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Wunderlieder und Träume

Das Vögelchen

Es war ein kalter Winterabend, als Bernhard und Elsa, von ihren vier Kindern umgeben, beim Feuer des Kamins saßen. Wie verfliegen, fing Elsa an, die Tage, Wochen und Monden! Wie kurz dünkt mich noch die Zeit, als wir uns beide in Gram und Sehnsucht verzehrten, und uns so glücklich fühlten, da wir endlich vereinigt wurden: ach wie schnell ist die Zeit verschwunden! Weißt du noch, sagte Bernhard, wie ein Fremder in deines Vaters Hütte trat, wie er uns betrachtete, urd endlich freundlich zu mir sagte: Junger Bursch, du stehst so betrübt im Winkel; wenn ich dir das junge Mädchen zur Braut werbe, so glaube ich, daß alle Falten von deiner Stirn schwinden werden. Ich mußte [⇐169][170⇒] lächeln, und deine Wangen glühten hochroth. Am andern Morgen hatte er mit deinem Vater geredet, und dies Haus, den Garten und den Acker gekauft, auch eine kleine Heerde fanden wir, und er, unser unbekannter Freund, war verschwunden. Weißt du seine Worte noch, sagte Else, die er dem Vater gesagt hatte? – Wenn eure Kinder einmal von ihren Kindern umgeben sitzen, und eine rechte Sehnsucht nach mir empfinden, dann will ich sie wieder besuchen. Ach wie herzlich, sagte Bernhard, sehne ich mich, ihn wieder zu sehn, und die Hand dankend zu küssen, die so viel Segen um mich her verbreitet hat! Würdest du ihn wohl wieder erkennen? fragte Else.

O ganz gewiß! rief Bernhard, ich werde nie das freundliche ernste Gesicht vergessen.

Ein leises Pochen an der Thür unterbrach das Gespräch, und Elsa befahl ihrer ältesten Tochter Bertha, sie solle die Thür öffnen, und schalt zugleich, daß ihr alles müsse befohlen werden. Das Kind hatte mit großer Aufmerksamkeit dem Gespräche der Eltern zugehört, und ihre Blicke hingen noch an den Lippen der Mutter, sie schien ganz in Träumen verlohren, und auch noch als die Mutter die scheltenden Worte sprach, hörte sie eben so aufmerksam zu, ging dann lächelnd, und öffnete die Thür. Ein fremder Mann, in einen Mantel gehüllt, fragte nach Bernhard und Elsa. Sie sind drinnen, sagte Bertha, und haben so eben von euch gesprochen. Der Fremde ging hinein und Bertha folgte ihm, Bernhard und Elsa erkannten ihren Wohlthäter sogleich, sie eilten ihm entgegen, um seine Hände zu küssen, Bertha setzte sich still in eine Ecke der kleinen Stube.

Der Fremde fragte, wie es ihnen gehe? Sie priesen ihm ihr Glück, und zeigten ihm die drei kleineren Kinder, deren Namen sie ihm nannten. Und ist das artige Mädchen, fragte der Fremde, die mir die Thür öffnete, nicht eure Tochter? Ach Herr! sagte Elsa, sie ist die Einzige, durch welche unser Glück getrübt wird, seht sie nur an, sie ist ungeschickt zu allen Dingen, es beschämt sie nichts, und wie sie jetzt zuhört, so thut sie es immer, wenn von ihrem tückischen Gemüth gesprochen wird; sie hat keine Liebe zu ihren Eltern, und keine Ermahnungen fruchten etwas. Bertha hörte ihrer Mutter zu, als wenn es eine fremde Frau sey, die sich über ein fremdes Kind, welches gar nicht zugegen war, beklagte, und sie hatte beinah mit dem Kummer der guten Mutter ein herzliches Mitleid.

Der Fremde betrachtete die kleine Bertha, dann sagte er zu den Aeltern: Es ist vielleicht jetzt die Zeit gekommen, in welcher ihr mir alle Liebe, die ich euch erzeigt habe, erwiedern könnt, für heute bitte ich euch aber, mir eine Ruhestätte anzuweisen.

