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Eulogius Schneider's ehemaligen Professors in Bonn etc. Schicksale in Frankreich.

von Christoph Friedrich Cotta

14.

 Ehe dieß noch geschah, erschien zu Strasburg ein Blatt, worinn man die Bürger aufforderte, sich mannhaft den Veränderungen, welche abermals den von der Bürgerschaft gewählten Beamten der Stadt bevorstünden, zu widersetzen. Schneider konnte nicht umhin, auf dieses Blatt zu antworten; er schrieb also:

»An die Bürger Straßburgs.«[1]

»Am ersten Tage diese Jahres ward hier ein Blatt ausgetheilt, welches euch auffordert, eure neugewählten Beamten in Schutz zu nehmen, und solche Maßregeln zu ergreifen, damit der Wille der Commune an den Tag komme, und eure Souveränität nicht verletzt werde.«

»Lasset euch einige Bemerkungen über den Sinn und Zweck dieses Blattes mittheilen. Ich Was will man von Euch? Um was ist es gegenwärtig zu tun? Ein großer Theil der hiesigen Bürgerschaft ist unzufrieden, daß Leute, welche wegen ihrer unbürgerlichen Gesinnungen vor einem Vierteljahr abgesetzt wurden, jetzt aufs neue an der Spitze der Gemeine stehen. Man behauptet, diese Wahl sey eine Folge des giftigen Einflusses, den die Erscheinung Dietrichs auf die öffentliche Meinung und auch den Gemeingeist hate. Man glaubt, zu einer Zeit, wo das Vaterland in Gefahr und der Oestreicher vor dem Thore steht, müsse die Aufsicht einer so wichtigen Stadt, wie Strasburg ist, bewährten Republikanern und entschlossenen Patrioten anvertraut werden. Zu diesem Ende werden hier Commissarien erwartet. Diese sollen Alles untersuchen, prüfen, und dann Ruhe, Sicherheit und Ordnung herstellen.«

»Die Verfasser des oben angeführten Blattes sagen Euch: Wenn ihr euch zaghaft oder träge zeiget, so sey der Streich, der eure neugewählten Beamten treffen soll, schon so gut als geschehen. Was will man damit sagen? Sollet ihr euch etwa widersetzen, wenn die Commissarien des Souverains es für nöthig finden, eine Aenderung in der Auswahl eurer Beamten vorzunehmen? – Bedenkt, Mitbürger, wo das hinführen kann. Sind wir denn allein der Souverain? Oder machen wir nur einen Theil des Souverains, d.i. der ganzen Nation aus? Seyd ihr in einem andern Sinne Souverain, als das kleinste Dorf im Reiche? Nun, wenn eine höhere Macht die Municipalität eines solchen Dorfes aus guten Gründen absetzet? Soll sich das Dorf empören? Wo bleibt alsdann die Einheit der Verwaltung und der Gesamt Souverainität?«

»Ihr hattet im vorigen Sommer, nach dem zehnten August, Commissarien. Waren diese nicht Engel des Friedens für Euch? Herrschte nicht Ruhe und Sicherheit unter der Verwaltung, welche sie einsetzten? Habt ihr eure Repräsentanten nicht selbst gewählt? und habt ihr ihnen nicht unbedingte Macht gegeben, alles zu thun, was die Gründung der allgemeinen Freiheit nothwendig machen möchte? – Horchet also nicht auf die Stimme derjenigen, die euch zur Widersetzlichkeit auffordern. Höret, wie ein guter Bürger denken muß: - Wenn die Commissarien für gut befinden, daß die neugewähten Beamten bleiben sollen; so werden wir uns ihrem Ausspruche unterwerfen. Denn Gehorsam ist die erste Pflicht freier Männer. Finden Sie eine Aenderung nöthig; so müsset ihr aus demselben Grunde euch dieselbe gefallen lassen. –«

