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Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Vierte Abteilung.

Buße.

Fünftes Kapitel

Der Herzogin Weisheit, Mut und Güte. Tod des alten Bedienten. Nachrichten von Waller. Geschichte des Prediger Frank und des Fräulein Leona. Schicksal des Lorenz und der Rosalie

Klelia tat nur einzelne Blicke in dies Frühlingsreich ihrer Schwester, erst wenn die Kinder älter wurden, beschäftigte sie sich mit ihrem Unterrichte. Salicetti, ein großer sizilianischer Bildhauer verfertigte eine artige Gruppe zum Geburtstage des Grafen in Marmor: Klelia und Dolores standen neben einander, Dolores niedersehend auf ein Kind, das an ihrer Brust sog, und das sie mit beiden Armen hielt, Klelia blickte zum Himmel und erhob deutend die eine Hand dahin, in der andern Hand hielt sie ein Buch, worin die beiden älteren Kinder der Dolores mit gefalteten Händen lasen. Klelia war nicht untätig geworden, ungeachtet sie viel betete und der Graf einen großen Teil ihrer Geschäfte übernommen hatte; sie war nicht bloß Quelle der Reichtümer, was jeder wohlwollenden Seele so leicht wird, sondern sie wußte mit Anstrengung diese reiche Quelle zum Besten aller selbst zu lenken. Nicht bloß der Mädchenunterricht, den sie erst nur in frommer Nachbildung des Grafen unternommen hatte, beschäftigte ihre Gedanken, sie wollte auch Erwachsene erziehen, durch streng ausgeübtes Recht, welches damals in Sizilien fast durchaus der List, der Gewalt und Bestechung gewichen war. Schon vor des Grafen Ankunft und in der Abwesenheit ihres Gemahls hatte sie mit männlichem Mute eine Schar tapferer Männer um sich versammelt, die nicht bloß Söldlinge sondern die mit heiligem Eifer für die Aufrechthaltung des Rechts und des heiligen angebornen Gütereigentumes begeistert waren; diese sendete sie gegen die Räuber, die trotzig gegen die schwache Regierung des Landes alle Straßen und die friedliche Nacht der Hütten unsicher machten, während die Paläste sich durch Geld von ihren Einfällen loskauften. Sie selbst führte einst zu Pferde mit dem Kreuze in der Hand, das auch auf ihren weißen Mantel genäht war, ihre brave Schar gegen eine öde Gebürgsgegend, wo sich die räuberische Menge gegen sie versammelt hatte. Das Gefecht war lange zweifelhaft, der Widerhall des Schießens im Felsentale, das Gebell der großen Räuberhunde, nichts schreckte sie zurück, von beiden Seiten war gleicher Mut, dort der Teufel, bei ihr Gott. Da ritt sie kühnlich, als ihr Hauptmann gefallen, in die Mitte des Getümmels und winkte mit dem Kreuze Ruhe; von dem wunderbaren Anblicke wie versteinert, sanken die Räuber nieder auf ihre Kniee, nieder vor dem Gnadenbilde, gegen das sie lange gestritten; die fromme Frau, ruhig in ihrem Gott, erschien ihnen wie eine Heilige, wie die Mutter Gottes, die jammernd neben dem gekreuzigten Sohne steht, und sie wollten nicht die Kriegsknechte sein, die den Gekreuzigten verspottet. Es ist ein großes Werk in einem Volke, die sinnliche allgemeine Vergegenwärtigung einer hohen Begebenheit; oft in der höchsten Abirrung des Lasters tritt sie bei einem geringen Zeichen richtend und belehrend mitten aus den brausenden Leidenschaften hervor. Die Herzogin segnete die Räuber für diese Zeichen der Reue und vergab ihnen ihre Lastertaten, wenn sie sich wahrhaft bekehrten und aus Verrätern in Schützer des Rechts verwandelt, ihr verfallenes Leben in würdigem Dienste beschließen wollten. Balsamo, der Anführer, schwor ihr dies am Kreuze im Namen aller; er blieb ihr mit den meisten treu, und seiner Bekanntschaft mit den Räuberschlichen dankte bald der größte Teil von Sizilien vollständige Ruhe und Sicherheit. Dieses Ereignis hatte Klelia nie dem Grafen geschrieben, das litt ihre Bescheidenheit nicht; kaum konnte er diesen hohen Mut begreifen, wenn er die stille sanfte Frau anblickte. Doch lernte er sie bald in der kühnen Größe ihrer Seele und in der Schärfe ihres Verstandes noch auf viel andere Art kennen.

Sie hatte sich zur Aufrechthaltung des Rechts mit dessen Studien selbst ernstlich beschäftigt, was ihr durch frühere Liebhaberei an lateinischer Sprache erleichtert worden; Rechtsgelehrte verliehen ihr bald den Ehrentitel als Doktor, die Regierung das Amt eines Königlichen Oberrichters. In diesem Amte saß sie bei den Gerichtstagen und störte mit gewandtem Verstande, wo überwiegende List und Parteilichkeit das Unrecht begünstigten; ihr Ansehen wirkte bald so mächtig, daß Entfernte selbst ihre Angelegenheiten vor dieses Gericht brachten. Es verdient bemerkt zu werden, daß sie häufig einen Ausspruch tat, dessen Gründe sie nicht selbst gleich in Worten entwickeln konnte, der aber für alle so überzeugend war, daß die Gründe von den Gelehrten bald entdeckt wurden. – Strenge Ordnung in ihrer Lebensweise machten es ihr möglich, außer diesen Geschäften noch hinlänglich den Ihren zu leben, um ihre Gesinnung in allen fortzupflanzen. Ein Tagebuch, das sie an jedem Morgen von vorhergehendem Tage in aller Kürze verfaßte, diente ihr zur Aufmunterung und Warnung; selten bemerkte sie darin etwas über sich und was ihr besonders und eigen, was die meisten Tagebücher gewöhnlich füllt; oft ist es nur ein kurzes Gebet um Gnade und Erleuchtung oder um Kraft, wo ihr etwas zu schwer erschien; zuweilen bedauerte sie etwas Versäumtes, meist sind es kurze Nachrichten von bedeutenden Ereignissen in ihrem Ländchen. Wir heben einige Tage aus als Belege:

