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Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Werner Teil 1

Werner ist ein durchaus subjektiver Dichter; seine Verirrungen, seine Reue, sein Schmerz und sein Sehnen sind seine Poesie. Läßt er selbst doch eine seiner Kanzonen sagen:

»Ich bin, man weiß es, spricht sie, vielem Sprechen
Nicht eben feind; doch, soll ich was erzählen:
nen Lebenslauf, Tragödie und so ferner;
So mag ich mich auch noch so ängstlich quälen,
Ich kann mich immer meiner nicht entbrechen,
Ich bin und bleib in allem immer – Werner!«

Bei dieser innigen Durchdringung von Dichten und Leben, die fortwährend einander wechselseitig bedingen und erklären, ist es daher nötig, wenigstens die Hauptzüge des letzteren hier kurz zu erwähnen, ohne welche manches seiner Gedichte kaum verständlich wäre.

Friedrich Ludwig Zacharias Werner, im J. 1768 zu Königsberg in Preußen geboren, hatte sehr früh seinen Vater verloren. Um so bedeutender mußte hiernach der Einfluß der Mutter auf ihn sich geltend machen, nicht sowohl durch eine sorgsam geregelte Erziehung als durch ihr ungewöhnliches, eigentümliches Wesen. Hippel und Hoffmann rühmen sie als eine mit Geist und Phantasie hochbegabte Frau, die jeden Gegenstand mit Adlerblicken durchschaute, und Werner selbst nennt sie eine reine, heilige Kunstseele und Märtyrerin von dem hellsten, nur durch eine zu glühende Phantasie unterjochten Verstande. Eine langjährige Gemütskrankheit, in der sie sich für die Jungfrau Maria und ihren Sohn für den Weltheiland hielt, endigte 1804 ihr Leben. Ihr Tod hatte Wernern auf das heftigste erschüttert; er schrieb damals an einen Freund: »Die Gottheit schlägt mit einem eisernen Hammer an unser Herz, und wir sind mehr als Stein, wenn wir das nicht fühlen, toller als toll, wenn wir uns nicht schämen, uns vor dem Allgewaltigen in den Staub werfen, unsre ganze, so höchst miserable Persönlichkeit zu vernichten, in dem Gefühle seiner unendlichen Größe und Langmut.« – Auch bewahrte er ihr Andenken mit rührender Treue bis zu seinem Tode, und ihr Bildnis mußte mit ihm in den Sarg gelegt werden.

Unter ihren Augen hatte Werner in seiner Vaterstadt die Rechte studiert, und begleitete dann mehrere Jahre hindurch das Amt eines Kammersekretärs bei der k. pr. Domänen-Kammer zu Warschau, wo er sich mit Mnioch und Hitzig befreundete und mit seinem Landsmann und ehemaligen Schulkameraden, dem bekannten Dichter Hoffmann, wieder zusammentraf. Seine im J. 1805 erfolgte Versetzung als Geheimer Sekretär nach Berlin aber führte ihn endlich in die größere literarische Welt ein; durch den Ruf, den ihm seine »Söhne des Tales« erworben, kam er dort mit Fichte, Johannes v. Müller, A.W. Schlegel, Alexander v. Humboldt und andern Koryphäen der neuen Bildung in persönliche Berührung, während Iffland die eben Vollendete »Weihe der Kraft«, selbst die Rolle des Luthers übernehmend, mit lebhaftem Interesse auf die königliche Bühne brachte.

Im Verlauf dieser wenigen Jahre hatte inzwischen Werner bereits drei Ehen ebenso frevelhaft-leichtsinnig geschlossen als gelöst. Die letzte wurde bald nach seiner Ankunft in Berlin mit beiderseitiger Zustimmung getrennt, weil – wie er an Hitzig schrieb – von dem jungen Weibe, das er übrigens bis zu seinem Lebensende innig liebte und verehrte, nicht mehr mit Recht zu fordern sei, daß sie mit ihm glücklich leben solle. »Ich bin wohl«, sagt er, »kein böser Mensch, aber ein Schwächling in vieler Rücksicht (denn Gott stärkt mich auch in mancher), ängstlich, launenhaft, geizig, unreinlich; Du weißt's ja! Immer in meinen Phantasien, in Geschäften; hier nun vollends, in Komödien, in Gesellschaften, hatte sie mit mir keine Freuden. Sie ist unschuldig! Auch ich bin es vielleicht; denn kann ich dafür, daß ich so bin?«