Die Aeltern gingen hinaus und nahmen die kleineren Kinder mit sich, Bertha wurde gar nicht bemerkt, als sie in der Ecke des Gemachs sitzen blieb. Der Fremde redete sie freundlich an und fragte: warum sie so gar still und nachdenkend wäre, und auf die Vorwürfe ihrer Aeltern nichts antworte? Meine Aeltern, sagte Bertha, kennen mich nicht, und wenn sie von mir reden, so kann ich auch nicht einmal glauben, daß sie mich meynen, zu meinem Troste versteht einer meine Liebe, dem ich sie auch alle Abend vortrage, und der gar artig sein Köpfchen bewegt, und mit mir trauert, wenn ich ihm mein Leid klage; und ob es gleich Winter ist, und die Kälte macht, daß er zittert, so kommt er doch alle Abende, wenn die andern schlafen, an mein Fenster, und singt die lieblichsten Lieder. Ein Vogelgesang ließ sich aus der Ferne vernehmen, und Bertha sprang freudig auf. Da ist mein Freund! rief sie aus, und öffnete schnell die Laden des Fensters. Ein kleiner Vogel flatterte auf den Rand, schlug mit den Flügeln, und beugte seinen Kopf, als ob er die kleine Bertha grüßen wollte. Bertha gab dem Vogel die zärtlichsten Namen, fragte ihn wo er den ganzen Tag gewesen sey, beklagte ihn, daß er so frieren müsse, und tröstete ihn, daß der Sommer bald wieder käme, dann blühten die Blumen wieder, alle seine kleinen Freunde kehrten dann zurück, die hier keine Freundin hätten, so wie er, und darum dem unfreundlichen Winter entflöhen. Der Vogel schien sie zu verstehen, und sich über ihre Rede zu freuen. Dann klagte sie ihm ihr Leid, wie sie von der Mutter ausgescholten würde, wie der Vater unfreundlich sey, und alle nur die kleinen Geschwister lieb hätten, und wie keiner ihre Liebe fühlte; der Vogel neigte traurig sein Haupt, dann erhob er sich und sang ein munteres Lied. Bertha war getröstet, der Vogel flog davon und sie schloß das Fenster. Der Fremde hatte all' ihr Thun betrachtet, was sie aber gar nicht kümmerte.

Als es Morgen geworden war, sagte er zu Bernhard und Else: Euch macht eure Tochter Bertha keine Freude, gebt sie mir, daß ich sie als die meinige erziehe, und ich will mich von euch für hoch belohnt halten.

Wollt ihr, sagte Bernhard, so unermüdet in eurer Liebe für uns seyn, daß ihr uns nicht nur beglückt, sondern auch das, was unser Glück stört, von uns nehmt?

Bertha mußte weinen, daß es ihre Aeltern als einen Gewinn betrachteten, wenn sie von ihnen genommen würde. Der Fremde fragte: Willst du mit mir gehen?

Gern, sagte Bertha, indem sie ihm die Hand reichte.

Der Fremde beschloß, sogleich abzureisen, er nahm Bertha bei der Hand und sagte: Gehe hin, mein Kind, und nimm von deinen Aeltern Abschied.

Bertha küßte den Vater und die Mutter unter vielen Thränen, Bernhard und Else gaben ihr noch manche Ermahnungen mit, und empfahlen ihr, wie sie die Wohlthat, die ihr so unverdient widerführe, durch ein gutes Betragen verdienen solle. Bertha antwortete nichts. Als sie aus der Thür der Hütte traten, kam ihnen ein reichgekleideter Diener mit schönen Pferden entgegen. Der Fremde hob die kleine Bertha auf ein weißes geschmücktes Roß, sie grüßten Bernhard und Elsa noch einmal, und zogen freudig fort. Bald erreichten sie den Wald, ein kalter Wind wehte ihnen entgegen, und die Bäume, ihrer Blätter beraubt, konnten ihnen keinen Schutz gewähren.

Der Wind ist kalt, sagte Bertha seufzend, und er ist so zart und klein, in diesem ungestümen Wetter wird er mir wohl nicht folgen.