Den 1sten Mai. Algierische Seeräuber landeten bei Lido während der Hochzeit des Bauers Zampiero, sie drangen in die Häuser und raubten Gut und Kinder. Das Geschrei kam in die Kirche, wo alle Bauern versammelt, alle waren zweifelhaft was zu tun, da ergriff der geistliche Herr Anatonio den Kelch, der von starkem Silber als Geschenk von mir der Kirche verehrt worden, und jeder Bauer nahm, was er von Stühlen und Bänken in der Kirche abreißen konnte, und so gingen sie auf die Räuber los, die sorglos plündernd im Dorfe zerstreuet waren. Der geistliche Herr traf zuerst mit einem vornehmen Türken zusammen, den er mit dem Kelche so gewaltsam in die Schläfe schmetterte, daß er nicht wieder aufgestanden; so sind noch acht andre auf dem Platze geblieben, fünfe tot und dreie schwer verwundet, von den Unsern aber ist nur der Geistliche getötet und sechse verwundet, bis der Graf mit der Schloßwache war herbeigeeilt, und die Räuber zurücktrieb, daß sich nur wenige einschiffen konnten, sie auch die weggetriebenen Kinder und alles Geraubte zurücklassen mußten. Gott erhalte uns den edlen Grafen! – Gnädiger Gott, der du diesmal ein so großes Wunder getan um deines heiligen Dienstes willen und einen deiner Diener zum Zeichen als Märtyrer angenommen, gib mir Kraft, unsere christliche Küste ohne Blutvergießen durch Wachsamkeit zu schützen, gib mir Kraft, daß ich diese schwere Angelegenheit dir ordentlich ausdenken und ins Werk stellen möge, und verzeihe mir gnädiglich um deines lieben Sohnes und seiner geliebten Mutter willen, wenn ich zu lange saumselig war im Nachdenken, wie deine heilige Gemeinde zu schützen.

Den 2ten Juli. Habe Dank gnädiger Gott, der neue Wachtturm bei Lido hat drei Raubschiffe vom Landen abgeschreckt.

Den 28sten August. Mein kleiner Neffe Johannes hat den ersten Backzahn bekommen, möge er seine Zähne nie mißbrauchen, daß ihm Gott seine Zähne erhalte, wie er sie ihm gnädiglich verliehen.

Den 8ten Sept. Rico und seine junge Frau, die ich ausgestattet habe, vertragen sich nicht und sie schienen sich doch zu lieben; wohl ist es mit meine Schuld, daß ich sie so schnell zusammengeführt; wie oft verderben wir Gottes Wege durch unsre Ungeduld, schnell darauf zu fahren, und ich gedenke oft dabei unsers edlen Grafen, der neulich sagte, daß er die meisten Fehler in seinem Leben begangen, weil er einen kleinen Plan, den er in einer Begebenheit entdeckt, für den Plan Gottes gehalten und ihn darum ohne Klugheit zu fördern gesucht hätte, wo es dann oft ganz anders ergangen, was er auch für recht und besser und würdiger dem Plane Gottes erkannt hätte; so sei ihm auch damals das Zusammentreffen des Scheibenschießens mit seiner Verzweifelung als ein Plan Gottes erschienen, da doch Gott alles nachher viel gnädiger und ganz anders gelenkt. Wohl mag er recht haben, wenn er sagt: »Nur in der Vergangenheit erkennt der Verstand den Weltplan, was aber die Gegenwart fordert, was zur Zukunft emporstrebt, das entbehrt noch des Sonnenlichts oder es ist davon geblendet; jeder aber mag recht und klug handeln nach allen seinen Kräften und Gott wird ihm gewiß seine Gedanken leihen.«

Den 2ten Januar. Ich bin sehr traurig; unser alter Bedienter, unser zweiter Vater ist gestorben, ohne Schmerz, wie er eben mit den Kindern spielte, die ihn anstießen und meinten, er stelle sich tot, wie er oft mit ihnen gespielt. Gewiß wird er selig, denn wer verdiente es mehr; doch das ist Menschenweisheit, ich will für ihn beten.

Den 2ten Februar. Heute vertraute mir meine Schwester Dolores, die wieder, Gott sei gelobt, in gesegneten Leibesumständen sich befindet, ihr lieber Mann, der Graf Karl sei ihr Erlöser und Weltheiland, denn er habe sie von schwerer Schuld befreit, indem er sein Blut für sie vergossen. Gnädiger Gott, das ist wohl noch eine Folge ihrer Sündenschuld, daß sie in solchen sträflichen Wahnsinn verfallen, da sie sonst so vernünftig und gut in allem ist. Ich habe ihr alles vorgestellt, wie kein einzelner Mensch seinen Erlöser besonders habe, sondern daß einer für alle gestorben, der in jedem Frommen seine Gnadenwirkung übt. Sie schien sich zu bekehren und weinte zuletzt, daß sie nicht ganz lassen könne von ihrem Glauben; heiliger Gott, nimm ihr doch noch diesen Irrwahn, ehe sie zu dem gefährlichen Werke der Geburt gezeitiget, an welchem schon manche Frau hingestorben; oder denke, daß sie nichts dafür kann aus Schwäche ihrer Gedanken, vielleicht ist sie von dem langen Wachen bei dem kranken kleinen Karl etwas tiefsinnig geworden.

Den 3ten Juni. Ich war krank und habe große Schmerzen erlitten und keiner hat es erfahren. Gottlob, nun bin ich hergestellt und tue wieder meine Geschäfte ohne Zwang mit Freuden, und schnellem Erfolg.

Diese Bruchstücke, indem sie uns das schöne innere Bild Kleliens in Umrissen geben, enthüllen uns auch in beiläufiger Übersicht die ruhigen dauernden Verhältnisse der drei Menschen, die wir mit Zuneigung durch manche Lebensverwandlung begleitet haben. Ereignisse, bei denen wir den Untergang aller voraussahen, haben sich zu aller Frommen und Besserung geschlossen; dies ist aber ein wahrer christlicher Sinn, der den Menschen um einer Schuld willen noch nicht aufgibt, der den Menschen nicht sterben läßt in der Sünde. Wir sehen Dolores, deren Frevel alle zu vernichten drohete, mit dem Grafen und Klelien ausgesöhnt, alle dreie in einem angemessenen tätigen Leben; Klelien in vielfacher Anwendung ihres frommen Verstandes, den Grafen in der Ausführung seiner wohltätigen Absichten, und Dolores durch ihre mütterliche Liebe aller Welteitelkeit entzogen, durch der Kinder schuldlose Liebe aller schuldigen Lust entsühnt, und liebevoller selbst gebildet in der mütterlichen Pflege ihrer schönen Kinder, deren reicher Segen sich bis zu der Ankunft der Fürstin bis zu der heiligen Zahl Zwölfe, ohne ein bedeutendes Mißgeschick vermehrte. Doch preise sich keiner glücklich vor dem Ende seiner Tage; – eingedenk dieser Regel wollen wir uns nach denen umschauen, die in der Berührung mit dem gräflichen Hause uns merkwürdig waren, von denen dem Grafen durch seine Verbindungen mit Deutschland allmählich mancherlei Berichte kamen.

