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Eisenmenger, der Zweite

von Saul Ascher (1767-1822)

II.

(Fortsetzung)

Ueber das Prinzip, das hier in dem reinen Religionsglauben festgesetzt wird, werde ich mich nicht mit Hrn. Kant streiten. Ich habe mich darüber schon geäußert, und behalte mir vor, die Data an einem schicklichern Ort zur Begründung meiner Aeußerung beizubringen. Ich werde bloß die Resultate beleuchten, die sich auf den eben concentrirten Gang seiner Ideen gründen.

Nachdem Hr. Kant ​​​​​​​die Idee angiebt, wie eine systematische Geschichte der Kirche entworfen werden kann, indem in ihre gezeigt wird: wie das uns zu Grunde liegende Moralprinzip nach und nach den besondern Kirchenglauben entkräftet, und endlich darauf hinaus geht, eine allgemeine Kirche zu bilden, die für alle Menschen und Zeiten feststehend zu werden sucht; indem in ihr gezeigt wird: daß sie bloß den Kampf zwischen dem gottesdienstlichen und moralischen Religionsglauben darzustellen hat, und zugleich behauptet: daß diese Geschichte nur Einheit haben kann, wenn sie bloß auf denjenigen Theil des menschlichen Geschlechts angewendet wird, bei welchem die Anlage zur Einheit der allgemeinen Kirche, schon ihrer Entwicklung nahe gebracht ist; – »denn die Geschichte verschiedener Völker, deren Glauben in keiner Verbindung untereinander steht, gewährt keine Einheit« – so entwickelt er, welchem Glauben allein ein Moralprinzip zu Grunde liegt, welcher Glaube, in dem Kampfe des gottesdienstlichen mit dem reinmoralischen, dem letztern den Sieg vorbereitet, welcher Glaube an und für sich allein das Reich der wahren Kirche auf Erden ausbreitet, und, erhaben über seine Mitbrüder, sogar den reinen Religionsglauben verherrlicht.

Es ist das Schicksal des Judenthums, dem das Christenthum unfehlbar das mehrste zu danken hat, daß kein Sachwalter das Letztern sein Kreditiv übergeben kann, ohne das verjährte Recht des Judenthums auf dasselbe, durch alle Künmste einer philosophischen Politik zu vernichten. Also beginnt auch Hr. Kant ​​​​​​​–

Es zeigt sich zuerst, daß der jüdische Glaube mit den (christlichen) Kirchenglauben, den er auffinden will, in keiner wesentlichen Verbindung steht, ob er zwar zur Gründung dieser Kirche die physische Veranlassung war. – Physische Veranlassung? Hierunter soll wohl die Offenbarung, als das physische des Glaubens, insofern es empirisch ist, verstanden werden. Also bloß die Offenbarung, nicht der moralische Zweck der Judenthums gab Veranlassung zur Entwicklung des Christentums? – Wir wollen hören.

Der jüdische Glaube soll bloß nach seiner ursprünglichen Einrichtung, einen Inbegriff statuarischer Gesetze, auf welchen eine Staatsverfassung gegründet war, enthalten. Allein gewiß denkt der Verfasser hier an die erste nicht ursprüngliche Verfassung des Judenthums. Das Judenthum hatte ursprünglich keine (konstitutive) Einrichtung; sondern es war, wie an einem andern Orte weitläuftiger gezeigt worden, regulativ.[1] Ich konnte vom Christenthum eben das behaupten, da es auch lange Zeit nach seiner regulativen Existenz erst statuarisch ward.

Ferner sollen die moralischen Zusätze (?) welche das Judenthum zur Zeit seiner Einrichtung schon gehabt, oder ihm angehängt wurden, nicht zu demselben gehören. Das Judenthum, führt Hr. Kant ​​​​​​​fort, ist keine Religion, sondern besteht in der Vereinigung eines besondern Stammes zu einem gemeinen Wesen unter politischen Gesetzen, mithin nicht zu einer Kirche. Die beabsichtigte theokratische Verfassung (oder Aristokratie der Priester), in welcher Gott bloß als weltlicher Regent verehrt wird, der über und an das Gewissen gar keinen Ausspruch thut, macht sie zu keiner Religionsverfassung.

