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Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Erster Teil.

Schlussanmerkung

In dem letzteren Satze: Recht erhält Jemand nur dadurch, dass er die Staatsgewalt mit errichtet, und es gibt gar keinen bestimmten Rechtsgrund denn diesen; hat sich das Eigentümliche unsrer, oder eigentlich der Wissenschaftslehre über das Recht scharf ausgesprochen, und es kommt darauf an, diese streng zu begründen.  

Überlegen Sie Folgendes:  

Recht ist Freiheit nach einem Gesetze. Wer ein Recht anspricht, erwartet dieses Recht nicht als Gunst, sondern als Schuldigkeit und Verbindlichkeit des Anderen, nach einem ihm, dem Anderen, gebietenden Gesetze, dessen er sich bewusst ist. Er beruft sich gegen ihn auf dieses, seinen Willen beschränkende Gesetz.  

Gibt es ein solches Gesetz? Allerdings: das Sittengesetz: nach ihm soll Jeder die Freiheit der Übrigen respektieren. Also dieses Gesetz gibt Allen das Recht, frei zu sein, weil es Allen die Verbindlichkeit auflegt, die Anderen frei zu lassen; hier ist darum Jeder ein Rechtssubjekt durch seine ihm absolut verliehene Freiheit, durch sein Sein als ein Freier.  

Ist dies Gesetz auch bestimmt über die Grenze der Freiheit und des Rechts eines Jeden? In Absicht der Persönlichkeit, ja: aber man könnte sagen, in Absicht der Sphäre der Freiheit nicht; da bedarf es doch immer eines Vertrages, und ich habe wohl selbst ehemals so gesagt. Darauf ist die Antwort, die ich schon oben gegeben habe: das Sittengesetz kann sich in seinen Geboten an die Einzelnen und in seinen Aufgaben nicht widersprechen. Was dem Einen geboten ist, ist dem Andern gewiss niemals geboten. Steht darum Jeder lediglich unter dem Sittengebote, als sein Werkzeug; so treffen sie ohne ihren Bedacht und Willen, und von selbst, nie auf einander. Wie durch ein unverbrüchliches Naturgesetz sind ihre Bahnen von einander geschieden.  

Also: wenn das Sittengesetz gilt, bedarf es keines besonderen Rechtsgesetzes. Aber wie soll das Sittengesetz geltend werden? Lehnsatz, der in unsrer Theorie eine große Rolle spielen wird. - Das Sittengesetz wendet sich nur an den von allen äußeren Zwecken befreiten, gleichsam von der Natur müßigen, und von ihr losgesprochenen Willen. Die äußern Zwecke aber, die uns die Natur auflegt, als Bedingungen des höheren Zweckes, sind unsre Erhaltung, und unsre Sicherheit. Diese müssen darum erreicht sein, und allgemein erreicht sein, ehe das Sittengesetz allgemein erscheinen kann.

Es muss darum ein von der Sittlichkeit unabhängiges Mittel geben, um die Freiheit Aller, durch die die Sittlichkeit in ihnen als Erscheinung, und in der Reihe der Erscheinungen bedingt ist, zu sichern. Und diese Frage grade, nach dem von der Sittlichkeit unabhängigen Gesetze, war zu beantworten, die das Prinzip der Rechtslehre enthält.

Sie sehen darum, wo jene fehlten. Sie dachten nur überhaupt, dass ein Recht sein sollte; aber nicht, wie es werden sollte, wodurch es nach ihnen ward, nämlich die Sittlichkeit. Ihre Einsicht war nicht genetisch bis auf den Boden herab, darum nicht eigentlich wissenschaftlich. Das Recht liegt vor dem Rechte durch das Sittengesetz, als die Bedingung seiner Erscheinung.

Jetzt also hat sich uns aus durchgeführter Genesis der Satz ergeben: die Freiheit muss Allen gesichert sein als ein Recht, nach einem Gesetze: nach welchem Gesetze? Einem physischen. Wer darum das Recht will vor der Sittlichkeit, der will diese physische Gewalt, und nur dadurch, dass er sie tätig will, d.i. dass er zu ihrer Errichtung beiträgt, bestätigt er seinen erklärten Willen, dass er das Recht will. Aber nur wer selbst das Recht will hat Rechte. Nur dadurch darum bestätigt er sich als ein Rechtssubjekt.

Das Recht, als künstliche Anstalt, darum als Gegenstand einer wissenschaftlichen Konstruktion, fällt nur außerhalb des sittlichen Reiches. Innerhalb desselben gibt es sich von selbst, und ist ein bloßes Akzidens der sittlichen Erscheinung, worauf man im sittlichen Gebiete gar nicht weiter merkt, weil das Wesen der sittlichen Erscheinung ganz in etwas Anderem besteht.