Wenige Tage hernach dem 25sten Jenner, legte er ihnen ein noch weit beleidigenderes Bild vor, unter dem Titel:

»Betrachtungen über den Gemeingeist und die jetzige Lage von Strasburg«[2]

»Nach Paris ist Strasburg vielleicht die wichtigste Stadt in ganz Frankreich. Sie enthält eine Volksmenge von beinahe 60.000 Seelen. Sie ist der Mittelpunkt des Handels zwischen Deutschland und Frankreich. Ihre vortheilhafte Lage und die Festungswerke, welche sie umgeben, machen sie zum Schlüssel des Reichs. An ihrer Erhaltung liegt der Nation Alles, Ihr Verlust würde die Revolution wenigstens um zehn Jahre zurücksetzen. Es ist also für den Patrioten sowohl, als für den Politiker interessant, zu wissen, was dort für eine Stimmung herrsche, und wie hoch oder wie tief der Freiheitsthermometer daselbst stehe.«

»Um über die jetzige Lage Strasburgs richtig urtheilen zu können, müssen wir einen Blick auf die Geschichte des Gemeingeistes in den letzten vier Jahren werfen.«

»Im Jahr 1789 wurde die Bastille zu Paris zerstört, und der Grund zu der Freiheit Frankreichs gelegt. Noch war es unentschieden, ob das ehemalige Elsaß, und vorzüglich Strasburg, seinen alten Gerechtsamen entsagen, und die neue Verfassung, welche man für Frankreich festzusetzen im Begriffe stand, nach allen ihren Theilen annehmen würde. Die Verschiedenheit des Charakters, der Sprache, der Sitten und Gesetze, der mächtige Einfluß des Adels und der Geistlichkeit, die geringe Anzahl von aufgeklärten und patriotischen Deputierten aus dem Elsaß, die Verbindung derstelben mit dem deutschen Reich vermittelst des Adels und der Bischöffe, welche darinn geistliche und weltliche Vorrechte ausübten, die Indolenz des Landmannes, welche zum Theile aus seinem Wohlstande herrührte, schienen zwar einige Verbesserung, aber nicht eine gänzliche Unschaffung der Regierungsform nothwendig zu machen. Die Bedrückungen, welche in den Innern des Reichs unerträglich geworden waren, wurden im Elsaß seltner und in geringerm Maße gefühlt. Allein die Politik forderte Einheit in der Verwaltung, und es lag sowohl dem Hofe, als der National-Versammlung Alles daran, den Unterschied, der zwischen dieser Provinz und den übrigen Theilen des Reichs bestand, aufzuheben. Der Hof, der nicht an die Dauer der Revolution glaubte, hofte dadurch für die Zukunft freie Hände zu bekommen, denn bis dahin waren ihm diese durch Verträge gebunden. Die Nationalversammlung wollte ein Ganzes schaffen, dessen Fugen alle ineinander paßten, und mußte deswegen die Verschiedenheiten zerstören, welche zwischen den ehemaligen Provinzen herrschten. – Dietrich war der Mann, den der Hof dazu ausersehen hatte, dieses Werk zu Stande zu bringen. Er kam als königlicher Commissarius nach Strasburg, wo er ein weites Feld für seine Thätigkeit und seinen Ehrgeiz vor sich fand. Seine  Abkunft aus einem der reichsten und angesehensten Häuser dieser Stadt,  seine verbindungen mit den dort kommandierenden Generälen, seine Popularität, seine Beredsamkeit und seine Gewandheit in Geschäften setzten ihn in den Stand, das Volk, dessen eigener Charakter Gutmütigkeit ist, auf seine Seite zu bringen, und so die erwünschte Revolution zu bewirken. Er machte sich vorzüglich unter den reichen Protestanten eine mächtige Parhei, und begünstigte unter der Hand die Bestürmung des Rathauses und die übrigen gewaltsamen Auftritte welche der Maschine der Revolution den ersten Stoß geben mußten. Alsdann war seine erste Sorge, die noch großentheils dem alten System ergebenen Verwalter und Beamten zu stürzen. Zu diesem Behufe ward eine Volksgesellschaft errichtet, in welche er sich , aus wohlbedachten Gründen, nicht gleich aufnhemen ließ, obschon er das stärkste Triebrad derselben im Verborgenen war. Er bracht‘ es endlich dahin, daß er selbst zum Maire, d.i. zum unbeschränkten Herrscher Strasburgs erwählt wurde; denn damals war noch nichts organisirt, und alle Macht war in seinen Händen vereinigt. Durch die Bemühungen der Gesellschaft, zu welcher er sich nun öffentlich bekannte, wurde das aristokratische Departement gesprengt, und Leute ans Ruder gesetzt, welche er als Dratpuppen nach Gefallen lenken konnte. Um seinen Anhang nicht zu beleidigen, suchte er die Güter der protestantischen Geistlichkeit vor der Einziehung, welche die Katholischen traf, zu schützen. Die Zünfte machten die Stärke der Bürgerschaft aus. Dietrich hob zwar dem Scheine nach dieselben auf, erschwerte aber jedem, der nicht zünftig war, den Gebrauch der Freiheit, welche ihm das Gesetz zuerkannte, so daß die Zünfte auf einer Seite gewannen, da sie nicht viel mehr bezahlen durften, und auf der andern Seite nichts, oder wenig verloren, da er Mittel genug hatte, die allzugroße Concurenz zu hindern.«