Seiner frommen Arnika Montana schrieb er oft; ihre Antworten lauteten immer gleich: der wunderliche Doktor, Florio und sie selbst lebten wie Maschinen unabänderlich in demselben Gange, Takte und Wirksamkeit. – Der häßliche Baron hatte sich im Kriege ausgezeichnet; das Erheben zu einer bedeutenden Stelle hatte seinen Stolz erweckt, und dieser seinen bösen Willen unterdrückt; seine beiden komischen Begleiter waren in angemessenen Stellen untergebracht. – Waller hatte sich schon wieder ein paarmal verlobt und einmal verheiratet; sein Talent erlosch fast ganz in literarischen Streitigkeiten; da er lange Zeit nur sich gekannt, nur seine Arbeiten gelesen hatte, so konnte er es nicht ertragen, als er bei andern auch andre Gedichte fand; alle diese Gedichte, meinte er, wären gegen ihn gerichtet, er schimpfte dagegen, aber leider blieben seine Streitschriften ungelesen und so versank er in eine lächerliche literarische Melancholie, drückte seinen Bekannten die Hände, und seufzte: »Was soll aus unsrer Literatur noch werden?« Wollte sich einer einen Spaß machen, so trug er ihm einen literarischen Zwist vor, der entweder gar nicht vorhanden war oder aus Gottscheds Zeit; gleich verfaßte Waller eine plumpe schmutzige Schrift dagegen, ließ sie drucken und dann war er in großer Verlegenheit, den Leuten zu erklären, was er eigentlich damit gewollt habe.