Bald darauf aber stürzte die preußische Monarchie äußerlich zusammen, um sich innerlich zu besinnen und kräftiger wieder aufzubauen. Die übermütige französische Wirtschaft verleidete ihm den fernern Aufenthalt in Berlin. Seine drei Ehen waren kinderlos geblieben, ein kleines, von der Mutter ererbtes Kapital sicherte ihm notdürftig eine unabhängige Stellung; und so entsagte er im J. 1807 seinem Amte und folgte der angeborenen Wanderlust, die Schweiz, Frankreich und Deutschland nach allen Richtungen durchstreifend. Auf diesen Fahrten sind es vorzüglich drei Begegnisse, die ihn leuchtend und erwärmend berührten: die persönliche Bekanntschaft Goethes, »dieses universellsten und klarsten Mannes seiner Zeit«, den er bis zum Tode als seinen großen Meister anerkannte. Sodann ein mehrmonatlicher Aufenthalt bei der Frau von Staël auf ihrem Landsitze Coppet am Genfersee in dem Kreise geistreicher Freunde, unter denen er besonders A.W. Schlegel ehrend nennt. Und endlich die väterliche Freundschaft des Fürsten Primas von Dalberg, der ihm ein Jahrgehalt von 1000 Gulden zuwandte, welches ihm nach Dalbergs Tode vom Großherzog von Weimar fortgewährt wurde.

Den eigentlichen Wendepunkt seines Lebens aber bildet Rom, wo er im J. 1811 zum katholischen Glauben zurückkehrte. Nach einem fast vierjährigen Aufenthalte daselbst, den er zum Studium der Theologie benutzte, verließ er Italien für immer, trat in das Kle rikal-Seminar zu Aschaffenburg und empfing dort am 16. Juli 1814 die priesterlichen Weihen. Seitdem lebte er, ohne bestimmte Anstellung, mit geringen Unterbrechungen in Wien treu und ausschließlich seinem geistlichen Berufe bis zu seinem im J. 1823 erfolgten Tode.

Es ist vielleicht kein Romantiker im Leben und noch im Grabe so unverständig oder boshaft verunglimpft worden als Werner. Der Grund liegt wohl darin, daß man ihn meist einseitig bloß vom ästhetischen Standpunkte aus beurteilt, während bei Werners Individualität seine poetische Bedeutung durchaus nur in beständiger Beziehung auf seine religiösen Intentionen gewürdigt werden kann, diese aber vielen völlig fremd oder verhaßt sind und deshalb leichthin als konfuser Mystizismus abgefertigt werden. Es lohnt daher wohl der Mühe, die Akten, auf welche seine gewöhnliche Verdammung sich begründen will, noch einmal treu und gewissenhaft zu prüfen.

In Werners innerem Leben, das aus seinen eignen, unumwundenen Geständnissen in Briefen und Gedichten offen vor uns liegt, begegnen uns allerdings fast schreckhaft zwei scheinbar unversöhnliche Erscheinungen: eine glühende, oft ans Gemeine, ja Verruchte streifende Sinnlichkeit neben einem tiefen religiösen Gefühl; und dieser Gegensatz und seine versuchte Lösung ist der eigentliche Kern und Inhalt seiner Poesie, die daher durchweg etwas Tragisches hat; ein unausgesetztes Ringen mit wilder irdischer Leidenschaft und Weltlust, der er frühzeitig verfallen, gleichsam ein schwarzes und ein weißes Roß dicht nebeneinander gespannt, die ihn immer weiter nach dem Abgrunde fortrissen, vor dem ihm graut. Dieser zerrissene Zustand spiegelt sich, unter vielen andern Gedichten, in seinem »Rheinfall bei Schaffhausen«:

»Rasselnd Gewässer, was rasest du? – ›Fort!‹ –
Wohin? – ›Nach dort, sonder Rast, mit Qual,
Ins brennende Tal! Es rasselt uns nach;
Uns jagt zum Brautgelag brausende, sausende
Grauslust, zu schwelgen an Bräutigams Brust.‹ –

Es ist euch bewußt, ihr kosenden, wogenden
Silberne Bogen umwälzende Jungfraun,
ein seliges Graun! Ach könnt ich mich sammeln
Und stammeln, und lallen, durchs mächtige Schallen
Der Wässer, von allen Gefühlen das eine:
Warum ich, im Scheine der wallenden, fließenden,
Froh sich ergießenden, feurigen Fluten,
Die Gluten der freudigen Tränen jetzt weine! –
›In dir sind wir dein, wir schliefen
In Tiefen von dir sonder Reuen, die Treuen!
Doch erschreckt, und geweckt durch die Pein deiner Sünden
Entzünden wir uns in dem Abgrund; und ringen
Und dringen, mit Klingen, durch weinende Schuld,
Zum Heiland, der wieder uns finden, umwinden,
Entsünden uns wird; drum wir jauchzen und schrein,
Den Bräutigam zu weihn; drum wir rauschen und ringen,
Zu schlingen von außen und innen ihn ein!‹ –
Rasselnde, träumende Töchter vom ewigen Schaum,
Nehmt mich mit aus dem Raum, aus der Arbeit der Zeit,
In die Ewigkeit! – ›Was heischest du?‹ – Ruh!
Und sie lachen dazu.«

