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Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Vierte Abteilung.

Buße.

Fünfzehntes Kapitel

Unterhaltung der Reisenden in den Pontinischen Sümpfen

Die eine charakteristische Ansicht von Italien mag genügen; zu dem Schlusse des Briefes müssen wir aber bemerken, daß er den beiden zum Schreiben gar mancherlei Veranlassung gab. Er hatte die Methode, mit Fähigkeiten aller Art die Klingenprobe zu machen, etwas von ihnen zu fordern, was gewöhnlich nicht gefordert werden kann, um ihren Umfang und ihre Dauer ganz zu kennen. So sollten sie ihm im Wagen fertige Tragödien schreiben, besonders gab er ihnen dazu einen Stoff, der ganz sonderbar war, und den sie gleich ausführten. Er setzte eine Fürstin nach Italien, die sich in einen schönen griechischen Schiffsknaben verliebt hätte, und die von ihrem Minister in ihr Land zurückgerufen wurde. Der Kammerjunker lachte erstaunlich, wenn er sich den fischköpfigen Primaner, dies tölpelhafte Ungeheuer, als einen solchen Liebling dachte. »Beim Werke«, sagte der Minister, »nehmen Sie darauf Rücksicht, daß in ihm erste, in ihr letzte Liebe wirkt, daß sie in einer Masse von Verhältnissen höherer Art gelebt hat, wovon der Grieche nichts versteht, so daß ein großer Teil ihrer Bildung brach liegen mußte, der auch seinen Umgang sucht; diesen wollen viele unverschämte geldgierige Künstler ausfüllen, dies letztere muß Ihnen lustige Szenen geben.« – So entstand sehr schnell die folgende kleine Tragikomödie vom

Hylas

Ausgang eines bedeckten Säulenganges nach dem Meere, auf der andern Seite ein hoher Felsen mit Gängen, Blumen, Grotten verziert

1.

DER MUSIKER. Das halt ich nicht aus, Sie laufen immerzu und sagen gar kein Wort.

DER MALER. Sie sehen sich nicht um, das ist viel schlimmer.

DER MUSIKER. Wer hat den Strachino zuerst gesehen? Wer fand den Bäckerladen?

DER MALER. Was wollen Sie aber mit dem Zeuge, mit Käse und Brot? Die Fürstin riecht's am Ende.

DER MUSIKER. Ich stelle mich immer unter den Wind; es soll Ihnen noch gut schmecken, nach allem dem süßen Zeuge, was man hier bekommt, der Magen wird einem ganz hohl davon; der     Mensch muß aber einen Kern haben, um zu wachsen, wie kein Getreide vom bloßen Regen wächst.

DER MALER. Ich bin noch nicht hier gewesen, geben Sie ein Stück her.

DER MUSIKER. Warten Sie doch, da bringt ein Kammerdiener Sorbetti, das zuerst, der Käse löst die Dissonanz auf.

DER MALER. Das wird schön lauten. Sagen Sie, greift man hier so gerade zu?

DER MUSIKER. Nun sehen Sie, wie ich's mache. Mein lieber Herr Kammerdiener, wie geht's mit Ihrer Flöte? Sie haben da Eis, geben Sie mir davon.

DER KAMMERDIENER. Mit meiner Flöte steht es schlecht, Herr Kapellmeister, ich habe zuviel darauf geblasen, die Klappe will nicht mehr halten, und da geht mir die Luft immer zu früh heraus.

DER MUSIKER. Noch ein Glas Eis, wenn ich bitten darf, auch eins für meinen Freund. Es ist jetzt heiße Zeit, ich rate Ihnen sehr, da kein Instrumentenmacher in der Nähe, lassen Sie die Flöte jetzt ruhig liegen, sie ist bloß ausgetrocknet, wie der Röhrbrunnen vor der Villa; ich wette darauf im Herbste akkompagnieren Sie wieder.

DER KAMMERDIENER. Nein, seit der Grieche bei uns ist, werde ich nicht mehr zum Konzerte verlangt; der bläst Ihnen wie ein Blasebalg und wird niemals müde und hat einen feineren Ansatz.

DER MUSIKER. Noch ein Glas Eis, wenn ich Sie nicht bemühe; Freund, essen Sie doch, ich fand es lange nicht so gut gerieben, ein wahres Meisterstück. Ein außerordentlicher, ein verfluchter Herr, der Grieche! Er tut mir auch Schaden, die Fürstin nimmt zwei Singestunden weniger.

DER MALER. Ist er denn ein Freund von der Kunst?

DER KAMMERDIENER. Was ist denn das, die Kunst?

DER MALER. Die Kunst, ja, sehn Sie, die Kunst ist nun eben die Kunst. Ich bitte um ein Glas Eis, es tut doch gut in solcher warmen Zeit. – Ja, wo blieb ich stehn, die Kunst, müssen Sie wissen, die Kunst bei einer Fürstin, ich setze ein Beispiel an mir, ich bin ein Maler.

DER KAMMERDIENER. Wenn nun die Fürstin allerlei Schildereien kauft, so ist sie eine Kunstfreundin.

DER MALER. Sie wissen es schon, der eine muß es machen und der andere bezahlen. Ich habe nun eine ganze Reihe Landschaften von vier Zoll Breite und drei Zoll Höhe bis fünf Fuß Breite und vier Fuß Höhe; ist wohl im Schlosse noch eine leere Wand, wo sie sich gut machen würden, es soll Ihr Schade nicht sein; hier ist meine Taxe, just wie mit den Spiegeln für jeden Quadratzoll mehr, ein Taler. Noch ein Glas Eis, damit mir nicht eine Seite     schwerer wird, als die andere.

DER MUSIKER. Was kommentieren Sie denn jeden ihrer Bissen, sehen Sie, ich nehm ein Glas und schmeiß es in das Meer, daß auch die Fische mitgenießen; nicht wahr Herr Kammerdiener, hier geht alles ganz ins Große.

DER KAMMERDIENER. Es ist doch schad ums Glas, denn schmiß man Sie zum Haus hinaus, so wär's doch schad um Ihren Rock. Es ist nur beispielweis.

DER MUSIKER. Ja wir verstehn uns, alter Freund. Seht noch ein neuer Gast, der Bildhauer mit dem Buckel. Wo seid Ihr denn so lang geblieben Packenträger, Ihr habt nicht mitgekonnt, wir gingen doch zu gleicher Zeit aus.

DER BILDHAUER. Das nennt ihr Kraft, den Weg mit schnellen Schritten so kurz zu treten, daß er gar nichts ist. Was ist denn jetzt das Beschwerliche? Die Sonne! Und ich bin so viel länger in der Sonne geblieben, also habe ich viel mehr Beschwerliches ertragen als ihr, die ihr vorzeitige Geburten, halbgare Erdenklöße seid; und seht mich an, ich spring euch noch übern Stock, als käme ich eben aus dem Bette; und vor dem Dorfe hab ich erst eben eine hübsche Grasschneiderin beim Kopf genommen, vorige Nacht war ich bei der Marquise und heute morgen hab ich einen Zentner Marmor zur Bewe    gung abgeschlagen.

DER MALER. Ein rechter Michelangelo; drück nur einmal, wenn du bei Kräften bist aufs Überbein an deinem Rücken, vielleicht vergeht es noch, du bist noch jung.

DER BILDHAUER. Ich weiß nicht, was du hast mit meinem Buckel; ich habe mich erst heute noch im Spiegel angesehn, ganz nackt, es ist bloß der Unterschied zwischen rechter und linker Seite, die ihr bei Stieren auch bemerkt. Du bist auch der einzige Mensch, der das findet, ich frage dich, du jämmerlicher Musikant, ich bin nicht gerade schön gewachsen, aber –

DER MUSIKER. Nicht gerade, ist so viel wie ungerade, und das muß wahr sein.

DER BILDHAUER. Herr, Ihr seid ein Esel.

DER MALER. Leid's nicht, steck ihn unter den Tisch, wir wollen ihm Tritte geben.

DER BILDHAUER. Ich schlag euer Hirn gegen die Mauer, wie ein faul Ei, wer wagt's.

DER KAMMERDIENER. Ihr Rekel, könnt ihr denn nicht Frieden halten, wenn ihr Geschäfte machen wollt, es ist ja euer eigener Vorteil.

DER BILDHAUER. Ich bin zu unmäßig im Zorn, verzeiht ihr Freunde, meine Leidenschaften bringen mich ums Leben. Wie gefällt meine neue Alabasterlampe. Luna, wie sie den Endymion küßt.

DER DICHTER eintretend.

            O dieses Meeres süße Füße,
            Wie kühlen sie der Nymphen leichte Füße,
            Sie laufen nach
            Um mit der Well zu spielen,
            Doch ach
            Sie müssen sich umwunden fühlen,
            Demütig schmeichelnd scheint die Liebe erst,
            Gebietend ist sie, wenn du sie erhörst.
DER MUSIKER.

    Willkommen, werter Freund, ich will gleich musizieren,
    Womit Sie eben jetzt die Ohren mir berühren.
    Sie sind im schönsten Kreis von einem Kunstvereine,
    Was fehlet uns noch jetzt, die Fürstin ganz alleine.

DER DICHTER.

    O heil'ger Tag, der mich an diese Schwelle,
    In seinem heitern Laufe bringt,
    Und wie ein Bach, so irrt ich in der Helle,
    Bis jede Welle an der Schwelle klingt,
    Da endet mir des Himmels öde Leere,
    Ich fühle
    Mich wiederklingend endlos in dem Meere,
    Und Einklang in dem ewigen Gewühle.
    O welches Leben ist mir nun beschieden,
    Seit ich mein neblig Vaterland gemieden.

DER MUSIKER.

    Hier ist das Land der Kunst, doch ist es etwas heiß,
    Beliebt es Ihnen auch, ich nehme ein Glas Eis.

DER DICHTER.

    O welches fromme Haus,
    Hier stößt mich keiner aus.
    O welche milde Hand
    Hat Labung mir gesandt;
    Ich armer Knab ging aus
    Mit einem Blütenstrauß,
    Und wollt ein wenig sehn,
    Woher die Lüfte wehn,
    Die milde zu uns dringen,
    Daß alle Kehlen singen.
    O Haus voll sanfter Luft,
    O Haus voll reichem Duft,
    Auch Früchte find ich hier,
    An deiner offnen Tür.
    Hier streckt ihr Riesenhaupt
    Melone aus der Erde,
    O wär es mir erlaubt,
    Zu folgen der Gebärde:
    Sie will gegessen sein,
    Doch nimmer ganz allein,
    Gebt Zucker, hohe Götter,
    Und lachet nicht ihr Spötter,
    Zuviel ist dieses all,
    Daß ich es einsam fühlte,
    Genießt mit mir einmal,
    Was meinen Durst erkühlte;
    Ach wären auch die Meinen hier,
    Das wär viel lieber mir.

DER MUSIKER.

    Sie haben recht mein Freund, wenn man's bei uns nur wüßte,
    Sie kriegten all danach ein mächtiges Gelüste;
    Versuchen wir einmal, es möchte uns wohl glücken,
    Gebacknes Obst von hier nach Deutschland auszuschicken.

DER DICHTER.

    Nichts von Gebackenem,
    Schnöder Gedanke!
    Schaue der Ründung
    Himmlischen Bogen,
    Schaue die sanft verwachsene Spalte,
    Schaue dies wollige
    Schützende Kleid,
    Schaue den duftenden
    Farbigen Staub,
    Fühle die Kühle.
    O Aprikose
    Sage, wer wagte
    Je dich zu backen,
    Der dich gesehen
    Schwellend im Glanze
    Irdischer Jugend!

DER MUSIKER.

     Sie haben vielen Sinn, doch ist er viel zu weich,
    Es wird kein Hebebaum aus einem schlanken Zweig,
    Der Künstler sei was hart, will er die Welt besingen,
    Denn da muß vielerlei ...

DER BILDHAUER.

    ... über die Klinge springen.
    Herr, Sie haben keinen Mannesmuskel, Sie haben Froschschenkel, Ihre Lieder passen fürs Wasser, ein ew'ges Einerlei von Weinerlichkeit.

DER DICHTER.

    Du von der Natur
    Schändlich Gezeichneter,
    Sage mir nur,
    Mich, den bezeichneten
    Himmlischen Adler,
    Wagst du zu höhnen;
    Heute ich prange
    Irdischem Schönen,
    Morgen entreißen mich
    Götter zu sich.

DER KAMMERDIENER. Durchlaucht die Fürstin
     bedauert sehr, daß sie die Herren heute nicht sprechen kann, sie wäre dringend beschäftigt.

DER MUSIKER. Gelt, mit dem schönen Griechen, lieber Herzensfreund; den Menschen müssen wir los sein, – legen Sie ihr doch morgen meine Sonate wieder auf das Klavierpult, die ich ihr dediziert habe, und geben Sie ihr doch so vor sich zu verstehen, eine goldne Dose wäre das wenigste, was sie mir geben könnte, es soll Ihr Schade nicht sein.

DER MALER. Nun vergessen Sie nicht Herzensfreund, sehen Sie doch an den Wänden herum, wo noch Platz ist; ich male für alle Arten Lichter, auch da wo keins ist.

DER BILDHAUER. Da die Fürstin nichts gegen die Lampe sagen läßt, so nehme ich an, daß sie dieselbe nehme, und das Geld schaffen Sie mir bald, lieber Bester.

DER MALER. Hört Kapellmeisterchen, holt doch einmal Euern Käse und Brot heraus, ich hab zu viel von dem süßen Zeuge in den Hals laufen lassen.

    DER DICHTER.

            Genießt der holden Gunst
            In milder Luft zu schweben,
            So wird die reine Kunst
            Auf euren Lippen leben.

    DER KAMMERDIENER.

            Das Volk wird nie satt.

    DER MUSIKER.

            Die Kunst geht nach Brot.

Alle ab

 

2.

HYLAS tritt mit einer Mandoline auf und singt.

    Wie so schwer vom Herzensgrunde
    Reißen sich die Worte los,
    Hängen dann noch fest am Munde,
    Küssen mich fast atemlos,
    Und die Augen gehn mir über
    Von der hohen Töne Fieber;
    Ausgestoßen von dem Munde
    Flüchten sie in fremde Welt,
    Ist es auch die rechte Stunde,
    Wo ein jeder Ton gefällt?
    Vor der bang geschloßnen Pforte
    Schweigen scheu der Liebe Worte!