Wer? fragte ihr Begleiter.

Mein Freund, sagte Bertha, mein geliebter kleiner Vogel. Nun werde ich weinen, und er wird meine Thränen nicht sehen, seine Lieder werden mich nicht mehr trösten. Ein lieblicher Gesang erscholl. Da ist er! rief Bertha freudig aus, und sie sahen einen kleinen Vogel mit goldnen und grünen Federn, der mit seinen zarten Flügeln die Lust theilte, und sich eifrig bestrebte, die Reisenden zu erreichen. Als er zu ihnen gelangt war, flog er immer in Bertha's Nähe, und betrachtete sie, zuweilen näherte er sich ihrem Begleiter, der ihn oft zu sich locken wollte, aber immer floh der kleine Vogel furchtsam zurück, und schien zu dem fremden Manne kein Vertrauen zu gewinnen.

Sie waren den Tag fortgezogen, und erreichten endlich am Abend eine Herberge. Bertha war ermüdet, sie hörte den Vogel vor ihrem Fenster, und schlief unter diesen lieblichen Tönen sehr bald ein. Als sie am Morgen erwachte, fand sie sich in einem prächtigen Gemach, dessen Wände mit Gold und reicher Seide bekleidet waren; schön geschmückte Mädchen standen und erwarteten ihre Befehle. Bertha konnte sich nicht finden, es erschien ihr alles wie ein Traum, sie betrachtete das Gemach, die Mädchen und die reichen Kleider, die vor ihr ausgebreitet lagen, aber alles war ihr so fremd, daß sie die Kleider nicht zu berühren, und die Dienerinnen nicht anzureden wagte. Da hörte sie aus der Ferne ihren geliebten Vogel singen, und nun kam es deutlich in ihr Gedächtniß zurück, wie sie mit dem Fremden von ihren Aeltern gezogen sey, wie ihre Aeltern sie so gern gelassen, und niemand als ihr getreuer Vogel sich ihren Abschied zu Herzen genommen habe, der ihr auch in seiner Liebe gefolgt war. Sie betrachtete die kostbaren Sachen wieder und mußte weinen, als sie dachte, daß ihre Aeltern und Geschwister alle diese Pracht entbehren müßten, und sich in grobe schlechte Kleider hüllen. Die Mädchen näherten sich ihr und kleideten sie an, darauf kam der fremde Mann, welcher sie von ihren Aeltern weggeführt hatte, und zeigte ihr das ganze Haus und alle kostbare Dinge, die es enthielt. Bertha betrachtete den Mann, und er kam ihr in aller seiner Herrlichkeit so traurig vor, daß sie ein rechtes Mitleiden mit ihm hatte.

Sie lebte nun in dem prächtigen Hause, und vertrieb sich die Zeit mit allerhand Spielen, sie nannte den Besitzer des Hauses Vater, ohne sich um seinen Namen zu kümmern, der Vogel sang ihr muntere Lieder, und wurde immer dreister, so daß er oft am hellen Mittag an ihr Fenster kam, und sie begrüßte. Die Mädchen hatten ihn oft fangen wollen, weil sein Gesang so lieblich, seine Gestalt so überaus zierlich, und die Federn so zart und glänzend waren. Aber Bertha bat sie so beweglich, ihm seine Freiheit zu lassen, daß er vor allen Nachstellungen sicher blieb.

