleine Geschäfte, die ihn irgend wohin beriefen; diesmal wurde sie doch dadurch erschreckt, sie wußte nicht warum, es war ihr aber, als könnte er ihre Schuld wissen; ja gegen Bekannte, gegen Diener selbst war sie ungewöhnlich nachsichtig, immer in dieser einen Furcht; bei allem, was rasch durch die Zimmer ging, erschrak sie; sich selbst konnte sie nicht begreifen, weder wie sie jetzt sei, noch wie sie dazu gekommen. Der Mangel an Nachrichten von ihrem Manne machte sie seinetwegen bange; sie träumte von Zweikämpfen und sah ihn oft blutend vor sich stehen, wie er sein Blut ihr mit Vorwürfen ins Gesicht sprützte; langsam vergingen ihr die Tage und schwer die Nächte.