DER DICHTER an der Gartenmauer singt.
    Worte rufen nach Gedanken,
    Die Gespielen blieben heim,
    Die spielordnend loben, zanken,
    Da begegnen sie dem Reim,
    Daß er sie in Reih und Glieder
    Ordne zu dem Spiel der Lieder.
    Und dem Reim folgt der Gedanken,
    Beide sind ein liebend Paar,
    Beid auf schmalem Stege schwanken,
    Sich umschlingen in Gefahr,
    Weinlaub so umschlingt die Bäume,
    Daß es sie mit Glanz besäume.

HYLAS.

    Hoffend tauch ich in das Grüne,
    Singend in das Himmelblau,
    Und die ganze Frühlingsbühne
    Sagt von dir, du schöne Frau,
    Könnt ich's so geläufig sagen,
    Würd ich nicht nach Liedern fragen:
    Muß ich nicht bedenklich werden
    Folg ich dir mit dem Getön,
    Ziehet kalter Wind auf Erden
    Und ich hör nur sein Gestöhn,
    Rings die Wärme seh ich zittern
    Und die Ferne hell gewittern.

DIE FÜRSTIN in der Ferne.

    Wär am Himmel sichre Helle,
    Himmelglatt der Erde Rand,
    Aber an des Himmels Schwelle
    Ist gezähntes Felsenland.
    Und der Regen tritt entgegen,
    Will sich zwischen uns noch legen:
    Himmels Fensterscheiben brechen,
    Und die Laden donnern an,
    Da ich wollt vertraulich sprechen,
    Uns die Sonne ganz zerrann:
    Ach ich meine im Zerstören
    Warnend einen Geist zu hören.

HYLAS.

    Klimm mit mir zu jenen Höhen,
    Und ich sag von Liebe dir!
    Ach wie ist mir nun geschehen,
    Nun das Meer tief unter mir,
    Hör die Steinlein drinnen schallen,
    Die von meinen Tritten fallen.
    O so fallen leicht vom Herzen
    Meine Wort ins Freudenmeer,
    Und es scheinen meine Schmerzen,
    Wie die Worte mir so leer:
    Halt mich fest und lieb mich wieder,
    Sieh, ich stürze sonst hernieder.

DIE FÜRSTIN.

    Hier laß uns weilen auf dem Rasensitze,
    Denn schönern Blick gewährt wohl nie die Welt;
    Wie schwingt sich alles auf in Lust und Klang,
    Nur du bist stumm, mein süßer, süßer Freund.

HYLAS.

    Ich sehe in ein tiefes grünes Wasser,
    In tiefe blaue Luft, in blendend Feuer
    Und bin ich nicht ein Stein, muß ich vergehn.
    Sieh doch, jetzt ist die Luft schon wieder blau,
    Ich bin noch finster wie sie eben schien,
    Auch bricht die Nacht bald über uns herein.

FÜRSTIN.

    So sprichst du immer anders, als erwartet
    Warum kannst du nicht artig schwatzen, so wie ich;
    Was in die Hand mir fällt, wird mir zum Spiel,
    In jedem Blatt schenk ich dir neu ein Herz,
    In jeden Stengel schling ich Liebesknoten,
    Ich bring ihn dir, du schweigst und läßt ihn fallen.

HYLAS.

    Du gibst zu viel, und sollt ich's all bewahren,
    Ach ich erläge unter Dankes Last;
    Hab ich's dir nicht gesagt, als wir zum ersten Male
    Vertraulichkeit mit unsern Lippen tauschten:
    Sind meine Augen dir nicht klar wie Glas,
    Ins Innere des Herzens mir zu lesen,
    Durch meine Zunge läßt es sich nicht aus,
    Und nur wie Funken aus dem Stein geschlagen
    Entwickelt sich ein kurzer Schein, wer den
    Nicht fängt, in Flammen höher auf zu lodern,
    Der kennt ihn nicht, dem bin ich tot,
    Und wie in einem Sarg in mir verschlossen.

FÜRSTIN.

    Verkenne nicht mein sorgliches Nachfragen,
    Die Lieb spricht gern ein überflüssig Wort,
    Damit sie nicht, was irgend not, versäume, –
    Nicht ich bedarf der steten Rede Spiel,
    Es saget mir dein lieber Blick so viel,
    Wenn meine Hand dir Stirn und Wang berühret,
    Es sagt mir mehr, als je ein Mund gesagt,
    Wenn ich dein Herz lebend'ger schlagend spüre,
    O welches Lied kann hüpfen also leicht.
    Nein nicht um mich brich dieses lange Schweigen,
    Mit dem du oft an meinen Blicken haftest,
    Nur ich, ich fürchte, du bemerkst an mir,
    Was dir mißfällt, was du mir gern verschwiegest.

HYLAS.

    So kommt ihr her, aus eures Nordens Wüste,
    Den lieblichsten Genuß mißgönnt die Furcht,
    Die sonst um euch in der Natur gelauschet,
    Bis sie den Weg zu eurer Seele fand;
    Wie ihr sonst schwindelnd auf den Bergen standet,
    So steht ihr fürchtend auf der Liebe Wipfel!
    Es mögen Flammen aus dem Wipfel steigen,
    Die Länder beben in dem innern Grund,
    Hier lasse schwinden alles eigne Leben
    Von einem Leben, das uns all durchdringt,
    Das heftig unsern Atem hier bewegt
    Und mit dem Mond, der dort dem Meer entsteigt,
    In einer Nacht für Millionen lebt.
    Bewahren läßt sich nichts und viel genießen,
    Mir lasse ganz des Busens Freude scheinen;
    Und was dir noch von alter Sorge bleibt,
    Das schreibe all an alte Freund nach Haus,
    In jene Gegend, wo sie immer sorgen.

FÜRSTIN.

    Ach wohl bekenn ich mich der Sünde schuldig,
    Mit Wahn den keimenden Genuß zu stören,
    Doch ist er nicht so leer, mein schöner Knabe;
    Auf meinen Wangen prangt nicht mehr die Frische,
    Mit der du gern in jeder Frucht dich siehst,
    Mit allen Lüften fühlst und dich bewegst,
    Und was in mir geschieht, ist fast geendet.
    Sieh morgens nur dein Angesicht im Wasser,
    Es wird bewegt von wechselndem Verlangen,
    Es wird bewegt wie von der Luft das Feld
    Und es vergeht kein Tag, wo du nicht lernest,
    Wo du nicht wächst zum größern Manne auf.
    O sag, in diesem Blick, was sagtest du,
    O sag, was dachtest du im Augenblicke.

HYLAS.

    Beim Zeus, ich dachte nicht, ich sah dich an,
    Wie von der Lampen Schimmer du erhellt,
    Die einen neuen Tag in Nächten schaffen,
    Und hab ich mehr gedacht, ich weiß nichts mehr;
    Beim Zeus, du denkst dir gar zu viel in mir,
    An deiner Seite denk ich nur an dich.

FÜRSTIN.

    O schweig, es war der lieblichste Gedanke,
    Du willst mit neuer Lust mich überraschen,
    O daß du mir so was verbergen kannst,
    Daß ich nicht ganz in dir mich kann verlieren,
    Nicht kann mit deinen dunklen Augen sehen,
    Mit deinen Pulsen nicht die Zeit mir messen!
    Bewache mich, daß ich die Brust dir nicht
    Zerreiß, mein Schicksal dir im Herzen lesend;
    Wie jene Deuter in der alten Zeit
    Die schönsten Menschen opferten, um dann
    Aus ihrem Innern Künft'ges zu vernehmen;
    Dann wär ich ja mit meinem Schicksal fertig.

HYLAS.

    Du läßt mir gar nichts übrig, dir zu sagen,
    Denn wie das Meer Italien umspannt,
    So sanft, so wild, so schrecklich und so lieblich,
    So regst du jeden Sinn in dem Gemüte,
    Und gibst ihm gleich ein ewig deutlich Wort.
    Was kann ich mehr noch, als dein Nachklang sein,
    Und Beßres immer, als dein Widerhall.

FÜRSTIN.

    Was ich dir gebe, bring ich dir zurück,
    Ich hab's von dir, du nichts von mir empfangen,
    Denn wie die Biene alle Blüten regt,
    Die an der Erde träge duftend liegen,
    Mit ihrem Atem nicht, mit ihren Flügeln,
    So regen auch, wenn du die Arme um mich legest,
    Sich alle frohen Blüten wieder auf.

HYLAS.

    Und wie ich jetzt so an mein Herz dich drücke,
    Da fühl ich in dem Augenblicke wieder,
    Was ich oft überhört, wenn du gesprochen;
    Du weißt, ich habe manchen alten Traum,
    Der mich nicht läßt, hab ich ihn gleich verlassen.

FÜRSTIN.

    Ich sitz dir stets zur Beichte, leg den Mund
    Dir immer an das Ohr, dir zu bekennen,
    Was in mir vorgeht; nun bekenn mir auch,
    Was ist es für ein Traum, der dich bewegt,
    Der dich aus meinen Liebesnetzen zieht
    Und an den wesenlosen Himmel mahnt,
    Dem ich dich schöner Vogel hab geraubet;
    Ein nutzlos Mühen hast du so verloren,
    Sieh wie die Vögel steigen, um zu fallen,
    In meiner Liebe steigst du immerdar.

HYLAS.

    Du bist mir Vaterland und Freiheit, alles
    Was ich verloren und – was ich gehofft.
    Und füttre ich die Tauben und die Schwäne,
    Mir sind sie lieb, weil du zu ihnen lächelst,
    Nach keinem Ausflug mehr verlangt mein Herz;
    Denn gar ein wunderbares geist'ges Leben
    Seh ich in deinen Künsten überschweben.
    Ach wär ich doch ein Bild von deiner Hand;
    Verachte meine kleinen Künste nicht,
    Der Himmel treibt die Gärtnerei mit mir.

FÜRSTIN.

    Der Himmel will dir wohl, er denkt wie ich,
    Du weißt es ja, ich freu mich jeder Blume,
    Die du mir sorglich aufgezogen hast;
    Und ihre Kränze sind lebend'ger doch,
    Als alles, was mein Pinsel dir kann zaubern.
    Erfreu dich deines Werks, weil ich's bewundre,
    Und rühmen keine andre deinen Garten,
    Gedenk, ich leb darin die schönsten Stunden.
    O sieh die Malven, die du einst geflochten,
    Zum Zelte mir, wo wir so traulich schliefen,
    Sieh, wie die Sonne heut daran gewelkt;
    Gewiß, sie schmachten heut nach frischem Regen;
    Ich muß vergelten, wie sie mir getan,
    So will ich sie auch heute noch erquicken.

HYLAS.

    Sie sind so schöner Mühe doch nicht wert.

FÜRSTIN.

    Ich bitte dich, o laß mir diese Sorgen,
    Denn eine Sorge muß ich immer haben,
    Wie du mir oftmals liebend vorgeworfen.

HYLAS.

    So seh ich dir hier unterm Kirschbaum zu,
    Und jeder deiner Schritte scheint mir Tanz,
    Und Anmut schwebt in jeglicher Bewegung;
    Ein schöner Demantstrom entrinnt der Hand,
    Im Lampenschimmer düftet's rings so frisch.

FÜRSTIN singt während des Begießens der Blumen.

    Der Himmel ist oft hell, kann dann bald weinen,
    Deckt seine klaren Augen zu,
    Die auch verhüllet noch zu trauren scheinen,
    So glänzest du, so scheinest du.

    So traure du, so sei verlassen trübe,
    Ja regne Tränen ohne Zahl,
    Wenn wandelbar einst unsre Liebe,
    Denn solches Glück besorgt den Fall.

    In wunderbar geflochtner stummer Liebe
    Ist so besorglich schon die Qual,
    Daß sie so gern zur Totenfeier hübe
    Den frohsten Blick zum Sternensaal.

    Du stiller Winter wehest schon vom Himmel,
    Ihr weißen Wolken, ew'ger Schnee,
    Ihr zieht schon vor die Sterne mit Getümmel,
    Der Mond stürzt weinend in die See.

    Hier blüht der Garten, Lilien, deine Wangen
    Mit Tausendschönen mischen sich,
    Wo keusche Rosen schwankend überhangen,
    Schwül ist die Luft für mich und dich.

HYLAS singt halb träumend.

    Der Kirschbaum blüht, ich sitze da im stillen,
    Die Blüte sinkt und mag die Lippen füllen,
    Auch sinkt der Mond schon in der Erde Schoß
    Und schien so munter, schien so rot und groß;
    Die Sterne blinken zweifelhaft im Blauen
    Und leiden's nicht, sie weiter anzuschauen.

Die Fürstin verliert sich unter Blumen; Hylas schläft ein.

 

3.

 

DER KANZLER tritt durch die Gartentüre ein.

    Dies ist der Fürstin Schloß, ich hab's erkannt
    Nach dem Gemälde, das sie uns gesendet,
    Doch kaum erreicht hat ihrer Maler Kunst
    Den Reichtum dieser wunderbaren Gegend,
    Die weit umher in nächtlicher Beleuchtung glänzet,
    Als sei ein ew'ger Tag rings um sie her.
    Wie fühl ich mich so weich in diesem Land,
    Als würd ich erst in meinem Alter reif,
    Und grausam soll ich sie dem Land entreißen?
    Ich werde alt, ich wünsche auch Genuß,
    Wie lange soll mich noch die öde Arbeit halten,
    Die in sich selber ungeheuer wächst,
    Da meiner Kräfte Schnellkraft sich verlieret,
    Daß ich sie nur im steten Kampf mag zähmen;
    Wo find ich Ruhe bei geliebten Wesen?
    Und meine Fürstin hat sie hier gefunden!
    Ich hab nicht Weib, nicht Kinder, weh mir Armen,
    Und für die Liebe bin ich nun zu alt.
    Ja Mond, so geht es in der Welt: dem Jüngling
    Versprachst du viel, und so läuft alles ab.

Er sieht Hylas.

    Welch schöner Jüngling ruht hier unterm                                                      Kirschbaum!
    An diesem Bild der Fürstin, das ihn ziert,
    Erkenn ich ihn, es ist der schöne Grieche,
    Der ihre Neigung so allmächtig fesselt.
    Nie sah ich Schönheit in so wilder Stärke,
    Dir soll's nicht fehlen, schlafe ruhig fort,
    Ich reiße dich aus der Geliebten Armen,
    Die eher deine Mutter könnte sein.
    Ich führ als Vater dich ins junge Leben,
    Du bist geschickt zum Kriege, wie zur Liebe;
    Ich fühl an dir ein väterlich Gefallen,
    Und muß ich dir auch heute wehe tun,
    Ich kann es bald als Vater dir vergüten.
    Wer weiß, ob du dich viel darum bekümmerst,
    Denn aufwärts klimmt die Neigung gar zu selten.
    Daß sie dich liebt, ich kann es wohl begreifen,
    Doch deine Neigung kann nicht dauernd sein.
    Ich löse schnell, was sich bald selbst vernichtet. –
    Die Fürstin kommt; jetzt träge Überlegung,
    Jetzt weiche, mach der Überredung Platz;
    Sie ist verändert unsre Fürstin hier,
    Hat gar nichts mehr vom alten Herrschertritte,
    Der schnell und fest uns oftmals glauben machte,
    Es käm ein fremder Held durchs Nebenzimmer.

