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Kleine Schriften

Über den Nationalgeist der Franzosen

Ungeachtet ich keine Hoffnung habe, Frankreich so bald zu verlassen, so will ich doch jetzt nicht versäumen, das Wenige über den Nationalcharakter oder vielmehr Nationalgeist seiner Einwohner zu sagen, was die Erfahrung mich gelehrt hat; denn in der Folge möchte ich wenig dazu aufgelegt sein.

Ich habe in meinem Leben immer gehört: die Franzosen sind eine äußerst geistreiche Nation von feinem Verstande, vielem Takt, Witz und vieler Phantasie. Jedermann weiß von ihrem fröhlichen Sinne, ihrer leichten Art, das Leben zu nehmen, von ihrer aufwallenden Lebhaftigkeit, von ihrem Mute, aber auch von ihrer Eitelkeit, ihrer Arroganz, ihrer Neigung zum Geckenhaften. Mit dem Glauben an ihre Herzensgüte hat es im Auslande, glaub ich, nie so recht fortgewollt; in Frankreich aber hört man häufig mit einer zweideutigen Gutmütigkeit sagen: nous sommes de bonnes gens.

Gewöhnlich, wenn man die Franzosen als eine so geistreiche Nation preist, verbindet man damit einen verächtlichen Seitenblick auf die Deutschen, und da die deutsche Literatur sich jetzt einen gewissen Rang nicht mehr nehmen läßt, im Gegenteil durch Genialität imponiert, so ist man bei dem gemeinen Manne stehengeblieben. Und wirklich muß bei dem niederen Volke der rohe Urstoff sich am reinsten zeigen.

Wenn man einen französischen Bauer oder Handwerker sieht, hört und spricht, so glaubt man aus mancherlei Eigentümlichkeiten wirklich auf eine edlere Natur schließen zu müssen als die deutsche; aber dies ist nur im ersten Augenblicke der Fall, und bei einer aufmerksameren Betrachtung sieht man wohl, daß man wohlfeileren Kaufes davonkommt. – Der Franzose ist lebhafter und erscheint deswegen in allen seinen Nüancen mit lebendigeren Tinten als der Deutsche, und dies bunte Bild macht im ersten Augenblicke mehr Vergnügen als der Charakter des Deutschen, der mit seiner Langsamkeit, seinem Ernst, seiner Zurückhaltung wie eine grau in grau gemalte Figur aussieht. Aber Kunstverständige wissen wohl, daß die grellen Farbenextreme nicht die Kraft des Kolorits ausmachen, und ebenso sieht der Menschenkenner bald, daß jene französische Lebhaftigkeit, dem französischen Leichtsinne verbunden, sich ebenso sehr unterscheidet von der Tiefe wahrer Leidenschaft wie flackerndes Strohfeuer von stiller Glut.

Selbst dann, wenn die Eitelkeit des Franzosen sich zu dem edleren Stolze zu erheben scheint, verleugnet dieser seine Abkunft nicht. Der Franzose entrüstet sich über die kleinsten Abweichungen von formeller Höflichkeit, ahnt aber kaum, daß oft in den vollständigsten Formen der Politesse (ich wähle mit Fleiß oft französische Ausdrücke für französische Sachen) ein Geist der Nichtachtung und Geringschätzung liegt. Überhaupt muß die Geringschätzung bis zur Verachtung wachsen, wenn sie ihm drückend werden soll. Darum ist der Franzose auch stets höflich in den Formen und oft gegen seine Absicht sehr unhöflich dem Wesen nach. Mich hat nie ein französischer Handwerker angeredet, ohne zu fragen: comment va la santé? Dagegen ergreifen sie jede Gelegenheit, mit einem scheinbar gutmütigen Achselzucken über den unkriegerischen Geist der Deutschen zu sprechen. Daß der Franzose keines edleren Stolzes fähig ist, zeigt sich schon darin, daß er so oft ins Geckenhafte verfällt, wie das Heer von Petit-maitres zeigt, wozu diese Nation immer noch alljährlich eine gute Anzahl Rekruten liefert, obgleich der weltbeherrschende Geist ihrer Armeen ihm Abbruch tut. Ein edler Stolz läßt sich nicht ohne eine gewisse Gravität in den äußeren Sitten denken, und wenn dieser Stolz dadurch, daß er, keiner anderen Geisteskraft verbunden, ganz allein dasteht, in seinen Äußerungen komisch wird, so bleibt er doch selbst dann nicht ohne einen wohltätigen Eindruck auf unser Gefühl. Der Stolz des Bürgermeisters in den deutschen Kleinstädten kann uns dem Manne nie ganz abgeneigt machen. Don Ramonde de Colibrados ist selbst rührend, und wer wollte über den Don Quixote bloß lachen!