Hier, in diesem Raisonnement, folgt der Verfasser gänzlich den theologischen Gegnern des Judenthums. – Wenn ihr immer nur von der Errichtung einer Religion sprechte; so wird das Christenthum selten hierin vom Judenthumj abweichen. Sprechet ihr aber vom eigentlichen Zweck und geist des Judenthums, so wird es gewiß dem des Christenthums näher gebracht werden können.

Da ist denn aber auch nicht darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Motive und der Zweck, welcher sittlich seyn muß, in solchen Maximen ausgdruckt seyen, wie sie der Verfasser überall so schön aus den Aposteln herzuholen weiß. Im Gegentheil finde ich den Geist einer jedem Religion eben in dem Zeitpunkte ihres Aufkeimensm wo die innere Würde desselben die Menschen belebte, ihr anzuhängen.

Wenn ihr nun vom Christenthum schon die Apostel belebt glaubt, so halte ich auch die Patriarchen (oder unsern Emir) schon vom Judenthume beseelt. Daß Christus aber die Apostel bloß durch seine Handlungen, durch die edlen Züge seines Herzens, keinesweges aber durch seine von ihnen aufgezeichnete moralische Sentenzen, für sich einnahm, das ist doch wohl ausgemacht. Konnten nun die sonderbaren Schicksale der Vorwelt, den ersten Anhänger des Judenhums nicht auf die weisern Schritte der Gottheit aufmerksam gemacht haben? In diesem Verstande das Judenthum genommen,wird auch der Verfasser nicht behaupten können, daß es keine Kirche enthielte.

In dem Sinne, wie Hr. Kant ​​​​​​​Kirche nimmt, »soll sie mit einer Hausgenossenschaft (Familie), unter einem gemeinschaftlichen ob zwar unsichtbaren moralischen Vater, verglichen werden können, sofern sein heiliger Sohn, der seinen Willen weiß und zugleich mit allen ihren Gliedern in blutsverwandschaft steht, die Stelle desselben darin vertritt, daß er seinen Willen diesen näher bekannt macht,welche daher in ihm den Vater, ehren, und so untereinander in eine freilwillige, allgemeine und fortdauernde Herzensvereinigung treten.« Diese verschrobene Idee einer Kirche würde das Judenthum vielleicht besser realisieren, in einem (nicht unbekannte) Vater, der alle Mittel anwendet, seine Familie nach weisen Absichten zur fortdauernden Herzensvereinigung und dergleichen einzuladen und zu erziehen. – Sieht dieser wahren Kirche aber noch das Christenthum entgegen, so muß man auch nicht schließen: weil sie das Judenthum nicht inne hat, weil es ihn so vielen davon abweichenden Wogen, worauf es gerieth, davon abkommen müßte, daß es sie nich konstituiren, daß es nie eine Religionsverfassung haben könnte.

Wenn der Verfasser sich nun deutlicher ausläßt, daß das Judenthum keine Religionsvereinigung haben könne: so allegirt er erstens die veraltete Behauptung, daß es aus lauter Geboten besteht, die nicht für die moralische Gesinnung, sondern nur für äußere Beobachtung gegeben worden. Welches daraus erhellt,daß zeitliche Belohnung und Strafe darauf gesetzt war, wobei der, den Juden wie den rohesten Völkern, eigene Glaube an künftiges Leben, an Himmel und Hölle, vorsetzlich übergangen ward. Es sollte daher nur ein politisches, und nicht ein ethisches (nach Tugendgesetzen bestimmtes) gemeines Wesen begründet werden; aus welchem aber nie eine allgemeine Kirche entstehen konnte, da es das ganze menschliche Geschlecht von seiner Gemeinschaft ausschloß; und ob es gleich den unter keinem sichtbaren Bilde vorzustellenden Gott, zum allgemeinen Weltbeherrscher desselben setzte, diese Idee doch nur wegen des ihm verliehenen mechanischen Kultus, der polytheistischen Idee anderer Völker gleich, wo nicht nachzusehen wäre.