 4.

 

Der Kanzler, die Fürstin

 

FÜRSTIN.

    Wie? Täuscht mich nicht der Lampen farb'ger Schimmer,
    Sie sind es Freund, mein treuer, vielbewährter,
    Die Stütze unsres Landes; bester Kanzler,
    Woher so unerwartet? Um so freud'ger
    Begrüß ich Sie! Sie reicht ihm die Hand zum Küssen.

KANZLER.

    Wohl mir, die schöne Hand
    Errat ich nun nicht mehr aus bloßen Zeichen,
    Die der Gedanken hohen Lauf mir sagen,
    Ich fasse sie und möchte nie sie lassen,
    Bis ich des Staates Zügel drein gelegt,
    Denn ihr allein ist folgsam jene Menge,
    Die mit mir durchgeht, trotzig widerstrebend
    Vom Diener dulden Diener selten Strenge.

FÜRSTIN.

    O legen Sie die weisen Sprüche ab,
    Es steckt noch kalte Luft in allen Falten,
    Hier lüften Sie sich bei dem Meeresrauschen,
    Worin die Sterne spielend niederwallen,
    Hier wird die Nacht zum allerfrohsten Tage.

KANZLER.

    Ach könnten wir das ganze Land herschwemmen,
    Wie eine neue Insel, und ein Volk
    Von Glücklichen in leichter Lust regieren!

FÜRSTIN.

    Regieren Sie, ich bin ein schwaches Weib,
    Hab nicht der Männer Sinn, nicht ihre Kraft;
    Sie Freund, Sie machen's besser jetzt als ich,
    Als ich es je vermocht, ein jeder rühmt Sie.

KANZLER.

    Gedenken Sie der letzten Briefe nicht?
FÜRSTIN.

    Wohl, ja, doch las ich nur den Schluß davon,
    Daß alle noch gesund sind, die mir lieb.

KANZLER.

    Sie lasen nicht den Anfang dieser Briefe?

FÜRSTIN.

    Ich weiß seit lang, Sie machen alles recht.

KANZLER.

    Wohl mir, daß ich zur rechten Zeit noch bringe
    So wichtige, bedeutungsschwere Nachricht:
    Ihr Bruder, gnäd'ge Fürstin, hat ganz trotzig
    Sich einen Kreis von Abenteurern kühn
    Gesammelt; die guten Bürger hängen noch
    An ihrer Fürstin, doch sie fordern schnell
    Die Gegenwart, die alles kann vereinen,
    Die Frevler ohne Blutvergießen schreckt,
    Die allen Guten gibt das Zutraun wieder.

FÜRSTIN.

    Sie wähnen nun, ich würd ganz eilig kommen,
    Mich selbst dem allgemeinen Wohl zu opfern,
    Wo keiner hat den Mut, für mich zu streiten.

KANZLER.

    Ich hab's gewagt, ich bin verhöhnt, verwundet.

FÜRSTIN.

    Ich nehme Sie von allen immer aus,
    Doch eben weil Sie da so einzeln stehn,
    So ist des Volkes Rest wohl nicht viel wert,
    Und ist's was wert, ich bin zu schwach zum Schützen.
    Ich kenne Sie, fest wie ein Eichenbaum,
    Ich bin aus leichtem Holz und wie ein Rohr,
    So schwank ich in den Lüften hin und her;
    Ich mag nichts machen in der Welt, denn was
    Geschieht, das macht sich selbst und wird nicht schwer.

KANZLER.

    Nein, ich versteh Sie nicht, Sie sind verwandelt,
    Bei Gott, es gibt auf Erden Ihrer zweie,
    Die eine war des Vaters Ebenbild,
    Es sprach sein Geist durch ihren heil'gen Mund,
    Die Klugheit, früh entwickelt an der Größe,
    Die Weisheit, an der Tätigkeit gekeimt,
    Die Güte, in Erfahrung schön gereift;
    Das sind Sie nun nicht mehr; wer kann's erklären?
FÜRSTIN führt ihn zu dem schlafenden Hylas.
    Hier sehen Sie die Weisheit, die mich blendet,
    Die Güte, die mich hat so schön gereift,
    Und meine Klugheit ist, ihn zu bewahren,
    Vor dessen Schönheit tausend Throne sinken;
    Wenn die geschloßnen Augen mich beherrschen,
    Wo nähm ich Macht, wenn sie sich öffneten,
    Um scheidend mich zum letztenmal zu grüßen.

KANZLER.

    Ja ich bekenn es, dieser Tausch ist hart
    Und dieser Jüngling wert des schönsten Throns.

FÜRSTIN.

    Des Herzens wert, zu gut für jeden Thron;
    Für ihn ist das Entsagen jedes Throns
    Nicht schwerer zu vollbringen, als zu sprechen.
    Ich kenne, was ich meinen Reichsgesetzen,
    Was ich als erstes Beispiel schuldig bin;
    Nicht andre will ich selbst zur Torheit mahnen,
    Sie führte mich so schnell von alter Weisheit:
    Es waltet über jedes Volk ein Schicksal,
    Ich überlaß mein trostlos Volk dem seinen,
    Mein Schicksal ist die Liebe nun allein.

KANZLER.

    Ich war nicht vorbereitet, gnäd'ge Fürstin,
    Daß Ihr Entschluß so überlegt und fest.

FÜRSTIN.

    Er ist gefaßt nach langer Überlegung,
    In meinem Zimmer lieget die Entsagung.
    Nur wenig wünsch ich aus des Vaters Schätzen,
    Ein mäßig Jahrgehalt, und wird mir dies
    Verweigert – arm in diesen Armen ist
    Auch Reichtum – viele möchten mit mir tauschen.

KANZLER.

    Was meine Rede mir im Mund erstarrt,
    Beweget tiefer noch mein ganz Gemüte;
    Ich war bereitet auf ein schwer Geschäft,
    Doch abgeschlossen alles hier zu finden,
    Vorüber alles, alles wohl bedacht,
    Wie ich es nimmermehr erleben möchte,
    Vieljähr'ge Arbeit in den Wind zu streuen!
    O Fürstin, schweigen denn Millionen Stimmen
    In Ihrem Herzen, die in diesem Drucke
    Der unnatürlich gegen sich ergrimmten Zeit
    Viel Tausend Seufzer täglich, nächtlich senden?
    Ach dieser Strom der Luft, der uns umhaucht,
    Und aus dem Norden strömt, ist schwer beladen
    Mit tausendfacher Not, die jene drängt.
    Er klagt es leise seiner Hoffnung Fürstin,
    Der Schöpferin von allem unserm Glücke.
    Soll dieses ganze Glück in Torheit sinken,
    Denn also will's des Bruders wahner Sinn.

FÜRSTIN.

    Sie quälen mich; ich überzeug mich nicht.
    Mein Volk vergeß ich nie im treuen Herzen,
    Doch weil ich schwach, darum vermag ich nichts,
    Es liegt mir nah, der holde Schläfer näher:
    Ich bin ein schwaches Weib, ich bin nicht mehr,
    Wie ich wohl einstmals war, eh' ich ihn sah.
    Was ich geschaffen, würd ich jetzo stören,
    Was mir im Glück geriet, verdürbe Unglück.
    Ich bin viel törichter als je mein Bruder,
    Und dieser Knabe ist mir Gott und Welt,
    Ihm opfere ich mich und auch mein Volk.

KANZLER.

    Der tät'ge Mensch vergißt so viel,
    Und jeder Tag macht neu die tät'ge Seele.

FÜRSTIN.

    Das Weib vergißt so viel, und doch nicht alles;
    Das Vaterland, die Eltern und die Freunde,
    Vergißt das Weib und folget ihrem Mann.
    Doch fort von hier – es regt sich der Geliebte;
    Nie darf er wissen, was wir hier gesprochen.

 

Sie gehen mit einander fort.

 

 

 

5.

 

HYLAS richtet sich auf.

    »Nie darf er wissen, was wir hier gesprochen«,
    Und welcher Gott gab es im Schlaf mir ein;
    Der Gott, der gibt's den Seinen in dem Schlaf,
    Ich stamme auch aus dem Geschlecht der Götter,
    Träum aus du arme Seele, träume aus,
    Damit du klar erwachst vom trüben Denken!
    Hier stand der ernste Mann mit finstrer Stirn,
    Er sprach mit tiefer Stimm ein ernstes Wort:
    »Dem Knaben opferst du dein ganzes Volk?«
    Und ruhig sprach da meine Fürstin drauf:
    »Ihm opfere ich mich und auch mein Volk.«
    Was dringt in meine Adern, welche Scham,
    In meine Sehnen, welche Heldenstärke,
    In alle Sinne, welche ew'ge Klarheit,
    Mein ganzer Wille wird nun zum Entschluß;
    Schon steh ich jenseit dieses wüsten Lebens,
    Weit über euch, ihr niedern Erdengötter,
    Da ruh ich in der Schicksalsgöttin Armen.
    Ich sollt mir opfern sehn so reine Größe,
    Und nichts gewinnen als ein schwelgend Leben!
    Ich hasse euch, ihr unglücksel'gen Götter,
    Die ihr das rote Blut in tausend Bächen
    An den Altären müsset fließen sehen;
    Des Mitleids Qualen könnt ihr nimmer stillen,
    Euch opfern nie dem Schicksal ew'ger Liebe!
    Ich fühl's, jetzt wird im Kopfe mir so licht,
    Dem neuen Tage strahle ich entgegen,
    Der aus den Fluten sich so kräftig dränget.
    Nein ich gehör nicht mehr dem neuen Tage,
    Er zwingt mich nicht zu glauben an sein Licht,
    Das nur ein Gegenschein von meiner Liebe.
    Bald werf ich mich der Sonne froh entgegen,
    Damit ich selbst der weiten Welt erscheine. –
    Noch einmal denk ich alles Glücks allhier!
    Seit mich die Fürstin in die Arme nahm,
    Da fiel des Glückes Tau so reichlich mir;
    So unersättlich ich darin auch schwelgte,
    Ich frage nicht, ob es auch dauern könne,
    Wär es das Glück, wenn Zeit zum Umschaun bliebe;
    Es reißt uns an den Haaren in die Höh
    Und läßt uns dann in öde Tiefen fallen,
    Wie Steine unter meinen Tritten fallen,
    Und schallen in dem bodenlosen Meer.
    Lebt wohl ihr Blumen, die ich lieben lehrte,
    Hier unter euch, da sah ich sie verschwinden
    In meines Abschieds trüber Dunkelheit;
    Bald wird es Tag von einem neuen Lichte
    Und werd ich Licht, wenn ich dem Meer entsteige,
    So fall ich hier in ihre holden Augen!
    Ihr Tauben, meiner Liebe sanfte Boten,
    Ich glaub mit euch zu fliegen übers Meer,
    Ich seh ins ewig Ruhelose freudig,
    Das steigend fällt und fallend steigt,
    O nimm mich auf, ich bin wie du!

 

Er stürzt sich mit ausgebreiteten Armen ins Meer, dem die Sonne entsteigt.

 

 

6.

 

Die Fürstin und der Kanzler

 

FÜRSTIN.

    Sie kennen mich, daß ich nie mehr gesagt,
    Als ich vollführen kann; ich kenne Sie,
    Daß Sie nicht wiederholen mögen, was
    Vergebens bleibt. Mein Schluß bleibt immer fest.
    Dem Throne zu entsagen ist mir leicht;
    Von Ihnen wird der Abschied schwer, mein Freund.

KANZLER.

    Mich hält, ich weiß nicht welche Hoffnung fest,
    Daß sich Ihr harter Sinn noch läßt erweichen;
    Umsonst gewirkt zu haben ist so schwer,
    Uns beide trifft das, wenn es dabei bleibt.

FÜRSTIN.

    Ich hab gelebt, seit ich nicht mehr gewirkt,
    Versuchen Sie in gleichem Sinn zu leben;
    Dann frag ich Sie, ob Sie nicht gern entsagen.

KANZLER.

    Ich bin zu alt zu einem neuen Leben.
    Es läßt sich Liebe nicht so leicht erwerben,
    Was nicht erworben, läßt sich nicht bewahren.

FÜRSTIN.

    Ich bin auch älter als mein schöner Hylas;
    Ich sterbe früher, weil ich älter bin:
    So überlebt mich herrlich meine Liebe.
    O Hylas komm, nach solchen ernsten Worten
    Bedarf ich deiner Töne leichtes Spiel,
    Und deiner Züge viel bedeutend Bild.

KANZLER.

    Ich höre an dem Meere Klagetöne.

FÜRSTIN.

    Es ist so mancher Unglücksfall am Meer.
    Mein Hylas komm! Er hat ein zart Gemüt,
    Und vor der Trauer muß ich ihn bewahren;
    Er ist so klar, so froh wie jene Sonne,
    Die aus den Wellen hellgebadet steigt.

 

 

 

7.

 

Die Künstler tragen die Leiche des Hylas nach dem Hause.

 

DER DICHTER.

    Setzet nieder eure Bürde,
    Schweigt im ernsten Trauerhaus,
    Wohl geziemt sich Ernst und Würde,
    Wo die Schönheit lischt in Graus.
    Wo die Wärme ist verschwunden,
    Kommt der öde Winterschlaf,
    Alle Stärke ist geschwunden
    Alle Glieder sinken schlaff.
FÜRSTIN.

    Keinen Toten kann ich sehen,
    Helfen kann ich ihm doch nicht,
    Kann zur Hülfe was geschehen,
    Sorgt, daß ja nichts hier gebricht.
    Gern will ich ihm Obdach schenken,
    Bis die Erde ihn verschließt,
    Doch mit anderen Geschenken
    Wär ich lieber heut begrüßt.

DICHTER.

    Sehnlich wirst du nach ihm sehen,
    Und in den erblaßten Zügen
    Les auf einmal alles Wehe,
    Kenne wieder dein Vergnügen.

FÜRSTIN.

