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Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Dritter Teil.

Erster Abschnitt

[Gesetz und Naturordnung]

3) Fassen Sie scharf die Gesinnung, welche die Errichtung einer solchen Ordnung der Dinge voraussetzt. An den rechtlichen Willen ist die begehrte Folge, an den rechtswidrigen die verhasste geknüpft; darum, weil vorausgesetzt wird, dass Jeder das Rechte nur um der guten Folgen willen tun, das Rechtswidrige nur um der bösen Folgen willen unterlassen werde; nicht aber aus Liebe des Rechts und Hass des Unrechts, um sein selbst willen, ohne alle Folgen, tun oder lassen werde. Auf wen wirkt also jene Einrichtung, und wen zwingt sie? Natürlich nur den, mit dem es sich in der Tat also verhält. Wer aber das Rechte um sein selbst willen will, ohne alle Rücksicht auf die Folgen, wie könnte der durch ein Gesetz gezwungen werden, das nur von den Folgen redet? Ehe die Vorstellung des Gesetzes eintritt, wie er ja schon, was das Gesetz will, nicht weit das Gesetz es will, sondern weil er es will.

Zur Vorstellung des Gesetzes und zum Zwange durch dasselbe kann es nur kommen bei dem zur Gesetzwidrigkeit versuchten Willen, der sie auch sicher beschließen würde, wenn das Gesetz ihn nicht einschränkte.

Es ist darum klar, dass für einen solchen das Gesetz gar nicht da ist, indem er ohne alles Gesetz nichts Andres will, noch tut, als was das Gesetz auch will. Beföhle das Gesetz etwas Ungerechtes, so würde er es doch gleichwohl nicht tun, und den Folgen sich ruhig unterwerfen. Er ist über das Gesetz hinaus, und gibt dem Gesetze selbst das Gesetz durch die Sittlichkeit seines Willens, des höchsten Vorbildes aller Gesetze.

Es ist darum klar, dass eine solche Anstalt der Sittlichkeit durchaus keinen Eintrag tut. (Der Hass gegen die Gesetze, der allenthalben aus der schlaffen Handhabung derselben entspringt, hat sich auch wohl in dieser Rede ausgesprochen: wir wollen das Rechte frei tun, nur nicht nach dem Gesetze, man soll es uns nicht befehlen. Sehr wohl; steht Euch denn das Gesetz bei dem freien Vollbringen im Wege? Wenn das Gesetz Euch nicht bewegt, sondern Eure Einsicht und Liebe, so tut Ihr es allerdings frei. Ja, aber man soll es auch erkennen, dass wir es mit Freiheit tun; so möchte es aussehen, als ob wir uns vor dem Gesetze fürchteten. So, seid Ihr so eitel? Das ist ein schlechtes Zeugnis für Eure Freiheit und Sittlichkeit. - Damit es nicht so aussehe, als unterließen wir das Unrecht aus Furcht, tun wir es grade, weil es verboten ist; überließe man sich unsrem guten Willen, o wie sittlich und außerordentlich würden wir sein! Das Gesetz ist für uns grade ein Mittel, uns zur Übertretung zu reizen. - Ihr müsst unter einer saubern Verwaltung der Gesetze stehen, wenn man euch die Lust, dem Gesetze zu trotzen, nicht vertreiben kann. An der äußeren Gesetzmäßigkeit kann auch und soll die Sittlichkeit sich niemals zeigen; denn diese liegt über alles bürgerliche Gesetz hinaus, und kann nicht geboten werden. Diese zeigt sich in andren Äußerungen, sie erscheint nur in dem, der durch die Sphäre des bürgerlichen Gesetzes hindurch ist. Es ist darum nur ärgerlich, diejenigen von Sittlichkeit und Freiheit reden zu hören, aus deren bloßem natürlichem Sein sich nicht schon äußere Zucht und Rechtlichkeit von selbst ergibt, und die sich noch als leibeigene Knechte zeigen der allergemeinsten Rohheit).

Nun versteht sich, dass der Staat keine andre Naturordnung hervorbringen kann, als die da eben ist: er muss darum selbst die freie besonnene Naturgewalt sein, die dem gerechten Willen den Zweck sichert: - (dies ist schon durch die ganze Verfassung, wie wir sie bis jetzt beschrieben haben, geschehen, und was etwa in dieser Rücksicht noch mangeln dürfte, wird sich ergeben:) - und an den ungerechten Willen das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes, die Strafe, knüpft.

4) Diese Naturordnung soll den Willen zwingen. Aber der Wille wird gezwungen durch Vorstellungen. Die Vorstellung darum dieser Ordnung ist das eigentliche Glied, das sich an den Willen fügt. Es folgt daraus Mancherlei: a) Die Vorstellung muss eben wahr sein; außerdem bewegt sie nicht; die angedrohte böse Folge muss unausbleiblich durch die rechtswidrige Handlung gesetzt sein, wie der Fall des Körpers durch den Stoß. Wer sündigt, muss wissen, dass die Strafe nicht ausbleibt: sie muss ihm so sicher sein, als die Sünde; ist sie ihm nicht so sicher, so wagt er’s. Wer von einer Sünde erfährt, der muss sicher auch erfahren von ihrer Strafe. Darum b) der Staat muss suchen, jedes Verbrechen, und den Täter desselben auszumitteln; c) das Vergehen ohne alle Ausnahme und Milderung auf die angedrohte Weise bestrafen. Sodann, die Vorstellung von der Sache soll den Willen bewachen. Der Staat muss darum die Ordnung, die er gemacht hat, das Gesetz, das er sich selbst gegeben hat, aussprechen, sagen, welche Folge jedes Verbrechen haben werde. Diese Ankündigung ist das Strafgesetz.