Auf diesen seinen Gemütszustand werden wir jedoch weiter unten noch einmal zurückkommen und wollen hier vorläufig nur bemerken, daß seine Schriften sich von aller Mitschuld rein gehalten; da ist keine Spur von Lüsternheit, von Beschönigung oder ästhetischem Hätscheln der Sünde; der Teufel wird überall bei seinem rechten Namen genannt, ganz im Gegensatze von Wieland, der sittlich lebte und lüderlich schrieb. Sehr natürlich. Denn neben diesen Ausschweifungen sagten wir, geht durch Werners Leben und Dichten vom Anbeginn bis zum Ende der feurige Faden eines durch alle Verwandlungen immer mächtiger wachsenden religiösen Gefühls, und zwar nicht etwa als poetisches Motiv und Beiwerk, sondern als der Ernst und die Seele des Ganzen. In seinen Jünglingsgedichten zwar bis zum J. 1790 stimmt auch er in den nationalistischen Jargon seiner Zeit noch mit ein und singt Von Aberglauben, Frömmelei, heiliger Dummheit und Jesuiterei; doch auch damals widerstrebend, ringend:

»Wie auf Wogen Wogen sich erheben,
Türmen Zweifel jetzt auf Zweifel sich,
Hoffnung winket – Zweifel widerstreben,
Ich vergehe – Vater – rette mich!«

Unterdes aber hatten Novalis, Schlegel und Tieck schon ihr Tagewerk rüstig begonnen und, wie in der bessern Jugend überhaupt, auch in Werner aus der Ferne die schlummernden Kräfte zum Bewußtsein gebracht, der nun plötzlich auf dem angeborenen Boden steht, um ihn nie wieder zu verlassen. Er erkannte nämlich sogleich das religiöse Element der Romantik als ihre eigentliche Bedeutung und die Förderung dieses Elements als seine Lebensaufgabe dabei. Die Poesie hatte ihm von jetzt ab nur Gültigkeit, insofern sie, mit Religion und echter Liebe eine »Dreieinigkeit« bildend, für die letzten Zwecke der Menschheit wirkt, die höher sind als alle Poesie, wo durch das allen Egoismus vernichtende Gefühl die Moral Notwendigkeit und der Verstand Anschauung wird. »Kunst und Religion« – schreibt er 1802 an seine Freunde – »sollen, meiner Meinung nach, das Herz, wie ein Gefäß, durch Anschauen des Schönen und des Universums, nur reinigen, so weit, daß es für die höheren Wahrheiten der Moral empfänglich ist; nicht dem Herzen diese Wahrheiten selbst eintrichtern. – Nun sind aber die Herzen der Alltagsmenschen kalt; sie müssen also durch Bilder des Übersinnlichen erst entflammt werden, wenn ich so sagen soll, wie ein irdenes Gefäß ausgeglüht, ehe die reine Milch der Moral in sie gegossen werden kann. Das ist mein kurzes Glaubensbekenntnis über Kunst, die mir selbst nicht flüchtiges Amüsement, sondern Leiterin durch das Leben geworden ist. – Wer ist Künstler? – der, welcher durch ein Chaos von Regeln, Studien, Rücksichten und was weiß ich alles eingezwängt, die er doch, er sei noch so genialisch, nicht überspringen kann, in Worten, Tönen, Farben das Geringste nachzuklimpern sucht, was der gewöhnliche Religiöse in Minuten der Weihe empfindet; oder derjenige, der sich und sein Inneres, wie eine Äolsharfe, dem schönen Sausen der harmonischen Schöpfung darbietet und sich von ihm durchströmen läßt? O nur diese Luftströme sind die verdünnte Lebensluft, die dem Kranken von seinem höchsten Arzte gereicht wird zum Labsal. – Der sogenannte Dichter ist nichts, ist weniger als der Schreiber oder der Kanzellist, wenn er sich damit begnügt, in schön gestochenen Silben seinen Nebenmenschen zu amüsieren. Der Geist des Ganzen macht es aus, der hohe, göttliche Geist, den der Dichter als Priester der Gottheit verbreiten soll in der Welt. – Ich kann Dir, so wahr Gott lebt, schwören, daß ich die Kunst bloß aus dem höheren Gesichtspunkte, insofern sie uns Ahnungen der Gottheit gibt, betrachte und daß es mir nicht darum zu tun ist, Bücher zu schreiben und einen flüchtigen Beifall zu gewinnen; sondern darum, wenn auch nur wenige Gemüter für das Heilige zu gewinnen, was die Welt nicht kennt. Das ist, so wahr Gott lebt, nicht Affektation, sondern wirklicher Ernst.«

