Skip to main contentSkip to page footer

Kleine Schriften

Über den Begriff des körperlich Schönen

Das Schöne in der Körperwelt besteht aus zwei Elementen, d. h. aus zwei Wirkungsarten, wenn auch am Ende ein und dasselbe Prinzip in beiden enthalten sein sollte.

Das erste dieser Elemente ist das Wohlgefallen, welches uns unbewußt oder vielmehr ganz unmittelbar trifft, ohne daß eine Vorstellungsreihe dazwischen liege: die Harmonie in der Musik, gewisse Formen im Räumlichen. Kein Mensch wird das je erklären können, eben weil der Eindruck von gar keiner Idee begleitet ist, Ein Oblongum ist gefälliger als ein Quadrat; unter den Winkeln ist der rechte der gefälligste, der spitze der wenigst angenehme. Von diesen Wirkungen kann sich unser Verstand durchaus keinen Grund angeben, sie scheinen unsere Seele zu treffen, ohne unsern Geist im mindesten zu brauchen.

Das zweite Element des Schönen ist die Wirkung durch das Bewußtsein, d. h, durch Anregung solcher Vorstellungen, die einen angenehmen Eindruck auf uns machen. Aber man muß hier nicht gleich an Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit usw. denken, denn es ist hier nicht bloß von klaren und bestimmten, sondern auch von halbklaren und dunklen Vorstellungen die Rede, deren Spiel uns angenehm trifft, ohne daß wir gleich Rechenschaft davon geben können, Grade die dunklen Vorstellungen sind oft die wirksamsten, weil dann der Effekt magischer ausfällt. Man schadet diesem Spiel, wenn man bei sich selbst fragt, wodurch uns ein schöner Gegenstand gefällt; oft sind es ganz dunkle Erinnerungen, wodurch gewisse Formen ihre Kraft haben. Der Spitzbogen gibt gleich einen Anklang christlichen Gottesdienstes, dies ist ziemlich allgemein, oft kann aber auch eine Form dadurch auf ein Individuum angenehm wirken, weil angenehme, übrigens ganz zufällige Erinnerungen damit verbunden sind.

Wir fassen diese beiden Beispiele auf, um dadurch zu zeigen, wie unendlich und regellos dieses Feld ist. Es wäre aber vergebens, daran etwas als unregelmäßig und zufällig von diesem Felde ausschließen zu wollen, denn alles, was eine Wirkung hat, gehört eo ipso hierher. Das erste Element scheint ziemlich beschränkt, dieses zweite ist sehr ausgedehnt und wächst mit dem Reichtum der Vorstellungen, die in uns sind. Ein gebildeter Mensch und ein gebildetes Volk wird durch das Schöne aus diesem Grunde stärker und mannigfaltiger angeregt. Dagegen ist das erste Prinzip als ein absolutes anzusehen und das zweite als ein relatives, welches sich nach Geschlechtern und Völkern richtet, aber auch nach Ständen und selbst nach Individuen. Schon hieraus sieht man, wie schwer es sein dürfte, hier mit Regeln etwas Erschöpfendes auszurichten. Wir fragen nun: Was hat das Kunstgesetz, die Regel, die Kritik, für Gewalt über diese beiden Elemente des Schönen? Über das erste gar keine. Sie kann nur zu erforschen suchen, unter welchen äußern Erscheinungen, z. B. Zahlenverhältnissen, sich das Wohlgefallen zeigt; diese werden dann Regel sein, sind aber nicht die Ursache der Wirkung, sondern nur ein äußeres Merkmal, gewissermaßen der Fußtapfe des Genius. Es wäre also verkehrt, wenn einmal eine Wirkung außer diesen Verhältnissen vorkommen sollte, sie darum verwerflich zu finden.

Über das zweite Element vermag das Kunstgesetz an und für sich auch nichts, denn sonst wäre es kein Element; aber nach und nach kann dasselbe auf das Reich der Ideen und Vorstellungen wirken, durch welche dieses Element läuft, und dadurch wird dasselbe verändert werden. Der Mohr, der Morgenländer, der Abendländer haben andere Begriffe von Schönheit, werden durch andere Formen angeregt, weil sie andere Vorstellungen in sich herumtragen. Daß hier die allgemeine Bildung wichtiger ist als die Kunstkritik, versteht sich, denn sie wirkt auf die Masse der Vorstellungen, die Kunstkritik nur auf einzelne, die freilich mehr den Kern der Sache treffen, auf die es hier ankommt, aber doch der übrigen großen Masse niemals Herr werden können. Aber auch bei diesem zweiten Element kann die Kritik zur Erkenntnis angewendet werden, um dem Ganzen der Vorstellungen auf die Spur zu kommen, welche zu dem Eindruck des Gefälligen und Schönen geführt haben.