So hatte sie den Winter verlebt, die Sonne fing an wärmer zu scheinen, die Bäume hatten Knospen, und die grünen Blätter drängten sich schon an den Sträuchern hervor, da eilte Bertha oft in den Garten und in den nahen Wald; die Vögel waren auch zurückgekommen, und wenn alle ihre Stimmen erhoben, und ihre Freude über den warmen Sonnenschein verkündigten, so kannte sie doch die Stimme ihres Lieblings, und erfreute sich seiner. Einst ging sie in den Wald, der Himmel war blau und freundlich, keine Spur mehr vom Winter, aller Schnee war hinweggeschmolzen, und Bertha erfreute sich über die vielen Vögel, als sie bald ihren Liebling vermißte; sie rief ihn, und betrachtete jeden vorüberfliegenden Vogel, aber nirgends wollte er sich zeigen. Sie ging immer tiefer in den Wald, und hoffte ihn noch endlich zu finden, doch alle Mühe war vergeblich; endlich konnte sie nicht weiter, sie setzte sich ermüdet und betrübt auf den Rasen nieder. Plötzlich sahe sie, sich gegenüber, in dem Schatten einer alten Buche einen Jüngling liegen, der starr nach dem Baume hinaufsah, dann machte er Gebehrden der Betrübniß, und Bertha glaubte, der Jüngling müsse einen schweren Kummer fühlen, den er einem Wesen auf dem Baume vertraue, zu welchem er so unbeweglich hinauf schaute. Sie spähte in den Zweigen des hohen Baumes, und ersah endlich ihren geliebten Vogel, der sein Köpfchen traurig zu dem Jüngling herunterbog.

So hast du mich denn auch verlassen, rief Bertha aus, und dir einen andern Liebling erwählt? Nun, ich will mich auch um dich nicht mehr kümmern. Hätte ich es nur gelitten, daß die Mädchen dich fingen, wie sie es wollten, so hättest du mir nicht entfliehen können. Meine Eltern haben mich nicht geliebt, die Menschen sich nie um mich gekümmert, da kamst du zu mir und tröstetest mich, und ich hoffte, daß ein Vogel mir getreuer seyn würde. Sie hatte sich, indem sie diese Worte sprach, dem Baume genähert, der Vogel erhob sich und fing zu singen an, und wie die lieblichen Töne in der Luft zitterten, berührten sie Bertha's Herz, und sie mußte den Zorn fahren lassen. Sie betrachtete den Jüngling, der ihr überaus schön vorkam, der Vogel zog sich eine goldne Feder aus, und reichte sie Bertha hin, die sie an ihren Busen steckte, worauf der Vogel davon flog, der Jüngling in den Wald ging, und Bertha nach Hause zurück kehrte. Die Mädchen hatten Sorge gehabt, Bertha möchte verirrt seyn, und den Weg nicht wieder finden, sie waren also erfreut, als sie sie kommen sahen.

Der fremde Mann, welchen Bertha Vater nannte, trat herein und sagte ihr, daß er auf einige Zeit verreisen müsse, sie möchte sich über seine Abwesenheit nicht bekümmern. Bertha nahm zärtlich von ihm Abschied, er bestieg ein prächtiges Roß, und eine Schaar geschmückter Diener begleitete ihn. Bertha ging, als er sie verlassen hatte, durch das ganze Haus, und kam endlich in ein einsames Gemach, in welchem viele Bücher lagen, neugierig blickte sie in einige, und verweilte unwillkührlich bei einem Buche, welches mit wunderbaren Zeichen beschrieben war, die sie aufmerksam betrachtete. Indem fiel die Feder von ihrer Brust auf eins der Zeichen nieder, sie hob die Feder wieder auf und erschrack heftig, als eine sanfte Stimme fragte: Was willst du von mir, mein Kind? Eine junge schöne Dame, in einem grünen Gewande, welches reich mit Gold gestickt war, stand hinter ihr. Bertha konnte sich von ihrem Erstaunen nicht erholen, und die Dame fragte noch einmal: Du hast mich gerufen, sage, was du von mir wünschest. Ich dich gerufen? sagte Bertha, die sich etwas faßte: ich kenne dich nicht, wie kann ich dich rufen? Du hast mit der Feder, sagte die Dame, mein Zeichen berührt, worauf ich erscheinen muß. Und du kennst mich nicht? betrachte mich genau, ob du dich meiner nicht erinnerst. Bertha sahe sie an, und indem die Fremde den Kopf bewegte, schien es Bertha, als müßte es der kleine Vogel seyn, doch wagte sie nicht, diesen Gedanken zu äußern.

Du warst bekümmert, sagte die Dame, dein Liebling möchte aufhören, dich zu lieben, und seine Liebe dem schönen Jüngling schenken, den du im Walde sahest, aber dieser Jüngling ist mein Sohn, und darum mußt du ihn nicht beneiden; wenn du ihn wieder siehst, so rede ihn freundlich an, und tröste ihn für den vielen Kummer, den er um deinetwillen erlitten hat.