    Sagt, wer ist es denn gewesen,
    Daß ihr mich wollt zu ihm ziehen.

DICHTER.

    Ach das schönste aller Wesen,
    Selbst der Tod ist in ihm Blühen.

FÜRSTIN.

    Wehe, wehe, Hylas, Hylas!
    Ach das ist mein Hylas nicht,
    Denn er hört nicht, Hylas, Hylas!
    Blaß ist auch sein Angesicht.
    Kalt die Lippen, und gebrochen
    Ist der Augen Feuerschein,
    Tausend Tränen in den Locken,
    Ach er ist nun nicht mehr mein!

KANZLER.

    Ist kein Mittel ihn zu retten?

DICHTER.

    Alles ist umsonst versucht!
    Ach wer kann das Leben retten,
    Das vor sich in eigner Flucht;
    Denn die Arme ausgebreitet,
    Stürzte er sich selbst ins Meer.

FÜRSTIN.

    Welcher Gott hat ihn geleitet,
    Und verwundet mich so schwer.

KANZLER.

    Fürstin, seht des Schicksals Willen,
    Dem der schöne Knabe fiel.

FÜRSTIN.

    Sterbend muß ich so erfüllen,
    Was für meine Kraft zu viel.

KANZLER.

    Traurend konntest du beglücken
    Schöner Gott, der hier verbannt,
    Mochtest oft zum Himmel blicken,
    Heimwärts hast du dich gewandt.
    Fallet alle vor ihm nieder,
    Seine Seele strahlt im Meer,
    Gebt den Staub dem Staube wieder,
    Dieser Leib war ihm zu schwer.
    Ihm zum Tempel sei geweihet
    Dieses Schlosses weiter Raum,
    Daß die schöne Kunst erneuet,
    Was im Leben flücht'ger Traum.

FÜRSTIN.

    Führe mich, du weise Stärke,
    Ich gehorche deinem Rat,
    Tränen sind nun meine Werke,
    Jammer meine einz'ge Tat.
DIE SCHWALBEN.

    Wir versuchen die jungen Flügel
    An dem grünenden Grabeshügel,
    Schlagen mit schwarzem Flügel die Luft,
    Streifen vorüber im Morgenduft;
    Singen einander mit fröhlichem Munde,
    Unser Leben, das mißt nicht die Stunde,
    Einmal erscheinet ein Morgenrot
    Weht in der Asche, leuchtet im Tod,
    Netzet die Flügel im Meeresschaume
    Und wir erwecken euch alle vom Traume.

 

 

8.

 

Fürstin, Kanzler ziehen fort. Die Künstler bleiben.

 

DICHTER.

    Wie die Fürstin es befohlen
    Sorget für ein Trauerfest.

MUSIKER.

    Meine Zeit ist nicht gestohlen,
    Sorgen Sie erst für das Best.

BILDHAUER. Wie konnten Sie so dumm sein und die Fürstin so fortgehen lassen, ohne ihr einen Überschlag der Kosten zu machen, wenn wir dem neuen Gotte einen Tempel wirklich erbauen sollen.

DICHTER.

    Meine Tränen, wer kann sie bezahlen,
    Meine Worte ach, wer kann sie hemmen?

MUSIKER.

    Meine Noten laß ich mir bezahlen,
    Also werden Sie sich auch bequemen.

KAMMERDIENER. Die Fürstin hat mir die Vollmacht gegeben, alles Notwendige zu dem Denkmale zu berichtigen.

BILDHAUER. Was ist nun für Not! Viktoria, es lebe, ich wollte sagen, es sterbe der Herr Hylas.

MUSIKER. Pereat.

MALER. Dreimal tief.

DICHTER.

    Alle andern ziehen lachend,
    Von dir fort, du schöner Gott,
    Böse Zeit, wo Schönheit Spott;
    Mich begeistre bei dir wachend,
    Daß ich wieder neubelebe
    Dieses Herz, das ganz gestillt,
    Oder daß ich toderfüllt
    Mit dir zu dem Äther schwebe.

 

Während der Vorlesung waren die Reisenden in den schlimmsten Teil der Pontinischen Sümpfe gefahren; ferne brauste das Seewasser durch den Felsenrachen ins Meer zurück, aber es stand noch überall in kleinen Lachen von farbiger Schlangenhaut überzogen; bleiche Menschen beschäftigten sich mit der Straßenbesserung, und erinnerten die Reisenden sich nicht dem Schlafe zu überlassen, weil er tödlich, und doch umflog der Schlaf hier so unablässig mit seinen Nachtfaltern das Haupt, daß jeder mit stetem Bewegen sich dagegen zu verteidigen bemüht war. Der Minister aber versicherte, wenn die Poesie sie nicht einmal gegen den Schlaf sichern könne, so wäre sie zu gar nichts wert, und damit wurde dem Kammerjunker aufgetragen, noch etwas mitzuteilen, etwa eine Geschichte, worin die Verschiedenheit des Alters in Freundschaft, Haß, Liebe recht wunderlich zwischenträte. – Der Kammerjunker versicherte, daß er nach einer sonderbaren Bergwerksgeschichte eine eben so sonderbare Ballade geschrieben, die er hersagen könne.

 

Des ersten Bergmanns ewige Jugend

 

            Ein Knabe lacht sich an im Bronnen,
            Hält Festtagskuchen in der Hand,
            Er hatte lange nachgesonnen,
            Was drunten für ein neues Land.
            Gar lange hatte er gesonnen
            Wie drunten sei der Quelle Lauf;
            So grub er endlich einen Bronnen,
            Und rufet still in sich: »Glück auf!«
            Ihm ist sein Kopf voll Fröhlichkeiten,
            Von selber lacht der schöne Mund,
            Er weiß nicht, was es kann bedeuten,
            Doch tut sich ihm so vieles kund.

            Er höret fern den Tanz erschallen,
            Er ist zum Tanzen noch zu jung,
            Der Wasserbilder spiegelnd Wallen
            Umzieht ihn mit Verwandelung,
            Es wandelte wie Wetterleuchten
            Der hellen Wolken Wunderschar,
            Doch anders will es ihm noch deuchten,
            Als eine Frau sich stellet dar:
            Da weichen alle bunten Wellen,
            Sie schauet, küßt sein spiegelnd Bild,
            Er sieht sie, wo er sich mag stellen,
            Auch ist sie gar kein Spiegelbild.

            »Ich hab nicht Fest, nicht Festes Kuchen,
            Bin in den Tiefen lang verbannt!«
            So spricht sie, möchte ihn versuchen,
            Er reicht ein Stück ihr mit der Hand;
            Er kann es gar kein Wunder nennen,
            Viel wunderbarer ist ihm heut,
            In seinem Kopf viel Lichter brennen
            Und ihn umfängt ganz neue Freud;
            Von seiner Schule dumpfem Zimmer,
            Von seiner Eltern Scheltwort frei,
            Umfließet ihn ein sel'ger Schimmer,
            Und alles ist ihm einerlei.

            Sie faßt die Hand, dem Knaben schaudert,
            Sie ziehet stark, der Knabe lacht,
            Kein Augenblick sein Mut verzaudert,
            Er zieht mit seiner ganzen Macht,
            Und hat sie kräftig überrungen
            Die Königin der dunklen Welt,
            Sie fürchtet harte Mißhandlungen
            Und bietet ihm ihr blankes Geld.
            »Mag nicht Rubin, nicht Goldgeflimmer«,
            Der starke Knabe schmeichelnd spricht,
            »Ich mag den dunklen Feuerschimmer
            Von deinem wilden Angesicht.«

            »So komm zur Kühlung mit hinunter!«
            Die Königin, ihm schmeichelnd, sagt,
            »Da unten blüht die Hoffnung bunter,
            Wo bleichend sich das Grün versagt.
            Dort zeige ich dir große Schätze,
            Die reich den lieben Eltern hin,
            Die streichen da nach dem Gesetze,
            Wie ich dir streiche übers Kinn.«
            So rührt sie seiner Sehnsucht Saiten,
            Die Sehnsucht nach der Unterwelt,
            Gar schöne Melodien leiten
            Ihn in ihr starres Lagerzelt.

            Gar freudig klettert er hinunter,
            Sie zeigt ihm ihrer Adern Gold,
            In Flammen spielt Kristall da munter,
            Der Knabe spielt in Minnesold.
            Er ist so gar ein wackrer Hauer
            Mit wilder Kühnheit angetan,
            Hat um sein Leben keine Trauer,
            Macht in den Tiefen neue Bahn,
            Und bringet dann die goldnen Stufen
            Von seiner Kön'gin Kammertür,
            Als ihn die Eltern lange rufen
            Zu seinen Eltern kühn herfür.

            Die Eltern freuen sich der Gaben
            Und sie erzwingen von ihm mehr,
            Viel Schlösser sie erbauet haben
            Und sie besolden bald ein Heer:
            Er muß in strenger Arbeit geben,
            Worin sie prunken ohne Not.
            Einst hört er oben festlich Leben,
            Den trocknen Kuchen man ihm bot.
            Da kann die Kön'gin ihn nicht halten,
            Mit irdisch kaltem Todesarm,
            Denn in dem Knaben aufwärts wallten,
            So Licht als Liebe herzlich warm.

            Er tritt zum Schloß zum frohen Feste,
            Die Eltern staunen ihn da an,
            Es blickt zu ihm der Jungfraun Beste,
            Es faßt ihr Blick den schönen Mann,
            Im Bergkleid tritt er mit zum Tanze
            Und hat die Jungfrau sich erwählt,
            Und sie beschenkt ihn mit dem Kranze,
            Er hat die Küsse nicht gezählt.
            Da sind die Brüder zugetreten
            Und seine Eltern allzugleich,
            Die alle haben ihn gebeten,
            Daß er doch von dem Feste weich.

            Da hat er trotzig ausgerufen:
            »Ich will auch einmal lustig sein,
            Und morgen bring ich wieder Stufen
            Und heute geh ich auf das Frein!«
            Da hat er einen Ring genommen,
            Vom Gold, wie es noch keiner fand,
            Den hat die Jungfrau angenommen,
            Als er ihn steckt an ihre Hand,
            Dann sitzt er froh mit ihr zum Weine,
            Hat manches Glas hinein gestürzt;
            Spät schwankt er fort und ganz alleine,
            Manch liebreich Bild die Zeit verkürzt.

            Die Lieb ist aus, das Haus geschlossen
            Im Schacht der reichen Königin;
            Er hat die Türe eingestoßen
            Und steigt so nach Gewohnheit hin.
            Die Eifersücht'ge hört ihn rufen,
            Sie leuchtet nicht, er stürzt herab,
            Er fand zur Kammer nicht die Stufen,
            So findet er nun dort sein Grab.
            Nun seufzt sie, wie er schön gewesen,
            Und legt ihn in ein Grab von Gold,
            Das ihn bewahrt vor dem Verwesen,
            Das ist ihr letzter Minnesold.

            Die Eltern haben ihn vergessen,
            Da er nicht kommt zum Licht zurück,
            Und andre Kinder unterdessen
            Erwühlen neu der Erde Glück,
            Und bringen andre schöne Gaben,
            An Silber, Kupfer, Eisen, Blei,
            Doch mit dem Gold, was er gegraben,
            Damit scheint es nun ganz vorbei.
            Die Jungfrau lebet nur in Tränen,
            Die Liebe nimmt der Hoffnung Lauf
            Und meint in ihrer Hoffnung Wähnen,
            Ihr steh das Glück noch einmal auf.

            Glück auf! nach funfzig sauren Jahren
            Ein kühner Durchschlag wird gemacht,
            Die Kön'gin kämpfet mit den Scharen
            Und hat gar viele umgebracht.
            Sie hat gestellt viel böse Wetter,
            Die um des Lieblings Grabmal stehn,
            Doch Klugheit wird der Kühnen Retter,
            Sie lassen die Maschinen gehn;
            Da haben sie den Knaben funden
            In kalten Händen kaltes Gold,
            So hat er sterbend noch umwunden
            Die Königin, die ihm einst hold.

            Zur Luft ihn tragend alle fragen,
            »Weiß keiner, wer der Knabe war,
            Ein schöner Bursche, zum Beklagen,
            Gar viele rafft hinweg das Jahr,
            Doch keiner je so wohl erhalten
            Kam aus der Erde Schoß zurück,
            Denn selbst die flüchtigen Farben walten
            Noch auf der Wangen frohem Glück;
            Es sind noch weich die starken Sehnen,
            Es zeigt die Tracht auf alte Zeit,
            Er kostete wohl viele Tränen,
            Jetzt kennt ihn keiner weit und breit.«

            Die Jungfrau war tief alt geworden,
            Seit jenem Fest, wo sie ihn sah,
            Spät trat sie in den Nonnenorden
            Und geht vorbei und ist ihm nah;
            Sie kommt gar mühsam hergegangen,
            Gestützt auf einem Krückenstab,
            Ein Traum hielt sie die Nacht umfangen,
            Daß sie den Bräut'gam wieder hab.
            Sie sieht ihn da mit frischen Wangen,
            Als schliefe er nach schöner Lust,
            Gern weckte sie ihn mit Verlangen,
            Hier stürzt sie auf die stille Brust.

            Da fühlt sie nicht das Herz mehr schlagen,
            Die Männer sehn verwundert zu:
            »Was will die Hexe mit dem Knaben,
            Sie sollt ihm gönnen seine Ruh.
            Das wär doch gar ein schlimm Erwachen,
            Wenn er erwachte, frisch gesund,
            Und sie ihn wollte froh anlachen
            Und hätte keinen Zahn im Mund.«
            Jetzt schauet sie sein hart Erstarren,
            An dieser neuen Himmelsluft,
            Die Farbe will nicht länger harren,
            Die treu bewahrt der Kön'gin Gruft.

            Hier ist die Jugend, dort die Liebe,
            Doch sind sie beide nicht vereint,
            Die schöne Jugend scheint so müde,
            Die alte Liebe trostlos weint.
            Was hülf es ihr, wenn er nun lebte,
            Und wäre nun ein alter Greis,
            Ihr Herz wohl nicht mehr zu ihm strebte,
            Wie jetzt zu dieses Toten Preis.
            Wie eine Statue er da scheinet
            Von einem lang vergeßnen Gott,
            Die Alte treu im Dienst erscheinet
            Und ist der jungen Welt zum Spott.