»So lag die Sache die Mitte des Jahres 1791. Nun kam der Zeitpunkt, den der Hofausersehen hatte, die Nationalversammlung zu sprengen, und der Revolution eine seinen Absichten geäße Wendung zu geben. Ludwig entffloh heimlich aus Paris, wurde aber zu Varennes erkannt und gefangen zurückgebracht. Dietrich ließ bei der Nachricht, daß der König wieder gefunden sei, die Stadt erleuchten, und befestigte sich dadurch aufs neue in den öffentlichen Zutrauen. Die ganze Stadt hieng an ihm: alles war patriothisch, weil Dietrich patriotisch war.«

»Als der Hof sah, daß sein erster Plan fehlgeschlagen hatte, ergrief er einen andern, der zwar langsamer, aber doch sicherer zum Ziele führen sollte. Barnave hatte auf seiner Rückreise von Varennes Bekanntschaft mit der Königin gemacht, und sie glaubte an ihm den Mann zu finden, der die Nat. Vers. Auf Irrwege leiten, und dem Könige vorläufig so viel Macht in die Hände spielen könnte, daß es ihm in der Folge ein Leichtes sein würde, die Constitution durch die Constitution selbst zu zerstören. Barnave ward gewonnen. Nun begann die schändliche Epoche der constituirenden Nat. Vers. Und nun wurden die ungeheure Civilliste, das Veto, und das abscheuliche Kapitel von der Revision dekretirt.«

»Die Jakobiner zu Paris fühlten die Treulosigkeit des Hofes und seiner Agenten. Um ihren Einfluß zu hemmen, und den Verräthern freies Spiel zu lassen, wurde beschlossen, die Gesellschaft zu trennen, und sie als eine Horde von Anarchisten und Schwindelköpfen zu schildern, und die mit ihr verschwisterten Gesellschaften im Reiche von ihr abzureißen. Es wurden zu diesem Ende ausserordentliche Eilboten ausgesandt, welche aber meistentheils ihres Zwecks verfehlten. Ach nach Strasburg kam ein solcher Eilbote; - Matthieu, damaliger Departementsprokurator und treuer Mitarbeiter Dietrichs, that, was er konnte, um die Trennung der Strasburger Gesellschaft von den Jakobinern zu Paris zu Stande zu bringen. Die Bemühungen der wahren Patrioten hinderten den Erfolg seines Unternehmens. Die Gesellschaft bliebt mit dem Jakobinern vereinigt, und fuhr unermüdet fort, die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit zu vertheidigen.«