Bei solchem Ernste aber ist, wie er selbst hinzufügt, Proselytenmacherei sehr natürlich; wie der einzelne Dichter ein Missionär in diesem Sinne, so sollten alle ausgezeichneten Geister eine Propaganda zur religiösen Erhebung der Menschheit bilden. »Ich versichere und beteuere Dir«, schreibt er 1803 an Hitzig, »daß ich alle poetische Lorbeerkronen für die Freude hingäbe, nicht etwa Stifter, bloß Mitglied einer echt religiösen Sekte zu sein, denn ich bin überzeugt, daß das die Hauptsache ist, warum es der Welt not tut, und daß alle Kunst nur Propyläen zu diesem Endzweck. – Was könnten zehn gefühlvolle, reine, begeisterte Jünglinge, zu einem Zwecke verbündet, mit der Welt in religiöser Hinsicht machen, wenn sie weniger schreiben und mehr tun wollten, und wenn es möglich wäre, noch junge Leute zu finden. – Daher tut es mir in der Seele weh, wenn ich die herrlichen Kräfte der neuen Menschen, des Schlegel, des Tieck, des Schleiermacher usw. verschwendet, den einen eine Komödie, den andern ein Journal, den dritten romantische Dichtungen, Sonetts und Gott weiß was liefern sehe, sie von großen Zwecken, wie die Franzosen von der Landung in England, prahlen höre und doch keine ernste Tendenz, keine verbundene Harmonie zu dem großen Ziele, keine Realisierung der göttlichen Idee einer geselligen Verbindung edler Freunde zum höchsten Zwecke erblicke, wie Schlegel sie im ersten Heft seiner Europa so schön andeutet. Alles poetische Andeuten von hohen Verbindungen, anbrechender Morgenröte usw. kann nichts helfen; geben muß man der Welt, der jämmerlichen, von Gott entfremdeten Welt das Beispiel einer solchen Verbindung, in Prosa, in Natura; sie mag Sekte, Orden, wie sie will, getauft werden, und kann ich zu einem solchen Zwecke mitwirken, so will ich gern meine poetische Feder, die mir nur dazu Vehikel ist, niederlegen auf ewig, dann erst werde ich sagen können, ich lebe!« – Und praktisch auf dieses einzige Ziel gewandt, bittet er daher Hitzig, darüber mit seinen Freunden in Berlin zu sprechen, insbesondere jene neuen Menschen aufzusuchen. »Assoziiere Dich ihnen bonis modis. Ist dieser oder jener ein Narr; tut nichts, wenn er nur echten Sinn hat für das, was dem Menschen not tut, und das ist: Verbindung einiger in solchem Sinne begabten Menschen zur Erwärmung der Menschheit. Vor allem sondiere diese Menschen, ob die in Schlegels Europa und sonst angedeutete Verbrüderung der Besseren zur Vergöttlichung der Menschheit eine poetische Floskel, mithin eine leere Gaskonade, oder etwas mehr ist, und sie wirklich glauben, daß auf die Menschheit durch mehreres literarisches Zeug, von dem man nicht weiß, von wannen es kommt und wohin es fährt, und was in Lesegesellschaften begraben wird, könne gewirkt werden? – Nein, mein Freund! Kunstwerke sind Vorarbeiten zu der neuen Religion, die der Menschheit gegeben werden muß; Bücher wirken in dieser Rücksicht wenig oder nichts. Wir brauchen Apostel (NB. in modernem Geschmack), die auf einen Zweck hinwirken, und Proselyten!«

Wer möchte hiernach zu behaupten wagen, daß es Wernern mit seinem Streben nach religiöser Wirksamkeit nicht Ernst gewesen? ein Ernst, der immer und überall ehrenwert ist und die Bürgschaft endlichen Gelingens schon in sich trägt. Allein die Bahn, die er damals anstrebte, war – wie späterhin von ihm selbst am kräftigsten anerkannt worden – eine grundfalsche, in ihrem Wesen von den gewöhnlichen religiösen Theorien seiner Zeit nur wenig verschieden; indem er, Poesie und Religion einander gleichstellend, beide nur als Mittel zur Erwärmung und Vorbereitung der Menschheit für ein vermeintlich höheres, über alle positive Religion hinausliegendes Ziel betrachtete. So rühmt er allerdings schon damals den Katholizismus nicht nur als das größte Meisterstück menschlicher Erfindungskraft, sondern auch, wenn er geläutert wird, als das beste unter den Erzeugnissen der Christusreligion, das allen übrigen christlichen und unchristlichen Religionsformen, für ein Zeitalter, welches den Sinn der schönen Griechheit auf immer verloren, vorzuziehen sei. – Alles dies jedoch nur von jenem poetisch-reformatorischen Gesichtspunkte aus. »In dieser poetischen Hinsicht nämlich«, sagt er, »nehme ich nicht nur die Maçonnerie, sondern selbst manches von ihrer Geheimniskrämerei, ja sogar den jetzt aufs neue Mode werdenden Katholizismus, nicht als Glaubenssystem, sondern als eine wieder aufgegrabene mytologische Fundgrube, theoretisch und praktisch in Schutz.«