Man sieht wie sich hier der Verfasser zu drehen und zu wenden sucht, um seine Meinung durchzusetzen. Wenn in der Konstitution des Judenthums auf die Postulata der Religion (künftiges Leben u.s.w.) nicht Rücksicht genommen wird, son geschah es, weil sie wirklich nicht existirten. Daß aber mit disen Postulaten der Zweck einer Religion nicht erreicht wird, zeigt Juden- und Christenthum, die beiderseits noch nicht, nachdem sie solche bereits aufgenommen, zu einem Ideake von Religion übergegangen, wie Hr. Kant ​​​​​​​zu entwerfen gewagt. Hieraus folgt also, daß der Mangel jener Postulate, oder das Stillschweigen, daß darüber beobachtet werden, keinen Grund an die Hand giebt, zu behaupten, daß das Judenthum bloß eine politische Verfassung beabsichtigt.

Wenn nun behauptet wird, daß aus jener auf Geboren und äußere Beobachtung gegründete politische Verfassung des Judenthums, keine allgemeine Kirche entstehen kann; so fällt der Tadel nicht auf das Judenthum zurück. Nur die Umstände waren es, die einen solchen klugen Mann wie Moses, oder die Vorsicht veranlaßten, einen solchen Wall um seine Konstitution zu ziehen. Ich glaube vielmehr, von der eine Seite sollte dem, in Profelytenmachen gewandten, Geist der Aegyptischen und anderer Priester, alle Gemeinschaft mit den Juden dadurch abgeschnitten werden. Von der andern aber sollte es ein Mittel für die seyn, welche sich den Juden als Profeliten (die sie ohnfehlbar machten) darboten, sie so vielen Prüfungen als möglich unterwerfen zu können, um einestheils von ihrer Anhänglichkeit überzeugt zu seyn, anderntheils sie zu veranlassen, daß sie, mit dem Zweck des Judenthums sich angelegentlicher bekannt zu machen, geneigt werden sollten. Die Profeliten und der Zweck, auf welchem sie aufmerksam gemacht wurden, scheinen es nun zu verrathen: daß das Judenthum keinesweges auf den Haß des ganzen Menschengeschlechts gegründet ist; sondern vielmehr den Keim zu einer allgemeinen Kirche enthalten dürfte. – Nach diesen Aeußerungen fällt auch selbst der Vorwurf hinweg, daß die Idee der Gottheit im Judenthume, da sie bloß in Rücksicht eines mechanischen Kultus verehrt ward, nicht hoch anzurechnen wäre. Es wäre wirklich sehr übereilt, wenn man aus dem konstitutiven Gebrauch dieser Idee auf den regulativen schließen wollte. Dieß wäre doch aber der Fall, wenn man behaupten möchte, daß die Idee der Gottheit bloß erfunden ward, um den mechanischen Kultus zu erhalten. Eine Meinung, welche gewiß kein denkender Kopf beizustimmen fähig seyn wird.

Dies ganze Raisonnement kann zugleich Herrn Kant ​​​​​​​zeigen, daß sich die ihm zur Darstellung des Judenthums so dienstbare Politik, auch da gebrauchen kann, wo er sei so fein von der Bühne gehen läßt, um das Judenthum per se als ein masantropisches Geschöpf darzustellen.

Erklären muß ich hier, ehe ich weiter gehe, – wenn ich das Judenthum, in seinem Zweck, mit dem durch Kant aufgefundenen im Christenthume, gleich zu setzen suche, es nur geschieht, um den Kontrovers zu beleuchten, keinesweges aber überzeugt bin, daß jene Religionen, oder irgend eine, auf einen solchen Zweck gegründet sind, worauf sie gegründet seyn sollten, aber glaube. Mir Hülfe Schrfterklärer und Schriftgelehrten, eine jede dahin zu deuten, wohin Kant ​​​​​​​den Zweck des Christenthums versetzt.

Zugleich wollte ich dadurch das Judenthum eben so wenig auf einer festeren Basis sehen, als ich wünschte, daß Kant ​​​​​​​sie nicht fürs Christenthum aufgesucht. Denn was hilft es auch über Vorzüge streiten, die in eines jeden Augen einen besondern Werth haben?

