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Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Uhland, Kerner 1. Teil Teil 1

In Uhland kulminiert die romantische Lyrik. Nicht nur, daß er die zerstreuten Klänge, die Tieck einst zum Teil noch wirr und formlos angeschlagen, erst zum wirklichen Liede gemacht; sondern seine Lyrik steht auch schon scharf auf der Wetterscheide zwischen der romantischen und der neuesten Zeit, gleich wie ja Uhland selbst seinem Alter nach (geb. 1787) beiden Geschlechtern angehört.

Allerdings wurzeln seine schönen Lieder, durch die er berühmt geworden, noch in dem alten Boden. Es ist noch Luft, Licht und das ganze poetische Glaubensbekenntnis der Romantik, wenn er in seinem »Märchen« von dem wunderbaren Fräulein erzählt, die, von der schnurrenden Spindel der Stubenpoesie verwundet, mitten unter ihren Paladinen in Zauberschlummer versunken:

»So schlief sie in der Halle,Die Fürstin, reich geschmückt.Bald hatte die andern alleDer gleiche Schlaf berückt.Die Sänger schon in Träumen,Rührten die Saiten bang,Bis in des Schlosses RäumenDer letzte Laut verklang.«

Da hat nach vierhundert Jahren des Königs Sohn, mit seinen Jägern ins Waldgebirg reitend, die seltsamen grauen Türme und Zinnen des Schlosses wieder entdeckt. Vergebens warnt ihn ein alter Spindelmann:

»Romantische MenschenfresserHausen auf jenem Schloß;Die mit barbarischem MesserAbschlachten klein und groß.«

Er haut mit dem Degen sich Bahn zum Schlosse, der Hof war wieder Wald geworden, die Vögel sangen in den Bäumen; so schreitet er über die kreuzweis vorgehaltenen Hellebarden zweier schlafenden Riesen zum großen Saal:

»Da lehnten in hohen NischenGeschmückter Frauen viel,Gewappnete Ritter dazwischenMit goldnem Saitenspiel.Hochmächtige Gestalten,Geschloßnen Auges, stumm;Grabbildern gleich zu haltenAus grauem Altertum.«

Und inmitten des stillen Kreises ruht die schöne Jungfrau, Goldstoffe über sie gebreitet und Rosen ohne Zahl. Er weckt sie mit einem Kusse, die ihn, noch halb im Schlummer mit dem Arm umwunden.

»Sie streifte die goldenen LockenAus ihrem Angesicht,Sie hob so süß erschrockenIhr blaues Augenlicht.Und in den Nischen allenErwachen Ritter und Frau,Die alten Lieder hallenIm weiten Fürstenbau.

Ein Morgen, rot und golden,
Hat uns den Mai gebracht;
Da trat mit seiner Holden
Der Prinz aus Waldesnacht.
Es schreiten die alten Meister
In hehrem, stolzen Gang,
Wie riesenhafte Geister
Mit fremdem Wundersang.

Die Täler, schlummertrunken,
Weckt der Gesänge Lust;
Wer einen Jugendfunken
Noch hegt in seiner Brust,
Der jubelt, tief gerühret:
Dank dieser goldnen Früh,
Die uns zurückgeführet
Dich, deutsche Poesie!«

Und ein solcher Jubel ist Uhlands eigne Poesie, die fast alle Elemente der Romantik wie zum Abschiedsgruße noch einmal austönt; ja, was die andern nur mystisch anzudeuten gewußt: das Geheimnisvolle der Natur, diese wunderbaren Stimmen einer unsichtbaren Welt, sind bei ihm oft überraschend zu lebendigem Wort und Bild geworden. So die tiefe Sabbatstille der Felder in »Schäfers Sonntagslied«:

»Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur,
Noch eine Morgenglocke nur!
Nun Stille nah und fern!

Anbetend knie ich hier.
O süßes Graun! geheimes Wehn!
Als knieten viele ungesehn
Und beteten mit mir.

Der Himmel, nah und fern,Er ist so klar und feierlich,So ganz als wollt er öffnen sich.Das ist der Tag des Herrn!«

Oder der heimliche Geisterblick der Heimatsgegend in den Worten :

»Wie willst du dich mir offenbaren,Wie ungewohnt, geliebtes Tal?Nur in den frühsten JugendjahrenErschienst du so mir manchesmal.Die Sonne schon hinabgegangen,Doch aus den Bächen klarer Schein!Kein Lüftchen spielt mir um die Wangen,Doch sanftes Rauschen in dem Hain!« –

Auch das Heimweh der Romantik geht noch durch diese Lieder; bald als sehnsüchtiger Mut:

»Wohl blühet jedem Jahre
Sein Frühling mild und licht,
Auch jener große, klare –
Getrost er fehlt dir nicht;
Er ist dir noch beschieden
Am Ziele deiner Bahn,
Du ahnest ihn hienieden
Und droben bricht er an!«

bald als Todesengel durch die blühende Landschaft vorüberschwebend:

»Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab,
Drunten singt bei Wies und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab.
Traurig tönt das Glöcklein nieder,
Schauerlich der Leichenchor;
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zum Grabe,
Die sich freuten in dem Tal;
Hirtenknabe! Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.« –

Alles Menschlichschöne endlich: Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, Treue, begrüßt uns hier in dem milden Lichte einer höheren Auffassung, die auch das Alltägliche wunderbar macht und die wir nur als eine religiöse bezeichnen können, indem sie alle irdische Erscheinung ihrem göttlichen Ursprung zuwendet. Es ist mit einem Wort eine durchaus deutsche, d.h. gläubige Poesie, die es noch ehrlich ernst mit sich und ihrem Gegenstande meint und daher unmittelbar trifft wie das Volkslied; in dieser Wahrhaftigkeit des Gefühls nur mit Arnims Dichtungen vergleichbar, vollendeter in der Liedesform als diese, aber beschränkter in dem Umfange ihrer Produktionskraft.

Es ist natürlich, eine so tiefe Innerlichkeit konnte sich in den wichtigsten Lebensfragen nicht leichtfertig oder hoffärtig mit einem oberflächlichen Rationalismus begnügen. Überall vielmehr sehen wir Uhland von einer freudigen Zuversicht persönlicher Fortdauer nach dem Tode, über Lust und Leid emporgehoben, wie im »Gruß der Seelen«, »Auf einem Grabsteine« und anderen Liedern; und es ist kein naturphilosophisches Experiment, noch etwa ein bloßer guter Mann und Weltweiser, sondern der historische Gottmensch Christus, den er anredet:

»Du, den wir suchen auf so finstern Wegen,Mit forschenden Gedanken nicht erfassen,Du hast dein heilig Dunkel einst verlassenUnd tratest sichtbar deinem Volk entgegen.

Welch süßes Heil, dein Bild sich einzuprägen,Die Worte deines Mundes aufzufassen!O selig, die an deinem Mahle saßen!O selig, der an deiner Brust gelegen!«

Allein das, was wir als das Unterscheidende der Romantik anerkennen mußten, ihre katholische Heimat, hat Uhland gleichwohl bereits verlassen. Nicht etwa – wie sich bei ihm von selbst versteht –, daß wir hier den kleinen Krieg schon fänden, unedeln Spott oder Haß gegen die Kirche, denn er steht ja noch auf gemeinschaftlichem christlichen Boden mit ihr; und ebensowenig jene widerliche ästhetische Vornehmheit, die um des romantischen Schlendrians willen sich großmütig lächelnd herabläßt, den Katholizismus hie und da noch als willkommenen künstlerischen Apparat zu benutzen. Freundnachbarlich vielmehr begrüßen wir in Uhland einen durchaus wohlgesinnten Protestantismus, der die Überzeugungen der Kirche ehrt, wo er sie auch nicht teilt – aber es ist eben darum auch nicht mehr der alte, feurig-romantische Glaube, der vor kurzem noch rationalistische Berge versetzt, es ist nur noch ein poetisches Verständnis der katholischen Schönheit.

Indem also Uhland, als reicher Erbe auf den Gipfeln der Romantik angelangt, diese in der Hauptsache hinter sich abschließt, greift er von der andern Seite zugleich schon in die neue Zeit hinaus mit seinen politischen Liedern.

Auch auf diesem neuen Pegasus finden wir ihn vollkommen sattelfest, und es ist dieselbe tüchtige Gesinnung, die uns den Dichter ehrenwert und seine Poesie zum Volksgut gemacht hat, wenn er sagt:

»An unsrer Väter TatenMit Liebe sich erbaun,Fortpflanzen ihre Saaten,Dem alten Grund vertraun;Um unsre Schmach sich kränken,Sich unsrer Ehre freun;In solchem AngedenkenDes Landes Heil erneun;Sein eignes Ich vergessenIn aller Lust und Schmerz:Das nennt man, wohlermessen,Für unser Volk ein Herz.«