Mannigfaltig entwickelte sich das Schicksal des Prediger Frank; wir wollen es teils nach seinen eignen Briefen, die er aus alter Anhänglichkeit dem Grafen geschrieben, teils aus eigner Bekanntschaft mit ihm und mit den Seinen wiedererzählen. Wir erinnern uns, daß er über viele Glaubensmeinungen und Auslegungen von dem Hergebrachten in seiner Kirche abwich; lange Zeit machte er daraus ein Geheimnis, endlich aber war er durch das Studium der Kantischen Moralphilosophie zu einem Abscheu gegen jede Art der Lüge gebracht worden. Aus dieser Wahrheitsliebe suchte er seine Meinung von Jesus, den er bloß als Menschen ausgezeichnet wissen wollte, eben so auffallend durchzusetzen, als seine Meinung von der Predigerkleidung, die ganz zufällig und sogar gegen den Willen Luthers sich von einem gewöhnlichen bescheidnen Bürgerkleide auszeichne; weswegen er seine nächste Predigt über Jesus als Menschen in einem blauen Bauerrocke, wie ihn die Reicheren tragen, und mit abgeschnittenen Haaren hielt. Diese Geschichte machte Aufsehen, aber die Milde der Regierung und der langsame Gang aller ihrer Verhandlungen zögerten mit der Untersuchung. Unterdessen trat seine kleine geliebte Amalie in die Jahre, wo das Heiraten erlaubt ist; ihre Erzieherin schrieb ihm, er möchte jetzt kommen, um dies Mädchen näher zu kennen und zu prüfen, die ganz nach seinen Grundsätzen gebildet worden. Er blieb einen Monat in der Stadt; Amalie hatte viel kindliche Anhänglichkeit für ihren Wohltäter; sie hatte ihm so oft dankbar die Hand geküßt, sie war noch immer in dem schönen Traume, der noch keinen Unterschied zwischen Neigungen zu machen weiß, keinen eignen Willen zuläßt, und schlug mit Freuden ein, als er ihr seine Hand antrug. Nachdem er diese Zusage empfangen, eilte er aufs Land, seine Zimmer selbst recht angenehm zu malen, und die nötigen Einrichtungen, wie sie seinem künftigen Haushalte angemessen, zu treffen, in drei Monaten sollte die Hochzeit gefeiert werden. In dieser Zeit traf der Gutsherr seines Dorfs, ein alter General, der seinen Abschied genommen, mit seiner Tochter Leona dort ein, um in Ruhe die letzten Tage seines Lebens durch Landluft zu erfrischen: ein herrlicher Mann, dessen ganzes Leben fast Entsagen und Selbstüberwinden bezeichnete; in gleichem Sinne hatte er die Tochter erzogen; was ihr lieb, das entriß er ihr, und so war sie nur in allem dem, was sie mit Überlegung wollte, entschieden, aber unwandelbar in solchem Entschlusse. Frank mußte ihr einigen Sprachunterricht geben, sie und ihr Vater faßten eine unbegrenzte Achtung gegen ihn; sie wünschten ihm von ganzem Herzen Glück, als er zum Brautholen in die Stadt abreiste. Er kam spät Abends unerwartet zu Amalien, sie trat mit einem Lichte herein, in dem Vierteljahre sehr verschönert, gewandter durch den geselligen Umgang, zu dem er sie aufgemuntert hatte. Sie erschrak, als sie ihn erblickte; es erkältete sie der Gedanke, daß sie diesem Manne in wenig Tagen sich ganz aufopfern sollte, der ihr immer als Vater erschienen; sie konnte sich kaum den nötigsten Ausdruck von Anhänglichkeit geben; dankbar vor ihm zu knieen, war ihr einziger Wunsch, und das litt er nicht. Frank nahm dieses Erschrecken erst für Freude, bald aber mußte er sich gestehen, es habe etwas Fremdartiges, fast wie ein Zurückschaudern, das er als ein Liebling aller Weiber, sich lange nicht eingestehen wollte. Er bat sich darüber schriftlich eine Erklärung von ihr aus, wenn eine andre Zuneigung sie gefesselt, sie möchte es nicht verhehlen, er bliebe ihr stets ein treuer Vater. Die Antwort, halb mit Tränen vermischt, erklärte ihm mit Umschweifen, wie sie ihm tausendfache kindliche Verehrung weihe, aber vor dem Heiraten erschrecke sie, doch ohne eine andre Liebe zu hegen. – Frank war zu fest, um zu verzweifeln, er versicherte ihr noch einmal schriftlich seine dauernde väterliche Liebe, und setzte sich auf den ersten Postwagen, der eben angespannt war, und in der Nähe seines Dorfs vorbei fuhr; dort stieg er aus und ging dahin zu Fuß. Als sein Dorf vor ihm lag, setzte er sich hinter einen Steinhaufen und schämte sich seines Unglücks; er hätte ewige Zeiten da sitzen können, wäre nicht Leona, die mit ihrer Flinte über das Feld kam, zu ihm getreten. Ihr Blick erkannte, daß ihm ein Unglück geschehen; er berichtete ihr alles so kalt, als beträfe es einen andern; zuletzt sagte er, wie er sich krank fühle. Gesundheit ist wie das Geld, wir fühlen erst ihren Wert, wann wir sie missen, und das Geld ist wie die Gesundheit, die im ruhigen Verkehr der ganzen Organisation, in dem beschwerdelosen Empfangen und Zurückgeben sich zeigt. Aber beides sollte ihm fehlen, denn Leona wußte, was er erst erfahren sollte, daß er wegen seiner abirrenden Meinungen und Tracht seines Amtes entsetzt, und zu einer ansehnlichen Geldstrafe verdammt worden. Leona fühlte tief das schwere Unrecht, das ihm von so verschiedenen Seiten geschehen, sie wußte, daß er einer der nützlichsten moralischen Lehrer, einer der besten Ökonomen der ganzen Gegend war, ob er gleich wie so wenige mehr Prediger zu nennen sei; sein Fehler war die Offenherzigkeit, mit der er bekannt hatte, was die andern vorsichtig stolz für sich bewahrten; sie wünschte, ihn entschädigen zu können, sie glaubte sich dazu bestimmt. Sie sagte ihm jene Nachricht seiner Absetzung, ihren Entschluß, ihm alles zu vergüten, verschwieg sie ihm. Es erschütterte ihn gewaltsam; sie geleitete ihn nach dem Pfarrhause. Mit tiefer Trauer hörte er ein Paar kleine Goldgänschen pfeifen, als einzigen lebenden Rückstand von der Fülle des Sommers in den lombardischen Pappeln vor seinem Hause, die jetzt eher für Besen anzusehen, welche die Flur abgefegt hatten, so glatt lag der Schnee und blinkte. Vielleicht pfeifen nur die Vögel, um sich den Todesschlaf abzuwehren, dachte Frank, und richtete sein Haupt zum Himmel; da erinnerten ihn die rosichten Wolkenberge an seine fröhlichen Reisen in der Schweiz, er glaubte springende Gemsen auf den Spitzen zu sehen und weidende Herden im Tale und den glücklichen Hirten, der seiner alten Freiheit ein Lied sang. »Freiheit«, sagte er der stützenden Leona, »Freiheit will ich suchen und Recht und Wahrheit, das alles finde ich in Paris und auch meinen Lebensunterhalt durch Sprachunterricht; dort werden wir bald keine Prediger mehr brauchen, die Religion der Vernunft findet ihre Priester in jedem Hausvater, aber bei uns in Deutschland wird der Streit zwischen Licht und Finsternis am langwierigsten sein; ich gehe hin, wo er geendet. Die Revolution wird wie die Pocken Europa durchlaufen, wer keine Impfung leiden will, geht drauf.« – Leona war ergriffen von diesen Aussichten der Zukunft; ihr Verstand verlangte nach dem Mittelpunkte der Politik Europens, ihr fester Wille, dem edlen Freunde alles zu vergüten, was er ungerecht verloren, sprach sich laut aus. Frank hatte schon früher eine unbegrenzte Achtung gegen das Fräulein, aber er sah auch alle Hindernisse, die ihrem Plane, ihn zu begleiten, sich entgegenstellten, und er zeigte sie ihr ausführlich. Der Gedanke an den Widerspruch der Ihren befestigte sie noch mehr in ihrem Entschlusse; sie schwor, wenn er es auch nicht erlaube, sie würde ihn doch begleiten. – Leona eilte zu ihrem Vater, ihm alles zu erklären; bei dem hatte es keine Schwierigkeit, er hatte sich lange geärgert, daß in keinem seiner Kinder ein außerordentliches Unternehmen stecke. Frank hatte unterdessen mit tiefem Gram alle Fackeln und Doppelflöten beschaut, mit denen er mühsam sein Hochzeitzimmer bemalt hatte; sein Gram ging in der fernen Aussicht auf. Bald hatte er abgeschlossen mit allen seinen Verhältnissen, sich einen Reisewagen und ein paar Pferde angeschafft. Leona setzte sich fröhlich auf; der alte General und die ganze Gemeine begleiteten ihn mit vieler Herzlichkeit an die Grenze, und versicherten, ob er es ihnen gleich auszureden suchte, sie wollten seinem Nachfolger das Leben schon sauer genug machen. Frank erwartete, wie er mit Leona in Frankreich angekommen, daß sie ihn veranlassen werde, ihre eheliche Verbindung bei den Gerichten nach dortiger Sitte zu stiften, aber sie schien nichts zu verlangen, als seine Magd zu sein. Sie waren schon einige Zeit mit einander in Paris und die Schrecknisse der Revolution wüteten um sie her, als er ihr den Vorschlag machte, was ihre Liebe zu ihm so lange gewünscht, doch endlich zu erfüllen. Sie versicherte ihn ihrer völligen Ergebenheit, sein Wille sei der ihre, und er beschloß die Heirat. Die gewaltsamen Begebenheiten, die rings stürmten, nahmen ihnen die Aufmerksamkeit auf das Nahe, was sie selbst betraf; alle ihre Leidenschaften strebten nach außen und sie vermißten nichts in sich. Frank stand unerschütterlich da, wie ein Denkstein, auf dem alles notiert wurde; viele sammelten sich um ihn her, alle die reisenden