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Kleine Schriften

Aus Briefen 1813

Wieder in deutschen Diensten

Altenburg, 22. April 1813

Es ist keine Frage, daß der König mich höchstens als Major wieder anstellt und es als eine Strafe betrachtet, mich im Range zurückzusetzen und seine Schadenfreude daran hat. Grolmann, der vor sieben Jahren hier Major wurde, zwei Kampagnen mitmachte, sich in Spanien zum Oberstleutnant emporschwang, Oppen, der in ähnlichen Verhältnissen und Oberst war, sind hier als Majore angestellt worden. Können diese Leute über Rang und Beleidigung erhaben sein, soll ich's nicht auch können? Ich bin zu stolz, um den General noch einmal zu fragen. Wenn ich in den preußischen Dienst zurücktrete, so geschieht es nur, um meinem Vaterlande im Kriege besser zu dienen, und keine Demütigung soll mich davon abbringen. Aber ich habe keine Lust, im Frieden hinterher die kleinste Demütigung zu ertragen; ich denke jetzt schon vielmehr daran, wohin ich nach glücklich beendetem Kriege mich wenden soll; dann will ich dem Könige und allen Leuten sagen, für wen ich mich habe kränken und schlecht behandeln lassen, für wen ich mich ausgezeichnet habe: für die Sache des preußischen Vaterlandes, für ihre eigene Sache, nicht für das preußische Offizierspatent.

Die Ungeduld, in welcher man in Berlin ist, ist mir sehr erklärlich, aber ich kann versichern, daß, wenn sich bis jetzt nichts Entscheidendes ereignet hat, keine besonderen Umstände dazu die Veranlassung geben, sondern daß es in der Natur der Sache liegt. Daß wir wissen, was wir tun, ist wohl das wenigste, was Ihr von uns erwarten könnt. Wir sind freilich nicht unsere eigenen Herrn, sondern stehen unter Wittgenstein und dann noch unter Kutusow. Von der Stärke unserer Armee (Blücher) habt Ihr sehr falsche Begriffe. – Der Kaiser Napoleon scheint noch nicht angekommen zu sein. Die feindliche Armee sammelt sich bei Erfurt und ist, außer 50 000 Mann bei Magdeburg, 100 000 bis 110 000 Mann stark. Marschall Ney kommandiert sie. Die russische Hauptarmee kommt in diesen Tagen an der Elbe an. – Die Nachricht von der Übergabe von Thorn habt Ihr wohl schon.

Altenburg, den 25. April 1813

Ich will die Zeit der Ruhe noch benutzen, Dir zu schreiben, denn die Operationen scheinen ihrem Anfange sehr nahe zu sein, und dann möchte wenig Zeit zum Schreiben sein.

Der Feind sammelt sich jetzt auf den Straßen von Erfurt und Saalfeld und hat die obere Saale schon besetzt. Der Kaiser soll den 16. wirklich nach Mainz gekommen sein; soweit unsere Nachrichten reichen, sind die hintersten Truppen heran; es wird also in einigen Tagen die Szene eröffnet werden und dann ein großer Schlag nicht entfernt sein. Die vorhergegangenen Ereignisse und Umstände machen den Unterschied zwischen 1813 und 1806 doch sehr fühlbar. Die meisten Menschen sehen den Ereignissen mit großer Ruhe entgegen, wie dies einer männlichen Denkungsart ziemt.

Ich bin hier meistens sehr beschäftigt; ich mache nämlich die meisten Arbeiten für den General, obgleich Rühle auch bei ihm ist. Der General und Gneisenau schenken mir das höchste Zutrauen, und Du kannst also denken, daß ich mir meinen Verhältnissen nach keine glücklichere Lage wünschen kann; ich bin sehr heiter und zufrieden.

Den 3. Mai 1813

Liebe Marie, ich bin ganz wohl, ob mir gleich ein kleiner Franzose mit dem Bajonette hinter dem rechten Ohre gesessen hat. Man hat sich wütend geschlagen und bin ich so recht mitten unter dem Feinde gewesen. Da es uns nicht vergönnt war, auf die Führung des Gefechts einen bestimmten Einfluß zu üben, so blieb uns nichts übrig, als mit dem Säbel in der Faust zu wirken. General Blücher hat eine Contusion, General Scharnhorst einen Schuß ins Bein, doch nicht gefährlich; er ist aber zurück. Hedemann hat eine Contusion; vom Garde-Füsilierbataillon sind nur zwei Offiziere nicht tot oder blessiert; Karl Röder ist blessiert, die anderen sind gesund. Fabian Dohna ist blessiert, Prinz Leopold ist tot, viele andere unserer Bekannten, die ich nicht alle nennen kann.

Jetzt kommt es darauf an, den Mut nicht zu verlieren. Bis jetzt hat uns der Feind wenig verfolgt; er hat sogar Leipzig wieder verlassen. Die Schlacht war ziemlich unentschieden, und es ist noch nicht ausgemacht, ob wir gut getan haben, uns zurückzuziehen.

Behalte mich lieb, teure Marie! Ich habe im tiefsten Unglücke nur einen Gedanken, das bist Du. Grüße an alle Menschen.

Proschwitz bei Meißen, den 8. Mai 1813

Ich habe in meinem vorigen Briefe manches Detail, was Dich interessiert haben würde, übergehen müssen. Vor allem will ich nicht vergessen, zu sagen, daß Wilhelm [Fußnote]Bruder von Clausewitz. den ich mitten im wütendsten Gewehrfeuer gesprochen habe, ganz wohl ist. Prinz Karl von Mecklenburg hat sich durch seine Bravour und Brauchbarkeit sehr in Achtung gesetzt. Prinz Wilhelm und Prinz August sind auch sehr brav gewesen. Scharnhorst führte hauptsächlich das Gefecht auf dem rechten Flügel gegen die drei Dörfer. Er war mehrmals mit gezogenem Säbel an der Spitze von Kavallerie und Infanterie in den Feind eingedrungen; er encouragierte die Leute und rief: »Es lebe der König«, indem er den Säbel schwang. Seine Wunde, die er etwa um 6 Uhr erhielt, ist nicht gefährlich, so daß er schon jetzt eine Reise nach Wien unternehmen kann. Gneisenau befand sich auf dem linken Flügel und hat an der Spitze der Kavallerie mit eingehauen. Daß der alte Blücher auch sehr brav gewesen ist, kannst Du Dir wohl denken. Was blieb auch den Führern anderes zu tun übrig, da sie die oberste Leitung nicht hatten? Der Erfolg der Schlacht ist eigentlich der gewesen, daß wir unseren Angriff aufgegeben haben, nachdem wir die drei Dörfer und ein beträchtliches Terrain schon einmal gewonnen hatten, es aber freilich am Abend um 9 Uhr wieder abtreten mußten. Die Ursache war die Überlegenheit des Feindes. Ich schätze, daß seine Armee zwischen Weißenfels und Leipzig, also zu seiner Disposition, 110 000 Mann stark war. Wir waren 80 000, wobei nur 55 000 Mann Infanterie. Kanonen haben wir nicht verloren, sondern noch drei gewonnen. Gefangene kann der Feind etwa 1000-1500 gemacht haben (wir haben 800 gemacht), an Toten und Blessierten 10 000-12 000 Mann verloren haben. Nun sind wir hinter die Elbe zurückgegangen, der Feind scheint mit seiner Hauptmacht auf Dresden zu marschieren und von der Niederelbe her ein Korps gegen Berlin vorgehen zu lassen. Was weiter vorgehen wird, darüber kann ich mich jetzt nicht auslassen. Wir hoffen auf eine starke Diversion der Österreicher, die sogar in einem Schreiben des Königs an die Armee angekündigt ist. In keinem Falle muß man verzweifeln. Geht alles ganz schlecht und habe ich meine Pflicht bis auf den letzten Augenblick erfüllt, so eile ich zu Dir, und wir suchen in irgendeinem Winkel der Erde Ruhe und Glück in unserem gegenseitigen Umgange – nicht wahr? So bist Du mein letzter Trost. Nie kann ich ganz unglücklich sein, wenn ich nicht auf ewig von Dir getrennt bin, die ich bis zur Anbetung liebe.

Ich befinde mich wohl und bin mit Gneisenau. – Scharnhorst vermissen wir alle sehr; er hat sehr in dem Vertrauen der Armee gewonnen, und alle Menschen sehen auf ihn als die Seele des Ganzen, wozu er freilich bei weitem nicht am rechten Flecke steht.

Für Dein ordenssüchtiges Herz muß ich folgende Orden erwähnen: General Blücher hat den St. Georgen-Orden 2. Klasse mit einem eigenhändigen Briefe vom Kaiser, wie es wenige gibt, dazu das Eiserne Kreuz; Gneisenau den Annen-Orden 1. Klasse und auch das Eiserne Kreuz; Prinz Wilhelm das Georgenkreuz 3. Klasse; Scharnhorst, von dem ich nicht weiß, was er erhalten hat, hat den General Blücher gebeten, mich zu einer Auszeichnung vorzuschlagen. Wahrhaft auszeichnen konnte sich aber hier niemand; ich bin mit dem Säbel in der Faust mitten in einem feindlichen Bataillone gewesen; das würde in anderen Fällen für einen Generalstabsoffizier eine Auszeichnung sein; hier haben alle dies oder etwas Ähnliches getan. Grolmann unter andern hat einen Bajonettstich im Kopfe. Unsere Truppen sind unstreitig viel braver als die feindlichen; das siehst Du aus den Beispielen, die nicht auszeichnen. Du siehst, wenn ich mein Versprechen nicht erfüllt habe, so war es nicht meine Schuld. Man kann durchaus sagen, daß sich keiner vor der Armee hervorgetan hat.

Reichenbach, 10. Juni 1813

Es ist sehr glücklich, daß die Nachricht vom Waffenstillstande Euch noch in Liebau getroffen hat; es ist sehr möglich, daß der Frieden demselben unmittelbar folgt; so habt Ihr nicht nötig, die Reise nach Prag fortzusetzen. Mein Rat ist: vor der Hand in Liebau zu bleiben. In vierzehn Tagen wird die Zukunft sich aufklären; tritt der Friede nicht ein, so geht nach Prag; bis dahin hoffe ich Dich noch einmal zu sehen. In diesem Augenblicke kann ich nicht gut abkommen. – Gneisenau ist zum Generalgouverneur von Schlesien ernannt sowie zum Befehlshaber der schlesischen Landwehr; er hat den König gebeten, mich dabei zuziehen zu dürfen; die Antwort ist noch nicht zurück. Schlägt es der König ab, so komme ich sogleich nach Liebau; genehmigt es der König, so werde ich im ersten Augenblicke nicht abkommen können, hoffe aber, in der Folge, d.h. in zehn bis zwölf Tagen, durch Gneisenaus Güte einige Tage abmüßigen zu können. Wir werden wahrscheinlich nicht in Reichenbach bleiben, sondern unser Hauptquartier in Peilau, eine halbe Meile von hier, nehmen.

Reichenbach, 11. Juni 1813

... Der König hat Gneisenau abgeschlagen, mich bei ihm anzustellen; über die Art und meine Ansichten darüber ein ander Mal; ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Bis jetzt bin ich entschlossen, zur Blücherschen Armee zurückzugehen, Gneisenau hat aber nochmals an Thiele geschrieben und bittet mich, zu warten.