»Dies geschah im Monate August 1791, und von diesem Zeitpunkt an datirt sich eigentlich die Verderbung des Gemeingeistes in Strasburg. Die Revolution wurde durch die Volksgesellschaften gestiftet; die Gegenrevolution konnte durch nichts, als durch die Zerstörung eben dieser Gesellschaften bewirkt werden. Dietrich hatte nun einmal den Plan gefaßt, die von Strasburg zu zernichten. Das erste Mittel hatte fehlgeschlagen. Er sann daher auf andre. Er erschien selten mehr in den Versammlungen; er bezeugte bei jeder Gelegenheit ein heftiges Misfallen gegen diejenigen, welche starke und angreifende Motionen machten. Er klagte über hitzige Köpfe und Ruhestörer. Wenn ihm Deoutationen geschickt wurden, so empfieng er sie frostig.«

»Doch blieb er noch Mitglied der Gesellschaft. Man wollte nur erst die Wahlen abwarten; denn man brauchte einen öffentlichen Ort, wo seine Kreaturen sich zeigen und ihre Talente auskramen könnten. Sobald die Wahlen geendigt, und die wichtigsten Plätze mit seinen Knechtenbesetzt waren, warf er die Maske weg, und that alles, was er konnte, um die Gesellschaft in Miskredit und Verachtung zu bringen. Die Gesetze, welche Chapelier wider die Volksgesellschaften am Ende der konstituierenden Nat. Ver. Herausgepreßt hatte, wurden zu Strasburg mit einer mehr als gewissenhaften Pünktlichkeit erfüllt.«

»Man glaubte. Die Gesellschaft in Strasburg durch die Auszehrung töden zu können. Man klagte über den Despotismus, den einige Franzosen darin ausübten. Man schlug vor, eine deutsche Gesellschaft zu errichten, obschon man das Herz noch nicht hatte, sich öffentlich von der französischen zu trennen.Dadurch hofte man die Bürger von den Jakobinern[3] abzuziehen, weil ihnen die deutsche Sprache geläufiger ist, als die französisch. Diesem Fallstricke wurde dadurch ausgewichen, daß die Gesellschaft beschloß, künftig eine oder zwei deutsche Sitzungen zu halten.«

»Man beschwerte sich über den engen Raum; der nicht alle Mitglieder fassen könne, besonders nachdem ein ganzes Bataillon Freiwilliger aufgenommen worden war, obschon es nur von Dietrich abhieng, der Gesellschaft einen geräumigen Platz anzuweisen. Die ächten Patrioten ließen sich indeß nicht irre machen; sie setzten ihre Arbeiten fort, und hielten die Schlangen fest, die in ihrem Busen lagen.«

Endlich wurde der Vorhang aufgezogen, der bisher die Anschläge der falschen Volksfreunde bedeckt hatte. Sie glaubten, die Gemüther hinlänglich vorbereitet zu haben, und beschlossen nun, sich mit vielen Geräusche von der Gesellschaft zu trennen. Das Werkzeug das sie dazu ausersahen, war ein gewisser Roissete, der damals im besten Rufe des Patriotismus stand. Dieser abscheuliche Mensch mußte eine Schrift wider den angebeteten Dietrich aufsetzen, und durch einen dritten austheilen lassen, indeß er selbst hinter den Coulissen stand, und das ärgerliche Schauspiel, das er veranlaßt hatte, mit der Schadenfreude eines Satans betrachtete. Die Schrift wurde ausgetheilt, und nun flogen die Eingangskarten zu Hunderten auf den Tisch des Präsidenten. Ein kleines Häuflein blieb standhaft, und erneuerte den Eid, sich nicht zu trennen. Dann war es um die Einigkeit in Strasburg geschehen. Dann wurde das wechselseitige Zutrauen unter den Bürgern zerstört.  Dann wurden die heiligsten Bande der Verwandschaft, der Freundschaft, und selbst der ehelichen Liebe zerrissen. Dann hörte man auf, sich um die großen Angelegenheiten des Vaterlandes zu bekümmern; indeß man sich mit persönlichen Händeln und Verfolgungen beschäftige. Dann versammelte Dietrich in seiner neuen Gesellschaft beinahe alle Reiche, alle Wucherer, alle Kaufleute, alle öffentlichen Beamten. War einmal die Eintracht zerstört; so mußte natürlicher Weise der Gemeingeist zu Grunde gehen.