Um meinetwillen? fragte Bertha. Ja, sagte die Dame, als du gebohren wurdest, hat er dein Bild gesehn, und seit der Zeit liebt er dich mit der heißesten Sehnsucht, und zieht nun durch die Welt um dich zu suchen, darum tröste ihn wenn er dich findet, damit er dich aber erkennen möge, will ich mit diesem Kusse alle Schönheit, die noch in dir schlummert, und die sich erst nach Jahren entfalten würde, erwecken. Bertha fühlte, daß sich ihre Gestalt ausdehnte, als die Dame ihre rothen Lippen auf ihre Stirn drückte, ihr Busen hob sich schneller, und das Bild des schönen Jünglings stand lebhaft vor ihren Augen. Die Dame betrachtete sie lächelnd und sagte: Warlich, meines Sohnes Liebe ist nicht zu tadeln, denn er hat sich ein schönes Kind gewählt. Bertha erblickte ihr Bild in einem Spiegel, und war überrascht, als sie sich so ganz verändert fand. Wenn du dich in Noth befindest, und meiner Hülfe bedarfst, so berühre nur mit der Feder dies Zeichen, und ich werde sogleich bei dir seyn. Bertha wollte ihr danken, aber jene wendete sich um und verließ das Zimmer; gleich darauf kam der kleine Vogel und sang in so lieblichen Tönen am Fenster, daß es Bertha innig bewegte, und sie ihre Thränen nicht zurückhielt.

Sie ging auf ihr Zimmer und fürchtete, die Mädchen würden sie nicht erkennen, da sie so groß geworden, und ihre Gestalt ganz verändert war; diese schienen aber diese Verwandelung gar nicht zu bemerken, sondern redeten sie freundlich an und fragten: womit sie sich so lange die Zeit vertrieben habe. Bertha sagte, daß sie viele Bücher in ihres Vaters Gemach betrachtet hätte. Die Mädchen erwiederten, es sey ihnen zwar verboten, Bertha in dies Zimmer zu lassen, sie sey ihnen aber so gut und freundlich, daß sie ihr nichts verweigern möchten; doch müsse sie versprechen, wenn der Herr zurückkäme, es ihm zu verschweigen, daß sie diese Freiheit genossen habe.

Bertha gab dies Versprechen gern, sie brachte die Nacht schlaflos zu, der schöne Jüngling beschäftigte unaufhörlich ihre Gedanken, und kaum dämmerte der Morgen, so hatte sie sich in ein leichtes Gewand geworfen, und eilte, ohne die Mädchen aus ihrem Schlummer zu wecken, in den Wald.