Peilau, 30. Juni 1813

Die letzte Nachricht von Scharnhorst war, daß er im Verscheiden sei. Du wirst also schon die Gewißheit seines Todes haben. Du kannst denken, wie traurig ich bin. Ob er gleich für die Armee, für den Staat und für Europa unersetzlich ist, so kann ich doch an alles dies kaum denken, und ich verliere in diesem Augenblicke nur den teuersten Freund meines Lebens, den mir nie ein anderer ersetzen kann, der mir immer fehlen wird. Ich kann nicht beschreiben, wie tief ich mich von Rührung und Wehmut und Trauer ergriffen fühle. Es ist ihm gewiß schwer geworden, von der Welt zu scheiden; denn es ist ihm so manche Lieblingsidee unerfüllt zurückgeblieben, und das ist es, was mich so wehmütig macht. Ob ich gleich kaum wünschen kann, bei seinem Tode gegenwärtig gewesen zu sein, weil es mich zu sehr ergriffen haben würde, so tut es mir doch leid, nicht mit unter denen zu sein, die ihm die letzte Ehre und Anhänglichkeit erwiesen haben; denn von Tausenden, die ihm Dank und Liebe schuldig waren, gibt es keinen Schuldner wie mich. Außer Dir hat es nie einen Menschen gegeben, der mir so viel Wohlwollen bewiesen hätte und der auf das ganze Glück meines Lebens einen solchen Einfluß gehabt hat.

Peilau, den 31. Juni 1813

Meine Bestimmung wird sich von selbst machen, ohne daß ich etwas dazu tue, was mir auch das Liebste ist. Der Herzog von Oldenburg ist in Reichenbach, um dem Kaiser Alexander die letzten Vorschläge, welche zur völligen Organisation der deutschen Legion noch nötig sind, vorzulegen. Ich stehe noch immer auf der Liste als erster Generalstabsoffizier mit 2500 Taler Gehalt. Jetzt legt der Herzog dem Kaiser meine Abberufung zur Legion vor, und da ich in diesem Augenblicke im Grunde ganz disponibel bin, so wird der Kaiser höchstwahrscheinlich nichts dagegen haben, und ich muß also erwarten, in wenig Tagen den Befehl zu erhalten, daß ich mich nach Schwedt verfügen soll, wo die deutsche Legion, 6000 Mann stark, angekommen ist. Sie soll unter das Kommando von Wallmoden treten und durch das, was dieser schon geworben hat, bis auf 10 000 Mann verstärkt werden. Sie wird dann zur Armee des Kronprinzen von Schweden stoßen, die 80 000 Mann stark werden soll. So ungern ich Gneisenau verlasse, und so groß auch der Unterschied sein wird zwischen ihm und Wallmoden, so ist mir doch am Ende, alles recht überlegt, jene Anstellung ganz lieb. Bis jetzt ist die Legion noch im russischen Dienste und wird nur von England bezahlt. Tritt sie in den englischen Dienst über, so bleibt es mir immer frei, in den russischen Dienst zurückzutreten oder auch, wenn ich mich mit der Idee der Auswanderung aus Deutschland durchaus nicht vertragen kann, den Abschied zu nehmen. Ich verliere also gegen meine jetzige Lage durchaus nichts und gewinne in der regelmäßigen Bezahlung eines sehr guten Gehaltes und in dem bestimmten und angemessenen Wirkungskreise, der mir dadurch wird. Mein Wunsch ist also im ganzen, dieser neuen Bestimmung zu folgen. Ich habe indessen Gneisenau, der gestern erst zurückgekehrt ist, die Sache mitgeteilt und ihm dabei gesagt, daß ich zwar in diesem Augenblicke noch nicht abgeneigt sei, in die preußische Armee zurückzutreten und daß ich mich glücklich fühlen würde, mit und unter ihm dienen zu können, allein ich könnte jenen Befehl, sobald er an mich gelangte, nicht umgehen und überhaupt auch in diesen ungewissen und unbestimmten Verhältnissen nicht bleiben; es müßte also einerseits dem Könige die Frage gestellt werden, ob er mich behalten wolle oder nicht, und andererseits für den bejahenden Fall die Sache bei den Russen vermittelt werden. Gneisenau hat hierauf den Staatskanzler ersucht, die Sache durchzusetzen. Ich verhalte mich dabei ganz leidend, vermute aber, daß Gneisenau seinen Zweck nicht erreichen wird, worauf ich dann in acht bis zehn Tagen von hier nach der Mark abgehen werde, mich Gott und meinem Schicksal übergebend.

Wie sehr ich es bedauert habe, die drei Tage, welche ich hier vor Gneisenau angekommen bin, nicht länger in Liebau geblieben zu sein und so das unaussprechliche Glück Deines Umgangs genossen zu haben, kannst Du Dir leicht denken.