Allein solange noch der Zustand der Dinge derselbe bleibt, so lange noch das Reich Gottes, weder durch Christen- noch Judenthum und andere Religionen herangekommen, darf es kein wahrheitliebender und rechtschaffener Mann zugeben – um nachtheilige praktische Folgen für Gesellschaft und Staat zu verhindern, – einen Glauben auf Kosten des andernzu exaltiren. – Nun höre man aber den Verfasser von Christenthume sprechen.

Das Christenthum, behauptet er, giebt die Idee zu einem System der Kirchengeschichte, das auf ein ganz neues Prinzip gegründet ist. – Alles was die Apostel hin und wieder vom Judenthume im Christenthume hinüberbrachten, geschah bloß aus der Absicht, um es zu introduciren. Die nachfolgenmde Abschaffung der Beschneidung zeigt schon, daß es eine, für alle Menschen gültige, Religion enthalten solle. Also nicht aus dem von Moses constituirten, sondern durch das, von fremder Moralphilosophie geläuterte, Judenthum erhob sich nun plötzlich, ob zwar nicht unvorbereitet, das Christenthum. Der Lehrer des Evangeliums kündigte sich als einen vom Himmel gesandten, indem er den moralischen Glauben, für den alleinseligmachenden erklärte, und durch seinen Lebenswandel seine Aechtheit bewies, durch Lehre und Leiden aber, an seiner Person, ein Urbild der Gott allein wohlgefälligen Menschheit gegeben.[2]

Wenn wir als vorurtheilsfreie Männer sprechen sollen, entfernt von aller Prädilektion, nicht heucheln, sondern Wahrheit sagen müssen; so ist dieß gewiß keine Kühnheit, wenn ich behaupte: daß Hr. Kant ​​​​​​​in dem Augenblicke, als er dieß schrieb, seiner Philosophie – d. h. als Denker seinem Berufe gemäß, die Ursachen und Folgen aller Erscheinungen aufzusuchen – ganz abgesagt.

Denke dir, lieber Leser! Plötzlich erhob sich das Christenthum. Plötzlich entwickelte (? Ich haben wirklich kein Wort dazu) sich ein Prinzip, worauf sich das Christenthum gründen soll. – Plötzlich stand Jesus da, verkündigte sich als vom Himmel gesendet. – Welcher philosphische Deus ex machina! – welcher philosophische Saltus mortalis!

Wir wollen nicht so plötzlich die Sache geschehen lassen. – In welcher politischen Verfassung waren die Juden zur Zeit der Geburt Jesus von Nazareth? Welche Kultur[3] hatte Nation in sich selbst und vom Auslande erlangt? Und welchen Einfluß hatte dieß alles auf ihre Religion und ihre Sitten? – Wer sich diese Fragen mit kritischem Geiste beantwortet, der wird nicht plötzlich das Christenthum entstehen sehen. Im Gegentheil, er wird müssen den ganzen Geist des Christenthums in dem damaligen Judenthum auffinden. Er wird gestehen müssen: Jesus von Nazareth war, wie Moses, nicht bloß ein denkender, sondern ein thätiger Kopf, mit dem Unterschiede: Moses hatte bloß Menschen vor sich, die noch nicht den Grad von Bildung hatten, der sie zu eigener Thätigkeit aufforderte, und die er daher nach seinen Willen zu leiten eher vermögend war; Jesus aber hatte ein Volk vor sich, das gewandt in den Künsten, der Priester gewesen, deshalb mißtrauischer war, ihn in allen Verkehrungen störte, überall verfolgte und endlich seiner erhabnern Absicht durch seinen Tod ein Ende machte. Dieß erhellt klar und deutlich daraus, daß die Zahl seiner Anhänger in seiner Nation sehr klein war.

Ich will es gerne zugestehen: daß die Gottheit den Stifter des Christenthums behülflich war, darauf zu dringen, daß durch die lautere Sittenlehre, welche ihn die Apostel äußern ließen, dem Judenthume eine andere Richtung gegeben werden sollte; aber ich werde es nie zugeben, daß diese Sittenlehre von ihm erfunden ward, um sie der Welt mitzutheilen.

Hieraus ergiebt sich aber, daß das Judenthum bloß in ein Christenthum umgeschaffen ward, nicht daß das Christenthum an und für sich dem Judenthume entgegen seyn sollte.