            Es mag der Fürst sie nimmer scheiden,
            Er schenket ihr den Leichnam mild,
            Verlaßne möchten ihr wohl neiden
            Ein also gleich und ähnlich Bild.
            Da sitzet sie nun vor dem Bilde,
            Die Hände sanft gefalten sind,
            Und sieht es an und lächelt milde,
            Und spricht: »Du liebes, liebes Kind,
            Kaum haben solche alte Frauen,
            Wie ich noch solche Kinder schön,
            Als meinen Enkel muß ich schauen,
            Den ich als Bräut'gam einst gesehn.«

Der Minister bezeigte bei dieser Erzählung eine ihm ungewöhnliche Rührung; seine Gesellschafter befragten ihn um den Grund, er gab ihnen ganz unbestimmte Antworten. Endlich redete der Kammerjunker zu der Dichterin ganz leise; sie aber schüttelte mit dem Kopfe und sagte: »Es geht nicht.« – »Frei heraus«, rief der Minister, »ich denke, wir sind auf der Reise genugsam mit einander bekannt geworden, um die Scheu alter Verhältnisse aufzugeben; ein Reisewagen muß allmählich zu einem Körper alle Reisenden verbinden, so daß jeder seine gemäßen Funktionen verrichtet; ich will wetten, Ihr habt einmal irgend einen Scherz auf mich gemacht.« – »Da Sie es erraten«, antwortete die Dichterin, »so kann ich es Ihnen nicht verschweigen, liebwerter Landesvater: es ist ein kleines Gedankenspiel, was ich nach allerlei Gerüchten über Ihr Verhältnis zur Fürstin freilich unter veränderten Nebenumständen, und selbst mit mancher Verwandlung, die mir in der Arbeit gut dünkte, damals darstellte, als Sie sich mit ihr nach dem Tode des Fürsten versöhnten.« – »Nun seht Kinder, wie unglücklich ein Minister ist«, sagte der Minister, »selbst das Nächste, was um ihn her geschieht, erfährt er nicht, und soll das Entfernteste im Lande kennen und beurteilen; wahrhaftig, ich glaube, die einzige Art brauchbare Minister einem Lande zu verschaffen, ist die jährliche Ernennung derselben; wenn auch nicht immer die Geschicktesten oben an kommen, so sind sie doch stets wohl bekannt, und eingewohnt in den Verhältnissen des Landes; das mag auch wohl das eigentliche Förderungsmittel der Freistaaten gewesen sein, und in unsern Reichsstädten kam noch hinzu, daß keiner dieser Angestellten so mit Geschäften überhäuft war, um andrem Lebensverkehr und bürgerlicher Nahrung zu entsagen; seht, jetzt kann ich mitten unter Poeten nicht einmal aus meinen Amtsberichten herauskommen; schämt Euch nicht und tragt schnell Eure Sachen vor.« – Nach einigen Umschweifen, nach mehreren Küssen, welche die Dichterin auf die rauhen Backen des Ministers in ihrer kindischen Art gedrückt hatte, holte sie aus ihrer dick angeschwollenen schwarzen Brieftasche, vor der ein geheimes Zahlenschloß lag, ein kleines Spiel heraus, das wir als Darstellung eines wunderlichen ehelichen Verhältnisses hier am rechten Orte finden.

 

Der Ring

 

Ein Gedankenspiel

 

Gartenplatz vor einem Landhause. Morgen

 

1.

 

MUTTER.

    Hab Dank für deinen guten Morgengruß
    Geliebte Sonne in den schwülen Lüften,
    Von dir allein kommt mir noch Liebesgruß,
    Von dir allein mag ich ihn gern verstehen;
    Dich klares Licht, versteht die ganze Welt,
    Die rätselhafte Welt, die trübe, dunkle,
    Es ahndet schon der Schlaf dein froh Erhellen,
    Und atmet deine ersten Strahlen ein,
    Und säumet sein Gewand mit hellen Träumen,
    Und zieht dann schnell die dunkle Hand hinweg,
    Die er noch über die Geschenke breitet
    Der neuen Welt, die aus dem Osten strahlet!
    Zum heitern Morgen dringt ein schnell Erwachen.

 

Sie beschaut die Blumenbeete umher.

 

    Die Blumen stehen frisch, die Luft ist schwül,
    Der Luft verzeih ich's, daß sie sich so drängt,
    Den neuen Segen taumelnd zu empfangen
    Und zittert doch davor in süßer Lust,
    Das ist das Fürchterlichste, was wir lieben.
    Ach warum lieben wir, was furchtbar ist!

 

Sie setzt sich auf eine Bank und lehnt das Haupt auf die Hand.

 

    So bin ich, kaum erwacht, schon wieder müde!
    Wo endet Schlaf? Wann gehet auf das Sehen?
    Wie wird es Tag? Wann löschen aus die Sterne?
    Was grünt zuerst, wo steigt der erste Klang?
    Unendlich tief ist Schlaf, unendlich weit der Morgen!
    Ich schlaf im Wachen und ich wach im Schlafe,
    So ist das Gestern auch zum Heut geworden,
    Dem Auge fern, dem Geiste gegenwärtig;
    Hier saß ich gestern abend, schrieb im Sande
    Und fuhr erschrocken auf, was ich geschrieben,
    Das, weiß ich, hatt ich nimmermehr gewollt.
    Was da mein Stäbchen spielend hingezeichnet,
    Der Morgenwind hat's sorglich ausgewehet,
    Weil's unvereinbar ist mit meiner Ruhe.

 

Sie sieht zum Himmel.

 

    Die graue Wolke steigt im Sonnenschein
    So hellbesegelt wie ein Schiff im Blau,
    Der trübe Dunst wird Licht im Sonnenauge:
    Der Sonne Malerblick weiß alles zu verschmelzen,
    Aus Meer und Wolken zieht sie helle Strahlen,
    In träger Nacht die Geisterwelt zu malen;
    Ganz unbemerkt entfaltet sich das Schöne,
    Unendlich ward ein Frühling allen Sinnen.
    Die Tage sind jetzt liebliche Geschwister,
    Die jüngern stets dem Mutterherzen lieber,
    Sie sprechen nach, was jene ältern fragen,
    Sie haben noch was Süßeres zu sagen,
    Ein schöner Morgen ist des Frühlings Frühling,
    Es wacht da alles auf, was je gelebt,
    Und wär's im tiefsten Herzen fest verschlossen.

 

Sie geht unruhig umher.

 

    O Sonne, Mutter zahllos lieber Kinder,
    Warum bin Mutter ich und ohne Kind?
    O Sonne, einen Augenblick zum Beten!
    Du willst es nicht, die Augen gehn mir über.

 

Sie hat in Gedanken Blumen gebrochen, und sie ins Gesicht gedrückt.

 

    Wie verlieren sich die Blätter
    Wunderbar in Flammenlicht,
    Drinnen haucht ein kühlend Wetter,
    Drück ich sie ins Angesicht;
    Alle die Blumen sind ohne Harm
    Nur die rote Rose nicht,
    Sie sticht!
    Sticht, wie die liebe Sonne so warm,
    Mai ist ohne die Rose nur arm,
    Mai ist ohne die Rose nur Qual –
    Ihr stillen Gründe, du einsam Tal.

 

Sie vertieft sich allmählich abgehend mit dem Gesange in den Garten.

 

 

2.

 

Vater und Kind

beide in Kriegskleidern, das Kind sieht sich um und läßt den Vater oft allein, daß er vor sich sprechen kann, ohne von ihm gehört zu werden

 

VATER.

    So ist des Unglücks und der Klugheit Fluch,
    Daß sie uns unterwerfen leerer Furcht!
    Wie schaudernd hemmt der Boden meine Eile,
    Ein Schritt, ein Druck der Hand, ein Wort, wie leicht,
    Wie schwer, wenn unser Schicksal daran hänget;
    Der Überraschung Wunder sind die größten.

KIND.

    Es wird so schwül, wir gehen doch nicht weiter?

VATER.

    Nein, lieber Sohn! – Wir sind schon allzu weit –
    Vielleicht zu weit, um leicht zurück zu kehren.
    Zum Ufer wallt, vom Ufer sinkt die Woge,
    Was zog mich her, was weist mich nun zurück?
    Mich stößt zurück, was lange mich gezogen.
    O sie war schön, ich find für sie kein Bild,
    Nach ihr möcht ich die ganze Welt mir bilden,
    Die ohne sie ein wüstes Chaos blieb.
    Ich soll sie wiedersehn, wie meine Jugend!
    Wie rätselhaft, was unsre Jugend füllt
    Und wie so deutlich, was das Alter schwächt,
    Es will vergüten, was die Jugend fehlte.
    Ach Jugend macht die Jugend einzig gut!
    O meine Jugend, wie bist du entschwunden
    In steter Arbeit, wie ein trüber Nebel,
    Der unter sich das frohe Grün ertötet,
    Er will es nicht, doch so ist seine Liebe.

 

Nach einer Pause.

 

    Es ist zu viel! Die tiefe Not ich trug,

    Und schwindle, da mich trägt ein neues Glück,

    Ein beßrer Lebensmut und reiner Wille!

    Ich steh im Vaterland, vor meiner Schwelle,

    Hier eingewiegt, als Knabe eingespielet,

    Mit Todesmut als Jüngling eingeschworen,

    Mit Liebesglut auf ewig eingebrannt,

    Wo Liebe noch mich eingewurzelt hält,

    Der ersten Liebe gleich durchwachsne Rosen,

    Dies ew'ge Band aus Lust und Schmerz gewoben,

    Wie wird mir hier so wohl und auch so weh.

    Ha, wo das Herz der Liebe Haus erbaut,

    Da haust es ewig, läßt sich nimmer bannen;

    Hier lebte ich und war ich fern und ferner,

    Hier wachte ich an dieser heil'gen Schwelle,

    Wie Traum bewacht der heil'gen Unschuld Schlaf,

    Und träumend kehr ich heim zu Jugendfreuden.

    Sag's frei heraus mein Mund, was lang gedacht,

    Sich doch in des Gehirnes Falten decket,

    Was meine Jugend füllt, war unerschöpflich,

    Doch nun ich alt, da seh ich bald den Grund

    Und halt zusammen, was ich sonst verschwendet.

    Gesteh dir alles ein, mein fester Sinn:

    Dort stehet noch das alte Storchennest

    Hoch übern Schornstein künstlich frei erhöht,

    Das unserm Hause ehlich Glück sollt bringen,

    Jetzt bringt es mir so manche Nachgedanken.

    Es ist dasselbe Nest, ist's auch der Storch?

    Ist nicht der alte Storch noch müd und ferne,

    Ein jüngerer hat ihm das Nest geraubet?

    Was hülf's dem Storch, wenn er das Nest nun findet,

    Und findet es erwärmt von andrer Lust,

    Und fänd er's kalt und könnt es nicht erwärmen?

    O welche Glut ist noch in meinem Mute,

    Und doch, ich fühl mich kalt, indem ich glühe,

    Denn zu viel Möglichkeiten sind in mir.

KIND.

    Du sprichst vor dir und schauest dich nicht um,

    Es ist mir hier, als wär ich hier zu Hause;

    Hier find ich Milch und Frucht, darf ich wohl essen?

VATER.

    Genieß mit Freuden, Milch und Frucht sind dein,

    Und wunderlich erschöpft ein nächtlich Wandern. –

    Wo hat mich Frucht von müheschweren Jahren,

    Wo hat die Milch der Hoffnung mich erquickt,

    Wo hat die Freude mich zum Tanz beflügelt,

    Was ist Gesundheit eines öden Sinnes?

    Nur in dem Kind allein, wie es sich nährt,

    Bewußtlos in die Welt so herzhaft fühlt,

    Da hol ich nach, was ich versäumte trotzend.

    Ich seh ihm gerne zu, wie er sich macht,

    Und wie er reift, sich selber zu erkennen;

    Ich hatte viel in diesem edlen Kinde,

    Ein lebend Bild von der verlaßnen Frau,

    Ich bin ihr nah, es will mir ganz genügen;

    Mich fühlen ganz und froh, ich kann's nicht fassen.

    Mir ist's, als wär ich für mein Glück zu schwach,

    Was hilft ein volles Mahl im Hungertode,

    Der Eltern Segen Liebesterbenden!

KIND.

    Du klagst ja Vater, kann ich dir nicht helfen?

VATER.

    Ich klage nicht, ich freue mich nur anders;

    Wer sich nicht arm stellt, kriegt vom Glücke nichts,

    Ganz heimlich sammle ich den Schatz der Not.

    Doch helfen kannst du mir. Bist du noch müde?

KIND.

    Ich bin bereit, ich springe ja schon weiter.

VATER.

    Wo willst du hin? Hast du es schon vernommen.

KIND.

    Ich dacht, wir müßten eilend weiter ziehen.

VATER.

    Noch nicht; was willst du denn schon fort von hier,

    Wie, sollte das mir gar ein Zeichen sein?

    Hör zu, du sollst mir etwas Wertes holen:

    Du siehst den duftbelegten Wiesenplan,

    Die Sonne atmet in die Welt so warm,

    Das helle Meer läuft zitternd himmelan,

    Und scheinet mit dem Himmel schon zu leben,

    Und ferne heben sich die Wolkenfelsen,

    Als wollten sie sogleich darauf gewittern;

    Bist du nicht bang allein dahin zu gehen?

KIND.

    In freier Luft hab ich mich nie gefürchtet.

VATER.

    Kömmst du hinaus nun über jene Wiesen,

    So geh zum vögelklingenden Gehölze,

    Dann findest du dich bald am weißen Felsen,

    Der jähe wie vom Meer zurückgeschreckt,

    Halb zweifelnd, ob er sich hinein soll stürzen,

    Das Ende einer Welt bezeichnen mag;

    Zerstörung nagt darin in Wind und Wettern.

KIND.

    Du warst wohl lange hier, daß du den Ort

    Mir also deutlich stellest vor die Augen,

    Als hätt ich ihn in alter Zeit gesehen.

VATER.

    Wohl war ich hier! Jetzt höre mit Bedacht.

    Auf diesem Abhang steht ein Myrtenstrauch;

    Erst war er klein, nun ist er sicher groß,

    Den reiße aus mit allen seinen Wurzeln,

    Denn unten liegt ein Schatz, den bringe mir.

KIND.

    Kaum halt ich mich! Ich hob schon manchen Schatz,

    Der in der Erde neidisch war versteckt.

VATER.

    Viel alte Scherben, die du heilig ehrtest.

KIND.

    Du weißt es nicht, wie ich sie angesehen.

VATER.

    So halte heilig, was du dort gefunden;

    Du Leichtsinn weißt doch noch den Ort zu finden?

KIND.

    Wohl weiß ich Wiese, Busch, den Fels, die Myrte.

VATER.