Alle diese Gedanken, Träume und Intentionen hat er vorzüglich in seinen »Söhnen des Tales« und deren zweitem Teil: »den Kreuzesbrüdern«, niedergelegt, an denen wir daher sein damaliges Glaubenssystem, wenn es so genannt werden darf, näher nachzuweisen versuchen wollen.

Der Ideengang in diesem Doppel-Drama ist wesentlich folgender: Es gibt eine höhere Erkenntnis als die positive christliche. Jene höhere Religion aber kann dem Volk, oder der Menschheit überhaupt nicht frommen, die das volle Licht noch nicht verträgt; sie muß vielmehr, bis die Menschheit reif geworden, immer nur die Geheimwissenschaft eines auserwählten Kreises von Begabteren bleiben. Ein solcher Kreis nun ist in dem Drama der Talbund, und sein Repräsentant der Erzbischof Wilhelm von Paris, und von diesem Bunde waren die Templer zu Verkündigern der heiligsten Wahrheiten für den christlichen Erdstrich ernannt worden. Allein der Tempelorden hatte seine Vollmacht überschritten und übereilt die ganze Wahrheit zu verbreiten gesucht; nicht dadurch überschritten, daß er nicht an den Versöhner glaubte, sondern daß er diesen Unglauben nicht heuchlerisch verbarg. »Und darin liegt es!« ruft daher der Erzbischof entrüstet aus,

»Sie sagen ihren Bübchen ohne Bart,Daß der nicht Gott ist, der's für uns sein soll. –Das ist doch dumm – nicht wahr?-– Sonst nichts als dumm. – –Wo ist ein beßrer Glaube für die Menschheit?Vernichtet ist der Mensch, wenn nicht zum LebenMit Adlerflug das Ideal ihn reißt.– – Wer hieß den Toren WahrheitAuf Dächern pred'gen! – –Sind jene Templer, was sie pred'gen,Sind sie vermögend, ohne IdealDas Angesicht der Gottheit anzuschaun;Warum entzogen sie die Decke MosisDen ungeübten Augen ihrer Jünger?«

Um dieser unklugen Profanierung willen allein also wird vom Talbunde, der wie ein unbeugsames Fatum über dem Ganzen waltet, der Tempelorden gestürzt und mit der erledigten Vollmacht der Rest desselben (die Kreuzesbrüder) belohnt, um, mittelst der Maurerei, aus den Trümmern des Protestantismus einen idealisierten oder, wie er es nennt, geläuterten Katholizismus aufzubauen. »Nur unter dem Glockenklang der Religion«, sagt er, »und dem Harfenspiel der Kunst, kann der Bund gedeihen, der auf den Tempelbund gepfropft ist und dessen Charakteristikon es ist, daß seinen wahren Bekenner ewiges Leben umduftet. Die Tendenz meines Stückes ist, dadurch, daß ich ihm die in seinem Wesen begründete Verschmelzung mit Religion und Kunst anschaulich mache, ihn von einer gewissen humanen Kälte abzuleiten, die an sich löblich, aber nur für wenige höhere Geister gemacht und schlechterdings unvereinbar ist mit einer auf Enthusiasmus gegründeten Verbindung vieler.« – Ist aber solche Kautel schon bei einem Bunde Auserwählter nötig, um wie viel weniger wird dann jene an sich löbliche, humane Kälte für die Gesamtheit taugen! »Denn« – sagt einer der Ältesten des Talbundes:

»Was dir der Glaube an dein Ideal,Das ist dem Volk sein Heiland und sein Fetisch.Man kann ihm alles nehmen, nur nicht das,Am wenigsten, wenn man's ihm nicht vergütet. – –Und alles dieses führt dich auf den Grund,Warum wir jedes Volkes Glauben ehren;Warum wir Klosterbrüder hier, am GangesBrahminen sind; warum wir diesen Tropfen,Der, selbstgetrübt, den Urquell widerspiegelt,Nur zu verklären suchen, nicht verwischen;Und – da der Mensch es einmal nicht vermag,Die Gottheit ohne Mittler anzuschauen –Warum wir, durch Messias oder Prometheus,Durch Horus, Wischnu, Eros, Thor und Christus,Dem staubbedeckten Geiste Flügel liehn,Um sich zu seinem Urquell aufzuschwingen.«