Das was Kant ​​​​​​​übrigen Introduction nennt, ist eine Methode, die nicht bloß für das Christenthum, um ihm bei den Juden Eingang zu verschaffen, veranstaltet ward; sondern die auch Moses schon im Judenthume, das, wie gesagt, schon vor seiner Konstitution existirte, in dem Zeitpunkte befolgte, als er es introduciren wollte. Er behielt deshalb auch vieles von der egyptischen Religion bei, um, gegen die an egyptischen Aberglauben klebende Denkart der Juden nicht zu verstoßen.

Die Apostel, da sie sahen, daß die Worte ihres Lehrers unter den Juden sehr wenige Anhänger fanden, und diese wenige sich nicht äußern durften, waren daher eines Theils genöthigt, Palestina zu verlassen. Und ich glaube gewiß, daß sie so kurzsichtig nicht waren, die für die Juden von Jesus bloß geäußerte Wahrheiten, wobei er immer auf die Grundpfeiler ihrer religiösen Verfassung Rücksicht nahm, mit diesen Einschränkungen im Auslande vorzutragen. Ich glaube vielmehr, daß sie eben diese Wahrheiten, entblößt von allen Deuteleien zu verbreiten suchten. So wie Jesus daher bei den Juden nicht mit Abschaffung der Beschneidung anfangen wollte oder durfte; so durften oder wollten die Apostel sie nicht zur Bedingung ihres Glaubens im Auslande machen. Nur nach und nach, als der Glaube der Apostel viele auswärtige Anhänger erhielt, durften es die Judenchristen wagen, die Beschneidung einzustellen.

Also aus der nachmaligen Abschaffung der Beschneidung wird mir Herr Kant ​​​​​​​nicht behaupten können, daß Jesus Absicht selbst war, eine Weltreligion zu fixiren. Die Verfolgung der Apostel war es bloß, welche eine solche daraus schuf, wie man füglich eine aus dem Judenthum und aus jeder Religion entwickeln kann.

In wie fern Jesus aber selbst Veranlassung hatte, durch die vom Auslande veranlaßte, und in Palestina selbst gemachten Fortschritte der Geisteskultur sich zu bilden, um so reden und handeln zu können, wie er geredet und gehandelt, das würde mich zu weit von meinem Wege führen.

Ich würde überhaupt bei der Sache nicht so viele Worte verlieren, wenn es nicht gegen einen Kant ​​​​​​​wäre, von dem es mich wirklich im Herzen verdrießt, daß er auf eine solche schwache Behauptung: daß das Christenthum plötzlich, ob zwar nicht unvorbereitet, sich erhob, sein System gründet. Den was vorbereitet ist, entsteht nicht völlig plötzlich. In wie fern aber das Vorbereitete mit dem Plötzlich-Geschehenen in Verbindung steht, muß sich das Plötzliche verlieren, wenn es der Denker aus dem Vorbereiteten erklären kann.

Alle Hindernisse, welche dem Zweck des Christenthums im wge standen, alle Uebel und Gräuel, die ihn mehr entstellten als läuterten, wird man ebenfalls für den de Judenthums vorfinden können; so daß man in Rücksicht desselben ebenfalls ausrufen könnte: tanium religio potuit fuadere malorum!

Wenn nun Herr Kant ​​​​​​​die jetzige Zeit, das Christenthum und seinen eigentlichen Zweck zu erkennen, für die beste hält; so muß ich bekennen, daß ich sie für das Judenthum auch aukommen sehe. Wenn er will, daß das Christenthum in seiner Stiftung, bloß einen reinen Religionsglauben einzuführen beabsichtigte, so kann ich dreist behaupten: daß diese Absicht auch dem Judenthume zum Grunde leigt. Wenn er aber seine Hypothese mit bessern Datis belegen kann; wenn er sie durch den Fortschritt einer aufgeklärten Dogmatik und geläuterten Exegese zu beleuchten vermag, und ich es nicht vermögend bin: so liegt es nicht am Judenthume, sondern an seinen Anhängern.

Es war ein Zeitpunkt, wo man aller Religion den Krieg verkündigte. In diesem Zeitpunkte wr es auch, wo meine Nation einige Denker hervorbrachte, die gemeinschaftlich, durch ihre Plane, diesen Zweck beabsichteten. Dogmatik und Exegese des Judenthums, da es im jetzigen Zustande der Aufklärung ganz zwecklos befunden ward, wurde nicht zu dem Zwecke, wie es im Christenthume geschehen, reformiert, um dem Bedürfnisse der Geistesrevolution ihrer Anhänger angemessen zu sein, sondern ihnen ward vielmehr ganz entgegen gearbeitet.

Nun sehe man, welchem Gang das letzte Jahrzehnd dieses Sekuluns nimmt. Man ist von dem Bedürfnisse einer Religion mehr als zu sehr überzeugt. Aber welcher Regligion? die dem Geiste des Zeitalters angemessen ist. – Indem die Franken das Joch der Hierachie (ob rechtmäßig oder unrechtmäßig, will ich niht entscheiden) abschütteln, und eine neue Religion einführen, sehen wir das ruheliebende Deutschland bemüht, die christliche Religion dem Geiste des Zeitalters anzupassen. Der größte Denker – ein Kant​​​​​, – sucht ihre Gerechtsame festzusetzen und zu behaupten.

Mußten dies aber auf Kosten aller andern Religionen geschehen? und sogar auf Kosten des Judenthums? Ist die Maxime eines Philosophen, wie Kant​​​​​​​, würdig: daß, weil das Christenthum, durch den Fortschritt den Künste, Wissenschaften und Aufklärung, in Dogmatik und Exegese veranlasßt, den reinen Moralprinzipien näher gebracht ist, es die beste, heiligst Religion sei? Ich glaube schwerlich.

Meine Maxime ist diese: da die Prinzipien der Moral durch die Aufklärung so weit gediehen, die bestehenden Religionen aber mit ihnen in Kollision zu stehen scheinen; so ist es Pflicht aller Denker einer jeden Religion: entweder, das Publikum von allen Religionsideen abzuziehen, und es bloß auf die reine Moralreligion aufmerksam zu machen; oder wenn sie Bedürfniß sind, (welches festzustellen Sache des Staats ist) so müssen und sollen die Anhänger einer jeden Religion, die ihrige den feststehenden Prinzipien einer Moral näher zu bringen, sich vereinigen.

Wenn nun ein  Denker, wie Kant​​​​​​​, auftritt, und gegen diese gewandten Dialektik gebraucht, um zu behaupten: daß das Christenthum, die alleinseeligmachende Kirche nur herstellen kann: so verdient es gewiß eine Rüge – Rüge, weil es gegen das Interesse von Staat und Gesellschaft ist, so zweckmäßig es auch unter gewissen Einschränkungen seyn mag.

Duldung ist gewiß für einen blühenden Staat, wo einmal eine herrschende Kirche eingeführt ist, nicht allein moralisch, sondern auch politisch gut. Wenn nun ein Staat verschiedene Religionsverwandte duldet, so muß er stets mit sich im Widerspruche leben, wenn die Maxime allen Anhängern der herrschenden eingeprägt ist: daß sie einst die triumphirende seyn werde, und wenn diese Maxime auf ein Prinzip beruht. Das unmittelbar die Basis unserer ganzen Sittlichkeit ausmacht, auf welches uns keine Religion schicklicher aufmerksam zu machen, noch hinzuleiten vermögen soll, als eben die herrschende: wie kann, wie darf sie Menschen dulden, die ganz dem hohen Zwecke der Menschheit entgegenarbeiten, oder in die Versuchung gerathen können, es einst zu thun?

Wenn ich nun sehe, daß ein christlicher Philosoph, durch seine Maxime, zu dieser Folgerung Veranlassung giebt: so ist es erstens Pflicht, dieser irrigen Meinung entgegen zu arbeiten, und den unpartheiischen Denker auf diese hypothetische Subreption aufmerksam zu machen; zweitens, den Denkern meiner Nation, einen Feind zu entdecken, der auf die politische Ruhe dieser Nation, der sie erst seit einigen Jahren wiederum theilhaftig ward, keinen geringen nachtheiligen Einfluß haben kann.

