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Des Knaben Wunderhorn

Eine Liedersammlung von Joachim von Armin und Clemens von Brentano

Der Graf und die Königstochter

Aus Meißner's Apollo. Juny 1794. S. 165.

            O daß ich könnt' von Herzen
            Singen eine Tageweiß,
            Von Lieb' und bittern Schmerzen!
            Merkt auf, merkt auf mit Fleiß,
            Wie's einer Königstochter ging
            Mit einem jungen Grafen!
            Nun hört groß Wunderding!

            An ihres Vaters Tafel
            Saß mancher Ritter werth,
            Doch liebte sie den Grafen
            Vor allem was auf Erd,
            Was Gott durch seine Weisheit schuf;
            Aus heimlichem bangem Herzen
            Thät sie so manchen Ruf.

            »Herr Gott, send mir das Glücke,
            Daß er mein Herz erkenn!
            Lös mir auf Band und Stricke
            Der edlen Venusin!«
            Und was ihr in dem Herzen lag,
            Das lag wohl auch dem Grafen
            Im Sinn bei Nacht und Tag.

            Keins klagt dem andern offen,
            Was ihm am Herzen lag;
            Ein jeder thäte hoffen
            Einen guten Freudentag,
            Der doch zuletzt mit Jammer kam,
            Sie schrieben sich Liebesbriefelein,
            Ganz frei und ohne Scham.

            Darin sie sich gemeldet
            Von einem Brunnen kalt,
            Der lag so weit im Felde,
            Vor einem grünen Wald,
            Wer ehe käm zu des Brunnens Fluß,
            Der sollte des andern warten;
            Also war ihr Beschluß.

            Die Jungfrau thät sich zieren
            In einen Mantel weis,
            Ihre Brüst' thät sie einschnüren,
            Vermacht mit allem Fleis;
            Auch sprach die edle Jungfrau schon:
            »Kein Mann soll mir's aufreißen,
            Denn eines Grafen Sohn!«

            Sie kam wohl zu dem Brunnen,
            Sie fand viel Lust und Freud,
            Sie dacht: »Ich hab gewonnen!
            Mein Trauern ist zerstreut,
            Aus aller Noth bin ich erlößt,
            O daß ich säh hertreten
            Mein Hoffnung und mein Trost.«

            Zur Hand lief aus dem Walde,
            Eine grimme Löwin her.
            Die Jungfrau sah sie balde,
            Sie lief von dannen fern,
            Und kam nicht wieder denselben Tag;
            Ihren Mantel ließ sie liegen,
            Daraus kam Noth und Klag.

            Die Löwin warf ihre Jungen
            Wohl auf den Mantel gut,
            Der Mantel ward durchdrungen
            Von Schweiß und rothem Blut.
            Darnach die Löwin wieder ging
            Zu Walde mit ihren Jungen,
            Da kam der Jüngeling.

            Wie er den Mantel gefunden,
            Besprengt mit Blute so roth,
            Da schrie er laut zur Stunden:
            »O weh! meine Liebe ist todt,
            Wie sie mich nicht gefunden hat,
            Hat sie sich selbst getödtet.
            O weh, der großen Noth!

            Nun mag es Gott erbarmen!«
            Thät er so manchen Ruf:
            »O weh, o weh mir Armen,
            Seither daß Gott mich schuf!«
            Sein Schwerdt das zog er aus der Scheid:
            »Nun kömmts mit mir zu Ende,
            Heilig Dreyfaltigkeit!

            Wie hast du meiner vergessen,
            Wo ist das edle Weib?
            Sie haben die Thiere gefressen,
            So gilts auch meinen Leib!
            Sie ist durch mich gestorben hie,
            Will ich ihren Leib bezahlen!«
            Er fiel auf beyde Knie.

            »Gott segne dich, Mond, und Sonne,
            Desgleichen Laub und Gras!
            Gott gesegne dich, Freud und Wonne
            Und was der Himmel beschloß!«
            Sein Schwerdt das stach er durch sein Herz:
            »Es soll kein Frauenbilde,
            Durch mich mehr leiden Schmerz!«

            Die Sonne sank zum Abend,
            Die Jungfrau wieder kam
            Wohl zu dem Brunnen gelaufen,
            Ein tödtlich Herz vernahm,
            So bitterliche Klage fürwahr;
            Sie rang ihre schneeweiße Hände,
            Rauft aus ihr gelbes Haar.

            Die Jungfrau thät sich neigen
            Wohl auf den Grafen schön:
            »Gott gesegne dich, Erb und Eigen
            Und dich königlich Kron!
            Desgleichen, Feuer, Wasser, Luft und Erd!«
            Indem thät sie aufspringen,
            Und zog aus ihm sein Schwerdt.

            »Hast du durch mich aufgeben
            Land, Leute, Ehr und Gut;
            Verloren hier dein Leben,
            Vergossen auch dein Blut,
            Weil du gemeint, ich sey ermordt,
            So will ich bey dir bleiben
            Ewiglich hier und dort.«

            Das Schwerdt das thät sie stechen
            Durch ihr betrübtes Herz.
            Gott woll nicht an ihr rächen,
            Den Tod mit ewgem Schmerz!
            Denn es wahrlich am Tage liegt,
            Die Lieb überwindet alle Dinge
            In dieser betrübten Zeit.