Man kann mit Wahrheit und im ganzen Departement mit der Constitutionsgesellschaft auflebte, und so, wie man anfieng, diese zu verfolgen, wieder verlosch. Die neue Ordnung der Dinge forderte mannichfaltigen Unterricht. Wo anders, als in der Gesellschaft, konnten die Bürger diesen finden? Da nun die Quelle dieses Unterrichts auf alle Weise getrübt und verdächtig gemacht wurde; so mußte auch der Patriotismus erkalten, und an dessen Stelle zuerst Gleichgültigkeit, dann förmliche Abneigung gegen die Revolution treten.

Doctor Luther sagte irgend wo: Bei allen großen und kleinen Begebenheiten müssen Pfaffen seyn, und wenn keine da sind, so mahlt man sie dazu. Die Geistlichen beider Religionen spielten seit der Revolution auch ihre Rolle in Strasburg, aber auf eine sehr verschiedene Art. Es gab unter den Katholiken, so wie unter den Protestanten, Pharisäer, denen mehr an ihrem Beichtpfennig als an der Aufklärung des Volkes lag. Im Ganzen schienen die Priester wenig Gutes für die Revolution und viel Böses wider dieselbe gestiftet zu haben. Es versteht sich, daß ich hier nicht von den fanatischen Pfaffen spreche, deren verderblicher Einfluß mehr auf das Landvolk als auf den Städter wirkte. Der Stadtbewohner ist gewöhnlich gleichgültiger als der Landmann gegen religiöse Meinungen und Gebräuche. Eigentlich waren hier nur zwei Klassen von Menschen den eidscheuen Pfaffen zugethan: das vornehme Frauenzimmer und das Lumpenvolk, welches von Klostersuppen und vom Betteln lebte. Bei jenem war Stolz, bei diesem Hunger, und bei beiden Unwissenheit der Grund ihrer Thorheit. Indeß war der Fanatismus wenig gefährlich; und er würde ganz unschädlich gewesen seyn, wenn nicht Dietrich aus wohlbedachten Gründen die kleine Kapuzinerkirche [4] geöffnet, und dadurch die Vereinigung der Katholiken in einem und demselben Tempel auf lange Zeit erschweret hätte.

Aber hier ist hauptsächlich die Rede von den geschwornen Geistlichen von beiden Religionen. Man kann nicht läugnen, daß einige aus ihnen sichs zum angelegenlichsten Geschäfte machten, das Volk über die Vortheile der neuen Verfassung, und vorzüglich über die Uebereinstimmung derselben mit den Grundsätzen des ächten, vernünftigen evangelischen Christenthums aufzuklären. Aber es ward bei weitem nicht das geleistet, was der Philosoph und Patriot von einer solchen Anzahl besoldeter Religionslehrer erwarten konnte. Das Lehramt, welches die Hauptsache des Priesters ist, wurde von denen, die am besten bezahlt sind, nach altem Schlage, als Nebenfache, angesehen. Man sah nur wenige katholische Geistliche mit Beredsamkeit und Anstrengung die gute Sache verfechten. Die meisten predigten entweder gar nicht, oder doch selten, oder doch sehr schlecht. Wenn je einer auftrat, der den Aberglauben ein wenig in die Augen grif, (und das mußte doch seyn, weil Aberglaube und Freiheit nicht untereinander bestehen können) so durfte er darauf zählen, daß seine Obern und Amtsbrüder ihn, wo möglich, aufs Land entfernten, oder doch auf gut pfäffisch heimlich verfolgen würden. Es ist aber auch den Herren nicht übel zu nehmen. Es ist so bequem, wenn man nichts als Kreuze machen, Messen singen, goldgestickte Ornamente tragen, lateinische Psalmen plärren, und dabei nichts denken, nichts empfinden, nichts lehren darf.