Was vor allem an dem gemeinen Franzosen auffällt und für ihn einnimmt, ist seine Gesprächigkeit, der Anteil, welchen er an den Dingen nimmt, die über den Horizont des gemeinen Deutschen sind, und die artigen Wendungen, mit welchen er dieses Gespräch führt. Aber dies ist nicht einmal alles bloße Manier, noch viel weniger Verstand, es ist die Sprache. Nämlich diese wunderliche Sprache besteht, wie jedermann weiß, aus lauter Phrasen, und übt eine unaussprechliche widrige Gewalt über alle Geister aus. Sie erlaubt ihnen ebensowenig gescheit als auf eine naive Art dumm zu sein. Mit dem besten Willen kann man sich darin nicht schlicht und einfach ausdrücken, muß wohl oder übel die alten abgedroschenen Phrasen gebrauchen, die wie Gedanken aussehen, ohne es zu sein. Mir kommt es daher vor, als wenn ein gemeiner Franzose neben einem gemeinen deutschen Manne sich ausnähme wie jemand, der sich in einer Trödlerbude gekleidet hat, neben einem, dessen Kleider schlecht und recht sind. Ehe man sich jenem nähert, möchte man ihn wohl für einen feinen Mann halten; am Ende guckt aber doch die Bettlerarmut an allen Ecken hervor. – Wenn man sich von diesem Phrasenwesen nicht betrügen lassen will, so fahre man nur im Gespräche fort und behandle die Sache mit ein wenig Originalität, so wird man bald sehen, wie kernlos diese Schale ist. Daher ist auch ein Franzose leicht zu veranlassen, seine Meinung zu ändern, wenn man ihm nur eine kleine Hintertür offen läßt, damit seine Eitelkeit nicht zu sehr beleidigt werde. Eigensinnig ist er also viel weniger als der gemeine deutsche Mann, wenn es auf Meinungen ankommt; denn dieser hat doch wenigstens ein Vorurteil, ein tiefgewurzeltes, was er vertreten will; in der Tat, ist aber nicht ein Vorurteil tausendmal mehr wert als eine Phrase? d. i. als etwas, was darum kein Vorurteil ist, weil es eben überhaupt kein Urteil ist. Ich spreche gern hier vom gemeinen Manne, aber mich dünkt, das zeigt sich eben auch bei den mittleren Ständen in ihrer Meinung über die Literatur. Sie verteidigen die Fehler oder Schwächen derselben nicht aus Vorurteil; Vorurteil setzt eigenes Meinen, selbst Überzeugung voraus; von allem dem ist bei dem großen Haufen der Franzosen nicht die Rede. Sie geben Phrasen, die ihnen überkommen sind, die nie ihr Eigentum waren; eine Art Speditionshandel, nur mit dem Unterschiede, daß sie keinen Gewinn davon haben; und so wie diesem kein Handelskapital zum Grunde liegt, so dienen auch jene Phrasen nicht, um irgendeine Meinung zu verteidigen. Es versteht sich, daß ich vom großen Haufen spreche.