Bei beiden Elementen ist also die urteilende Kritik wenig, die erkennende aber alles. Hier kann also fast nur von Regeln die Rede sein, aber nicht von Gesetzen. Die Regel ist nämlich bloß eine Ratgeberin; sie hat bei der Wirkung gar keine Stimme, sie ist eine Verstandes-Maschine, von der nach gemachtem Gebrauch nicht mehr die Rede ist, so wenig wie von Lineal und Zirkel bei einer Zeichnung. Die Regel ist das Resultat der erkennenden Kritik. Ein Gesetz aber ist die Ursache der Wirkung, so daß die letztere ohne dasselbe, d. h. mit seiner Verletzung, gar nicht gedacht werden kann.

Wo ist nun das Gebiet eines solchen Gesetzes in der Kunst des körperlich Schönen? In der Verbindung der Elemente zum Ganzen. Nur in dem Elemente der ersten Art, in dem eigentlichen Atom, kann das Schöne für sich da sein; und, so sonderbar es scheint, so ist es doch gewiß wahr, daß alles übrige Schöne einen Träger braucht, an dem es sich findet, einen Zweck, der nichts mit dem Schönen selbst zu tun hat. Um ein schönes Bauwerk hinzustellen, muß man sich entschließen, ob es eine Kirche, ein Palast, ein Haus usw. sein soll. Ist es ein Gemälde, so muß man sagen, ob es ein Bildnis oder eine Handlung sein oder welche andere Idee damit ausgedrückt werden soll. Nun hat man wohl gesagt, dieser Zweck sei überhaupt die Darstellung einer Idee, und damit vornehmer und edler zu sein gemeint. Aber daß diese Definition falsch sei, zeigt das erste beste Beispiel. Man könnte eine Gruppe Säulen hinstellen und damit symbolisch einen Gedanken ausdrücken wollen, so wird jeder fühlen, daß dies ein abscheuliches Produkt werden müßte. Die Bilder, welche die meisten Ideen ausdrücken, die allegorischen, sind gerade die unwirksamsten. Hier ist von der ausgedrückten Idee an sich gar nicht die Rede, die kann immer noch gut oder schlecht sein, sondern nur davon, daß hier durch die bildende Kunst irgend eine Idee ausgedrückt wird. Uns scheint gradezu das Schöne sich an das Notwendige anschließen, sich ihm unterwerfen zu müssen; das ist das Bedürfnis unseres nach logischen Gesehen kristallisierten Verstandes. Nun verliert sich in unserm äußerst zusammengesetzten Leben die scharfe Linie der Notwendigkeit bald, und das Nützliche, durch Sitte und Gewohnheit Bedingte, vertritt die Stelle des Notwendigen. So können die Künste dazu dienen, das Nützliche zu werden, und es liegt in den Gesetzen unsers Denkens und nicht etwa in habsüchtiger Gewohnheit, in Bedürfnis und Not unserer dürftigen Natur, wenn wir von jedem Schönen verlangen, daß es einen, wenn auch nur scheinbar nützlichen Zweck habe. Dieser Zweck bildet uns die Einheit, wohin das Kunstwerk strebt, und ist das Band für alle Glieder. Dazu reicht der bloße Gedanke hin, die Realität tut nichts dazu. Es ist nur der Begriff einer Kirche nötig, um ein schönes Bauwerk hinzustellen, nicht daß sie wirklich gebraucht werde. Dieser Zweck des Nützlichen oder – wenn man sich dieser Herrschaft schämt – des Notwendigen kann nun an sich sehr verschieden sein, es kann einem höheren und einem gemeineren Leben angehören, einen größeren oder kleineren Ideenkreis brauchen und dadurch mehr oder weniger geeignet sein, durch die Kunst verherrlicht zu werden. Der Zweck einer Kirche, eines Palastes zieht mehr und größere Elemente des Schönen an als ein Privathaus oder gar ein Brau- und Brennhaus, eine Münze mehr als eine Wollspinnerei, ein historisches oder mythologisches Bild mehr als eine Tigergruppe.