Alle Vögel begrüßten sie mit lieblichen Melodieen, aber unter so vielen erkannte sie ihren Liebling, der mit lauter Stimme sang, und mit seinen Liedern die Sehnsucht in Bertha's Busen zu hellen Flammen anfachte. Sie hatte endlich wieder den einsamen Platz erreicht, der Vogel flog auf die hohe Buche und fing von neuem zu singen an, da kam aus dem Gebüsch der Jüngling, und warf sich unter dem Baume nieder. Er wollte seine Klagen beginnen, als sich Bertha dem Baume näherte, der Jüngling hob seine Augen auf und erkannte die holde Gestalt, er konnte nicht reden, er warf sich zu ihren Füßen nieder und umfaßte ihre Knie. So wird mir endlich, rief er aus, meine Liebe belohnt, so finde ich dich, du Geliebte? O wende dich nicht von mir ab, weigere meinen schmachtenden Lippen nicht, sich auf den deinen zu erquicken, durch Jahre voll Leid habe ich mir diese Wonne erworben. Bertha konnte ihre Lippen seinen Küssen nicht entziehn, der Vogel war hinweggeflogen, sie hörten seinen Gesang in weiter Ferne, und die zärtlichen Töne machten ihre Liebe um so inniger. Der Jüngling flehte Bertha an, ihm in seine Wohnung zu folgen, und sein Haus in Besitz zu nehmen. Bertha konnte ihm nichts mehr verweigern, sie folgte dem Geliebten durch die dichtesten Gesträuche, tief in den Wald hinein. Endlich stand der Jüngling vor einem Felsen still, an dem sich Epheu und wilde Blumen hinauf rankten; er bog die Blumen zurück, wodurch der Eingang zu einer Höhle sichtbar wurde, dann nahm er Bertha's Hand, und führte sie hinein. Kaum waren sie eingetreten, so schloß sich die Oeffnung wieder mit Blumen zu; der Jüngling berührte eine Wand der Höhle, die sich augenblicklich aufthat, und den Vorhof eines Pallastes sehen ließ. Diener und schön gekleidete Pagen kamen ihnen entgegen, und führten sie in das Schloß, woraus ihnen eine liebliche Musik entgegen tönte. Mädchen traten heraus, welche Blumenkränze in den Händen hielten, mit denen sie Bertha schmückten, alles schien auf ihren Empfang vorbereitet, denn alle drängten sich herbei, um sie als die Herrin des Hauses zu grüßen. Der Tag verging unter festlichen Gesängen und Tänzen. Der Jüngling führte seine geliebte Braut endlich in ein einsames Gemach, wo ein prächtiges Lager für sie bereitet war. Bertha konnte seiner Sehnsucht, seinen süßen Bitten nicht widerstehen, und die Liebe umschlang beide mit festen Banden.

Als Bertha am Morgen erwachte, betrachtete sie den neben ihr schlummerden Gemahl, und wurde von seiner Schönheit entzückt; sie küßte seine geschlossenen Augen, die er aufschlug, und sie mit unendlicher Liebe betrachtete. So vergingen ihnen unter Scherz und süßen Schmeicheleien die Tage, und Bertha hatte den Vogel, den Vater und ihre Aeltern ganz vergessen, den Gesang des Vogels hatte sie nicht mehr gehört, sie war aber auch darüber unbekümmert gewesen. Jetzt fühlte sie, daß sie schwanger sey, und wie das Kind sich in ihrem Schooße regte, dachte sie mit Sehnsucht an ihre Aeltern, die sie so ganz verlasser habe, auch wurden die Blicke ihres Geliebten trüber, alle ihre Dienerinnen sahen sie mit traurigen Blicken an, die fröhlichen