    Du kannst nicht fehlen, ferne wirst du hören

    Ein schwärmerisch entsetzlich Klagen von den Vögeln,

    Die schwarzen baden sich im Meer, um weiß zu werden,

    Die weißen baden sich darin, um sich zu schwärzen,

    Vergebens, schwarz wird schwärzer, weiß wird weißer,

    Die höre ja nicht an, sieh auch nicht nieder.

    Der Boden wölbt sich, daß du überm Meere

    Ganz ohne Rettung hoch zu schweben scheinest,

    Und von dem Luftstrom eingesogen wirst,

    Da siehe ja nicht hin, verricht dein Wesen,

    Denn mit geheimer Sehnsucht füllet sich das Herz

    Der Jugend nach des Meeres blauen Hügeln,

    Und jede Welle glänzt im Waffenschmuck besonnet,

    Den jungen Führer huld'gend zu begrüßen.

KIND.

    O Vater, wo du bist, da ist mein Hoffen.

VATER.

    Recht gut, mein Kind, doch hör mich jetzt auch                                                      aus.

KIND.

    Ich weiß schon alles, alles bring ich dir. Ab.

VATER.

    Fort ist er. Wie er leicht den Boden rührt,

    Es ist, als wär er nicht von dieser Welt,

    Und noch so kindisch ist sein ganzes Wesen,

    Doch immer wie in einem andern Sinn.

    Der Blumenstrauß von seiner Hand gebrochen,

    Er ordnet sich geheimnisvoll in Farben,

    Recht wie ein Regenbogen andrer Art,

    Darob die Leute staunend sich erfreuen

    Und wissen nicht, was sie so tief entzückt.

    Ich will es nicht und muß ihn oftmals kränken,

    Er sagt es nicht und darum muß er leiden;

    Mich treibt's zu oft, das Schmerzliche zu fühlen,

    Das Bittere zu sagen, weil das Stumme,

    Das Stumpfe mich viel bittrer quälen kann;

    So fühl ich mich ganz hingerissen jetzt,

    Ganz lebhaft jener Vögel Ton zu denken,

    Viel widriger als irgend Scharren, Reißen;

    Es ist der Mißlaut, der zum Leben worden,

    Verruchte Wollust, Lachen nicht, kein Klagen,

    Jetzt mußt du weichen, du verruchter Mißlaut.

 

Er geht unruhig auf und nieder.

 

    Wie alle Lebensalter in mir schwanken,

    Und keines kann sich meiner ganz bemeistern,

    Ein Kindskopf bin ich oft mit weißen Haaren.

    Als ich mein Schwert am Hochzeittag begraben,

    Dort unterm Myrtenbaum beim Vogelschreien,

    Da freute meine Jugend dieses Schrecken,

    Denn das vollendete zum Mann mein Wesen.

    Was mich zur sicheren Gestalt umflossen,

    Der Lebensquell, den rings die Welt ergossen,

    Hat mich umsteinet, daß ich so viel Fremdes

    Bewußtlos wie mein Eignes brauchen muß.

    Es ist der harte Stein, der mich umschlossen,

    Wenn ich bewußtlos einem wehe tue,

    Denn wo ich's weiß, da mag ich's gern vergüten.

    Hier muß ich viel vergüten und entschuld'gen,

    Und wenig kann ich ihr zum Troste sagen,

    Wird sie dies wenige auch wohl beachten?

    Sie wird's. Sie wird entschuld'gen mich und deuten,

    In ihrer Sehnsucht werd ich schuldlos sein;

    O wie sie mich geliebt, so liebt doch keine.

    Wer kommt da? Pochst du nicht, mein ahndend Herz,

    Du fühlst wohl nicht genug, bist du so tot!

    Was hast du dich denn taglang so gestellet,

    Als wenn nichts Schönres dir begegnen könne.

    Sind's dreizehn Jahre, daß ich sie nicht sah?

    Mir ist wie gestern! Langsam gehn die Stunden,

    Wenn unser Leben fiebernd stille steht,

    Und doch vergeßlich wie der Glocken Töne,

    Wenn Lust sie nicht zu Melodieen band:

    Ein Augenblick umschloß die Ewigkeit,

    Und dreizehn Jahre werden Augenblicke!

    Wer sieht der Flur wohl an vergangne Jahre,

    Wenn sie den Frühling noch am Busen trägt,

    Entgegen, entgegen mit offener Brust,

    Mit klopfendem Herzen der nahenden Lust. Hält inne.

    Nein, so bezwingen soll mich selbst die Freude nicht,

    Erst hör ich, was sie mit sich selber spricht.

 

 

3.

 

MUTTER kommt langsam ohne den Vater zu merken.

    Woher der wunderbare Knabe war?

    Er grüßte mich und eilte dann vorbei.

    Ach Mutterherz, ach wär doch so dein Sohn!

    Und ich war so betäubt vom Angedenken,

    Daß ich mit keinem Wort ihn hergeladen.

    Was trieb mich heute auch zum Myrtenstrauche;

    Da war es geistig und erinnernd voll

    Von schmerzlich wandernden Gedankenreihen,

    Als zög vor mir ein Trauerchor vorüber.

    Da war es, wo ich mit dem Manne stand,

    Wo er in töricht leerer Eifersucht,

    Daß ich vor ihm, eh' ich ihn jemals kannte,

    Schon einen Jüngling herzlich angeblicket,

    Sein Schwert ergriff, und mir den Arm verletzte,

    Den ich zum Schutze ängstlich vorgehalten,

    Wohl seh ich noch die fast verwachsne Narbe.

    Als da mein Blut fiel rot auf weißen Stein,

    Ergriff ich einen Myrtenstrauch zur Stütze

    Und flehete vom Himmel, mein vergessend,

    Ein Kind so rot wie Blut, so weiß wie Schnee,

    Daß meines Mannes Liebe wieder mein! –

    Mir ward Gewährung, doch die Eifersucht

    Des harten Mannes raubte es sogleich,

    Es ist gestorben, lieget dort begraben;

    Ob er es umgebracht, ich glaub's gewiß

    Aus mancher Rede zweifelhaftem Sinne,

    Auch mit dem Kind wollt er die Lieb nicht teilen:

    Ach auch die Liebe wird im Schlechten schlecht,

    Und mit Entsetzen schied ich mich vom Manne,

    Verzweifelnd ging er in die Welt hinein.

 

Sie geht zu ihrem Tische.

 

    Ein Wandrer hat das Frühstück mir verzehrt,

    Er ahndete, daß mir heut weh ums Herz.

    Da steht ein Fremdling, ist's der wohl gewesen,

    Es ist nicht recht, doch litt er sicher Not.

    Hör Wanderer, du scheinest zu erwarten,

    Daß ohne Bitten ich dir geben soll,

    Weil du schon nahmst, auch ohne anzufragen?

VATER vor sich.

    Sie kennt mich nicht, ihr himmlischen Naturen,

    So hat auch Gott die eigne Welt vergessen,

    Und dieser Gruß war sicher nicht der rechte:

    Dem Elend steht das Unglückshaus sonst offen,

    Ha ich will zeigen, daß ich Herr im Hause.

    Laut: Ja wohl wir sind nur Wanderer auf Erden.

MUTTER.

    Wie, sprachest du im Augenblick mit mir?

    Wie muß ich doch dabei so weithin denken.

    Du kommst zur guten Stunde; willst du bitten,

    So bitte, was dir gründlich könnte helfen;

    Bedarfst du eines Kleides, bitte frei,

    Ein gutes Mahl ist obenein bereit.

VATER.

    Ich bitte viel, ich bitte dich zurück;

    Die Stimme kanntest du, verkenn mich nicht.

MUTTER.

    Wie ist mir, nehmt ihr Büsche hier Gestalt,

    Ist dies ein Seegesicht aus leerem Dunst?

    O Gott! kann ich die Stunde überleben,

    Bist du der Geist des zornig wilden Mannes?

VATER.

    Begegne auch dem Geiste liebevoll.

MUTTER.

    O nein, du bist es nicht, dein Zorn schlägt Falten

    In deiner Stirn, du dürftest ja nicht zürnen.

VATER.

    Die Falten, die der Zorn sonst stürmte

    Vorübereilend auf der glatten Stirn,

    Die pflügte später ein des Irrtums Gram,

    Daß Weisheit legt darin den reichen Samen.

MUTTER.

    O Weisheit sprich, wer soll dich denn nun ernten,

    Da du so viele Jahr zum Säen brauchst.

VATER.

    So nimm mich hin, du reiche Erntegöttin,

    Und heb die Garbe auf zur vollen Brust.

MUTTER.

    Du rührest mich, wie bist du alt geworden,

    Und suchest nun, was du so lang verschmähet.

VATER.

    Nun bring ich dir die Liebe ungeteilt,

    Die einst so reich auch mehreren genügte;

    O fänd ich deine Lieb auch ungeteilt.

MUTTER.

    Du sprachst von Weisheit erst und nun von Liebe.

VATER.

    Ich glaub an beide, möchte sie vereinen,

    So wird mir die vergeßne Freude wieder.

MUTTER.

    Nicht unsrer frohen Tage kann ich denken.

VATER.

    Ach ohne sie wär mein Gedächtnis Nacht.

MUTTER.

    Und doch bist du im Überdruß geschieden,

    Kein lebend Band ist zwischen uns geblieben.

VATER.

    Vielleicht war dies des Himmels klügster Segen,

    Der uns das Kind in der Geburt entriß,

    Denn damals waren wir noch unvereinbar,

    Und Feuer würd in ihm mit Wasser zischen

    Und was das Schlimmre sei, das würd sich zeigen.

MUTTER.

    Laß uns, wie du's gewollt, geschieden bleiben.

VATER.

    Ich kann nicht, was ich will, ich will nur, was

    Ich kann – wir sind gesetzlich nie geschieden.

MUTTER.

    Bereitet bin ich nicht so ernst zu reden,

    In weicher Lässigkeit lebt ich die Zeit,

    Mein Anwalt wird dir leichtre Auskunft geben,

    Ich sage dir, ich laß mir nicht gebieten,

    Wie ich es einst als kind'sches Mädchen litt.

VATER.

    Sei unbesorgt, ich lernte mich nun beugen,

    Und beugen oder brechen muß das Herz.

MUTTER.

    Ich sage dir, ich hab mich sehr verändert,

    Mein ganzes Innre hat sich selbst befestigt,

    Seit ich mich keinem Menschen hingegeben.

VATER.

    Ich bin so sanft, daß ich dich fast bewundre.

MUTTER.

    Doch ist der Trotz dir ins Gesicht geschrieben

    Mit deiner Augen ungelöschtem Feuer;

    Wer Schiffbruch litt, der trauet nicht dem Meere.

VATER.

    Der Kluge fährt am liebsten mit dem Strome.

MUTTER.

    Wie lebtest du, sei dies für mich ein Zeichen.

VATER.

    Ein traurig Zeichen, denn ich lebte traurig.

MUTTER.

    Dich zu verstehn, von dir verstanden werden,

    Es wär mir wert, du würdest dann mich ehren.

VATER.

    Es ist zu hart, daß du die Ehre forderst,

    Du hättest sonst den Stolz wohl nicht gehabt,

    Ich hätte dir den Stolz sonst nicht verziehen,

    Und du erhöhst den Preis des Buchs Sibylle,

    In welchem meine Liebe eingetragen,

    Nachdem du immer mehr davon verbrannt.

MUTTER.

    Nach alter Art wirst du unheimlich, Freund.

VATER.

    Erst mache heimisch mich in diesen Wänden,

    Ich sehe dieses Haus so wohl erhalten,

    Kein Stein ist unersetzt vom Dach gefallen,

    Das ist doch sonst der Frauen Sache nicht.

MUTTER.

    Wie schweifet deine Rede also fern.

VATER.

    Weil mich die Nähe läßt so unbequem;

    Ist hier ein Hausfreund, dem ich Gruß muß bringen,

    Der meine Stelle hat bisher verwaltet?

MUTTER.

    Ich wünschte, jede Sorg wär so zu lösen;

    Du hast von aller Lieb mich abgeschreckt,

    Auch litt dies nicht die Unabhängigkeit,

    Du warst der einzige, dem ich einst traute.

VATER.

    Vertraue noch, laß uns das Glück versuchen,

    Ob es in diesem Haus sich wieder finde.

MUTTER.

    Vertrauen läßt sich tauschen, nicht versuchen.

VATER.

    So tausch erst aus den Argwohn mit der Hoffnung,

    Laß uns wie Fremde erst hier wieder hausen,

    Die nur Geselligkeit zusammenknüpft.

MUTTER.

    Die je sich nah, die werden sich nicht fremd.

VATER.

    O erstes Wort, das schön wie deine Lippen;

    Bald wird es heiter um uns sein,

    Wo deine Augen hellend hingewendet.

MUTTER.

    Mein lieber Freund, versprich dir nicht zu viel.

VATER.

    Dem Schönsten sammelt sich das Schöne gern,

    Vor deinem Tempel sinkt der Unruh Fluch,

    Die mich wie Furien umhergetrieben,

    Und diese Bäume scheinen mir die Schlangen,

    Die sich schon schlummernd an die Tür gelegt.

MUTTER.

    Du fabelst ja wie in der alten Zeit.

VATER.

    Die Tauben schweben girrend noch zum Giebel,

    Dann auf die Linde, die uns auch gewiegt,

    Das Meer rauscht noch mit seinem blauen Wasser;

    Doch eine nur ist aus dem Meer gestiegen,

    Ihr hab ich in der Luft ein Schloß gebaut,

    Und find sie nun im eignen Hause wieder;

    O dieser schönen Menschlichkeit in Göttern.

    Du lächelst meiner künstlich feinen Rede,

    Ach wie so modisch neu ist mir die Freude!

MUTTER.

    Du hast kein freundliches Geschick erfahren,

    Doch ist dein Ruhm so groß, dein Einfluß würdig,

    Daß viele Frauen mir den Glanz beneiden,

    Den mir dein Name aller Orten leiht;

    Doch seh ich dich, ich kann es nicht begreifen,

    Wie du Millionen Menschen führen magst.

VATER.

    Ich wirkte auswärts, um mir zu entfliehen,

    Regieren war das Schwerste nicht im Leben,

    Die eigene Befried'gung fehlte mir:

    Ach wem das Beste fehlt, dem fehlt's an allem.

MUTTER.

    Du sprichst wohl herzlich – doch du bist ein Staatsmann.

VATER.

    Ein guter Staatsmann sei das Herz vom Staate,

    Das gleich verteilt das Leben allen Gliedern,

    Und selber in der sichern Mitte thronet.

