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Geschichte des Lützowschen Freikorps

von Johann Friedrich Gottfried Eiselen

Der Waffenstillstand. Das Corps verliert seine Eigenständigkeit.

Vom Himmel laut ruft Nemesis Urania;
Auf, denn heut‘ soll die Löwenjagd beginnen;
Das Frühroth blutet! Auf, Ihr Jägerinnen,
Auf, erste Schützin meines Hains, Germania!

Auf, Russia! auf, Borussia! auf, Hispania!
Doch nein, euch ruf‘ ich nicht, ihr steht schon drinnen;
Du Austria, schau nicht müßig von den Zinnen!
Was säumst du, Suecia, was entweichst Du Dania?

Auf, Jägerinnen, in vereintem Heere!
Der Löw‘, der meine Herden frißt, soll bluten.
Mischt euer Feldgeschrei, mischt eure Sperre!

Fortgerissen sollen heut ihn eure Ruthen
Vom ersten Land, und will er fliehn zum Meere,
So treff‘ ihn Albions Dreizack auf den Fluthen.

Es ist hier nicht der Ort, Betrachtungen über die Vortheile und Nachtheile anzustellen, welche für die kriegsführenden Mächte aus der Waffenruhe erwachsen; dagegen aber ist die Frage an ihrer Stelle, in welcher Lage sie das Lützow’sche Corps versetzte und welche Zukunft sie demselben eröffnete.

Die vereinigten Heere um gewiß 300,000 Mann vermehren würde, und daß die Franzosen eine Macht von 800,000 Mann sich gegen über erwarten durften, da Preußen erst jetzt seine ganze Stärke entwickeln konnte und Rußland immer neue Schaaren herbeischicken ließ. War nun auch Napoleon nicht müßig, seine Heere zu vermehren; so war nicht zu erwarten, daß der Krieg sich in die Länge ziehen würde: in dem Maaße der Kräfte, die er aufwendete, mußte er kurz sein. Zugleich aber trat die Bedeutung der kleinen Schaaren in den Hintergrund, und die frühere Absicht, diejenigen Deutschen, welche die Sache Napoleons aufgaben, um sich an die Verbündeten anzuschließen, zu einer Schaar zu vereinigen, mußte von nun an als höchst untergeordnet erscheinen. Außerdem aber konnte es sogar als nachtheilig betrachtet werden, einzelne Schaaren mit einem freien Wirkungskreise bestehen zu lassen. War ihre Thätigkeit bis jetzt von einem geringen Erfolge gewesen, so ließ sich gar nicht erwarten, daß sie in der Folge erheblicher werden könnte, wohl aber war zu fürchten, daß sie auf eine nachtheilige Weise die Unternehmungen der größeren Heeresabtheilungen durchkreuzen dürfte. Wenn nun aber das Lützowsche Corps durch die Umgestaltung der Verhältnisse seine ursprüngliche Natur verändert hatte; so darf es auch nicht Wunder nehmen, wenn dasselbe durch eine Ordre des Königs vom 20. Juni unter die Befehle des Generals von Bülow gestellt, am 4. August von dem Kronprinzen von Schweden dem General Wallmoden zugewiesen, und von diesem am 13. August mit den leichten Truppen des Generals von Tettenborn vereinigt wurde. Damit fiel aber auch die Möglichkeit hinweg, das Freicorps als ein ganzes immer beisammen zu erhalten, obgleich seine ganze Organisation einem fortdauernden Zusammenhang seiner einzelnen Theile und die dauernde, wenn auch beschränkte Leitung derselben von einem gemeinsamen Mittelpunkte aus nothwendig machte, und ihm nach wie vor gestattet blieb, neue Bestandtheile in sich aufzunehmen.

Während des Waffenstillstandes nahm das Corps bedeutend zu. Wie dies geschah, mag aber hier übergangen werden, und um so mehr, als die öfter citirte Schrift von Ad, S, eine genaue Auskunft darüber giebt. Das Fußvolk stieg auf 2800 Mann und erreichte damit seine Culminationspunkt. Es bestand aus 3 Füselier-Bataillonen mit eben so vielen Jägerdetachements und einer Tyroler Schützencompagnie. Die Reiterei enthielt 5 Eskadronen und war 480 Köpfe stark. Die Artillerie, welche anfangs nur 3 eiserne Kanonen gezählt hatte, zählte zuletzt 8 Stück Geschütz und darunter eine Haubitze.

Schon die Stärke, zu welcher das Corps angewachsen war, ließ es nicht als ganz unwichtig erscheinen; aber seine Bedeutung wuchs beträchtlich durch den Geist, der es im ganzen belebte, und der seine Brauchbarkeit verbürgte, wenn es seiner Eigenthümlichkeit gemäß verwendet wurde. Bisher hatte man nur Streifzüge mit ihm zu machen bezweckt. Es sollte in kleine Haufen aufgelöset werden, und durch allerei Handstreiche den Feind beschädigen und beunruhigen, dabei aber auch ihm möglichst viel Leute entziehen, um sie gegen ihn zu bewaffnen. Für regelmäßige, in Verbindung mit größeren Corps zu bestehende Treffen war es durchaus nicht ausgebildet. Auch wäre eine solche Ausbildung, wenn man sie beabsichtigt gehabt hätte, gar nicht ausführbar gewesen, da sich der Bestand des Corps beständig veränderte und es häufig seine Quartiere wechselte. Diesem Mangel mußte jetzt abgeholfen werden, und man benutzte dazu einen Theil der Waffenruhe mit großem Eifer. Man ließ die Soldaten täglich in Waffe exercieren und manövriren und erreichte dadurch noch den besondern Vortheil, daß Ermüdung und Mangel an Ruhe sie von Excessen abhielten. Inzwischen würde man zu viel behaupten, wenn man sagte, daß der Soldat durch diese Uebung eine vollständige Ausbildung erlangt hätte, daß er auch in der Gefahr im Stande gewesen sein würde, die schnell erlernte Bewegungen mit Besonnenheit auszuführen.

Zu diesem Mangel gesellten sich aber noch andere. Der Wunsch, dem Corps eine bedeutende Stärke zu geben, der sich schon bei der Errichtung desselben in Schlesien so wirksam bewiesen hatte, war keineswegs aufgegeben worden, und lieferte jetzt, wenn man auf die Beschaffenheit des neuen Zuwachses sah, kein erfreuliches Resultat. Die Werbungen geschahen besonders auf dem Preußischen Gebiete und zum Theil von Männern, denen es darum zu thun war, an der Spitze einer eigenen Truppe einherzuziehen. Was aber war in Preußen noch zu werben. Man mußte gleichsam alle Winkel auskehren, um noch einige Mannschaft zusammenzubringen, und durfte nicht wählerisch zu Werke gehen. Als man daher den einen und andern Haufen Neuangeworbener heranziehen sah, wurde man unwillkührlich an die ersten Kreuzfahrer erinnert, die unter Walther von Habenichts auszogen, um das gelobte Land zu erobern. Unansehnlich und in der dürftigsten Bekleidung kamen die meisten, mher, wie es schien, um sich nähren, und in einen warmen Rock stecken zu lassen, als um ihren patriotischen Gefühlen Lust zu verschaffen. Nahrung konnte ihnen nun zwar das Corps geben, aber mit der Kleidung und selbst mit der Bewaffnung hatte es seine Schwierigkeiten. Viele erhielten im Anfange statt der Gewehre Piken. – Schon die erste Bekleidung das Corps hatte lange auf sich warten lassen, war immer dürftig und unvollständig geblieben und war von Stoffen, die keine lange Dauer versprachen. Es fehlte den Soldaten an Mänteln, und dieselben Röcke und Beinkleider hatten bisher für alle Lagen und Witterungen dienen müssen. Sie waren daher zum Theil sehr abgenutzt, und stellten einzelne der vorhandenen Mannschaft mit der hinzugekommenen in eine Kategorie, Bei diesem und jenem hatte sich die Litevka nach und nach in eine runde Jacke verwandelt. Oft hatten sie Rockschößen dazu dienen müssen, andere Theile der Kleidung auszubessern. Stellt man sich nun die Soldaten in diesem Aufzuge vor und denkt sie zugleich großentheils mit langen Bärten, die einzelnen bis auf die Brust herunterhingen, mit Todtenköpfen an den Tschakos und bisweilen mit einem breiten ledernen Gurt, worin ein Dolch und Pistolen steckten; so wird man gestehen, daß das Corps geeignet genug war, durch sein Aeußeres Schrecken einzuflößen. Die Soldaten hörten es auch gern Lützows wilde, verwegene Jagd nennen, wenn gleich sie selbst sich die Freiheit nehmen, mit Rücksicht auf die Mängel, die sie litten, die verwegene in die verlegene Jagd umzutaufen. Nur die Jägerdetachements erschienen nicht in jenem erbärmlichen Aufzuge. Sie waren im allgemeinen vollständig und gut gekleidet und hielten mit Sorgfalt auf gute Waffen; die auch nicht wenige mit großer Geschicklichkeit zu führen wußten.

Der Kleider- und Waffennoth ward indeß noch während des Waffenstillstands abgeholfen. Die englischen Mäntel, welche in großer Menge ankamen, waren für die Soldaten die größte Wohltat, und wurden mit um so größerer Freude bewillkommt, als die Klagen über fehlende und abgenutzte Kleidung sich schon laut hatten vernehmen lassen. Auch die englischen Gewehre, Säbel und Pistolen waren angenehm. Dagegen war das Geschenk an englischen Röcken und Filzhüten ein wenn auch brauchbares, doch höchst unwillkommenes, gegen dessen Annahme sich auch die meisten, wie sehr sie auch seiner bedurften, lebhaft sträubten. Mit den schwarzen Rocke glaubten sie sich selbst aufzugeben, das Lützowsche Corps, das schwarze Corps, das Corps der Rache waren Begriffe, die man nicht von einander zu trennen vermochte. Der englische rothe Rock schien aber den einen von den andern gewaltsam looszureißen. Doch alles Sträuben halt nichts, und die Betrachtung, daß die kühlere und kalte Witterung und die immer mehr dahin schwindenden schwarzen Röcke Alle nöthigen würden, von ihren Mänteln Gebrauch zu machen, erleichterte die Ueberwindung des Widerstrebens. – Konnte man aber schon die rothen Röcke als eine Satyre auf das schwarze Corps betrachten, so doch noch mehr die englischen Tornister, die man sehr freigebig an dasselbe vertheilte. Inzwischen wurden sie mit großer Heiterkeit und vielen Scherzen angenommen. Die englischen Tornister sind ein recht auffallendes Bild des Reichthums der Nation, von welcher sie herrühren, und die Ordnung, an welche sie ihre Soldaten zu binden sucht. Es sind in ihnen Abtheilungen für so verschiedene Bedürfnißmittel, daß unsere armen Soldaten all ihren Scharfsinn aufbieten mußten, um nur die Bestimmung derselben herauszubringen. An ihnen konnten sie recht lernen, was ihnen alles zu einem ordnungsmäßig ausgerüsteten Soldaten fehlte; allein in diesem Falle betrachteten sie ihre Armuth mit Heiterkeit, weil sie ihnen sagte, was man alles entbehren konnte, und, nach ihrer Weise zu existiren, leicht entbehren könnte.

Hatte das Corps sich die Aufgabe gesetzt in sich die Einheit der deutschen Völkerschaften darzustellen, und hatte es gestrebt, alle in derselben prunklosen, dem öffentlichen Zustande des gemeinsamen Vaterlandes entsprechenden Farbe erscheinen zu lassen; so hatte doch das Geschick es zuerst um die Lösung derselben betrogen und es dann genöthigt, auch in seinem Aeußern das bunt zusammengestickte Vaterland zu repräsentiren. Dieser seiner Erscheinung gegenüber konnte man nur mit einem wehmüthigen Lächeln diejenigen einzelnen im Corps betrachten, die mit starrer Consequenz an der Vorstellung festhielten, die sie sich von diesem im Anfange gebildet hatten. Aus ihrer Mitte heben wir hier den Mann heraus, der einen vorzüglichen Antheil an der Bildung des Corps hatte, und dessen ganze Persönlichkeit zu bedeutend war, als daß wir von der Beziehung schweigen dürften, in welcher er zu dem Freicorps erschien.

Wir finden Jahn zuerst aus dem Kreise einer beschränkteren Thätigkeit nicht lange vor dem Kriege Napoleons gegen Rußland und zwar auf eine Weise hervortreten, die mit seiner früheren Richtung auf das engste zusammenhing. Seine Studien waren vorzugsweise auf deutsches Wesen und deutsche Sprache gerichtet, aber auf beiden Gebieten mehr vagabondirend und Einzelnes aufraffend und ansammelnd, als sich fest ansiedelnd und eingrabend. Seine Ansicht von dem deutschen Wesen blieb daher auch eine mangelhafte, die noch überdies durch die Verstandeskritik, die er anwandte und die ein Erbe des vorigen Jahrhunderts war, eine einseitige wurde. In diese Studien verloren und mit den historischen Zuständen Deutschlands nicht unbekannt, ward ihn auch bald das Treiben der französischen Sprache und das Nachahmen französischer Sitte ein Gräul. Trat dies gleich schon früher bei ihm hervor, so mußte es sich doch nach den Jahren 1806 und 1807 mit besonderer Stärke, und um so mehr zeigen, als sein Deutschtum noch vorzugsweise ein preußisches war, und ihn das Unglück, welches jene beiden Jahre über Preußen, sein Vaterland im engern Sinne, brachten, weit näher berührte, als die früheren beklagenswerthen Geschicke anderer deutschen Länder. Er sah in den damaligen Deutschland anders kein Heil, als wenn man den Volke eine neue Stärke und Thatkräftigkeit einpflanzte, und dieser eine bestimmte Richtung durch Nährung und Förderung des Franzosenhasses gäbe. Aber wie dies erreichen? So viel leuchtete ein, daß man sich an die deutsche Jugend wenden müßte. Von den Alten war nichts mehr zu hoffen; sie waren aufzugeben. Waren sie es doch, die durch ihre Schwäche und Muthlosigkeit und durch ihre Hinneigung zu französischer Sprache und Leichtfertigkeit das Vaterland zu Grunde gerichtet und an den Feind verrathen hatten. Die Jugend war zwar auch schon durch das Gift der Ausländerei angesteckt; aber noch war ihr Kern unversehrt und man durfte ihre Rettung nicht aufgeben. Weil sie jedoch ihre Bildung in den Schulen und im elterlichen Hause empfing und hier wie dort den Weg des Verderbens ging; so mußte man für sie einen Vereinigungspunkt suchen, der es gestattete, sie, trotz Schule und Familie, einem neuen Ziele zuzuführen. So entstand der Turnplatz in der Hasenhaide bei Berlin, der in den Freistunden allen Knaben und Jünglingen geöffnet war, welchen Schulen und Bildungsanstalten sie auch angehören mochten. Das Bedürfniß einer bessern Ausbildung der leiblichen Kräfte ward ziemlich allgemein gefühlt, und die Behauptung, daß nur in einem gesunden Leibe eine gesunde Seele wohne, fand ohne Schwierigkeit Eingang. Die Jugend Berlins strömte daher Mittwochs und Sonnabends Nachmittag in hellen Haufen nach der Hasenhaide, schüttelte den Schulstaub von den Füßen und fühlte sich unsäglich wohl, ihre schlummernden Kräfte im freudigen Getümmel sich bewußt zu werden. Oft waren hier an Tausend Knaben beisammen. Aber dies Aufleben und Stärken der so ganz vernachlässigten Leibeskraft war nur der eine von den Zwecken, welchen Jahn verfolgte, und nicht der höchste. Die Turner sollten den alten, verweichlichten Menschen ganz ausziehen; in ihnen sollte dem Vaterlande ein neues, vaterländisch gesinntes Volk erwachsen. Es war daher nothwendig, nicht nur gegen alle Verweichlichung und Verzärtelung, sondern auch gegen das Franzosenthum anzukämpfen. Und dies geschah von Jahn mit einer großen Folgerichtigkeit und Strenge, und auf eine Weise, die der Jugend zusagte. Man warf die Halsbinde weg, man zog eine einfache leinene Jacke und Hose an, man genoß auf dem Turnplatze nur Brod und Wasser, belegte die Richtturner mit dem Schimpfnamen Kuchenbäcker, und duldete nicht den Gebrauch französischer Ausdrücke. In kurzem war diese Umwandlung ohne Schwierigkeit vollendet, und zugleich der Unterschied der Schulen und Stände auf dem Turnplatze verschwunden. Die Turner bildeten einen großen, gleichartigen Haufen. Eifer für die Sache und Tüchtigkeit gaben allen Vorzug und Ansehn. Sie fanden ihren Stolz darin, sich von dem übrigen Volke zu unterscheiden, und hingen mit einer außerordentlichen Liebe an Jahn, den kräftigen, unermüdlichen Vorturner, der, überall gegenwärtig, sie mit körniger Rede ermunterte und den Schläfrigen und Trägen oft unsanft aufrüttelte. Was er sagte, war ihnen Weisheit, was er befahl, heiliges Gesetz. – Allein, wie richtig es auch war, die Jugend Berlins in dieser Richtung sich bewegen zu sehen, so war doch damit dem deutschen Vaterlande noch wenig geholfen. Was in Berlin geschehen war, mußte man über ganz Deutschland zu verbreiten suchen; man mußte aller Orten öffentliche Turnplätze anlegen und an die Spitze derselben Leute stellen, die von ächt turnerischem Geiste beseelt waren. Dies war der Gedanke, welchen Jahn zu verwirklichen strebte, und von dessen Verwirklichung er vornehmlich die Rettung des deutschen Vaterlandes nicht blos von der äußern Macht Frankreichs, sondern auch von dem Franzosenthum erwartete. Es war ein großer, und in seinen Folgen, wenn er sich verwirklichen ließ, ungeheurer Gedanke, ein Gedanke, der seinem Urheber immer ein dankbares Andenken sichern wird. Aber seine Ausführung war nicht möglich. Wenn wir auch alle andere Schwierigkeiten nicht in Anschlag bringen, die derselben entgegenstanden; so genügt es schon der einen zu gedenken, die darin bestand, Männer zu finden, die Jahn mit vollem Vertrauen zu seinen Aposteln hätte machen können. Jahn war von Natur zu einem Turnkönige bestimmt. Sein starker Gliederbau bei mehr als mittlerer Größe, seine körperliche Gewandheit, seine Ausdauer, seine Lust, sich mit der Jugend herumzutummeln; seine kurzen, treffenden Reden, sein im Kreise gewöhnlicher Lebensverhältnisse praktischer Blick, seine nicht zu verkennende, wenn auch mur dem nahe liegenden gewachsene Schlauheit, gaben ihm bei kräftigen, aufstrebenden Naturen ein Ansehn, wie es Jugendlehrer äußerst selten genießen, wie es aber nothwendig war, wenn sein Werk gedeihen sollte. Aber eben diese, in seiner Persönlichkeit liegenden Vortheile wurden auch wieder ein Hinderniß, über den Kreis hinaus zu wirken, den er unmittelbar mit seiner Gegenwart erfüllte. Jenes Ansehen war ihm unerläßlich. Wie es auf seiner Thätigkeit beruhte, so deckte es zugleich seine Schwächen und Mängel. Seine gelehrte Bildung war beschränkt, und seine ganze Richtung und Vorstellungsweise eine einseitige. Er faßte die Dinge und Menschen nicht in ihrem höheren Zusammenhange auf, ließ sich leicht durch kleinliche Rücksichten bestimmen, und war absprechend und diktatorisch, wo er nicht mit Gründen ausreichte. Den gebildeten jungen Männern konnte dies nicht entgehen; sie fühlten sich leicht von ihm verletzt, und zogen sich von ihm zurück. Unter ihnen fand er daher selten einen, der sich als Vorsteher eines Turnplatzes verwenden ließ, und die andern, minder gebildeten faßten das Turnwesen oft nur ganz äußerlich auf und gaben ihm etwas Schroffes und Abstoßendes, da ihnen die Gesamtheit des Meisters fehlte.

Wir haben uns durch das Eingehen auf diese Verhältnisse scheinbar von unserem Ziele ganz entfernt; allein Jahns Beziehung zu dem Freicorps läßt sich nur richtig bezeichnen, wenn man seine Persönlichkeit und die Lage kennen gelernt hat, worin er sich unmittelbar vor Ausbruch des großen Kampfes befand. Bedenken wir nun, daß Jahns Streben die Wiederherstellung eines freien, reinen und in sich einigen Deutschthums war, und daß er, von diesem Gedanken erfüllt, sich dem Corps zugesellte, oder an seiner Errichtung Theil nahm, so mußte er, da dasselbe ein wesentlich gleiches Streben hatte, als dessen geistiger Schöpfer angesehen werden. Aber war er dies auch, so war er doch weit davon entfernt, es äußerlich hervorgerufen zu haben und ihm in der Folge seine Bewegung und Richtung anzuweisen. Um Haupt des Corps zu sein, mußte er nicht blos eine militärische Bildung und einen militärischen Rang haben, sondern er mußte auch nicht Jahn sein. Jahn als Preußischer Lieutenant, wozu man ihn machte, war ein Unding; aber Jahn würde auch als Preußischer Major, Oberst, General ein Unding gewesen sein. Dies fühlte jeder im Corps so sehr, daß er nie anders als Hauptmann Jahn genannt wurde, ein Titel, den man ihm aber nicht gab, weil man dabei an einen Compagnieführer dachte, sondern um damit einen Anführer, ein Oberhaupt im Allgemeinen zu bezeichnen. Seine ganze Natur widerstrebte so sehr allem Militärischen, war so sehr an ein willkührliches Regiment von seiner Seite und an die Ausschließung jedes über ihn stehenden Regiments gewöhnt, daß er sich als Glied in einer militärischen Ordnung gar nicht denken ließ. Außerdem hätte es ihm, bei seiner praktischen Thätigkeit ein leichtes sein müssen, die Bedingungen der militärischen Bildung richtig aufzufassen. An der Spitze einer ausgezeichneten Schaar Turner würde er vielleicht Ueberraschendes geleistet haben, als Führer eines Bataillons oder einer Compagnie war er mehr als unbedeutend, er war unbrauchbar. Das möge man nicht übersehen, wenn man ein gerechtes Urtheil über seine militärischen Leistungen fällen will. Ihm in das Corps einreihen, hieß ihn vernichten, ihn aller seiner eigenthümlichen Kräfte berauben, ja ihn zu einer verkehrten und lächerlichen Rolle verurtheilen, und doch wollte man ihm dem Corps als thätiges Mitglied erhalten, mußte dies geschehen. Das einzige Mittel, ihm und dem Corps dieses unangenehme Ergebniß zu ersparen, würde gewesen sein, ihn mit einer mäßigen Schaar von Freiwilligen auf eigene Gefahr ausziehen zu lasen. – Als er sich späterhin vom Corps zurückzog, sagte man von ihm, er sei schulkrank; allein das war er immer gewesen, er hatte nur eine Zeit lang die Schulkrankheit überwunden.

Wir wissen, daß bei dem Abmarsche des Corps aus Leipzig ein Theil der Infanterie zurückgelassen worden war. Dieser hatte sich später nach Meißen begeben, und, als die verbündeten Heere nach der Schlacht bei Groß-Görschen ihren Rückmarsch antraten, nach Schweidnitz zurückziehen müssen. Nur die schlagfertige Mannschaft desselben bekam Jahn von dem General Scharnhorst den Befehl, dem Corps zuzuführen. Dies konnte nur auf einem Umwege geschehen. Auf diesem Kam man auch über Berlin, und hier war es, wo Jahn bei einer Musterung an die junge Kriegerschaar eine Anrede hielt, welche nicht nur sie, sondern auch die umstehende Volksmenge mit Muth erfüllte, und lange in dem Gedächtnisse Vieler zur Ehre Jahns aufbewahrt wurde. Als dieser endlich bei dem Corps ankam, wurde die inzwischen gesammelte Mannschaft mit dem angekommenen Haufen vereinigt, und so das 3. Bataillion mit einem Jäger-Detachement gebildet. Es hieß lange Jahns Bataillion und lag während des Waffenstillstands einige Zeit in Schönhausen an der Elbe. Hier sei es uns erlaubt, den Hauptmann aufzusuchen, um ihn als Militärchef in einigen Zügen zu bezeichnen. Es geschieht dies lediglich in Gemäßheit der Aufgabe, deren wir uns zu lösen vorgesetzt haben und insbesondere, um im Einzelnen nachzuweisen, daß ein Charakter, wie tüchtig er auch sonst sei, sich vor Verirrungen nicht zu bewahren vermag, wenn er ihm durchaus fremde und widerstrebende Verhältnisse versetzt wird.

Ein Bekannter Jahns benutzte den Waffenstillstand, um ihn nach langer Zeit einmal wieder zu sehen, und war nicht wenig verwundert, in der Nähe des Schlosses von Schönhausen, worin derselbe sein Quartier genommen hatte, eine starke Wache im Spritzenhause, und vor dem Schlosse selbst einen Wachposten zu finden. Die Führer des Corps hatten von Anfang an alle überflüssige Dienste der Soldaten vermieden und für ihre Personen keine Ansprüche auf besondere Ehrenbezeugungen gemacht; es mußte daher auffallen, gerade hier einer Abweichung zu begegnen, wo man sie am wenigsten hätte erwarten sollen. Aber die Verwunderung des Fremden stieg noch; denn als er in den Vorsaal des Schlosses trat, es war etwa die 11. Stunde des Morgens, fand er zwei Officiere auf- und niedergehend, die ihm sogleich zuriefen, kein Geräusch zu machen, und auf die Frage, ob Jahn etwa krank sei, erwiederten, er wolle ungestört sein, Der Hauptmann schien sich in einen Feldherrn verwandelt zu haben, dem die Geschicke eines Heeres anvertraut waren, über die er in stiller Stunde mit sich zu Rathe ging. – Beidem Mittagessen, wobei die Dame des Hauses mit Unmuth und Adel den Vorsitz führte, war Jahn heiter und gesprächig, und lud den Gast ein, einer Execution beizuwohnen, die am Nachmittage statt finden sollte. Die Wirthin hörte aber kaum davon, als sie sich mit liebenswürdiger Beredsamkeit an den Hauptmann wandte, um die von ihm ausgesprochene harte Sentenz zurückzunehmen. Sie erreichte jedoch ihren Zweck nicht; Jahn blieb unerbittlich, Im Laufe des Gesprächs wurde aber dem Fremden so viel klar, daß es sich um nichts Geringeres handelte, als ein paar Marketenderinnen, die von jenseits der Elbe herübergekommen waren, Gassen laufen zu lassen, eine Strafe, die schon früher über eine Marketenderin verhängt war. Jahn sah diese Frauen als Verführerinnen seiner Soldaten an, und nahm darauf weiter keine Rücksicht, daß ja nirgends ihr Gewerbe verboten sei, und daß sie also, wie sie auch beschaffen sein möchten, ungerecht bestraft würden. Ihm galt die Strafe selbst als ein Mittel der Kundgebung seines Willens, keine Marketenderinnen in seiner Nähe zu dulden. Inzwischen vermuthtete der Gast, daß die Execution, wenigstens damals nicht statt gefunden habe, indem Jahn selbst am Nachmittag einen Ausflug von Schönhausen machte.

Wenn wir behaupteten, daß Jahns ganze Eigenthümlichkeit sich mit einer militärischen Stellung nicht vertrug, so dürfen wir doch nicht einräumen, daß wenn er fähig gewesen wäre, eine solche einzunehmen, er eine einflußreiche Wirksamkeit im Corps hätte ausüben können. Der Geist, der in diesem herrschte, war durchaus mit seinem Charakter unverträglich. Die große Zahl der gebildeten Jünglinge und Männer, die er hier fand, waren, obgleich mit ihn einverstanden über das letzte, zu verfolgende Ziel, doch keineswegs in Hinsicht der Weise, wie er dies Ziel zu verfolgen wünschte, mit ihm einer Meinung. Ihre Bildung war eine größtentheils weit umfassendere, als die seinige. Im Kriege war ihnen der Sinn für die Genüsse des Friedens nicht untergegangen. Jede Gelegenheit, die sich ihnen darbot, unbeschadet ihrer militärischen Pflicht, zu ihnen zurückzukehren, benutzten sie wie dies schon früher bemerkt worden ist. Kurz die Musen begleiteten überall das Freicorps. War es nun aber Abneigung gegen sie, oder war es nur die Vorstellung, daß sie verbannt werden müßten, wo der Kriegsgott waltete, Jahn sah die Beschäftigung mit ihnen ungern, er erblickte darin Verweichlichung, und stürmte bisweilen gegen sie in heftigen Zorne. Man behauptet sogar, daß er einst ein Clavier zerschlug, an welchem er einen Jäger spielen fand. Und wie er so bei vielen eine gewisse Abneigung gegen sich erzeugte, so auch durch die Art, wie er seinen Willen geltend machte. Auf dem Turnplatz gewöhnt, seinen Befehl ohne Widerrede vollzogen zu sehen, mogte er auch im corps keinen Widerspruch leiden; und von Natur geneigt, sich Launen und Einfällen hinzugeben, forderte er auch für diese Gehorsam. Aber er fand hier ein Feld, wo jeder nur gehorchte, so weit der dienst es verlangte, und wo viele die Vorschriften des Dienstes weit genauer kannten, als er. Es konnte daher nicht fehlen, daß er häufig nach oben und nach unten Anstoß gab, und sich in Verhältnissen unbehaglich fühlte, die ihn von allen Seiten einengten und seine natürliche Kraft nicht zu entwickeln gestatteten.

Später hat ein Herr von Wittighof das dritte Bataillion geführt.

Nicht minder, wie andere Truppen im preußischen Heere, hörten auch die Lützowschen mit Vergnügen, daß der Waffenstillstand nicht zum Frieden geführt habe. Sie sahen daher mit Lust und Muth dem neuen Kampfe entgegen.