Wenn die jüdische Nation bisher politische und religiöse Gegner gehabt, so sind es jetze moralische Gegner, die sich gegen sie stellen. Nie, muß der Grundsatz lauten, den sie in Rücksicht des Judenthums festsetzen, kann es denn Zweck einer Religion Genüge leisten, da es in seiner Offenbarung die Gemüther zu keiner reinen Moralreligion vorbereitet; da es sich nie zu dem Prinzip einer allseeligmachenden Kirche emporheben wird, und folglich können auch nie Juden, als Anhänger ihres Glaubens, gut Menschen sein. – In dieser Rücksicht hat man auch den Verfasser des beitrags zur Berichtigung etc. der Menschheit, eine kräftige Strafpredigt halten hören.

Allein mit welchem Rechte? – Ich will alles zugeben, was Hr. Kant ​​​​​​​behauptet: so ist doch ausgemacht, daß die christliche Religion noch nicht auf die Strafe einer wahren Kirche sich erhoben hat. Was soll nun der Jubel? – Solcher Christ werden, wie man es gemeinhin jetzt ist? – Das wird Hr. Kant ​​​​​​​nicht wünschen. Solcher Christ aber wie er (?) es vielleicht ist oder wünscht, daß alle seyn sollen? – Wenn ich nicht verzweifeln soll, solche Christen zu sehen: so werde ich auch nicht verzweifeln solche Juden zu finden. – Und wenn ich das nicht soll, so wird mich Hr. Kant ​​​​​​​nichtg überzeugen: daß das Christenthum einzig und allein das Reich gottes auf Erden herstellen wird; sondern ich werde mich vielmehr überzeugt fühlen: daß das allgemeine Bestreben aller religiösen Zünfte, die in ihren Offenbarungen verhüllte Wahrheiten, der immer sich mehr entwickelnden Sittlichkeit näher zu bringen, das einzige Mittel sei, den großen Bund der Menschheit in seiner Glorie herzustellen.

Man sieht aber hieraus, wie selbst die kritische Philosophie, nach dem eine Kritik aller Offenbarung das Prinzip zu einem Kriterium aller Offenbarung aufgestellt, und eine Religionslehre, die Antionie des Judenthums in Rücksicht dieses Prinzips entwickelt, dazu beiträgt: die Rechtmäßigkeit des Begriffs Judenhaß – priori deduciren zu können.

In dieser Rücksicht müssen wir uns wieder zu dem Verfasser des Beitrags zur Berichtigung etc. wenden und zeigen, inwiefern durch seine Deduktion des Begriffs Judenhaß, der ewige Streit: ob der Jude geduldet oder verfolgt werden müsse, beigelegt werden dürfte.

 


[1]  Leviathan oder über Religion in Rücks. Des Judenth. S. 106

[2] Daselbst S. 181

[3] Der Hr. Doktor Hezel​​​​​​​ würde hier statt Kultur sich des Wortes Geschmack bedient haben. Dieser verdienstvolle Gelehrte, der auch sein Scherflein in einer kleinen Schrift, die unter dem Titel: allgemeine Judenbelehrung oder die Möglichkeit, die Juden, mit Vernunft und Billigkeit, zu Christen und zu nützlichern und glücklichern Staatsbürgern zu machen, 1792. Erschienen, beigetragen: das Christenthum auf Kosten des Judenthums zu erheben, will die feine Bemerkung gemacht haben: daß bloß der Mangel an Geschmack die Juden verhindere Christn zu werden. Das muß wohl heissen: zur Zeit Jesus von Nazareth, der katholischen Hierarchie, der Reformation, hatten die Juden keinen Geschmack. Und die Christen? – Was war die Exegese der Christen denn noch vor funfzig Jahren? Der Herr Doktor würde es mir gewiß verübeln, wenn ich seinem Geschmack nicht mehr zutrauete, als dem, der Exegeten jener Zeit. Wird es mir doch aber schwerlich verübeln, wenn ich mir einigen Geschmack zu besitzen, anmaße? Er beginnt nun eine Deduction des Christenthums aus dem Propheten, in welchen das ganze Christenthum verhüllt liegen soll, und jdie der böse Geschmack der Juden so zu verderben weiß. Er beinne nun seine Deduction, und man wird sehen, ob es bloß Sache des Geschmacks ist, die den Juden verhindert, zum Christenthum überzugehen.