Gesänge verstummten, und wenn Bertha aus dem fernen Walde die Stimmen der Vögel hörte, so dachte sie an ihren kleinen Liebling, und wünschte sich, seine Stimme nur einmal wieder zu vernehmen. Die Zeit ihrer Entbindung rückte näher, und ihr Herz wurde beklommener, sie dachte an die Dame, welche ihr im Gemache ihres Vaters erschienen war, und wünschte sich ihren Rath, ihre Hülse herbei, aber sie bedurfte jenes wunderbaren Buches, um die unbekannte Freundin zu rufen. So verlebte sie ihre Tage in Angst und Sorgen, ihr Geliebter entfernte sich oft und kam immer finster zurück; er suchte Bertha zu trösten, aber wenn er freundliche Worte sprechen wollte, schwammen seine Augen in Thränen. Eines Abends kam er wieder, sein Blick war trüber als je; Bertha wollte ihn um die Ursache seines Kummers fragen, doch plötzlich wurden sie durch einen heftigen Donnerschlag erschreckt. Bertha schmiegte sich ängstlich an ihren Geliebten, Blitze zuckten mit rothen Strahlen hin und wieder, Donnerschläge folgten schnell auf einander, Bertha wurde durch die Angst ermattet und entschlief. Am andern Morgen erwachte sie von einem heftigen Weh, das durch ihren Körper zuckte, sie blickte um sich, und der herrliche Pallast, die reichen Gemächer, die vielen Diener und Mädchen waren verschwunden. Sie lag in einer geräumigen Höhle auf einem Lager von Moos, in dasselbe Gewand gehüllt, in welchem sie ihres Vaters Haus verlassen hatte, die Feder des kleinen Vogels glänzte an ihrer Brust. Sie konnte nicht begreifen, ob ein Traum sie täusche, sie wollte hinaus vor die Höhle treten, um zu sehn, ob sie sich im Walde befände, aber das Weh, welches sie heftig befiel, hielt sie zurück. Unter Angst und Schmerzen gebar sie einen Sohn, und als sie das Kind betrachtete, bemerkte sie, daß es ein überaus schöner Knabe sey, dem auf seiner Brust ein kleiner goldner Stern glänzte, auf derselben Stelle, an welcher sie die Feder des Vogels trug. Sie hüllte das Kind in ihr Gewand, und stand auf um die Höhle zu verlassen, sie fühlte sich stark und leicht; sie bog die Blumen zurück, die den Eingang der Höhle bedeckten, und trat in den Wald hinaus. Lange irrte sie durch die dunkeln Gänge, und konnte nirgends einen Ausgang finden; die Sonne fing schon an sich zu neigen, sie zagte und wünschte, sie hätte die Höhle nicht verlassen. Endlich als es schon finster geworden, hatte sie den Ausgang aus dem Walde gefunden, und erblickte in der Ferne ein Licht, sie lenkte ihre müden Schritte dahin, und erreichte ein kleines Haus. Bertha pochte an die Thür, ein kleines Mädchen kam ihr freundlich entgegen und hieß sie eintreten. Sie folgte dem Kinde, und als sie in die Stube trat, erkannte sie ihre Aeltern, die von ihren Kindern umgeben am Kaminfeuer saßen. Elsa hatte noch ein kleines Kind auf ihrem Schooße, das an ihrer Brust sog. Die Aeltern erkannten Bertha nicht, und standen auf, sie zu begrüßen. Seyd uns willkommen, schöne Dame! sagte Elsa: wollt ihr ruhen? ihr scheint ermattet. Bertha setzte sich an dieselbe Stelle am Camin, wo sie ehedem gesessen hatte, und Elsa stand auf, um ihr ein Abendessen zu bereiten.

