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Sonst und Jetzt

an Selmar

Sonst weckte freundlich mich aus sanftem Schlummer
Dein süsser Kuss, zwar nur im Traum geküst;
Und frey von jedem Seelenkummer
Ward jeder junge Tag begrüst.
Jetzt, Selmar, flieht der Gott, den Mohn umkränzet,
Das Lager, wo mein Auge schlaflos weint,
Bis mir Aurora's Purpur glänzet,
Und Phöbus wieder scheint.

Sonst schlug mein Herz vom seligsten Entzücken
Bey jedem Brief, der Treue Unterpfand;
Und, ach! mit wonnetrunk'nen Blicken
Küsst' ich die Züge deiner Hand.
Jetzt beb' ich angstvoll, wenn nach langem Sehnen
Ein kurzes Briefchen meine Sorge stillt!
Und zitternd brech' ich unter Thränen,
Der Treue sprechend Bild.[1]

Sonst, Selmar, wenn ein Gott dich zu mir brachte,
Las ich in deinem seelenvollen Blick
Dein Herz, das mich so selig machte,
Und in ihm meines Daseins Glück. -
Jetzt sieht dein Auge kalt und unbefangen
Den bittern Kampf, den unbesiegten Schmerz,
Die Thräne rollt von meinen Wangen
Und rühret nicht dein Herz.

Sonst sank ich dir, mein zweytes bessres Leben!
In deinen Arm, an deine treue Brust;
Ich fühlte deines Herzens Beben
O, Gott! mit namenloser Lust. - -
Jetzt seh' ich dich, - ist's möglich, es zu tragen? -
Dem Felsen gleich, erkaltet neben mir,
Dich rühren nicht mehr Selma's Klagen,
Gefühllos zürnst du ihr.

Sonst fühlten wir, bey tausend Feuerküssen
Das höchste Glück, für diese Welt zu gross!
Durft' ich in meinen Arm dich schliessen,
Dann pries ich göttergleich mein Loos!
Jetzt drück' ich dir, ach! übermannt von Schmerzen,
Nur leis' und schüchtern die geliebte Hand,
Kein Gegendruck giebt Trost dem Herzen,
Das alles in dir fand.

Sonst – Nein, ich will - ich muss mich dir entziehen,
Erinnerung, die grausam mich durchdringt!
Ach! könnt' ich vor mir selbst entfliehen,
Dann eilt' ich Jetzt auf leichter Winde Flügel,
O, Selmar! voll von meiner Liebe Pein,
Hin auf Leukadens Felsenhügel,
Dem Tode mich zu weihn.


[1] Das Petschaft stellte ein Hündchen, das Symbol der Treue vor.

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