Wem fiele hier nicht Voß' Sprüchlein ein:

»Der Kelt', der Griech, der HottentottVerehren kindlich einen Gott!«

Nur mit dem moralischen Unterschiede, daß Voß, gleich den Templern, mit seiner Weisheit ehrlich herausplatzt, während hier der exklusive Talbund wissentlich und wider seine Überzeugung die liebe Dummheit mit Täuschungen hinhalten will. – Man sieht, die ganze Sache würde auch hier so ziemlich auf den gewöhnlichsten Rationalismus hinauslaufen, wenn sie nicht, durch ihre abnormen Sympathien für die Romantik, eine gewisse mystische Färbung erhielte. Denn fragen wir nun endlich genauer nach diesem sogenannten geläuterten Katholizismus oder vielmehr nach jenem höheren Ziele einer vom Katholizismus nur zu vermittelnden neuen Religion, so sehen wir die pantheistischen Phantasien, welche bei Novalis gleichsam ein kräftig in sich selber arbeitender Wein nur als ephemere Luftblasen emportrieb, bei Werner schon als besondere, entschiedene Richtung sich selbständig ausbilden. Auch Werner findet zwar, wie wir oben bemerkt, Trost und Rettung einzig in Kunst und Religion, erkennt aber in der letztern nur das lebendige Gefühl der großen Naturnähe und das unbefangene Ergießen einer reinen Seele in dieses reine, unendliche Meer, in dem er, ohne nach persönlicher Unsterblichkeit mehr viel zu fragen, sich baden, auflösen und verfließen möchte. Und dieses Aufgehen des einzelnen in der allgemeinen Weltseele ist denn auch das Hauptthema seines Dramas und das Ziel des dort dargestellten Talbundes. So sagt der Alte des Bundes von dem gereinigten Sünder:

»Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen;Es schwand der Wahn, zu werden ein und etwas;Sein Wesen war ins große All zerronnen,Und wie ein Säuseln kühlt' es ihn von oben,Daß ihm das Herz vor Lust zerspringen wollte.«

Und die Bildsäule der Sphinx singt:
»Phosphoros und Wort und Heiland,
Mehr noch, alles bist du selber,
Wenn du alles bist, nicht etwas!«

Durch dieses Allwerden aber wird der Mensch, und so auch hier der Talbund, »allmächtig, wie der Ausfluß Gottes, wenn er sich selbst versteht, es immer ist«. Denn:

»Ist wohl das große SchicksalDer Völker etwas mehr als das ErzeugnisDes bloßen Menschenwillens? – Kann der Mensch,Der einzelne, die ungeheure MasseDer sittlichen Natur nicht lenken?«

Und so wird denn auch der Schotte Robert erst dann in den Bund aufgenommen, als er die persönliche Unsterblichkeit mit den Worten wegwirft:

»Die krüpplichte Unsterblichkeit – nicht wahr? –Die unser eignes, jämmerliches Ich,So dumm und kläglich, so mit allem UnratNur fortspinnt ins Unendliche – nicht wahr? –Auch sie muß sterben? – unser schales Selbst –Wir sind in Ewigkeit nicht dran genagelt?Wir können es, wir müssen es verlieren,Um einst in aller Kraft zu schwelgen!«

Die alte Kirche ist nur der Ursprung, die Mutter des Tales, welcher die mündig gewordenen Söhne nunmehr über den Kopf gewachsen. Denn der ganze Weltball wird jetzt eine große Kirche,

»Die Erde wird ein Sakrament des Fleisches,Das Meer ein Sakrament des heil'gen Blutes. –So findet ihr, was euch mit Gott vereine,In der Natur gebildet überall,Und keinen Punkt, wo er nicht widerscheine –Zum Mittler könnt ihr auch den Staub erheben.«

Demungeachtet gibt es dabei doch noch gar wunderliche Zeremonien mit Mänteln, Kreuzen und Dolchen; wir wissen nicht, ob dieselben etwa der Maurerei entnommen sind; uns Uneingeweihte aber gemahnt diese Liturgie des Talbundes häufig an den albernen Theaterspuk in der Zauberflöte.