Als Bertha mit ihren Aeltern gegessen hatte, begab sie sich zur Ruhe. Am andern Morgen trug sie ihrer Mutter an, da sie weiter reisen müsse, ob sie ihr Kind zur Verpflegung hier behalten wolle. Euer Sohn, sagte Elsa, ist ein so wunderschönes Kind, daß ihr mir eine Wohlthat erzeigt, wenn ihr ihn mir laßt. Er soll die Milch aus meiner Brust trinken, und wenn ihr ihn auch nicht wieder fordert, so will ich ihn statt meines Kindes erziehen, das wir freventlich weggegeben haben, und von dem wir nun gar nichts hören. Bertha nahm eine Schnur kostbarer Perlen vom Halse, und gab sie ihrer Mutter. Elsa dankte freundlich. Bertha küßte ihren kleinen Sohn noch einmal, und verließ ihrer Aeltern Haus.

Sie ging verschiedne Tage, und ruhte in der Nacht in Höhlen, oder im Schatten eines Baumes, keine Furcht kam in ihr Gemüth, sie wünschte mit Sehn sucht, das Haus des Mannes wieder zu finden, der sie von ihren Aeltern weggeführt, und sie so freundlich bei sich aufgenommen hatte. Endlich am sechsten Tage erblickte sie das Haus, sie erkannte es sehr wohl, und ging dreist in den Hof hinein. Die Mädchen kamen ihr entgegen, und erkannten sie sogleich. Seyd uns gegrüßt, schöne Bertha! riefen sie ihr freundlich entgegen: wie vielen Kummer haben wir nicht während eurer Abwesenheit erlitten! Euer Vater ist wieder ausgegangen, wir glauben, daß er seine verlohrne Bertha zu suchen bemüht ist. Bertha erkundigte sich nun nach allem, und erfuhr, daß, als sie verschwunden war, das ganze Haus darüber voller Traurigkeit gewesen sey. Am andern Morgen habe man den Vogel erblickt, der sey auf ihr Fenster geflogen, und habe die zärtlichsten Lieder gesungen, so daß sich alle Mädchen der Thränen nicht haben erwehren können. Zugleich aber, fuhren sie fort, konnten wir den Glauben nicht fahren lassen, daß der böse Vogel die Ursache sey, warum ihr uns verlassen hattet, und wie wir schon immer beschlossen gehabt, ihn zu fangen, so wollten wir es diesmal ausführen, und es gelang uns auch gar trefflich, wir sperrten ihn in einen engen Käfig, und als euer Vater von seiner Reise zurückkam, und nach seiner lieben Bertha fragte, überreichten wir ihn als den Schuldigen, da ihr nirgends zu finden wart. Der Herr betrachtete den Vogel mit nachdenklicher Miene, und brachte ihn in sein einsames Gemach. Hier versorgte er ihn selber täglich mit Speise, bis er nun wieder abreiste, wo er uns denn diese Sorge übertragen mußte. Bertha bat, man möchte ihr dies Geschäft überlassen, die Mädchen wollten aber nicht darein willigen, weil sie fürchteten, Bertha möchte ihrem Lieblinge die Freiheit wieder geben, die sie ihm sonst durch ihr flehentliches Bitten erhalten hatte. Aber Bertha versprach, daß er in seinem Käfig bleiben sollte, und nun erhielt sie die Erlaubniß, ihm seine Speise zu reichen. Sie begab sich in das Gemach, und erblickte den Vogel, der sein Köpfchen und seine Flügel artig neigte, um Bertha zu begrüßen. Wie ihn Bertha betrachtete, so schien es ihr wieder, als müßte er die Dame seyn, welche ihr einmal erschienen war. Sie schlug das Zeichen in dem wunderbaren Buche auf, berührte es mit der goldnen Feder, und der Käfig zerbrach, der Vogel dehnte sich aus, richtete seine Flügel und seine Federn, und die Dame stand in einem grünen, reich mit Gold gestickten Kleide, und sahe Bertha lächelnd an.

Willkommen, meine Tochter! redete sie sie an, die Zeit des Grames ist nun vorüber, ich nehme diese geflügelte Gestalt nicht wieder an, und will auch meinem Gatten verzeihen, daß er mir diese Schmach bereitet hat.

Wer bist du? fragte die zitternde Bertha. Eine Fee, sagte jene, und die Mutter des Jünglings, der dein Gemahl ist. Ich bin mit dem Manne vermählt, in dessen Hause du lebst, er ist ein mächtiger Zauberer, und liebte mich heftig. Seine Liebe machte, daß er der Eifersucht Raum gab, und mich in einen Vogel verwandelte. Er sah sein Unrecht sogleich ein, denn weil ich unschuldig war, so wurde ihm zur Strafe unser Sohn genommen. Dein Gemüth bestimmte dich, meinen Sohn zu lieben, und dadurch in der Zauberwelt zu leben. In wenigen Augenblicken werden wir alle vereinigt und glücklich seyn. Die Dienerinnen meines Gemahls haben mich mit Gewalt gefangen, und in sein Haus gebracht, er selbst ist ausgezogen dich zu suchen, und findet bei deinen Aeltern deinen Sohn, den er an dem goldnen Stern für seinen Enkel erkennt; er nimmt ihn mit Gewalt, und Bernhard und Elsa haben das Kind so lieb gewonnen, daß sie ihm folgen, und sich nicht von ihm trennen wollen. Mein Sohn mußte dich verlassen, als dein Sohn gebohren wurde, eure Wohnung mußte verschwinden, damit dies liebliche Kind uns alle wie ein freundlicher Stern vereinigen möchte.

Die Dame hatte kaum ihre Rede geendigt, als sich die Thür öffnete, und der Zauberer herein trat, er hielt Bertha's kleinen Sohn auf seinen Armen. Bertha nahm ihn und drückte ihn an ihre Brust, Elsa und Bernhard folgten, sie erkannten nun in der Mutter des Kindes ihre Bertha. Auch der [⇐195][196⇒] schöne Jüngling war herbei gekommen, und alle umarmten sich, und freuten sich des schönen Tages. Der Zauberer und die Fee versöhnten sich, und versprachen ihren Kindern, daß sie von nun an lauter glückliche Tage sehen sollten.