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Der Frühlingsregen am Genfersee

Düstrer Wolkenzug , o schwebe näher,
     Walle still am Jura dort hinab[1];
Und der Landmann , treuer Wetterspäher,
     Juble: Segen träufelt uns herab!

Seht des schönen Sees Bett verdunkelt,
     Wo die Möve dort ins Wasser streift;
Des Saleve Scheitel[2]  heiß umfunkelt;
     Jenes Huhn, das unters Obdach läuft.

Graue Schatten wandeln, schweben, tauchen
    Schnell das Thal in trübe Dämmrung ein;
Kräuterknospen öffnen sich, und hauchen<
    Süßern Duft als Zeilons Spezerein[3].

Regen triefelta freundlich und gelinde
     Jetzt auf Hügel, Acker, Wies’ und Feld;
Und der Vögelchor im Frühlingswinde
    Tönt im Busch, vom Zitterglanz erhellt.

Auf der Dole[4] schwimmt ein Meer von Strahlen;
     Purpur färbt das öde Felsenschloß[5];
Rosenschimmer, die den Mole[6] mahlen,
     Sinken auf des Sees Spiegelschooß.

Erd’ und Himmel, Fels und Thal und Hügel,
     Glänzt in reiner Farbenharmonie;
Die Gewässer[7]  und der Winde Flügel
     Rauschen drein in hoher Melodie.

Schalle dann: Laut durch die Weltentöne[8],
     Edler Chor, den unser Freund erschuf;
Und der Menschenstimme Zauber kröne
     Der Natur vereinten Freudenruf.


[1] Das Gebirge des Jura begrenzt im Westen das Thal des Genfersees, und ist das Barometer von Genf. Wenn der Rücken unbedeckt sich im Abendlicht auflehnt, erwartet man sicher heiteres Wetter; ist er aber, besonders bei der Oefnung des Fort Ecluse, mit Wolken bedeckt, dann prophezeit man Regen.
[2] Ein Fels, der seiner gigantischen Form wegen sowohl als durch die scharfgezeichneten Steinlagen merkwürdig ist, welche seine Schöpfung und Bildung durch die Strömung ehemaliger Fluten deutlich verrathen.
[3] Die durch ihren weitverbreiteten Wohlgeruch berühmte Gewürzinsel.
[4] Die höchste Kuppel auf dem sonst ziemlich eben hinlaufenden Rücken des Jura.
[5] Trümmer eines alten Klosters, auf der Höhe des kleinen Saleve, dessen Portal mit der Inschrift: Nasci, pati, mori, mitten im Hinunterblick auf das Zauberthal des Genfersees, jene Mischung von Freude und Wehmut erweckt, die fühlenden Seelen so süß ist.
[6] Ein Berg, der, von den Höhen um Genf erblickt, dem Reisenden wegen seiner dem Vesuv äusserst ähnlichen Gestalt auffällt.
[7] Die Arve, von den Savoyischen Eisbergen herabrauschend, vereinigt nahe bei Genf, unter den romantischen Hügeln von la Batie und St. Jean, ihre trüben Fluten mit der, einer frischen Nymphe gleich, aus dem Bade des Sees hervorströmenden Rhone.
[8] Worte aus dem ersten Chore der Athalia, nach Cramers Uebersetzung und Schulzens Komposition. Gewisse Akkorde der Natur rufen gewisse Akkorde der Kunst in meine Seele zurück. Dieser Preischor, werth von einer dankenden Welt angestimmt zu werden, schwebte, mit dem Bilde meines Freundes vereint, in jenem schönen Momente meinem Geiste vor.