Daß der deutsche niedere Mann dem Franzosen an wirklichem Denkvermögen mindestens nicht nachsteht, zeigt der Zustand des Ackerbaues und der Gewerke. In beiden Dingen sind die Deutschen den Franzosen weit überlegen, wie man sich aus hundert Schriftstellern und durch eigene Ansicht leicht überzeugen kann. Was die Gewerke betrifft, so gelten freilich Ausnahmen für solche, die mit Lokalitäten verwandt sind, und dann zunächst für Paris. Außer London kann sich keine Stadt mit Paris in Rücksicht auf den Luxus vergleichen, der Luxus aber ist eine Treibhauswärme zur Entwicklung derjenigen Fähigkeiten, welche in seinem Dienste stehen. Der Zustand des Ackerbaues und der Gewerke hängt freilich nicht bloß von den Geistesfähigkeiten eines Volkes, sondern auch von der Verwaltung des Landes, von dem zunehmenden Reichtume ab und was dahin gehört; aber um den Anteil zu erkennen, welchen die Geistesfähigkeit der Nation an ihrer Überlegenheit in dem größten Teile der Gewerke hat, braucht man bloß die Bemerkung zu machen, daß selbst in denjenigen Handwerken, welche in Frankreich vervollkommneter sind als in Deutschland, gleichwohl die vorzüglichsten Arbeiter Deutsche sind. Diese Bemerkung läßt sich in Paris sehr häufig machen, und die Franzosen selbst gestehen ihre Richtigkeit ein. Übrigens, dünkt mich, liegt auch in der Neigung zum Nichtstun und zu Spielereien der Beweis eines weniger denkenden Geistes. Dies ist nicht die Wirkung eines südlicheren Himmels, die sich in einem reinen Müßiggange, in eigentlicher Faulheit offenbart; im Gegenteil, der Franzose ist entsetzlich petulant und muß sich schlechterdings mit etwas beschäftigen; aber die liebsten Beschäftigungen sind ihm Spielereien. Die kleinste Stadt Frankreichs ist mit einer Promenade versehen, und auf dieser trifft man zu allen Stunden des Tages Promeneurs aus dem niedrigsten Stande, besonders Frauen, die fast alle einen kleinen Hund zum Gesellschafter haben. Alle paar hundert Schritt trifft man auf eine Spielpartie, wo mit Zahlpfennigen nach einem Ziele geworfen wird. Hier sieht man Männer von fünfzig Jahren mit Knaben spielen; ebenso sieht man auf den sehr häufigen Ballspielen ( jeu de paume) Männer von eben dem Alter drei, vier, auch fünf Stunden des Tages spielen, und in den sonntäglichen Tanzfesten, welche man im Sommer unter freiem Himmel halten sieht, springen sie in Entrechats und Pirouetten herum.

Jetzt will ich diese verhaßte Nation noch unter einem etwas ernsthaften Gesichtspunkte betrachten. In Frankreich und in Deutschland herrscht allgemein die Meinung, als sei der französischen Nation durch die Revolution mit ihrem Enthusiasmus und mit ihrem Schrecken, durch die Siege, endlich durch den Despotismus in ihrem Gefolge, ein solcher Schwung, eine so militärische Tendenz gegeben, daß es unmöglich sei, einer solchen Nation zu widerstehen. Diese Meinung ist ein Irrtum, für den großen Haufen allenfalls verzeihlich, nicht aber für den unterrichteten Mann. Nachgerade, dächte ich, wäre es zu spät, über den Freiheitsschwindel der Franzosen, zu Anfang der Revolution, selbst schwindelnd zu sprechen; zu spät, sich länger die Einbildungen aufbürden zu lassen über die Heldentaten, die er erzeugt haben soll. Wer den Macchiavelli recht aufmerksam studiert hätte, würde den Ausgang dieser Revolution leicht vorhergesehen haben. Ein Volk mit verdorbenen Sitten ist der Freiheit nicht fähig, hat dieser merkwürdige Mann gesagt. Welcher Natur der politische Enthusiasmus war, solcher Natur hat er sich im Kriege gezeigt. Womit will man denn aus dem Revolutionskriege das Dasein eines hohen Enthusiasmus für das Vaterland, eines unüberwindlichen Heldenmutes gründlich erweisen? Unsere elenden geschwätzigen Zeitschreiber (nach der Analogie von Zeitschriftsteller) sind es, die uns dies überredet haben, woran kein wahres Wort ist. In niemand erkenne ich leichter die Schwäche und Beschränktheit des Kopfes, als in denen, welche bei dem wirbelnden Strudel einer außerordentlichen Erscheinung mit anscheinender Leichtigkeit und Grazie auf der Oberfläche bleiben und den Strom zu leiten scheinen, weil sie von ihm getragen werden. Wirklich glaubt man anfangs, sie hätten ihn am allerbesten begriffen, weil sie nicht wie andere mit ihm in Widerspruch und Kampf zu sein scheinen. Aber im Grunde beweist das bloß ihre spezifisch leichtere Natur. Die Geister, welche des Widerstandes wegen in den Schlund hinabgeworfen und mißhandelt worden sind, welche im ersten Augenblicke ganz unterzugehen, aus der Reihe vernünftiger Wesen vertilgt zu werden schienen, werden die Natur der Erscheinung am besten erkannt haben. Eine Erscheinung, welche uns aus der dunklen Zukunft plötzlich entgegentritt, wird, wenn sie auch nicht neuer Natur sein sollte, doch im ersten Augenblicke den glatten und eingeübten Ideen Stillstand gebieten und zuweilen auch manche Bewegung in verkehrter Richtung hervorbringen; es ist die Krise, in welcher unser betrachtender Verstand nach dem Resultate einer neuen Erkenntnis ringt. Was soll man nun von denen glauben, die – feigen Ausreißern, welche die Waffen wegwerfen, ähnlich – bei dem ersten Anblicke des Neuen und Außerordentlichen Geschichte, eigene Erfahrung, lang erkämpfte Grundsätze, Selbstgefühl, kurz die ganze Rüstung des Geistes von sich werfen. Doch ich muß von meiner Abschweifung zum Gegenstande zurückkehren, der im Grunde für diese Blätter selbst eine Abschweifung ist.