Architektonische Rhapsodien

 

  1. Schöne Form läßt sich so wenig wie schöner Ton und schöne Farbe mit dem Verstande erkennen. Ein paar Verhältniszahlen, die aus Abstraktion aus der Erfahrung gegeben sind, eine bloße Skala, die die Sache selbst gar nicht begreiflicher machen; übrigens sind diese auch an sich sehr unbedeutend. Man muß also sagen, daß das Element des Schönen in der bloßen Anschauung gegeben ist und daß der Baumeister, wenn er es erhaschen will, dies nur kann, wenn er sich di« Anschauung vor die Seele ruft,
  2. Aus der Verbindung der Elemente geht das Zusammengesetzte hervor. Hier wird der Gedanke, deutliches Bewußtsein, zuerst wirksam. Nach Zweck und Bedeutung und nach jedem andern Gedanken, den es dem Baumeister beliebt, in sein Werk hineinzutragen, setzt er die einfachen Formen zusammen. Mit dieser Zusammensetzung also fängt das Reich des Verstandes und mit ihm das Reich des Gesetzes an. Hier wird also ein objektives Urteil möglich, und in diesen Beziehungen läßt sich sagen, was recht und was verwerflich sei. Hier fängt also das Reich einer auf Begriffe gegründeten Regel an.
  3. Aus diesen Anschauungs- und Verstandeselementen nun ist das schöne Kunstwerk (wir haben nur das architektonische im Auge) zusammengesetzt. Auf den ersten Anblick scheint es, und die meisten Menschen bleiben dabei stehen, daß dem Verstande bei weitem das größere Feld überlassen sei; denn sobald die erste Zusammensetzung der einfachen schönen Formen-Elemente gemacht ist, verläßt die Anschauung ihr Werk, scheint es, und übergibt es ganz dem Verstande. Dies ist aber ein Irrtum. Denn das Element der schönen Form wird ja bei der Zusammensetzung nicht einmal, sondern unaufhörlich gebraucht; es verschwindet nicht mit dem ersten Zusammengesetzten, sondern es wird bei jeder neuen Zusammensetzung in seiner ursprünglichen Einfachheit wieder gebraucht. Das Zusammengesetzte ist also diesem Probierstein unaufhörlich wieder unterworfen. Die bloße Anschauung entscheidet z.B. über das schöne Verhältnis der Höhe und Breite eines Fensters, dies gegeben, soll der Verstand hinzutreten und das Fenster mit allerhand sinnvollen Gliedern verzieren; so bedarf nicht allein jedes dieser Glieder in gewissen Punkten wieder der Prüfung unseres Schönheits sinnes, sondern wenn das Ganze nun fertig dasteht, so muß eben die einfache Anschauung wieder herbeigerufen werden, um zu entscheiden, wie weit dieses eine Fenster von den übrigen entfernt sein müsse usw. Daher kommt das vergebliche Streben, ein schönes architektonisches Werk bloß nach Regeln auf eine für andere überzeugende Weise abzuurteilen. Der Schein der Anschauung ist unendlich und läßt sich in keine Regel bannen, und er ist so sehr das eigentlich Wirksame in der Baukunst, daß er, wenn er in Fülle vorhanden, alle Widersprüche und Verstöße, die der Verstand in seinen Anordnungen begehen kann, unscheinbar machen und trotz ihm eine angenehme Wirkung des Ganzen hervorbringen kann.
  4. Beide Elemente laufen oft in einer Erscheinung zusammen. Eine bloß schöne Form, die lange einer gewissen Bedeutung gedient hat, wird dadurch von einer Idee geschwängert, die in uns schnell dunkle Vorstellungen und Gefühle hervorruft, wenn wir die Form wiederfinden. Daher kommt es, daß die bloße Gewohnheit allen Formen eine gewisse ästhetische Kraft geben kann, so daß der rohe Mensch immer das vorzugsweise schön findet, woran er gewöhnt ist. Diese Verschmelzung beider Elemente bildet gleichsam die Halbschatten in der Reihe der Eindrücke; und die Vorstellungen und Gefühle, welche uns aus diesem Halbdunkel so sanft anklingen, weil sie nicht deutlich sind, machen einen namenlosen Reiz der Baukunst aus.