guten Seelen, die an Frankreich ganz und gar nicht, aber unablässig an die Menschheit und die Welt dachten; auch er gehörte zu dieser Zahl, die sich Europa in ihrem Kopfe zu einem schönen humanen Ganzen zusammengefabelt hatten, wie die Geographen sonst eine spinnende Jungfrau darin erblickten, die kein anderer unbefangener Mensch wahrnehmen kann. Sein Lieblingsgedanke war die allgemeine Aufhebung aller öffentlichen Anstalten für den Gottesdienst, der künftig ganz und gar dem Gewissen des einzelnen Bürgers überlassen bleiben sollte, und nichts kränkte ihn so tief, als da das Entgegengesetzte, die feierliche Wiedereinsetzung aller Religionsparteien und ihrer öffentlichen Gebräuche der kurzen Aufhebung folgte. Leona war indessen ihren eignen Weg gegangen; zwei Kinder, die sie ihm geboren, hatten das Gefühl, den Sinn für jedes Große und Tiefe in der Welt geweckt; ihr Ernst milderte sich im Kinderspiele, und sie sah mit tiefer Rührung die Feierlichkeiten des erneuten Gottesdienstes. Sie war wie eine Neubekehrte, so eifrig, so strenge; sie glaubte es ihre Pflicht, ihren Mann zu bekehren, als sie die entgegengesetzte Wirkung auf ihn bemerkte. Frank ergrimmte; was erst nur ruhiger Widerspruch gewesen, war allmählich zur Leidenschaft geworden, er konnte ohne Zorn von diesen Einrichtungen nicht reden hören; er beschwor sie bei ihrer Liebe zu ihm, alle dem Zeuge zu entsagen, bei dieser Liebe, der sie so viel geopfert, denn bei dieser Gesinnung könne er nicht mit ihr leben, und seine Kinder wären in Gefahr von ihr verderbt zu werden. Sie schwor ihm, daß sie ihm alles aufzuopfern bereit sei, nur nicht die Seligkeit; sie schwor ihm zu, daß sie nie aus Liebe zu ihm alle Opfer gebracht, sondern aus Eifer für das Rechte, für die Wahrheit; verleugnete er aber die Wahrheit, das Recht, indem er die Religion lästre, so fühle sie sich frei von jedem Opfer. – Frank war dabei zumute, als ginge er zwischen Himmel und Tod, zwischen ihrer Kälte und ihrer edlen Geistigkeit; sein Entschluß war gefaßt, er hatte sich so viele Jahre in ihr getäuscht, eine grenzenlose Liebe zu ihm in ihr geliebt; er wollte keinen Augenblick länger mit ihr zusammenleben. Er ließ ihr alles, nur die Kinder nahm er ihr fort; er kränkte sie tief, denn an den beiden Söhnen hing ihr Herz; aber um so eifriger wandte sie ihren ganzen Eifer hin zu dem Glauben, der den Lohn aller Schmerzen dieses Lebens in einem zukünftigen verspricht. Sie glich sich allmählich mit Bekannten aus, die sie in Franks Gesellschaft vermieden hatte; sie suchte sich in alles Neue zu fügen, aber man merkte sehr bald die früher gewöhnte Form; sie erschien dann wie eine Gartenhecke, der eine veränderte Gartenkunst die Freiheit gegeben hat, nach allen Seiten zu wachsen, die aber leicht an der Dichtigkeit des Gezweiges unterscheiden läßt, wo der Gärtner sie viele Jahre beschnitten: eine frei erwachsene Baumreihe wird es nie. Frank, ungeachtet er ärmlich von Sprachstunden lebte, verschmähte doch strenge jede ihrer Unterstützungen; sahen ihn die Leute auf den Straßen, so flüsterten sie einander zu, »das ist auch noch einer von den Jakobinern«, so struppig erschien sein Haar, sein Rock schmutzig und zerstoßen. Machten ihm Bekannte darüber Vorwürfe, so lachte er gleichgültig, und antwortete: »Wer so etwas erlebt hat, der sollte es nie aus seinem Gedächtnisse verwischen lassen, sonst wäre er ein Spiel jeder fremden Laune. Die Menschheit wird immer neu in ihren Bestrebungen, wer aber nach etwas gestrebt, der soll sich der Zeichen seiner Mühe, der Schwielen und Narben nicht schämen; der Mensch kann nichts Besseres tun, als alt werden, und der Jugend seine Bekenntnisse auf den Weg geben.« – Fragte man ihn nach seiner Frau, so fuhr er fort: »Nur eins läßt sich nicht lehren und nicht lernen: die Liebe; wer um das Glück ihrer ersten reinen unschuldigen Wahrheit betrogen, der sucht überall vergebens; sein Geschmack ist nicht rein, seine Galle mischt Bitterkeit in das Süßeste. In der Liebe ist jeder Anfänger Meister; sie hört auf wie die Kunst mit der Schule. Die Natur will viel mit dem Menschen, der Mensch, auch der umfassendste, will wenig mit sich, und was er will, kann er selten.« – Fragten sie ihn, womit er sich innerlich beschäftige, so antwortete er: »Mit der Philosophie, ich habe sie völlig ausgedacht, ich kann es mit meinen Papieren beweisen, daß alles, was darüber erscheint, nur ein Glied meines Systems ist.« – Baten sie ihn um sein System, so klopfte er den Leuten auf die Schulter und sprach: »Versucht's einmal, eure Freude, eure Schmerzen, alles euch so zu durchdenken, daß euch nichts mehr störe, dann will ich euch in die Lehre nehmen.« – Manche Deutsche besuchten ihn, erzählten von großen politischen Unternehmungen; da rief er einmal: »Ihr seid mir ein wunderliches kleines Geschlecht, ihr möchtet gern etwas Gutes getan haben, aber nichts tun; wahrlich, wenn es so leicht wäre, etwas Großes zu vollbringen, ich wäre auch ein großer Mann geworden, und könnte es noch jetzt sein.« – Seine Leona betete oft mit Inbrunst, wenn sie ihn wiedergesehen: »Herr Gott nimm ihn zu dir, denn er lebt ja nicht mehr!« Sie konnte endlich den Gedanken nicht ertragen, ihre beiden Söhne im Unglauben bei ihm aufwachsen zu sehen; sie raubte sie ihm heimlich, und brachte sie in einer entfernten Schule unter. Gleich erriet er, wer ihm dies getan, bezeigete aber keinen Unwillen, da sie nicht bei ihr geblieben; »bleiben sie nur mit vielen zusammen«, meinte er, »so ist es ihre Schuld, wenn sie verkehrt werden.« Bald nachher begegnete sie ihm Sonntags; seine Stirne war gerunzelt, er schien seit langer Zeit zum erstenmal etwas empfunden zu haben. Sie glaubte, er käme aus der in der Nähe liegenden Kirche. – Er bekräftigte ihr das. – LEONA: »Haben Sie sich endlich dem Glauben ergeben?« – FRANK: »Der Glauben hat mir meine halbe Vernunft genommen, indem er mir meine Uhr ausgezogen; sie war meine halbe Vernunft, mein Prediger, sie hielt mich in Ordnung.« – LEONA: »Aber was machten Sie in der Kirche, wenn die Uhr Sie beherrscht?« – FRANK: »Ich sah mir die lächerlichen Gesichter der Leute an, deren ich mich noch aus den Vernunfttempeln erinnerte, sie haben aber seitdem das Stehlen gelernt; als sich alle niederwarfen, um das Allerheiligste zu schauen, hatte einer der Gläubigen meine unheilige Uhr zum Glauben gezogen. Ich rief, ›es ist gestohlen!‹ und wäre dafür von meinen Dieben beinahe noch arretiert worden.« – LEONA: »Beten Sie künftig, statt sich umzusehen nach schlechten Menschen, und niemand wird so frech sein Sie zu bestehlen.« – FRANK: »Ich will beten, daß Sie nicht zu klug und ich nicht zu dumm werde.« – LEONA: »Kommen Sie zurück in die Kirche, demütigen Sie sich vor dem Bilde des Gekreuzigten.« – FRANK: »Kommen Sie ins Museum, erheben Sie sich vor Apollos Bilde, es haben wahrlich schönere Hymnen davor geklungen, als Ihre Gemeine singt; sagen Sie den Gläubigen, daß in der Oper viel besser gesungen wird.« – LEONA: »Sind Sie jetzt ein Heide, das ist mir neu.« – FRANK: »Sie sind jetzt eine Katholikin, das hätte Sie selbst sonst verwundert.« – LEONA: »Ich habe Gnade gefunden; suchen Sie Gnade.« – FRANK: »Es kann kein Mensch aus seiner Haut heraus, meine Ungnädige, und jeder ist der Schönste in seiner Haut; des Menschen Wille ist sein Himmelreich, aber der ist unabhängig vom Zufalle. Mein Streben ein Loyola zu werden, wenn ich mich auf Ihre Ermahnung dazu entschlösse, und wenn ich auch zwanzig Nachtwachen vor dem Bilde der Maria aushielte, würde eben so leer sein und zu nichts führen, als wenn ich witzig wie Voltaire eine neue ›Pucelle‹ über die Neureligiösen Frankreichs schreiben wollte, oder einen Thyrsus vor der Statue des Bacchus schwänge.« – LEONA: »Es muß aber Ihre Schuld sein, wenn Sie bei aller Wahrheitsliebe, die Sie mir immerdar zu einem ehrwürdigen Freunde macht, von Gott so verlassen bleiben.« – FRANK: »Nein, es ist nicht meine Schuld, es ist die Schuld meiner Mutter, wie mir noch gestern ein Schüler Galls erklärt hat; sehn Sie, da hat sie mir mit einem segnenden Kusse eine Vertiefung oben ins Haupt gedrückt, wo das theosophische Organ als ein Hügel saß; sehen Sie wohl die Stelle, denn mein Scheitel ist kahl. Und noch eins wollte ich Ihnen berichten: ich habe keine von allen in Kirchen, oder Tempeln verehrte Religion, aber ich habe doch eine, und wir wollen einmal uns wieder fragen, ob es nicht die allgemeine wird. Merken Sie wohl auf, ich habe politische Gesinnung, Enthusiasmus, Glauben: diese Religion zählt schon viele Märtyrer; Sie kennen mich, ich lüge nie, auch ich werde als Republikaner fallen.« – LEONA: »Gott bewahre Sie davor, was wollen Sie in der Welt wirken, der Sie nicht mehr zu der Welt gehören, gehen Sie in eine Wüste, vielleicht wird Ihnen da die Gnade.« – Frank und Leona blieben getrennt.