Daß, zitternd vor einer Schreckensregierung, dergestalt zitternd und in Angst, daß man in Paris sich, den Menschen und die Welt vergaß, ein Volk sich nicht zweimal gebieten läßt, die Waffen zu ergreifen; daß, wer zu Hause nur Gespenster guillotinierter Brüder, Väter, Mütter, Kinder sieht, gern hinwegeilt von der blutigen Lagerstätte in den Krieg, wo wenigstens Mord um Mord getauscht wird – ist das ein Beweis von Energie? Daß eine Million beute- und raublustiger Menschen, auf die Grenzen des Reichs hingeworfen, gegen Armeen, die kaum den vierten Teil dieser Zahl ausmachten, von Greisen angeführt, mit abwechselndem Glücke fochten – ist das ein Beweis von Energie? Wer sich an dem Ausdrucke »abwechselndes Glück« stößt, den muß ich bitten, von dem Erfolge, der nicht immer (und am wenigsten hier) ein reines, militärisches Resultat ist, zu abstrahieren und die Feldzüge von 92 bis 1800 einzeln zu durchlaufen. Man hat immer nur auf das Merkmal geübter und ungeübter Kriegsheere gesehen und dann Wunder gerufen. Was ist denn so Wunderbares darin, wenn ein Bewaffneter von drei oder vier Unbewaffneten angefallen und zu Boden geworfen wird? Daß sie vergessen, wie die ganze ehemalige französische reguläre Militärmacht in der ungeübten Armee mit enthalten war, will ich ihnen durch die Finger sehen. Die Thermopylenschlacht, die Schlacht bei St. Jakob an der Birs, wo von 1500 Schweizern 1450 tot auf dem Platze und nur zehn unverletzt blieben, das sind Wirkungen eines energischen Enthusiasmus. Welcher einzelne Zug aus dem Revolutionskriege läßt sich mit diesem vergleichen? Wie oft sind die französischen Heere vor einer kleinen Anzahl schimpflich geflohen! Welchen Sieg, erfochten gegen Übermacht, haben sie aufzuweisen? Dieser gänzliche Mangel einzelner glänzenden Züge hätte längst Mißtrauen gegen die Energie des Revolutionsenthusiasmus und das ganze Heldentum der Franzosen erwecken sollen. Der Geist, der in den Heeren zu herrschen schien, die großen Worte sind es, die das Urteil verführt haben; die Franzosen aber sind eitel und prahlerisch, und das reelle militärische Selbstvertrauen, was sie in der Folge gezeigt haben, ist ein Werk genievoller und glücklicher Führer, nicht der Revolution, nicht des Nationalcharakters.