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Erstes Buch - Lyrische Gedichte.

von Gottfried August Bürger

Die Nachtfeier der Venus

Nach dem Lateinischen.

2. Weihgesang

Stimmt, zu Aphroditens Feier,
Stimmt ihn an, den Weihgesang!
Töne d'rein, gewölbte Leier!
Hall' am Felsen, Wiederklang!
Morgen ziehen ihre Tauben
Sie herab in unsern Hain;
Morgen, unter Myrtenlauben,
Ladet sie zu Tänzen ein;
Morgen winkt vom hohen Throne
Uns ihr goldner Richterstab,
Und sie spricht, zu Straf' und Lohne,
Gütevolles Recht herab.

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat längst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!

Eilt, den Thron ihr zu erheben!
Froh vollbringet ihr Gebot!
Flora soll ihn überweben,
Golden, blau und purpurrot.
Spend', o Flora, jede Blume,
Die im bunten Enna lacht!
Flora, zu der Holden Ruhme,
Spende deine ganze Pracht!

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat langst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!

Sie wird thronen; wir Geweihte
Werden tief ihr huldigen.
Amor thronet ihr zur Seite,
Sammt den holden Grazien.
Alle Nymphen sind geladen.
Nymphen aus Gefild' und Hain,
Oreaden und Najaden
Werden hier versammelt sein.
Alle sind herbei gerufen,
Vor der Göttin Angesicht;
Mit zu sitzen auf den Stufen
Zu dem hohen Throngericht.

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat längst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!

Schon durchwallt die frohen Haine
Die berufne Nymphenschar.
Amor flattert mit; doch Keine
Naht sich ihm und der Gefahr. –
Nymphen, die sein Köcher schreckte,
Wißt ihr nicht, was ihm geschehn,
Daß er heut die Waffen streckte,
Daß er heut muß wehrlos gehn?–
Unverbrüchliche Gesetze
Wollen, daß sein Bogen heut
Keiner Nymphe Brust verletze. –
Aber, Nymphen, scheut, o scheut
Ihn auch nackt! Er überlistet,
Er verletzt euch Mädchen doch!
Denn den Waffenlosen rüstet
Seine ganze Schönheit noch.

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat längst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!

Nymphen, rein wie du an Sitte,
Sendet, keusche Delia,
Sendet dir mit sanfter Bitte
Venus Amathusia:
Morgen triefe dies Gesträuche
Von des Wildes Blute nicht!
Deines Hornes Klang verscheuche
Dieses Haines Vögel nicht.
Selber wäre sie erschienen,
Selber hätte sie gefleht,
Doch sie scheute deiner Mienen,
Deines Ernstes Majestät.
Weich' aus unserm Feierhaine!
Venus Amathusia
Walte morgen hier alleine!
Weich', o keusche Delia!

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat längst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!

Dich auch lüd' in diese Haine
Traulich unsre Göttin ein,
Ziemt' es dir, o Keusche, Reine,
Unsrer Lust so nah' zu sein.
Ha! Du solltest Jubel hören!
Hören Sang und Zymbelklang!
Solltest uns in Taumelchören
Schwärmen sehn drei Nächte lang;
Solltest bald in Wirbelreigen
Uns um rasche Nymphen drehn,
Bald, zu Paaren unter Zweigen,
Süßer Ruhe pflegen sehn.
Auch der Held, der fern am Indus,
Vom bezähmten Pardel stritt,
Ceres und der Gott vom Pindus
Freu'n sich unsrer Freuden mit.

    Morgen liebe, was auch nimmer
    Noch geliebet hat zuvor!
    Was geliebt hat längst und immer,
    Lieb' auch morgen nach wie vor!