    So wunderbaren Mißverständnissen sind oft die besonnensten, verständigsten Menschen unterworfen. Wir dürfen sie nicht immer den mannigfaltigen Lebensverhältnissen der gebildeten Klassen zuschreiben; gleich werden wir ein Beispiel in der unteren Klasse finden, das uns schon aus der gewohnten Neugierde, gern von einem Menschen zu hören, den wir in einer Glückszeit gesehen haben, willkommen ist. Lorenz und Rosalie, deren Hochzeit wir beiwohnten, die wir nachher in einigem Mißvergnügen mit einander verließen, hatten sich wieder ganz ausgesöhnt, nachdem Rosalie, dem Rate des Grafen folgsam, ihrem Hauswesen ordentlich vorstand; was aber beiden sehr leid tat, sie hatten nach mehreren Jahren ihrer Ehe keine Kinder. Rosalie betete zu allen Heiligen, machte Gelübde und brauchte altherkömmliche Mittel des Wolff; endlich ward sie von einem Kinde entbunden. Lorenz jubelte, aber nach wenigen Tagen wurde er finster; die Leute sagten: er hätte allerlei Zauberwesen in dem Kasten seiner Frau gefunden; genug, er behandelte sie seit der Zeit grausam und hart, er schimpfte und schlug sie öffentlich, und sie litt das ohne darauf zu antworten. Ein Kantor der Gegend, der die Geschichte zu wissen behauptete, verfaßte ein Lied, worin die beiden Zwillingsbrüder Otto und Lorenz als Ost und West bezeichnet sind; wir überlassen es dem guten Glauben die Wahrheit davon durch Feuerprobe zu beweisen.