Derselbe Gedankenzug geht durch das fast durch aus symbolische Drama: »Die Weihe der Kraft«, welche oft auch Licht genannt wird, das aber wiederum nur das Licht der eigenen Menschenkraft ist. Auch hier finden wir die Vereinigung von Reinheit (Elisabeth), Kunst (Theobald) und Glauben (Therese) zu einem »Mysterium dreieiniger Liebe«. Allein diese Liebe (Katharina von Bora) ist, trotz allem christlichen Gerede, doch eine bloß ästhetische. Katharina will sich selbst ihren eigenen Heiland schaffen,

»Der mir gehört, und doch im GeisterreichVersöhnend herrsche, aller und doch mein auch,Den möcht ich fassen, mir ihn selbst gestalten.«

Die heilige Jungfrau zeigt ihn ihr einmal im Traume:

»Jesus war's nicht ganz,
Und Luther auch nicht – und ein Heiland doch –
Ein Heiland – nicht am Kreuz, auch nicht ein Knabe;
Ein göttlich schöner Jüngling –
So (wie Apollo) ungefähr – so sah der Heiland aus.«

Drauf erblickt sie plötzlich Luthern, dem sie eben geflucht hat, ruft: »Mein Urbild!« und – »betet fortan zu ihm.« –

In solch ein wesenloses Labyrinth hatte der Dichter sich und seine Poesie verstrickt, als er im Jahre 1809 die Reise nach Italien antrat, die den Wendepunkt seines Lebens bildet. Sein Ruhm war durch jene Dramen begründet, und er durfte – das wußte er recht wohl – nur so fortfahren, um sich den Beifall der damals in der Literatur herrschenden Partei zu sichern, ja diese selbst zu beherrschen. Daß ihn aber demungeachtet mitten in diesem glänzenden Treiben allmählich ein moralischer Ekel davor überkam, daß er jene Dichtungen als bloße Studien hinter sich warf, bezeugt die Wahrhaftigkeit seines religiösen Gefühls, dem es um die Sache, und nicht um schöne Formen, zu tun war. Die Sage erzählt von dem getreuen Eckart, wie er, aus dem zauberischen Venusberg zum Tageslicht zurückgekommen, noch geblendet und von den nachtönenden Wunderklängen verlockt, gen Rom pilgert, um den Frevel zu sühnen; und wie er dann in glänzender Rüstung sich vor den Zauberberg gestellt, jedem Schuldlosen, den das süße Weh bezwungen, warnend den Eingang zu wehren. Einen solchen, fast märchenhaften Eindruck macht von jetzt ab Werners Erscheinung, und es ist belehrend, ihm auf seiner Pilgerfahrt in die gleichsam neuentdeckte Welt zu folgen, die nun mit jedem Schritte, Strahl auf Strahl, verwandelnd auf ihn eindringt.

Bei der Ausfahrt, über Berg und Tal, verfolgen ihn noch immer rastlos die Erinnerungen an die verlorene Jugend, die Erinnyen der Sünde:

»Von des balt'schen Meeres dürrem StrandeWallt zur Stadt des Herrn ein Pilgersmann;Ihn verwies aus seinem VaterlandeEin verdienter, aber schwerer Bann!Und von Land zu LandJagt ihn dessen Hand,Dem er zu entfliehn vergebens rann!« –

»– Und weiter, und freud'ger erschleußt sich das Tal,
Still folget dem Pilger die treue Qual! –
Und höher und höher steigt er heran,
Und die Qual, die getreue, die lächelt ihn an.
Im Tale ziehn Gatten mit ihren Kleinen.
Und die Qual, die starre, hebt an zu weinen!
Da beut dem Pilger das schirmende Dach
Die Bergburg – ein zieht er, die Qual ihm nach!«

Noch verzagt er schüchtern an der inneren Umkehr. So sagt er beim Eintritt in Italien:

»Ihr kommt zu spät, ihr ewig jungen Lauben;
Ach hätt ich früher euer Grün geschauet,
Als noch des Lebens Morgen mir gegrauet!
Ich kann nicht leben mehr! – ich kann nur glauben. –
Und doch – o daß ich, ewig junge Lauben,
Nicht früher euer duftend Grün geschauet!
Es ist zu spät! – der düstre Abend grauet!
Ich kann nicht leben mehr – werd ich noch glauben?«

Aber schon kommt, je weiter er schreitet, der Trost der Wehmut über ihn, und der starre Schmerz wird milder:

»Wir kennen längst uns, Tränen; denn wo ich hin mag ziehn,
Wie ich in frohem Mut euch immer möcht entfliehn;
Doch seid ihr als Gesellen, als Engel guter Art,
Stets, Tränen, treu mir blieben auf meiner Pilgerfahrt.

