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Die Insel der Seligen.

Am Gestade des Sees wallt' ich gedankenvoll;
An des Ufers Gestein' brachen die Wellen sich,
  Mit eintönigem Rauschen
    Trieb die Fluth an den Strand sie her.

Wie so mächtig gethürmt eine sich näher wälzt',
An dem Klippenrand borst all ihre Größ' in Schaum;
  Eine andre schon füllte
    Ihren Platz, und zerrann wie siel

Treues Sinnbild der Welt! trauriges Schauspiel, das
Stets die Menschheit uns beut: prahlender, eitler Stolz,
  Neid, Verfolgung — und endlich
    Allgemein gleiche Nichtigkeit.

Trüb und ängstlich ergriff mich eine Bangigkeit,
Ein unnennbar Gefühl, gleich als verfolgte mich
  An den Fersen ein Feindschwarm,
    Wie der Jagdtroß des Rehes Spur.

Fort vom Lande, das mir unter der Sohle brannt',
In die Wasser hinab trieb mich mein banger Sinn;
  Wie von Leucates Spitze
    Einst die lesbische Dichterinn,

Stürzt' ich mich in die Fluth, flehte im Falle noch;
»Sende, delphischer Gott, sende den Delphin mir,
  Der Arion, den Sänger
    Einst dem Tode des Meers entriß!

Nereiden, und ihr, Götter der Wogen, schützt
So wie Ino dereinst, die sie Euch anvertraut!«
  Und schon schlugen die Wellen
    Ueber mich, und bedeckten mich.

Aber pfeilschnell und sanft hob mich die Fluth empor;
Und zur Seite erschien, rein, wie des Atlas Schnee,
  Ein erhabener Schwan,
    der Freundlich mich auf den Rücken nahm.

Gütig trug er mich fort, ruderte emsiglich.
An der blendenden Brust spielten die Wellen sanft
  Weithin schwamm er, bis endlich
    Aus den Fluthen ein Land erschien.

Eine Insel nur war's, rundum vom Meer umwogt,
Wo kein Anker je fiel, niemals ein Segel weht',
  Wie das Eiland Calypso's,
    Nie betreten von Schiffenden.

Sanften Abhangs erstreckt bis an der Wellen Hand
Sich ein Blüthengtstad; Pappeln und Weiden stehn
  Und Gebüsche in Gruppen
    Auf dem sammtenen Rasenplan

Hügel ragen empor, silberner Quellen Lauf
Rieselt lieblich durchs Grün, plätschert als Wasserfall,
  Wo, in marmornen Grotten,
    Er krystallene Becken füllt.

Da reift Necktar, und hier der Hesperiden Frucht:
Wie die Biene mit Wachs, matteren Flügelschlags,
  Säuselt, Düftebelastet,
    Zephyr durch den bewegten Hain.

Hier ist Fülle der Lust! Hier ist Vergessenheit
Alles Leides und Harms, ferne der Menschenbrut,
  Selbst sich wiedergegeben,
    Ah der Brust der Natur und Ruh!

Still und einsam — doch nein! hör ich entfernete
Nachtigallchöre? Umzieht Nebel mein Auge nicht?
  Schlanke, weiße Gestalten
    Schweben, geistig, wie Duft umher,

Ha, wer seyd Ihr? — Doch ja, ja ich erkenne Euch!
Diesen lustigen Tanz, dieses melodische
  Flüstern, hört' ich, sah ich
    Bey der Weihe Hecatens schon, (gest.) )

»Ja, (so tönet' ihr Chor) ja, auf die Insel der
Seligen, trug dich Apolls reiner, geweihter Schwan !
  Heil'gen Dichtern gestatten
    Wir, schon lebend um uns zu seyn.

Doch nur Augenblick', weil irdische Hülle noch
Sie umschliefst; aber streift diese der Tod herab,
  Dann , dann ewig und seelig
    Wird hier ihnen ein Aufenthalt.

Sieh schon spannt sich die Kraft ab, die hieher dich trug,
Schon ermattet der Flug — wieder zum Lande mußt
  Du zurücke — doch stehet
    Stets dir offen die Wiederkehr.«

Wie durch Zaubermacht fand ich mich am Rande des
Ufers , aber mein Blick nahm noch die Insel wahr,
  Und schon oft, seit dem Tage,
    Schwamm ich wieder entzückt ihr zu.

Staunend forschet die Welt, wo diese Insel liegt;
Möchtest du sie, o Fürst, Ländereroberer,
  Dir durch Wappen und Nahmen
    Etwa stempeln zum Eigenthum?

Du, unstäter Ulyss, ewiger Seemann, willst
Eline Bucht dort erspähn, wo die geschnäbelten
  Schiffe ruhn, und das Schiffsvolk
    Sich mit Quellen und Obst erquickt?

Und du, Sclav des Gewinns, gier'ger Phönizier,
Willst durchwühlen den Grund, ob er nicht gelblichen
  Sand enthalte; dich locket
    Nur der goldenen Aepfel Glanz.

O, Euch zeigt keine Kart', zeiget kein Globus sie!
Die Magnetnadel nicht, weder gewogene
  Wind' noch Sterne, geleiten
    Euch dem heiligen Ufer zu.

Dir nur, Freund, der du fragst, um die Glückseligkeit
Da zu suchen, nur dir zeig' ich die Bahn dahin:
  Im Gehirne des Dichters
    Liegt die Insel der Seeligen.

Eckelt Thorheit ihn an, scheuchet ihn Laster weg,
Immer ist ein Delphin, immer ein Schwan bereit,
  Der den Rücken ihm bietet,
    Und stets zollfrey die Ueberfuhr.