MUTTER.

    So warst du in Geschäften gut zu Hause,

    Was willst du nun in dieser stillen Hütte?

VATER.

    Nein, ich war nirgends, nirgends mehr zu Hause,

    Selbst der Geschäfte Reiz schwand meinem Sehnen,

    Das Neue konnte mir nur reizend scheinen,

    Die goldene Alltäglichkeit war nichts;

    An mich wollt sich Gewohnheit nicht gewöhnen,

    Was mir gewöhnlich ward, schien mir zuwider.

MUTTER.

    Bald würde dich bei mir dasselbe quälen,

    Der Überdruß, wie einst in ferner Zeit.

VATER.

    Warum ist mir denn jenes blaue Zimmer,

    In dem wir schliefen, stets noch in Gedanken,

    Das wir mit manchem Spielzeug angeordnet,

    Mit mancher Inschrift, manchem kleinen Bild,

    Das rätselhaft den Fremden, uns verständlich,

    So daß wir stets geheime Sprache führten;

    Oft wähnte ich im fernen Land erwachend,

    Vom Traum getäuscht, ich läg in deinem Zimmer,

    Ich läg an deiner Seite, holde Frau.

MUTTER.

    O sieh an dieser Glut in meinen Wangen,

    Ob ich die gute Zeit nicht ganz gefühlt.

VATER.

    Was ich seitdem bewohnt, sind wilde Höhlen,

    So ganz verhaßt durch einsam wache Nächte.

    Ich mochte sie nicht schmücken und nicht ordnen,

    Daß ich nicht außen fänd, was in mir fehlte;

    Erinnerung lag fern und unerreichlich,

    Und Reue folgte mir, daß ich's verscherzt,

    Was meines wahren Lebens Ernst und Sinn;

    Für wen ich sorgte, wußt ich nicht zu sagen,

    Und was ich tat, das war voraus mir Sorge.

    Ich hatte Furcht und sollte Zutraun wecken,

    Verantwortung ruht schwer auf dem Gesandten,

    Doch schwerer auf dem waltenden Minister,

    Vertrauen darf ihn nimmer unterstützen,

    Er muß es brauchen, aber nimmer teilen.

MUTTER.

    Er muß es brauchen, aber nimmer teilen,

    Und die Gewohnheit sollte dir nicht bleiben?

VATER.

    O lehr mich nicht, noch an mir selber zweifeln;

    Ich mußte vieles tun, was ich nicht glaubte.

    Ja kommt man heim mit Orden, goldnen Dosen,

    Da scheint es leicht, das schelmische Geschäft,

    Im ruh'gen Land ein innrer Feind zu sein.

    Als Schlange mußt Geliebte ich belauschen

    Der Liebe Schein auch zwischen drängend nehmen;

    Der Freundschaft hingegebne Worte nutzen,

    Was ich für mich, beim Himmel, nie getan.

    Gesellschaft, die ich haßte, mußt ich wählen,

    Und die gemütlich mir, kaum heimlich sehen,

    Ein Kartenspiel aus bloßer Ehre suchen,

    Die Nacht vergähnen, Morgen zu verlieren,

    Und reden, wo ich lieber schweigen mochte.

    So wurden beßre Menschen selbst zu Schatten,

    Die der Erscheinung regelrechte Stunden halten,

    Sonst ließ sich nichts von ihnen weiter fordern,

    Und bin ich nicht im Innern ausgestorben,

    So war's die Lieb zu dir, die mich erhielt.

MUTTER.

    O leugne nicht, da ich's dir leicht verzeihe,

    Ich kenne dich und deiner Treue Sinn.

VATER.

    Du weißt es, liebes Weib, dir log ich nie,

    Bedürfnis, Lust, die habe ich befriedigt,

    Doch dir blieb stets getreu mein liebend Herz;

    Es schweigt das Herz in jenen höhern Kreisen,

    Und bleibt sich selber einzige Gesellschaft;

    Der Staat allein schließt da des Umgangs Band,

    Für ihn ertrug ich selbst Beleidigung,

    Damit nicht Streit zur Unzeit ihn verflechte,

    Und dieser Staat, oft konnt er mich nicht schützen,

    Und was das Liebste, mußte ich ihm opfern.

MUTTER.

    O Gott, wie elend müssen sein die Völker,

    Daß solche Schande nur ihr Leben fristet.

VATER.

    Verwirf nicht rasch, was du so wenig kennst,

    Denn du verwirfst auch mich, noch wirk ich drin,

    Wenn gleich mit traurig plagenden Gedanken.

    Was gibt dir Sicherheit und Wohlstand hier,

    Da rings Verheerung, Mord und Brand bei andern Völker,

    Aufopfrung ist was wert! Würd mir wie Menschen,

    Wie andern Menschen wohl, nur einmal wohl,

    Ich hätte nicht die Kraft mich los zu reißen,

    Ich bliebe ruhig, ließ der Welt den Lauf;

    Auch meine Unruh muß dem Staate dienen.

MUTTER.

    Hat nicht die Welt den Lauf nach Gottes Willen,

    Ich kann's nicht sagen, was ich innen fühle,

    Und weiß doch auch gewiß, ich habe recht;

    Nicht Menschenklugheit gibt der Welt den Frieden,

    Ihr müßt begeistert sein, es kommt von oben,

    Von außen kommt doch nur Vergänglichkeit.

VATER.

    Ha du gehörest auch zu jener myst'schen Welt,

    Die ich in Musenalmanachen merkte.

    Mein Kind, was Völker bildet und beherrscht,

    Ist nicht, was unbestimmt der Mund kaum lallet,

    Und wär's das Herrlichste, es ist nicht unser,

    Es spricht zur Zukunft erst und bildet sie;

    Die gegenwärt'ge Not will gegenwärt'ge Kraft,

    Die ganz gemeine, die in jedem wohnet,

    Sie zu ergreifen, ist des Herrschers Geist,

    Und sie zu lenken, dient des Staatsmanns Klugheit.

    Ist Menschenklugheit denn nicht Gottes Gabe?

    Wie sind Sie doch so altklug hier geworden?

    Weil Sie allein, drum widersprach auch niemand;

    Wo blieb das Schweigen, hört ich doch so gern

    Die lieben Worte: Ich versteh es nicht.

MUTTER.

    Und wie so kalt, wie steinern werden Sie!

    Wie hatt ich sonst von Ihrem Geiste Meinung,

    Und sprach schon nach, was ich noch kaum vernommen,

    Und jetzt verstehen Sie mich gar kein Wort.

VATER.

    Ach die sich lieben, müssen sich verstehen,

    Ist dieses nicht mein Arm, die Stimme mein,

    Ich bin derselbe, aber Sie sind anders.

    Bei Gott, ich übte doch die höchste Sanftmut,

    Was half es mir, ich fand nur Widerspruch,

    Kann Mund zum Mund sich finden, wo die Worte,

    Wie Pfeile sich in dunkler Nacht durchkreuzen:

    Nicht lieben, streiten läßt sich nur darin.

MUTTER.

    So wollen wir mit Vorsicht weiter reden

    Und klug vermeiden, wo uns Meinung scheidet.

VATER.

    Soll Mann und Frau nicht eine Seele sein,

    Die schlimmste Scheidung ist die Scheidung der Gedanken;

    Im Staatsamt bin ich klug, da brauch ich Vorsicht,

    Hier such ich offne Arme, offnen Sinn.

MUTTER.

    Jetzt suchen Sie, was Sie verschmähet haben.

VATER.

    Laß dir erklären, wie es damals kam,

    Daß ich so leicht von dir mich trennen konnte:

    Ha deine Liebe trieb mich aus zur Tat,

    Wie köstliche Musik zu einem Tanze,

    Worin Musik und Takt dem Ohr verschwindet;

    Ich hab gewirkt mit allen meinen Kräften,

    Doch Sie, Sie haben sich in der Musik

    Vertieft, die stets aus Ihnen strömt mit Lust,

    Sie waren, ach zu lang, mit sich allein,

    Vernehmen auch kein Wort, was ich hier sage,

    Sie sind in eines schweren Zaubers Bann,

    Der Eigensinn hat Sie so fest umschlungen,

    Sie sind die Meine nicht, Sie sind nun seine Frau.

MUTTER.

    Es ist vorbei, ja ganz vorbei auf immer,

    Es war doch alles nichts, ich merkt es gleich.

    Ich bin aus Ihrer Sklaverei, ich lieb Sie nicht,

    Aus meinen Augen fort, Sie tun mir weh:

    Es ist der letzte Kummer, den ich leide.

VATER.

    Ja wohl vorbei, ja ganz vorbei auf immer,

    Ich war getäuscht von dieser lieben Hülle,

    Bewahrte lang die falsche Münze auf.

    Nun ich sie brauchen will, da seh ich erst

    Der goldne Überzug zerrieb sich schon,

    Ich sehe klar, daß ich damit betrogen,

    Und den geliebten Schatz muß ich verwerfen.

    Soll ich vernichten, was mich so getäuschet?

    Und werf ich ihn mit rascher Hand ins Meer,

    Ich könnte später an der Falschheit zweifeln;

    Nein ich bewahr Sie, mich zu überzeugen,

    Wie hoch mein Glauben überm Leben stand.

MUTTER.

    Wie stimmen Ihre Reden schlecht zusammen,

    Ei wie geziemt sich das bei ihrer Klugheit,

    Die mir vorher so ganz ergeben sprach.

VATER.

    Das war mein Spott, ich wollte Sie versuchen,

    In unserm Alter ist die Liebe Spott.

MUTTER.

    Das wollte ich; so überwiesen ganz,

    So ganz beschämt sollt einst ein Staatsmann,

    Vor mir, vor einem Weib in Torheit stehen;

    Sie glaubten einen Augenblick mich zärtlich,

    Ihr Angedenken ist in mir verflucht.

    Getäuscht zu sein, ist Ihre höchste Strafe,

    So hören Sie mich jetzt, Sie sind getäuscht. –

    Ihr holden Blumen, ach verzeiht den Zorn,

    Ich fühl mich schlecht in diesem Augenblicke,

    Doch ist's der letzte, den ich so verbringe,

    Und wie der Schall der Worte schnell verrauscht.

    Verzeih es Luft, du bist schon allzu schwül,

    Gewittervoll, daß ich kaum atmen kann,

    Und bin ich schuldig, treffe mich der Blitz.

    Jetzt hören Sie die letzten Worte an.

    Was Ihre Absicht war an diesem Tage,

    Die Sie so weit zu mir hieher geführt,

    Ich weiß es nicht, ich kann es nicht erraten.

    Es ist vergebens jegliches Bemühen,

    Und mit dem Ring, den ich vom Finger nehme

    Und werf ihn in die freie weite Welt,

    Ist jedes Band gelöst, was noch Erinnerung hielt:

    Wir sind geschieden und es sei für immer.

VATER.

    Wir sind geschieden und es sei für immer.

    Vertrauend baut sich an der Mensch in Jahren

    Ein kleines Haus zu seines Alters Schutze,

    Die Erde bebt, zerstört's im Augenblick,

    Auf seinen kahlen Scheitel fällt der Regen,

    Doch auch die Sonnenstrahlen, die ihn wärmen.

    Ich fühl mich ruhig, ich verliere nichts,

    Nur der ist frei, den nichts auf Erden hält.

 

 

4.

 

KIND kommt mit einem Schwerte und einem Myrtenzweige und findet den weggeworfenen Ring.

    O Vater, sieh den schönen Ring recht an,

    Ich fand ihn in dem Lilienkelche schweben,

    Es ist ein Schlänglein, das in Schwanz sich beißt,

    Ein roter Stein blitzt herrlich aus den Augen.

    Ach daß am Ring kein Anfang und kein Ende,

    Sonst würd das schöne Tier wohl auch noch gehen,

    So kunstreich ist es durch und durch gebildet,

    Und scheint aus ganz lebend'gem Gold gedreht.

    Du siehst so heftig, Vater, und du sprichst kein Wort,

    Du schiltst doch nicht, daß ich so lang geblieben,

    Es war kein Schatz am Myrtenstrauch zu finden,

    Ich fand dies Schwert dort, darf ich's tragen?

    Ich will das Feindliche der Welt bestreiten.

    Ach Vater sag, wer ist denn diese Frau,

    Die schöne Frau, wenn sie nur liebreich wäre.

MUTTER.

    Ist dies Ihr Kind, so sind Sie zu beneiden.

    Es ist zu liebreich, nein, Sie sind nur Pfleger.

VATER leise zur Mutter.

    Gedenken Sie der Schicklichkeit vor Kindern!

    Wär dies nun unser Kind, das früh verstorbene.

MUTTER.

    Sie wagen es, an jenen Mord zu denken!

VATER.

    Gedenken Sie der Schicklichkeit vor Kindern!

    Ich meine fast, der Knab hat Ihre Augen.

MUTTER.

    Wer denkt an alle Schicklichkeit der Welt,

    Wenn hier ein Abgrund, dort ein offner Arm.

    Ich rufe dich Natur, gib Helferarme,

    Bewahre mir, was du mir hast verliehen;

    Ist dies mein Kind, was ich gestorben glaubte,

    Das Sie aus Eifersucht mir früh entrissen

    Und mir so bald als tot verweigerten?

KIND.

    Ach ja, ich bin's, ich bin gewiß dein Kind,

    Ach wüßt ich eine Mutter nur zu lieben.

VATER.

    Sie leben hier so unabhängig jetzt,

    Was brauchen Sie noch andrer Menschen Liebe.

MUTTER.

    O gib Gewißheit mir, ob es mein Kind,

    Ich bin dir dann auf ewig untertänig.

VATER vor sich.

    Wo soll das hin, wer kann die Folgen sehen,

    Der Ärger hob die Überlegung auf.

MUTTER.

    Gewißheit, sieh ich knie vor dir schon lange,

    Du schweigest still den Blick von mir gewandt.

    O sprich, sonst stürz ich mich in dieses Schwert,

    Das mich schon früh in deinem Haß verwundet.

VATER.

    Es ist dein Sohn; ich wollte ihn dir bringen

    Und mit euch leben in Vertraulichkeit;

    Jetzt ist das aus, erfreu dich dieses Knaben,

    Doch wandern wir noch heute fort von hier.

KIND.

    O liebe Mutter, liebe süße Mutter,

    Dich hab ich gleich erkannt, wie ich dich sah!

MUTTER.

    O lieber Knabe, meiner Liebe Lust,

    Ich ahndete sogleich, du seist mein Sohn.

KIND.

    Ach Mutter, wie wird dich der Vater lieben,

    Er hat so oft die Arme ausgebreitet,

    Bang über mir nach dir o Mutter seufzend.

VATER.

    Das ist vorbei, das ist nun ganz vorbei,

    Jetzt macht euch fertig, nehmt den schweren Abschied.

KIND.

    Ach lieber Vater, bleib doch immer hier,

    Ich kann nicht fort von meiner lieben Mutter.

MUTTER.

    O lasse mir mein Kind nur wenig Stunden,

    Ich lieb dich ja in ihm, ich kann nicht mehr.

VATER vor sich.

    Es rühret mich ihr Flehen tief im Innern,

    So muß mir denn das Schmerzlichste geschehen,

    Muß ohne Liebe sehn die Vielgeliebte,

    Und alter Lieb Erinnerung stets in ihr

    Wie des Gewissens ewig wacher Zuruf.

MUTTER.

    Kannst du nicht bleiben, so verläßt mich Gott,

    Und wie ein Unrecht scheinet mir mein Unglück.

KIND.

    Ach Mutter, ist denn Gott nicht unter uns,

    Wir sind ja drei, so sind wir die Gemeine,

    Wie sprichst du so, nein, Gott verläßt uns nie,

    Wenn wir uns lieben in der ew'gen Liebe.

MUTTER.

    O hör dein Kind, wie es so herrlich spricht;

    Der Kinder Stimme ist oft Gottes Wille.

VATER.

    Ich folg der Stimm, es ist bedacht, es sei,

    Es muß das Schmerzlichste von mir geschehen,

    Ich opfere mein eignes Leben auf,

    Wir leben nun für dieses Kind zusammen;

    Nimm du die linke Hand, ich nehm die rechte,

    Auf daß er lerne lieben und auch fechten.

KIND.

    O Vater, wenn ich nur genug dich liebe;

    O Mutter, wenn ich nur für dich kann fechten!

VATER.

    Es trägt mich des Entschlusses eigne Kraft,

    Mit Übermacht hat Gott den Stolz bezwungen.

MUTTER.

    Vergebens ist das Scheuen vor dem Leben,

    Was menschlich ist, dem sei der Mensch ergeben;

    O teurer Freund, ich tat dir heute Unrecht,

    Du wolltest mir heut wohltun mit dem Kinde.

    Ich folg dir ganz, es kommen andre Zeiten,

    Im Herzen dieses Kindes schlägt das meine,

    Und deine Klugheit wache über beide.

VATER.

    Sei dieses liebe Kind uns selbst ein Lehrer,

    Wo uns die alte Zeit mit Zorn ergreift,

    Gefühl und Klugheit muß sich immer beugen

    Vor einer Zukunft, die sie selbst erst zeugen.

KIND.

    Ihr sagt euch da so ernste, ernste Worte,
    Und mich vergeßt ihr hier wohl zwischen euch.
    Ich geb euch alles, was ich hier besitze:
    Da hast du, Mutter, diese Myrtenkrone,
    Da hast du, Vater, das verlorne Schwert,
    O laß mir nur den Ring, den vielgeliebten!

VATER und MUTTER.

    Du bist der Ring von zweien Vielbetrübten,
    Die neu verbunden, die sich einstmals liebten.

VATER.

    Wir sind auf ewig wiederum verbunden.

MUTTER.

    Dein Wille ist der meine nun auch immer.

VATER.

    Wohl dem, der einmal nur geliebt im Leben,
    Das Schicksal will ihm goldne Hochzeit geben,
    Mich drückt das Gold, es zittern meine Hände,
    Doch fühle ich, daß nie das Leben ende.

KIND.

    So küsse doch den lieben Vater, Mutter.

VATER.

    Ich küsse dich, das Kind befiehlt es mir.

MUTTER.

    Ach was der Ernst und die Vernunft geschieden,
    Ein Kinderspiel auf dieser Welt hienieden.

KIND.

    Hörst du fern im Dorfe singen,
    Luft und Düfte zu uns dringen
    Aus der tiefen Himmelsstimme.

MUTTER.

    Ach zu uns im ernsten Grimme.

VATER.

    Wie so oft war uns zum Spotte
    Unsrer Diener Sonntags-Schmücken.

KIND.

    Ach so hört doch zu, dem Gotte,
    Der in seligem Entzücken.

VATER.

    Wehe, nun ist eine Stille!

MUTTER.

    Aber dem versöhnten Freunde
    Tönt nun höher Gottes Wille
    Aus der himmlischen Gemeinde.

KIND.

    Führt mich, wo die Glocken schlagen.

VATER.

    Das Gewissen anzusagen.

KIND.

    Wo die Freuden alle klingen,
    Mußt du hin mich heute bringen.

VATER.

    Ach wie kühlend in der Hitze!
    Haben wir denn dort auch Sitze?

MUTTER.

    Gittersitze wir da haben,
    Wo die Eltern sind begraben.

VATER.

    Denk, wie Sonntags sie versöhnten,
    Wann sie sich entzweiet hatten,
    Und wir beide, wir verhöhnten
    Oft die Lieb der alten Gatten.

MUTTER.

    Und sie blieben so in Frieden,
    Und wir waren lang geschieden;
    Eilen wir zur Kirche wieder.

KIND.

    Gott, der spricht zu uns durch Lieder,
    Alle Stimmen er vereinet.

MUTTER.

    Einsam hab ich lang geweinet.

VATER.

    In der Kirche klingt die Freude,
    Eilen wir aus allem Leide,
    Und die leidend Gott gefunden,
    Zeigen sich da Gott verbunden.

VATER und MUTTER.

    Seit wir in dem Sohn verbunden,
    Haben wir auch Gott gefunden,
    Und kein Mensch darf uns mehr scheiden,
    Uns, die Gott geprüft in Leiden!

Der Minister war während der Vorlesung sehr nachdenklich geworden, beim Schlusse fuhr er heraus: »Sagt, wie könnt ihr so manches wissen, was gerade so in meinem Innern gesprochen, bei einer allgemeinen Verfälschung der Geschichte, die mir deutlich beweist, daß ihr nichts davon gewußt, sondern nur herum geraten habt.« – »Das Menschliche«, antwortete der Kammerjunker, »woran wir einander kennen und verstehen, ist in jeder Brust, das Historische wissen nur wenige.« – »Wahrhaftig«, meinte der Minister, »ich fange an, noch ehe wir aus den Sümpfen kommen, eure Poesie zu glauben; wir sind durch Lebensalter geschieden, wir verstehen uns erst allmählich.«

Meinen Lesern, mit denen ich mich auf der gemeinschaftlichen Reise durch diese Geschichte allmählich auch verständigt habe, wird es nicht entgangen sein, wie das Dichten, insbesondre aber das dramatische in das Leben der einzelnen Menschen eingreife. Wir sahen dies in der Geschichte Hollins, des kleinen Johannes, und in den beiden eben mitgeteilten Schauspielen; möge uns dies ein Bild werden, wie ein echtes Volksspiel auf das ganze Leben eines ganzen Volkes einwirken könnte; nur darum, weil unser Schauspiel unserm Volke, seinem Streben und Glauben meist so entfernt ist, geht es der Menge so gleichgültig vorüber, und wird mit dem Augenblicke vergessen; wer sich dem Volke anschließt, empfängt dessen Geist und Erfindung.

Ein kleines Abenteuer störte bald unsre Gesellschaft in ihrer gewöhnlichen Unterhaltung. Sie erhielten einige Stationen von Rom, wegen mehrerer an Reisenden verübten Räubereien, einen Husaren zur Bedeckung, der dem Minister und seinen Begleitern sehr auffiel; dem Minister rief er seine eigne Jugend vollständig zurück, die anderen bemerkten wenigstens eine auffallende Ähnlichkeit zwischen beiden. Sie ließen sich mit ihm in ein Gespräch ein: es war ein Deutscher, der schon lange in französischen Diensten, aber weder sein angeblicher Name Frohreich, noch der angegebene Geburtsort Camin waren der Gesellschaft bekannt. Er sprach viel über seinen Dienst, und versicherte, daß wenn er gleich nur Gemeiner wäre, so könne er doch wohl bei guter Gelegenheit Marschall werden, und die ganze Armee, wie er Lust hätte, rechts und links vor sich vorbei marschieren lassen, auch könnte er sich nicht über Langeweile beklagen; hätten sie nichts mit dem Feinde zu tun, so gäb es desto mehr Streit mit den Kameraden, erst gestern habe er eine zusammen gehauen – dabei rieb er sich ganz vergnügt die Hände. »Heute«, fuhr er fort, »gibt's gewiß noch was mit den Räubern, ich sah schon vorher so etwas schleichen; an dieser Stelle wurde vor acht Tagen der Schirrmeister einer Post erschossen.« – Diese Betrachtung machte die Gesellschaft aufmerksamer. Nach einiger Zeit rief der Postillion einige unverständliche Worte; es war sehr finster, er jagte schnell, die Mamsell drückte sich mit klopfendem Herzen an den Minister. – In dem Augenblicke hielt der Wagen; der Kammerjunker griff nach den Pistolen, der Minister fragte: »Wer da?« – »Wir sind auf der Station«, antwortete der Husar, der zugleich mit mächtigen Stößen gegen die Tür eines Hauses die Ankunft der Reisenden verkündigte. Der Wirt machte fluchend auf; die Reisenden traten in ein Küchenzimmer voll Husaren; sie wünschten zu essen, und der Wirt versprach gleich ein vollständiges Nachtessen. Er nahm zu diesem Behuf ein paar Lebern von einem Haken herunter, hackte, kochte, briet in ihrer Gegenwart; seine Frau sah ganz bequem zu, und befahl nur zuweilen, was er dabei nicht vergessen sollte. In einer Stunde hatte er ein vollständiges Mahl bereitet: Lebersuppe, gekochte Leber, Leberbraten, es schmeckte den Hungrigen recht gut. Der Husar wurde mit zum Essen genötigt; seine Kameraden fingen an, darüber zu reden, daß er nicht bei ihnen geblieben; der Husar antwortete beleidigend und einer von jenen, die viel getrunken hatten, forderte ihn. Alles das verhandelte sich so heftig, wie es bei Soldaten geschieht; unsre Gesellschaft, die einmal Partei für den jungen Mann genommen, war so besorgt um ihn, daß sie das Essen stehen ließ. Endlich sprach der Minister, bloß um den Streit abzulenken, indem er unter die Streitenden trat: »Nehmt Vernunft an, warum sollte er nicht mit mir essen, es ist mein Sohn.« – »Wenn das ist«, sagte der Heftigste, »so nehmt nicht übel, was ich gesprochen; Ihr hättet das früher sagen sollen, ein Vater, der muß geehrt werden, sonst aber muß einem Husaren die Kameradschaft über alles gehen.« – Es wurde augenblicklich Ruhe; alle tranken die Gesundheit des Vaters und der Husar setzte sich zum Minister, sah ihn ernsthaft an, und sprach deutsch: »Wenn ich nun wirklich Ihr Sohn wäre?« – »Fast meine ich es selbst«, antwortete der Minister. – DER HUSAR: »Ich war nicht immer, was ich jetzt bin, und habe viel vergessen, aber Ihren Namen, den ich vorher hörte, habe ich doch behalten; warum sind Sie nach Italien gekommen, Sie hatten sich in Deutschland ein kleines Italien erbaut.« – Der Husar erzählte einen Umstand nach dem andern, endlich die Geschichte, wie er wäre bei der Einweihung des Palastes die Treppe heruntergefallen, so daß der Minister mit den Worten, »bei Gott, der Erbprinz«, ihm um den Hals fiel. – »Still«, sagte der Husar, »ich bin's, hier aber kein Wort davon; wüßten es meine Kameraden, da wäre ich von allen geschoren, wie ich schon jetzt als Ausländer viel auszustehen habe; sprechen wir nicht zu viel in unsrer Sprache, sie möchten Argwohn gegen mich bekommen.« – Der Minister suchte ihn zu bereden, ihn zur Mutter nach Sizilien zu begleiten. Der Erbprinz versicherte aber, er könne nicht von diesem Leben lassen, endlich wüßte doch keiner, wozu es ihn führen könne, in einer Zeit, wo jeder von unten auf gedient haben müsse, um oben fest zu stehen. – Hier unterbrach der Eintritt einer braun gebrannten Marketenderin, die ein Fäßchen auf dem Rücken trug, die Unterredung; alle schrieen ihr entgegen, sie wies alle mit derben Worten von sich, dem Husaren warf sie sich um den Hals und biß ihm in die Backe, daß er hellaut aufschrie; sie sprach mit ihm abwechselnd deutsch, französisch und italienisch, rühmte ihn in sehr freien Worten, dabei aß sie stark von dem stehen gebliebenen Abendessen. »Hör Furiosa«, sagte der Erbprinz, »soll ich dir das Genick brechen, du ißt den Herren alles vor der Nase weg.« Sie fluchte und ging hinaus. Der Husar sagte: »Ich fürchte mich vor keinem Menschen in der Welt, aber die fürchte ich, sie ist seelengut, was sie verdient, das gibt sie mir, Schläge sind ihr ganz recht, machte ich aber Miene von ihr zu ziehen, ich wäre meines Lebens nicht sicher.« Jetzt kam sie wieder ins Zimmer, und die Husaren sangen ihr ein Lied von Mademoiselle Pumpernelle, worüber sie alle ausschimpfte, und von guten Sitten und Leuten von Stande sprach; der Minister hatte unterdessen nach seiner Zeche gefragt, und da ihn der Wirt für seine Lebermahlzeit mehr als für das köstlichste Mittagsmahl bezahlen lassen wollte, so schimpfte sich der Erbprinz mit ihm herum. Es war ein gewaltiges Lärmen; der Minister zahlte aus Überdruß, der Erbprinz und Furiosa begleiteten ihn an den Wagen, wo der Minister noch einmal jenem den Vorschlag wiederholte, den Abschied zu nehmen und ihm nach Sizilien zu folgen, und ihm eine volle Börse einhändigte. Furiosa fing darüber an zu schimpfen, der Erbprinz wurde böse, und schlug wild auf sie ein – mitten in dieser wunderlichen Liebesverwirrung entrollte der Wagen mit unsern Reisenden. Sie kamen glücklich nach Rom, und wollten sich eben recht umsehen, als ein neuer Brief des Schreibers den Minister die Reise zu beschleunigen nötigte. Schon früher hatte er dem Grafen seine Ankunft angezeigt, mit der Bitte, weder den Seinen noch der Fürstin etwas davon bekannt zu machen, bis er einen zweiten Brief von ihm erhalten.