 

Die Hexe Luft und die beiden Jäger

            Ost und West, die Zwillingssöhne
            Buhlten um ein Jungfräulein,
            Ähnlich klangen ihre Töne
            Vor der Schönen Fensterlein.

            Luft hieß ihre leichte Schöne,
            Federn trug sie auf dem Haupt,
            Daß sie ew'ge Myrte kröne,
            Ist ihr Fenster myrtumlaubt.

            Lange steht sie so im Glanze
            Ihr sind beide einerlei,
            Sie verwechselt beid im Tanze,
            Also ähnlich sind die zwei.

            Und so weit wird es noch kommen,
            Daß sie stiftet Bruderzwist;
            Ihren Zweifeln zu entkommen,
            Denket sie auf eine List.

            Einen Mann, den muß ich haben,
            Denkt das arme Jungferlein,
            Der mir kann das Herz erlaben,
            Denn ich bin nicht gern allein.

            Zweifelnd denkt sie an die Künste,
            Die ihr Mutter Feuer lehrt,
            Macht am Freitag Weihrauchdünste,
            Kocht den Zaubertrank am Herd.

            Deckt dann vor dem Bett ein Tischlein,
            Setzt zwei blanke Teller drauf,
            Und zwei Gläser und zwei Fischlein,
            Gleich als käm ein Gast ins Haus.

            »Wer dann zu dir kömmt von allen«,
            Hat die Mutter ihr gesagt,
            »Ist der Stärkste im Gefallen,
            Und der sei dir zugesagt.

            Der sei deiner Liebe Meister,
            Mächtig deiner Schönheit Kraft,
            Denn es wollen stets die Geister,
            Daß das Mächtigste sich schafft.«

            Es ist Nacht, die beiden Lauten
            Klingen vor dem Fensterlein,
            Und dann schaut sie ihren Trauten;
            Schweigend tritt er zu ihr ein.

            Ob es Ost, ob's West gewesen,
            Denket sie vergebens nun,
            Gleicher waren nie zwei Wesen,
            Dieser Zweifel will nicht ruhn!

            Spricht er nicht, er kann doch sehen,
            Wie sie ihn zum Tische winkt,
            Und sie fühlt des Atems Wehen,
            Wie er aus dem Becher trinkt.

            Wie er's Tüchlein wohlgefalten
            Nimmt vom blanken Teller ab,
            Läßt die Speisen doch erkalten,
            Und verschmähet ihre Gab.

            Dennoch muß sie nun empfangen
            Eh' er sie ins Bette führt,
            Eine Gabe ohn Verlangen,
            Die als Zeichen ihr gebührt.

            Abgebrannt sind beide Lichter,
            Und der Freund sitzt noch bei ihr,
            Macht so drohende Gesichter,
            Daß sie flieht zur Kammertür.

            Er das Messer aus dem Gürtel
            Ziehet, und ganz stille sitzt,
            Und der Mond aus seinem Viertel
            Schauet, wie es herrlich blitzt.

            Nein, sie wagt es nicht zu nehmen,
            Wie ihr vorgeschrieben ist,
            Sei es Schrecken, sei es Schämen,
            Sie verwünschet jetzt die List.

            Sie entschlüpfet in die Kammer,
            Er, das Messer wirft nach ihr;
            Als er flieht mit schwerem Jammer,
            Steckt das Messer in der Tür.

            Morgens kommen beide Brüder,
            Sie zu grüßen, doch dem West
            Fehlt das Messer, seine Lieder
            Klagen ein gestörtes Fest,

            Das im Traume ihn gequälet
            Und vergangen ist zu nichts,
            Weil sich alles hat verfehlet
            In dem Schrecken des Gesichts.

            Tröstend gibt sie ihm die Hände,
            Küsset ihm die müde Brust,
            Und es drehen sich die Wände
            Bald in hoher Hochzeitlust.

            Doch kein Kind will ihn erfreuen
            Und er wünschet es so sehr,
            Bis sie sich mit Zaubereien
            Setzt in schrecklichen Verkehr.

            Könnte sie's voraus nur wissen,
            Irrwisch, heißt des Zaubers Kind,
            In dem Kindbett muß sie büßen
            Ihres Zaubers schwere Sünd.

            In ein Tuch das Kind zu schlagen,
            Tritt der Mann zum Schrank der Frau,
            Hat ihn eilig eingeschlagen,
            Und es liegt da viel zur Schau.

            Alles, was sie ihm verborgen,
            Doch er schauet nicht danach,
            Reißet nur in großen Sorgen
            Weiche Tücher aus dem Fach;

            Sieht das Messer draus entfallen,
            Das sie heimlich drin bewahrt,
            Das in jener Nacht voll Qualen
            Er verlor durch Zaubers Art.

            Jener Traum, der ihm vergessen,
            Denn der Zauber ist vorbei,
            Tritt ins Leben; wie besessen
            Fühlt er sich durch Zauberei;

            Alles glaubt er schon erlebet,
            Was ihm jetzo erst geschieht,
            Und die Qual ihn neu umschwebet,
            Die ihn jene Nacht durchglüht.

            »Also du bist es gewesen,
            Die mich jene Nacht geplagt,
            Daß ich nie vom Schreck genesen,
            O, das sei hier Gott geklagt.

            Hast du mich voraus gequälet,
            Lang im schweren Liebesdienst,
            Straf ich dich, nun wir vermählet,
            Und ich zahl, wie du's verdienst;

            Hab ich auch nicht wollen speisen
            Von der Fische Zauberei,
            Ist gehärtet doch dies Eisen
            In dem Trank und macht mich frei.«

            Ihre Brust will er durchstechen,
            Doch das Kindlein schreit hellaut,
            Und die kleinen Augen sprechen,
            Haben sich rings umgeschaut.

            Blinde Wut ist ihm verschwunden,
            Aber nicht der harte Zorn,
            Als des Herzens Riß verwunden,
            Schmerzt im Fleische ihm der Dorn.

            Wenn sie weint bei seinen Schlägen,
            Zeigt er ihr das Messer nur,
            Spricht dann: »Ohne Lieb kein Segen,
            Und du bist die ärgste ...«

 

Kamen so fremdartige Erzählungen in das ruhige Schloß und die älteren Kinder des Grafen verwunderten sich darüber und fragten den alten Bedienten, als er noch lebte: da pflegte er ihnen eine schöne alte Fabel zu erzählen, die wir hier, wo wir mit allen früheren Verhältnissen abschließen, als den Sinn unseres Buches nacherzählen.