So weit unsere Philosophie.

Charakter der Privathäuser

Wenn es einen Gedanken gibt, der würdig ist in der Architektonik zu herrschen, so ist es der historische. Wie wenig Teile unseres Lebens gibt es, die ein Menschengeschlecht überdauern! Für die Welt der Anschauungen, der die Bücher nicht angehören, gibt es nur die Werke der bildenden Künste, und diese sind auch nur als Kunstwerke wie Teile unseres Lebens anzusehen; denn insofern sie das Leben darstellen, sind sie bloße Bilder davon. Darum, scheint es mir, sollte die Architektonik sich als den Träger des historischen Prinzipes ansehen, die Geschlechter aneinander erinnern, den Nachhall ihres Daseins zu einer festen Form kristallisieren. Für alles, was öffentliche Gebäude heißt, ist dieser Gedanke längst anerkannt: selbst große Familien haben ihre historischen Erinnerungen an Schlösser und Häuser geknüpft und diesen mehr oder weniger den dazu geeigneten architektonischen Charakter zu geben gesucht. Warum sollte der Bauherr eines schlichten Wohnhauses nicht denselben Gedanken haben?

Was ist nun aber der historische Charakter in seinen allgemeinsten Zügen? Offenbar Dauer und Festigkeit.

Hiernach scheinen uns alle die Versuche, die man in neuern Zeiten dem Sinn für Abwechslung und Neuheit schuldig gewesen zu sein glaubt, fehlerhaft, wenn sie auf den Eindruck eines leichten, zierlichen, bequemen oder auch gelegentlichen Wohnens gerichtet waren, wie es sich für Gartenhäuser und bloße Anlagen persönlicher Laune und individuellen Vergnügens ziemt.

Außer dem Eindruck von Dauer und Festigkeit gibt es aber noch ein anderes Merkmal des historischen Charakters: nämlich, daß der Bau seine reale und keine fingierte Bedeutung an sich trage. Ein altes Schloß, im 14. oder 15. Jahrhundert gebaut, mit Gräben und Türmen, also neben der Eigenschaft des Wohnlichen mit der der Verteidigungsfähigkeit versehen, ist durchaus historisch. Eine Nachahmung solcher Bauart im 18. Jahrhundert würde es nicht sein; ebensowenig, wenn jemand sein Haus in Form eines Tempels oder einer Moschee erbaut. Das Familienhaus soll kein Schauspieler, sondern eine wirkliche Person sein. Ein entlehnter Charakter eignet sich dagegen zuweilen für öffentliche Gebäude, weil sich hier oft eine Verwandtschaft zwischen dem wahren Zweck des Gebäudes und dem entlehnten Charakter in vielen und starken Zügen ausspricht, während bei Privathäusern es nur das zufällige Gedankenspiel des Bauherrn sein würde.

Gehört diese reelle Bedeutung zum historischen Charakter des Familienhauses, so hat sie noch außerdem eine ästhetische Kraft.

Der Zweck ist der oberste, leitende Gedanke bei jedem Bau und muß also in ihm sogleich erkannt werden. Bei öffentlichen Gebäuden aber, die gänzlich als wahre Kunstwerke, also mit einem poetischen Charakter auftreten, tritt dieser Hauptgedanke offenbar mehr in den Hintergrund, und die verschiedenen leitenden Ideen bilden sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu einer Gruppe. Beim Privathause, wenn es nicht ein wahres Denkmal sein soll, welches den Begriff verwunden würde, ist das nicht der Fall: der Zweck herrscht allein und alles, was außer ihm geschieht, gibt er bloß zu, und so entsteht der Charakter des Schlichten und Nützlichen. Ein kleines Privathaus mit vielen vor- und zurücktretenden Teilen muß einem mißfallen, weil es etwas Launiges hat, das Gefühl der Unzweckmäßigkeit wird durch keinen andern Gedanken verdrängt. Je kleiner ein Privathaus ist, um so einfacher müssen die Linien seiner Umfassungsmauer sein, um so mehr muß es sich dem wahren Würfel nähern. Wie dieser Gedanke des Nützlichen und Schlichten uns auch ästhetisch beherrscht, sehen wir aus der Bemerkung, daß zu wenig Tiefe überhaupt einen ungemütlichen Eindruck macht, daß aber das kleine Haus viel mehr verhältnismäßige Tiefe verträgt und erfordert als das große, daß sich also der ästhetische Eindruck nicht bloß nach den geometrischen Verhältnissen richtet.

Der innere, der überbaute Raum ist das Wesen des Hauses, und es wird unserm Verstande immer Vergnügen machen, diesen zu den angewandten Mitteln, d. h. zu den Umfassungsmauern, unvermutet groß zu finden. Ich behaupte, daß dieser ökonomische Gedanke einen bestimmten Einfluß auf den ästhetischen Eindruck hat. Verzierungen also, die auf seine Kosten geschehen, sind bei kleinen Häusern gefährlich, sie stören mehr als sie fördern.

Ganz anders aber ist es mit den äußeren Zieraten der Wände; diese geschehen nicht auf Kosten des Wesens. Man würde uns ganz falsch verstehen, wenn man glaubte, wir setzten den Begriff des Nutzvollen und Schlichten in dem geringsten Aufwand der Kosten zur Erreichung des Zwecks. Die Kosten des Baues sind etwas, was in der ästhetischen Welt gar nicht vorhanden ist. Es wäre lächerlich, zu sagen, ein kleines nutzloses Privathaus vom edelsten Marmor aufgeführt sei weniger schön als vom gemeinen Stein. Die Mittel, welche angewandt sind und die wir mit dem Zweck vergleichen, sind nicht das Geld, die Kräfte, die Zeit; alle diese Dinge sind verschwunden. Es sind die Massen, die vor unsern Augen stehen. Eine feine Kuppel kann tausendmal so viel kosten als ein unförmliches Bohlendach und doch schlichter erscheinen.

Hiernach wird man nun nicht mehr glauben, daß unser Begriff des Schlichten zum Nüchternen führen müßte.

Das Nüchterne ist übrigens nicht einmal das bloß Einfache, sondern das Gedanken-Bemühungslose. Vier einfache Wände mit bloßen Lichtlöchern können die höchste Anmut haben und vollkommen befriedigen, und das nicht etwa bei einem ganz kleinen, sondern oft bei ziemlich großen Häusern. Aber in diesen Lichtlöchern muß die Harmonie der Verhältnisse errungen sein, wir müssen ein dankbares Gefühl empfinden, daß der Baumeister in diesen einfachen Linien so viel Wohllaut zu gewinnen suchte und verstand. Nüchtern werden diese vier Wände, wenn wir gleich fühlen, daß der Baumeister gar keinen Wert darauf legte, uns zu gefallen, daß er die Löcher nach einer kraftlosen, gleichgültigen Regel hineinschlug. So kann eine Fläche selbst mit mäßigen Verzierungen noch äußerst nüchtern aussehen.

Aber wenn auch die höchste Einfachheit noch keine Nüchternheit ist, so sind wir doch weit entfernt, alle Verzierungen von den Privathäusern entfernen zu wollen und die höchste Einfachheit unmittelbar aus dem Charakter des Schlichten herzuleiten. Denn das Schlichte ist ebensowenig absolut einfach, wie das Einfache nüchtern ist. Schlicht ist: der grade Weg zum Ziel. Wer ein beträchtliches Ritterschloß baut, ihm zwei Flügel gibt und diese beiden Flügel mit einem freien Säulengang verbindet, hätte freilich absolut einfacher gebaut, wenn er alles in einem großen Oblongum unter einem Dach vereinigt hätte; allein, man kann doch sagen, daß er einen schlichten Plan befolgt hatte, denn alle jene Teile waren durch den nahen Zweck hervorgerufen. Wenn aber dieselbe Anordnung an einem kleinen Gebäude bloß aus Zierat nachgeäfft wird, wo alles gewissermaßen postiche ist, so ist freilich der Charakter des Schlichten verschwunden. Wenn also der Zweck des Gebäudes, der Reichtum seiner Bewohner einen gewissen Luxus in der Anordnung herbeiführen kann, ohne den Charakter des Realen und Schlichten zu verletzen, den wir dem Wohnhause beilegean, so kann überhaupt das Verlangen, seinem Hause ein mehr oder weniger gefälliges oder geschmücktes oder stattliches Ansehen zu geben, auch mehr oder weniger Zierate herbeiführen, ohne jenem Charakter zu schaden.

Aber diese Zieraten müssen wieder auf den Charakter des Gebäudes zurückführen und nicht an etwas erinnern, was dasselbe gar nicht ist. Wenn in der Front eines von starken Mauern aufgeführten Hauses breite Pfeiler, große Fenster, tiefe Fensterhöhlen, stark vortretende Bedachungen derselben und ein etwas schweres, stark ausgeladenes Gebälk miteinander verbunden sind und das Ganze eine dunkle basaltartige Steinfarbe bekommen hat, so gibt uns das den Begriff von geräumigen hohen Zimmern, festen Wänden, einem dauerhaften Bau, der gleichen Schutz gegen Frost und Hitze, sicheres Obdach gegen Sturm und Regen gewährt, Jahrhunderten getrotzt hat und ferner trotzen wird. Aus den tiefen dunklen Schatten seiner starten Glieder blickt der ernste Geist der Jahrhunderte wie aus tiefen Augen. Hier ist nichts, was nicht an den Begriff eines uralten Familienhauses erinnerte. Wenn dagegen an den Eingängen ein Vorbau von Säulen Schildwach steht oder angeklebte Pilaster sich das faux air geben, das Gebälk zu tragen oder die Fenster aus Langeweile an den Enden rund werden, so wird man an hundert fremdartige Dinge und noch dazu auf eine sehr unangenehme Art erinnert. Man sieht dem Baumeister die Qual an, mit der er alles ausgesonnen, was nun einem Fremden wie gedankenleerer Firlefanz erscheint.

Damit ist nicht gemeint, daß wir jene, bloß des Beispiels wegen angeführte Architektur als eine Normalordnung ansehen, der sich jedes Haus mehr oder weniger nähern müßte; aber freilich scheint uns der auf einem ganz falschen Wege, der das Feld der Abwechslungen für unendlich und einen immer wiederkehrenden Hauptcharakter für Armut des Geistes hält. Da das Privatwohnhaus zu der Gattung der kleinsten Gebäude gehört, so muß die ästhetische Kritik auch immer auf die Beschränkung zurückkommen, die der Anordnung daraus erwächst. Je kleiner ein Haus ist, je weniger leidet dasselbe einen Wechsel der Zierate und jene Einschachtelung der Ideen, die diesen Wechsel zur symmetrischen Einheit zurückführt. Ich kenne ein Haus, von einem berühmten Baumeister aufgeführt, das mit seiner Giebelseite gegen die Straße liegt, nur zwei Fenster hat, und diese Fenster haben das eine eine runde, das andere eine dreieckige Bedachung. In diesem Sinne sieht man unaufhörlich Fehler begehen. Bei Gegenständen, die, wie die Zierate der Baukunst, nur schwache und dunkle Vorstellungen erregen, ist Wiederholung bis zu einem gewissen Punkt durchaus Bedürfnis. Ein einzelner Triglyph oder ein ein halbes Dutzend anderer Formelemente sehen wie Brosamen aus, nur wenn sie in einer gewissen Länge herrschen, schwillt ihre ästhetische Kraft zum angenehmen Eindruck. Daß es hier diese Wiederkehr und nicht die Symmetrie oder Einheit ist, welcher wir bedürfen, ist deshalb klar, weil gerade das kleine Haus einen Verstoß gegen die Symmetrie am ehesten gestattet. Die Symmetrie ist eine rein poetische Natur, d.h. ihre ästhetische Kraft entspringt nicht aus der Vorstellung des Zweckmäßigen oder Gemütlichen, des Bewegenden, Schützenden oder irgendeiner ähnlichen der in der Baukunst vorkommenden Eigenschaften. Das kleine Wohnhaus bedarf ihrer darum weniger. Ein solches Haus, das einen Eingang am Ende hat, ist in dieser Ungleichheit gewiß gefälliger, als wenn am andern Ende ein simulacre dem Eingange entspräche, bloß weil das Gefühl des Zwecks hier ganz vorherrschend ist. Sowie das Gebäude an Größe zunimmt, wird das Bedürfnis der Symmetrie fühlbarer.[1]


[1] Hiermit muss man nicht verwechseln, da0 ein kleiner Verstoß gegen die Symetrie sich beim großen Gebäude eher verstecken läßt als beim kleinen. (Cl.)