Die protestantische Religion bahnt, nach ihren ersten Grundsätzen, den Weg zur Freiheit. Man kann sagen, daß die Reformation des sechzehnten Jahrhunderts, die Revolution des achtzehnten vorbereitet habe. Daher war auch zu erwarten, daß die protestantischen Religionslehrer alles thun würden, um die Fortschritte der Freiheit zu befördern. Allein es scheint, sie haben nur darum einiges Interesse für dieselbe gezeigt, weil sie ehedem unter dem Druck und in größerer Dürftigkeit, als die katholischen lebten. Sobald dem katholischen Klerus die Flügel gestutzt waren, legten sch die orthodoxen Prediger des beliebten Augsburgischen Kirchensystems wieder ruhig auf ihre Polster. Dazu kam noch ihre Verbindung mit Dietrich, ihre Abhängigkeit von den reichen Häusern, ihre Unerfahrenheit in der Politik, und eine gewisse, ihnen eigene, Mönchsmäßige Schlichtheit. Mehrere aus ihnen, besonders die Doctores Sacrae theologiae, hatten fette Pfründen, oder hofften wenigstens darauf. Es ist natürlich daß das St. Thomasstift dem Patriotismus ein wenig im Lichte stehen mußte. Von den alten Pfarrern, von denen ich jedoch die Bürger Stuper und Müller ausnehme, waren die meisten um 300 Jahre hinter unsrer Aufklärung zurück: und auf solchen dürren Heiden wachsen weder Rosen noch Freiheitsbäume. Ist es also ein Wunder, wenn der Strasburger, der in der Kirche nichts als seine alte Postillen hörte, wenig Enthusiasmus für die Revolution empfieng? Ist es ein Wunder, wenn er endlich gar derselben Feind wurde, indem er sah, daß die angesehensten Theologen selbst, den Jakobinern, diesen standhaften und unermüdeten Vertheidigern der Menschenrechte (!!!) den jüngsten Tag prophezeihten? Warlich! Die jüdischen Priester schadeten der Verbreitung des Christenthums weniger, als die christlichen Pharisäer der Verbreitung der politischen Aufklärung in Strasburg und im Elsaß geschadet haben. –


[1] Argos oder der Mann mit hundert Augen, 2ter Halbjahrgang Nr. 1. Vom 4ten Jenner 1793.

[2] Argos 25sten Jenner 93. Nr. 7

[3] Die erst damals anfiengen, zu dem, was sie nachmals in ganz Frankreich verübten, den Grund zu legen. – Der Herausgeber.

[4] Jetzt hat sie der durch seine durch den Druck bekanntgemachte Lebensgeschichte berümtgewordene Abbé Rumpler gepachtet, und liest darinn Messe, welche jedoch nur derjenige anzuhören die Erlaubnis hat, der ein bestimmtes als Eintrittsgeld erlegt. Die erste Messe, die er den verflossenen Sommer 1795 in dieser Kirche hielt, trug ihm 700 Livres ein. Zu merken ist, daß diese Kirche, wie das ganze Gebäude, vor Kurzem noch ein fürchterliches Gefängnis war, wenn nicht das eigentliche Klostergebäude es annoch ist, welches ich wohl vermuthe. – D. Herausg.