 

 Die Schule der Erfahrung

 

Ein Sperling hatte vier Jungen in einem Schwalbenneste. Wie sie nun flügge waren, stießen böse Buben das Nest ein, sie kamen aber alle im Windsbraus davon. Nun war dem Alten leid, weil seine Söhne in die Welt kommen, daß er sie nicht zuvor gegen allerlei Gefahr verwarnet, und ihnen gute Lehren dafür gesagt habe. – Auf dem Herbste kamen in einem Weizenacker viel Sperlinge zusammen; allda traf der Alte seine vier Jungen, die führet er mit Freuden zu sich heim und sprach: »Ach, meine lieben Söhne, was habt ihr mir den Sommer über für Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre von mir weg in den Wind gekommen; höret meine Worte und folget eurem Vater, und sehet euch wohl vor; kleine Vögel haben große Gefährlichkeiten auszustehen.« – Darauf fragte er den Ältesten, wo er sich den Sommer über aufgehalten, und wie er sich ernährt habe.

»Ich habe mich in den Gärten gehalten«, antwortete der Älteste, »Raupen und Würmer gesucht, bis die Kirschen reif wurden.«

»Ach, mein Sohn«, sagte der Vater, »die Schnabelweide ist nicht bös, aber es ist große Gefahr dabei; darum habe forthin deiner wohl acht, und sonderlich wenn Leute in den Gärten umhergehen, die lange grüne Stangen tragen, so inwendig hohl sind und oben ein Löchlein haben.« – »Ja, mein Vater, besonders wenn dann ein grünes Blatt vors Löchlein mit Wachs geklebt wäre, da sieht man es kaum, und es trifft doch.« – »Wo hast du das gesehen?« – »In eines Kaufmanns Garten«, sagte der Junge.

»O, mein Sohn«, sprach der Vater, »Kaufleute, geschwinde Leute; bist du bei diesen Weltkindern gewesen, so hast du Weltgescheitigkeit genug gelernet; siehe und brauch's nur recht und wohl, und traue dir nicht zu viel.«

Darauf befragte er den andern: »Wo hast du dein Wesen gehabt?«

»Zu Hofe«, sprach der Sohn.

»Sperlinge dienen nicht an Höfen«, sprach der Vater, »wo viel Geld, Sammet, Seiden, Wehr und Harnisch, aber wenig zu essen, viel Sperber, Kauzen und Falken sind, die dich fressen; halt du dich zum Roßstall, da man den Hafer schwingt, oder da man drischet, da kann dir's Glück mit gutem Frieden auch dein täglich Körnlein bescheren.«

»Ja, Vater«, sprach der Sohn, »wenn aber die Stallbuben ihre Schlingen und Sprengsel im Stroh aufstellen, da bleibt auch mancher hängen.«

»Wo hast du das gesehen?« fragte der Alte.

»Zu Hof bei den Roßbuben.«

»O, mein Sohn, Hofbuben, böse Buben; bist du zu Hof bei den Dienern gewesen und hast da keine Federn gelassen, so hast du ziemlich gelernet; du wirst dich in der Welt wohl wissen durchzufressen; doch siehe dich um, die Wölfe fressen auch oft die gescheiten Hunde.«

Der Vater nahm den dritten auch vor sich: »Wo hast du dein Heil versucht?«

»Auf den Fahrwegen und Landstraßen hab ich bisweilen ein Körnlein oder Brotkrümlein angetroffen.«

»Dies ist ja«, sagte der Vater, »eine feine Nahrung; aber merk gleichwohl auf, sonderlich wenn sich einer bücket und einen Stein aufheben will, da ist dir nicht lange zu bleiben.« – »Wahr ist's«, sagte der Sohn, »wenn aber einer zuvor einen Handstein im Busen oder Tasche trägt?«

»Wo hast du dies gesehen?«

»Bei den Bergleuten, lieber Vater; wenn sie ausfahren, dann führen sie gemeiniglich Handsteine bei sich.«

»Bergleute, Werkleute«, rief der Vater, »anschlägige Leute; bist du um Bergburschen gewesen, so hast du was gesehen und erfahren, fahr hin und nimm deiner Sache gleichwohl gut acht; Bergbuben haben manchen Sperling mit Kobalt niedergeschmissen.«

Endlich kam der Vater an den jüngsten Sohn: »Du mein lieber Geckennestle, du warst allzeit der albernste und schwächste, bleib du bei mir auf dem wüsten Bauerhofe, den die Feinde abgebrannt haben; die Welt hat viele grobe und böse Vögel, die krumme Schnäbel und lange Krallen haben, und nur auf arme Vöglein lauern, und sie verschlucken; halt dich zu mir und lies die Spinnen und Raupen hier von Baum und Haus; hier ist kein Blaserohr, keine Schlinge, kein Steinwurf und keine Fuhrmannspeitsche zu fürchten; hier haben wir beide so eben genug für uns, und so bleibst du lange zufrieden.«

»Du mein lieber Vater«, antwortete der jüngste Sohn, »wer sich nähret ohne anderer Leute Schaden, der kommt lange hin, und kein Sperber, Habicht, Aar oder Weihe wird ihm schaden, wenn er zumal sich und seinen ehrlichen Namen Gott alle Abend und Morgen treulich befiehlt, welcher aller Wald- und Dorfvöglein Schöpfer und Erhalter ist, der auch der jungen Raben Geschrei und Gebet hört; ohne seinen Willen fällt auch kein Sperling auf die Erde.«

»Wo hast du das gelernt?«

Darauf antwortete der Sohn: »Als mich der große Windsbraus von dir weg riß, kam ich in eine Kirche; da speist ich im Sommer die Fliegen und Mücken, die den frommen Leuten um die Ohren summen, und las die Spinnen von den Fenstern, die ihnen das Licht mit ihren staubigen Netzen verhalten, dann hörte ich diese Sprüche predigen; da hat mich der Vater aller Wesen den Sommer über ernähret, und vor allen grimmigen Vögeln behütet.«

»Traun, mein lieber Sohn, fliegst du in die Kirchen und hilfst Spinnen und Fliegen aufräumen, und singst in deiner Einsamkeit zu Gottes Ehre, so wirst du wohl und unverletzt bleiben, und wenn die ganze Welt voll wilder und tückischer Vögel wäre. Denn wer dem Herrn befiehlt seine Sache, schweigt, leidet, wartet, braucht Glimpf und Klugheit, Mut und Ergebung, Ernst und Güte, bewahrt Glauben und Gewissen rein, dem will Gott Schutz und Helfer sein.«