Nicht wie ihr unten träufelt, ein schaumerfüllter Raub,
Nein, wie ihr perlend blicket auf Blüten und auf Laub,
Entquillt ihr meinen Augen; nicht wie ich sonst geweint,
Nicht Schaum, der stäubt, verstäubet – zu Perlen schon gereint.«

Da, plötzlich Rom von fern erblickend, sinkt er betend nieder:

»Leih mir, Morgenröte, deine Schöne,
Deinen ersten Strahl, erstandne Sonne
Brautnacht, deine Schau'r, Gebet, dein Schauen,
Ihr Symbole höchster Liebeswonne,
Leiht euch mir anstatt der armen Töne,
Auszusprühn mein freudiges Vertrauen:
Daß auf diesen Auen,
Wo der Thron der Herrlichkeit gegründet,
Ich, der auch zur Herrlichkeit erkoren,
Sie durch Schuld und Schwäche hat verloren,
Wieder neu der reinen Kraft verbündet,
Rettung find aus dem Gewühl der Zeit,
Die auch mir vererbte Göttlichkeit. –
– Mut fühl ich, die ganze Welt zu lieben,
Glut, mich selbst als Kunstwerk zu beginnen,
Gier zum Kampf, wie Helden Gottes rangen!
›Fleuch!‹ ruf ich zum bangen
Schmerz. – Entschüttelnd mich dem Nebeltraume,
Will in schöner Erd ich Wurzel schlagen,
Mich der Zeder anzuranken wagen,
Die den Wipfel schirmt vom Lorbeerbaum! –
Rom, da thront es! – Über Petrus' Grab
Strahlt vom Petersdom des Glaubens Stab!«

Und er hielt endlich Wort. Nicht, daß er, innerlich ausgewechselt, seinem eigensten Wesen untreu geworden wäre: seine ursprüngliche Lebensaufgabe vielmehr blieb dieselbe, aber diese Aufgabe formulierte sich fortan bestimmter und strenger. Das feige Aufgeben der Persönlichkeit, die gleichsam vor sich selber in ein unbekanntes All flüchten wollte, wurde zur besonnenen, heiligenden Entsagung der Sünde, das nebelhafte All zum persönlichen Gott, der erdichtete Talbund zur wahrhaftigen Kirche; und derselbe Trieb religiöser Wirksamkeit, der ahnend jenen Bund geträumt, machte den Dichter endlich zum Priester, um die Wahrheiten der wiedergefundenen Kirche zu verkünden. Ja, noch im Jahre 1810 war es sein sehnlichster Wunsch, einen religiösen Verein zu gründen, wobei ihm jedoch jetzt eine Klosterstiftung vorzuschweben schien.

Doch wenn wir im obigen Werners Verirrungen zu beleuchten versucht, so ist es gerecht und zur Herstellung des ganzen Bildes unerläßlich, ebenso getreu und unbefangen nun auch Ziel und Streben aus seinen letzteren Lebensjahren näher nachzuweisen. Auch hier sind es, wie gesagt, wiederum seine religiösen Überzeugungen, die alles beseelen und erklären; und so scheint es angemessen, vorweg sein neues Glaubensbekenntnis, wie es sich namentlich aus vielfachen Stellen seiner Predigten ergibt, in wenige Worte zusammenzufassen.

Der Glaube ist ihm nämlich eine übernatürliche Gabe Gottes, oder vielmehr eine von Gott eingegossene Tugend, wodurch man alles fest und ungezweifelt für wahr hält, was Gott geoffenbaret hat und was die katholische Kirche, durch welche Er sich offenbart, zu glauben vorstellt, es sei geschrieben oder nicht. Dieser Glaube ist allen Menschen gegeben; eine Tugend aber ist er, weil er frei ist, d.h. weil der Mensch ihm widerstreben kann und die freie Wahl zwischen Seligkeit und Verdammnis hat. Er muß ferner kindlich und vernünftig sein, indem wir die uns anerschaffenen intellektuellen Grenzen und mithin die Notwendigkeit anerkennen, unsere Vernunft zu beugen und Gott unterzuordnen; wenn aber eine solche Selbstbescheidung vernünftig ist, so wird auch dieses Opfer, welches wir Gott darbringen, vernünftig sein. – Der Glaube muß endlich mit Liebe zu dem persönlichen Gott und dem Erlöser vereinigt sein; denn der Teufel glaubt auch an Gott, vielleicht viel fester und stärker als die Christen, aber mit Wut ohne Liebe. – Hoffart und Sinnlichkeit sind die Haupthindernisse des Glaubens. Ohne Glauben aber ist nichts. Furcht Gottes ohne Glauben ist Lüge, denn man muß erst an Gott glauben, ehe man ihn fürchten kann. Hoffnung ohne Glauben ist Torheit, man muß ja wissen, was man zu hoffen hat. Liebe ohne Glauben kann gar nicht sein; was soll ich denn lieben als Gott, und den muß ich eben erst kennenlernen durch den Glauben. Ebenso aber ist ein bloßer müßiger Glaube nichts, ohne innere Heiligung: